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Erosion der Demokratie

Demokratie im Würgegriff

Anfang Oktober ist das neue Jahrbuch 2015/2016 „Nachdenken über Deutschland“ erschienen. Darin sind wie gewohnt ausgewählte Texte der vergangenen Monate zu finden, thematisch zusammengestellt in verschiedenen Rubriken („Griechenland und die Troika“, „Pegida und das Feindbild Islam“ oder „Medien und Meinungsmache“). Dieses Jahr hat Sahra Wagenknecht das Vorwort beigesteuert, ein exklusiver Text über Griechenland und das Exempel, das an diesem Land bzw. an Syriza statuiert wird. Einen Auszug aus diesem Text lesen Sie im Folgenden – vor dem Hintergrund, dass an diesem Montag, den 9. November, in Brüssel wieder einmal die Euro-Finanzminister tagen und Athen laut EU-Währungskommissar Moscovici nun rasch Reformen umsetzen müsse.

»Wahlen können nichts ändern«, bekam der frisch gewählte Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, bei seinem ersten Treffen im Kreis der Eurogruppe von seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble zu hören. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem stieß ins gleiche Horn: Die griechische Regierung müsse sämtliche Forderungen der Gläubiger akzeptieren und die eigene Forderung nach einer Restrukturierung der Schuldenlast aufgeben – andernfalls werde man die Kreditvereinbarung platzen und das griechische Bankensystem hochgehen lassen, so die unverhohlene Drohung. Statt ein offensichtlich gescheitertes Anpassungsprogramm endlich zu beenden, weigerte man sich, mit der neuen griechischen Regierung auch nur Argumente auszutauschen. An einer vernünftigen Einigung, die sowohl europäische Steuerzahler geschont als auch Griechenland eine Perspektive gegeben hätte, hatte die Mehrzahl der Gläubiger von Anfang an kein Interesse. Von Sahra Wagenknecht.

Der Kampf gegen den Terror ist gescheitert. Aber die Verantwortlichen geben das nicht zu. Sie machen weiter wie bisher.

Seit September 2001 führen die USA und der Westen den Krieg gegen den Terror. Mit 100tausenden von Opfern. Im Irak. In Afghanistan. In Libyen. In Syrien. Und der Krieg gegen den Terror ist nicht einmal mit Erfolg gekrönt für die Völker des Westens. Sie sind Opfer, wie man mit Trauer nach dem Anschlag von Paris wieder einmal feststellen muss. – Ich ordne den Vorgang in den Gesamtzusammenhang der Entscheidungsfindung in unseren westlichen „Demokratien“ ein. Und komme zu dem Schluss: Erfolgskontrolle und Sanktionen gegen Fehlentscheidungen gibt es in der heutigen politischen Welt kaum noch. Am Krieg gegen den Terror und zwei weiteren Beispielen will ich diese Beobachtung belegen. Am Beispiel der Privatisierung der Altersvorsorge, an der Beteiligung Deutschlands am Afghanistan Krieg und am Kampf gegen den Terror mit den furchtbaren Morden von Paris wird gezeigt, dass das Selbstverständliche, dass der von uns geschätzte Vorteil einer Demokratie in den sogenannten Demokratien heutigen Zuschnitts kaum noch zu finden ist. Sanktionen gegen Fehlentscheidungen gibt es kaum noch. Albrecht Müller.

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Nachdenkliches zu Europa und Unbekanntes zu Russland – Fragen zu Nationalismus und „Flüchtlingskrise“.

Ein Abgrund tut sich auf, so will es vielen Zeitgenossen beim Blick auf das gegenwärtige Weltgeschehen, besonders auf die Vorgänge in Europa erscheinen, ein Abgrund, der die Werte der Nachkriegsgesellschaft – Menschenrechte, Solidarität, Toleranz – verschluckt und an deren Stelle überwunden geglaubte Gespenster des Nationalismus, des religiösen Fanatismus oder gar des Faschismus in neuer Gestalt wieder aufsteigen lässt. Zu verdenken ist niemandem eine solche Sicht: die geistige Verschmutzung und das Elend des ukrainischen Krieges, die Verstetigung des Terrors in den Brutalitäten des „Islamischen Staates“, der besser Anti-Islamischer Staat genannt würde, der Rückfall der Europäischen Union in nationalistische Egoismen angesichts der „Flüchtlingskrise“ müssen erschrecken. Vergleiche mit dem Ende des römischen Reiches werden gezogen, das trotz des Limes im Ansturm der hunnischen und germanischen Völkerschaften unterging. Thilo Sarazzins fade Prophezeiungen, Deutschland schaffe sich ab, kommen zu neuen Ehren. Aber stimmt dieses Bild? Verweist das Anwachsen separatistischer Tendenzen, auch des aktuellen Nationalismus, ja, selbst die barbarische Kulturstürmerei des „IS“ über die Tagesereignisse hinaus nicht auch auf eine dahinter liegende Entwicklung, die in ihrer aktuellen Eskalation auf Veränderung der gegenwärtigen Verhältnisse drängt? Ist vielleicht nicht die Zivilisation am Ende, sondern nur die atlantische Dominanz, nicht Europa, sondern nur die imperiale EU, nicht Deutschland, sondern nur die gegenwärtige Verfasstheit Deutschlands als tendenzieller neuer Zuchtmeister Europas? Von Kai Ehlers[*].

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Subsidiärer Theaterdonner – wie die CDU am rechten Rand fischt

„Angeblich“ war es ja ein Alleingang, mit dem Bundesinnenminister de Maizière am Freitag via Deutschlandfunk vorgeprescht ist: Syrer sollen demnach nur noch „subsidiären Schutz“ in Deutschland bekommen und – so de Maizière – nur noch ein einziges Jahr in Deutschland bleiben und dabei keine Familienangehörigen nachholen dürfen. Zwei Tage später interpretierte Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier die Äußerungen de Maizières als „eine kurze Phase der Irritation“. Alles bleibe beim Alten. Ist die CDU wirklich derart desorientiert? Nein, die „Phase der Irritation“ ist wohl vielmehr eine Phase des Wählerfangs am rechten Rand – Theaterdonner, der vor allem für das Publikum gedacht ist. Von Jens Berger

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Eine Einladung nach Kiel: „Meinungsmache bestimmt wesentlich die politischen Entscheidungen“

So lautet das Thema eines Vortrags und einer Diskussion, zu der Attac, Verdi, DGB und IG Metall für den 4. November 2015 um 18:00 Uhr nach Kiel eingeladen haben. Die Veranstaltung findet Im Legienhof–Lichtsaal, Legienstr. 22 statt. Flyer dazu siehe hier [PDF – 3.9 MB]. – Wir werden dabei auch darüber sprechen, was das Volk noch zu sagen hat und inwieweit die sogenannten Eliten bei wesentlichen Fragen und Weichenstellungen nahezu alleine bestimmen, wo es lang geht. Die Entscheidungen über die Teilprivatisierung der Altersvorsorge mit Riester-Rente und Rürup-Rente wie auch über die Agenda 2010 zum Beispiel und die Bankenrettung sind wesentlich durch vorweg oder parallel laufende gezielte Kampagnen der Meinungsmache bestimmt worden. Kann man da wirklich noch von einer demokratischen Willensbildung sprechen? Sie wird oft überlagert von der Meinungsmache und der Lobbyarbeit jener, die über viel Geld und publizistische Macht verfügen. Ist diese Feststellung zu radikal, zu hart, überzogen, wie man meinen könnte, wenn man nicht genau hinschaut? Albrecht Müller.

„Es geht nicht so sehr um Neugründung, sondern um effektive Gegenmacht”

Ein Interview mit Kolja Möller über linke Antworten und Optionen im Zeitalter der neoliberalen und postdemokratischen Globalisierung. Kolja Möller ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Exzellenzcluster „Normative Orders” an der Goethe-Universität Frankfurt. Das Interview führte Patrick Schreiner [*].

Einstweilige Verfügung gegen den NDR

Autor und NachDenkSeiten-Herausgeber Albrecht Müller hat über seinen Rechtsanwalt Heiko Klatt von der Kanzlei Scheuermann Westerhoff Strittmatter beim Landgericht Köln gegen den NDR wegen dessen Verknüpfung des Buches „Meinungsmache“ mit Hitlers „Mein Kampf“ und rechtsradikalen Texten eine Einstweilige Verfügung erwirkt (LG Köln, Beschluss vom 21.10.2015, Az.: 28 O 397/15) Der NDR hatte am 9. Oktober im Magazin NDR-aktuell die durchaus berechtigte Kritik an rechtsradikalen Stimmen gegen Flüchtlinge mit meinem Buch verbunden. Das war zugleich der Versuch, medienkritische Stimmen wie die NachDenkSeiten in ein rechtsradikales Licht zu rücken. Kenner der NachDenkSeiten wie auch meines Buches „Meinungsmache“ und anderer Publikationen, wissen, wie abstrus dieser Versuch ist. Albrecht Müller.

Oskar Lafontaine: Parlamentarisches Regierungssystem in der Krise – Lobby regiert mit

„Fast 1000 Lobbyisten haben über die Fraktionen Zugangsausweise für den Bundestag erhalten“, schreibt die Süddeutsche Zeitung. „Besonders ärgerlich ist, dass diese Lobbyisten ihrer Tätigkeit im Verborgenen nachgehen können. Der Bundestag weigert sich, die Namen der Einflüsterer bekannt zu geben. Die Fraktionen von Linken und Grünen haben inzwischen selbst kundgetan, welchen Organisationen sie zu Ausweisen verholfen haben. Union und SPD weigern sich aber vehement. Dabei gehen mehr als 90 Prozent dieser Hausausweise auf das Konto der Koalitionsfraktionen.“ Aber es gibt auch zahlreiche Lobbyisten, die noch näher an die Schalthebel der Macht kommen. Denn in den Bundesministerien sind einige von ihnen als „externe Mitarbeiter“ beschäftigt. Immer wieder finden sich in Gesetzesentwürfen der Bundesregierung ganze Passagen, die Lobbyvertreter geschrieben haben. Damit diese Gesetze im Bundestag auch angenommen werden, pflegen Konzerne und Banken CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne mit Parteispenden. DIE LINKE fordert: Parteispenden müssen verboten werden! Albrecht Müller.

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„An unseren Händen klebt kein Blut“

Was passierte hinter den Kulissen des Maidan? Eine spannende Frage, auf die von politischen Insidern in Zukunft noch interessante Antworten zu erwarten sind. Einer von ihnen hat nun seine Aufzeichnungen vorgelegt. „Ukraine: Die Wahrheit über den Staatsstreich“ heißt das Buch des früheren ukrainischen Ministerpräsidenten Nikolai Asarow, das zu Jahresbeginn in Russland und vor einigen Wochen auch auf Deutsch erschienen ist. In der Ukraine ist es schon verboten. Von Stefan Korinth[*].

Online-Petition gegen das Vorratsdatenspeicherungsgesetz

Die aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Safe-Harbour-Abkommen der Europäischen Kommission mit den USA aus dem Jahre 2000 muss betroffen machen, denn sie lenkt den Blick auf schlechte Verhandlungsführung, insbesondere auch auf damit einhergehende sowohl in der europäischen Grundrechtscharta als auch in der deutschen Verfassung geschützte Rechte der Privatheit und der Persönlichkeit und deren Verletzung. Peter Thümmel (Initiative gegen Totalüberwachung e.V.)

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Gefahr im Verzug? – Kolumne Nr. 2 von Oskar Lafontaine

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem jüngsten Urteil entschieden: „Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz (der Bundeswehr im Ausland) vorläufig alleine zu beschließen.“ Dieses Urteil ist vielleicht gut gemeint, wird aber den Schreibtischhelden und Kriegsbefürworter neuen Auftrieb geben. Seit Tagen lesen wir in den Zeitungen, dass wir in Syrien „Frieden stiften“ müssen, indem wir ebenfalls bombardieren. Wie schnell kann eine Bundesregierung auf die Idee kommen, dass in Syrien Gefahr in Verzug ist und wir daher Kampfflugzeuge schicken müssen? Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Militäreinsätzen der Bundeswehr hat das Grundgesetz längst hinter sich gelassen. In Artikel 87a des Grundgesetzes heißt es unmissverständlich: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Von Beteiligung an den Ölkriegen der USA ist nirgendwo die Rede. Seit Peter Struck 2009 feststellte: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt“ und Bundespräsident Gauck die „neue Verantwortung der Deutschen in der Welt“ entdeckt hat, haben die Bellizisten in Deutschland immer stärkeren Zulauf. Schade, dass sich auch die Verfassungsrichter dazu hergegeben haben, den Artikel 87a des Grundgesetzes aufzugeben.

Fluten, Wellen, Ströme …

In welchen Begriffen reden wir über Flüchtlinge? Welche Bilder und Metaphern verwenden die Medien? Was sagt das über uns selber aus? Welche politisch-gesellschaftlichen Umstände begünstigen Integrationsbemühungen, welche behindern sie eher? Was droht uns, wenn Integration misslingt? Götz Eisenberg versucht diesen Fragen nachzugehen.

HG. Butzko: Verarschen kann ich mich alleine

Kennt eigentlich jemand Marco Düerkop? Oder Martin Merlin? Carsten Schittek? Birgit Weidel? Klaus Berend? Ulrich Weigl? Christophe Kiener? Nein? Gut, jetzt könnte man meinen, weil man diese Leute nicht kennt, sind das wohl alles Gewinner von »Deutschland sucht den Superstar«. Könnte sein, stimmt aber nicht.
Die Leute, die ich aufgezählt habe, sind Vertreter von Industrie- und Wirtschaftsverbänden, also Chemiebranche, Autoindustrie, Banken, Pharmakonzerne und so weiter, auf gut Deutsch: Das sind Lobbyluder.
Ein Auszug aus dem Buch „Verarschen kann ich mich alleine“ von HG. Butzko.

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Wiederholt sich die Geschichte rassistischer Ausgrenzung und Gewalt? Von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen führt eine Linie nach Heidenau

Die jüngsten, teilweise von der NPD angemeldeten Demonstrationen und Gewaltaktionen organisierter Neonazis vor den Flüchtlingsunterkünften in Berlin-Hellersdorf und Heidenau bei Dresden erinnerten stark an die pogromartigen Übergriffe im ebenfalls sächsischen Hoyerswerda (September 1991) und in Rostock-Lichtenhagen (August 1992). Dort griffen rassistisch motivierte Jugendliche und teils zugereiste Rechtsextremisten die Anlaufstellen für Asylbewerber und die Unterkünfte vietnamesischer Vertragsarbeiter unter dem Beifall vieler Anwohner mit Molotowcocktails an. Bei den tagelangen Ausschreitungen wurde zwar wie durch ein Wunder niemand getötet, aber Todesangst unter Migranten und Medienvertretern erzeugt, die in einem brennenden Wohnheim eingeschlossen wurden, als sie darüber berichten wollten, und nur mit viel Glück den Flammen entkamen. Von Christoph Butterwegge.

Übertreibung ist eine beliebte Methode (5) der Meinungsmanipulation – hier dargestellt am Umgang der Hiwi’s Hebel (FR) und Horn (IMK) mit Sahra Wagenknecht

Nach dem Desaster in Griechenland und der ins Auge springenden Missachtung von Mehrheitsentscheidungen des Volkes gäbe es gute Gründe, darüber nachzudenken und sachlich zu besprechen, ob die Euro-Konstruktion für alle Euro-Länder in der jetzigen Situation durchzuhalten ist. Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben neben anderen in den letzten Tagen den Versuch gemacht, die im wahren Sinn des Wortes Not-wendige Diskussion dazu anzustoßen. Ihr Versuch wird vom Redakteur der Frankfurter Rundschau Stephan Hebel und vom Chef des gewerkschaftsnahen Instituts IMK gekontert – mit der typischen Methode der Übertreibung „Reaktionär, nicht links” titelt Hebel in einem Kommentar vom 21. August. Und Gustav Horn, der Leiter des arbeitnehmernahen Instituts IMK schrieb via Twitter: „Für mich ist das: Sozialnationalismus.“ Das soll offensichtlich an „Nationalsozialismus“ erinnern. Albrecht Müller.