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Kampagnen/Tarnworte/Neusprech

Weihnachtsempfehlung: Verschenken Sie die politischen Memoiren Gerhard Schröders „Entscheidungen, Mein Leben in der Politik“ lieber nicht.

Ich habe mir die 516 schmal bedruckten Seiten angetan: Ein so „dünnes“ Buch habe ich seit langem nicht mehr gelesen. Mit einer nicht enden wollenden Aneinanderreihung der von Schröder nachgeplapperten Leerformeln von der „Globalisierung“ oder der „demografischen Entwicklung“ wird in penetranter Selbstgerechtigkeit die Politik der rot-grünen Bundesregierung als ein „notwendiges“ „umfassendes reformerisches Programm“ zelebriert. Schröder hat es gefallen, dass ihn Erhard Eppler als „political animal“ bezeichnet hat, vielleicht hat Eppler dabei eher an das Gehabe eines Alpha-Männchens auf dem Affenfelsen gedacht. Wolfgang Lieb.

Verräterische Sprache unserer Macher

Gestern hatte ich die Versuche unserer Eliten kritisiert, durch den Gebrauch und Austausch von Leerformeln (wie z.B. von der Wissensgesellschaft) mehr zu verkleistern als zu erhellen. Das hat einen Leser der NDS dazu angeregt, auf den Internetseiten des Ministeriums von Müntefering zu recherchieren. Seine Ausbeute, wörtlich: „Ich habe nur mal kurz die Seite des Bundesarbeitsministeriums begutachtet und sofort einige weitere Beispiele gefunden.“

Das Ende der Aufklärung

In der Phoenix-Runde (7.12.) sprach Kurt Biedenkopf in gängiger Manier von der Wissensgesellschaft. Der Gebrauch und Austausch von solchen Formeln ist ein Symbol für den Niedergang der Vernunft unserer Meinungsführer, zu denen auch Kurt Biedenkopf zählt. Einmal abgesehen vom prinzipiellen Fragezeichen hinter solchen Einteilungen der gesellschaftlichen Entwicklung, die mehr verkleistern als erhellen – was wir um uns herum erleben, ist gerade in diesen Tagen wieder alles andere als ein Zeichen von Wissen und Vernunft. Wir sind aktuell einer Fülle von geistigen Zumutungen – Unkenntnis, Widersprüchen, Nachplapperei und Propagandaformeln – ausgesetzt. Weil das nicht nur mich umtreibt, hier ein paar Hinweise. Albrecht Müller.

Auch Stiftung Warentest macht Stimmung gegen gesetzliche Rente und für Privatversicherung – ein Skandal.

Wenn ich einen Autotest ansehe, dann erwarte ich nicht, dass Reklame fürs Autofahren gemacht wird. Wenn ich einen Test zu Fernsehgeräten studiere, dann erwarte ich nicht, dass Reklame fürs Fernsehen gemacht wird. Jetzt habe ich mir das letzte Heft von Finanztest der Stiftung Warentest mit dem Titel „Altersvorsorge“ angeschaut. Darin und vor allem in der eingeklebten DVD wird unverhohlen die gesetzliche Rente madig gemacht und für Privatvorsorge geworben. Die Stiftung Warentest sollte dieses Produkt, jedenfalls die DVD, schnellstens aus dem Verkehr ziehen. Albrecht Müller.

Orwell auch in Holland

Der bisherige Ministerpräsident verliert drei Sitze, seine Koalition hat keine Mehrheit mehr. Aber er erklärt sich zum Sieger, und SpiegelOnline schreibt: „In den Niederlanden ist die Partei von Ministerpräsident Balkenende als Sieger der Parlamentswahlen hervorgegangen.“ – Die Herrschenden können Meinung machen unabhängig von der Realität. Und wenn alle und alle und alle immer wieder das gleiche sagen, dann wird die Lüge zur Wahrheit und geht in die Geschichte ein. (So sinngemäß Orwell in „1984“).

Sie sollten das wirklich lesen, um zu sehen, wie gespielt wird:
SPIEGEL ONLINE 22. November 2006, 21:19

Die Sozialisten haben übrigens ihre Mandate von acht auf 25 verdreifacht und liegen nahe an der sozialdemokratischen Partei (PvdA), die von 42 auf 33 Mandate zurückfiel. Albrecht Müller.

Es wird Panik gemacht! Mit Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung, die man als Prognosen interpretiert.

Der Statistiker und Mathematiker Bosbach hat für die NachDenkSeiten zu den Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes zur Bevölkerungsentwicklung bis 2050, die am 7.11. in Berlin präsentiert worden sind, einen kurzen Kommentar geschrieben. Sie finden ihn in der Rubrik Andere interessante Beiträge. Ich verweise zugleich noch auf meine erste Stellungnahme zum Thema, konkret aufgehängt am Beispiel der Berichterstattung der taz. Die Berichterstattung der taz war nicht singulär. Nahezu alle deutschen Medien haben in ähnlicher Weise berichtet. Albrecht Müller.

Die hohle Welt der Reformer

Am 5.11. berichtete die Berliner Morgenpost unter der Überschrift „Reformtempo bleibt hoch“ von Bekenntnissen der beiden Koalitionsspitzen Merkel und Beck zu den Reformen. (Siehe unten) Man könnte auch von Durchhalteparolen sprechen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, weil man an diesen Äußerungen zeigen kann, dass die Reformer in einer eigenen Welt hohler Phrasen leben und Glaubensbekenntnisse den Bezug zur Realität ersetzen. Sich dessen bewusst zu bleiben ist wichtig, weil man sonst immer wieder zum Opfer der gleichgerichteten Parolen wird. Typisch dafür ist auch die erstaunlich wohlwollende Aufnahme von Gerhard Schröders Buch und damit seines Versuchs, die Reformpolitik als notwendig und erfolgreich darzustellen und ihr und sein Scheitern zu übertünchen. Albrecht Müller.

Mit dem „vorsorgenden Sozialstaat“ wird das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes „entsorgt“.

„Der nachsorgende, überwiegend beitragsorientierte Sozialstaat ist unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts überfordert.“ Das ist der Ausgangspunkt eines Papiers, das der SPD-Vizevorsitzende und sachsen-anhaltische Finanzminister Jens Bullerjahn gemeinsam mit dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck erarbeitet hat. In der Debatte um die programmatische Modernisierung der SPD kommen beide zu dem Schluss: „Zeitgemäß ist ein vorausschauender Sozialstaat, weil er den Menschen bessere Lebenschancen eröffne.“ Unser Leser Detlef Durry hat für die NachDenkSeiten, das Thesenpapier analysiert.

Habermas und der „verschluckte“ Zettel: Die späte Rache der National-Konservativen an der Linken – und der Zeitgeist dreht sich mit.

„Vergesst Habermas!“ steht über dem Konterfei des Sozialphilosophen auf der Titelseite des Zeitgeistmagazins „Cicero“. Der konservative Journalist Jürgen Busche, einer, der überall den Geist der 68er-Generation wittert, darf unter der Überschrift „Hat Habermas die Wahrheit verschluckt?“ den weltweit anerkannten kritischen Aufklärer als jugendlichen Anhänger des NS-Regimes denunzieren. Im Windschatten des Wirbels um die pubertäre SS-Mitgliedschaft von Günter Grass versuchen die National-Konservativen, die in den 80er Jahren den Deutschen „die Schamröte über Auschwitz“ ausreden wollten, nun auch an Jürgen Habermas späte Rache zu üben. Kritische Geister sollen als Glashausbewohner angeprangert werden, die mit Steinen geworfen haben (Markus Schwering).

Gerhard S. Mittelmaß

Ich habe mir jetzt die Mühe gemacht, den Auszug aus Schröders Buch im „Spiegel“ zu lesen. Es geht dabei vor allem um die Entstehungsgeschichte der Agenda 2010 und um die Gründe für Schröders Neuwahlbegehren. Wenn ich diesem Rechtfertigungsstück glaube, dann muss ich feststellen, dass wir einen Bundeskanzler hatten, der keine Ahnung von den einfachsten gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen hatte und den Bezug zur Wirklichkeit verloren hatte. Es folgen Anmerkungen zu einzelnen Textteilen.

Nicht ins Bockshorn jagen lassen. Ein Aufschwung sieht anders aus.

Déjà vue: Fast genau vor sechs Jahren, am 15. November 2000, verkündete der Sachverständigenrat, die Konjunktur „laufe rund“. Das war der Tenor seines Jahresgutachtens – und dies bei damals schon 4 Millionen Arbeitslosen. Also tat man damals nichts mehr für die Konjunktur, im Gegenteil, Eichel sah seinen Sparkurs bestätigt. Seit dem rasseln wir weiter in den Keller. Jetzt das gleiche Spiel, nur mit noch schlechteren Voraussetzungen. Die Bundesregierung redet von „robustem Aufschwung“, Steinbrück verteidigte die restriktive Haushaltspolitik der Koalition, die einen “robusten” Aufschwung gebracht habe, hieß es im Berliner Tagesspiegel. (Das ist gleich zweifacher Unsinn). Die vorliegenden Zahlen und Prognosen erlauben nüchtern betrachtet nicht, von einem wirklichen Aufschwung zu sprechen, so gerne wir das täten. Und dass die restriktive Haushaltspolitik für das bisschen Aufschwung gebracht habe glaubt auch nur Steinbrück und seine neoliberalen Glaubensgenossen.

“Die gelähmte Republik” – ein Phantom

Die Phoenix-Runde “Die gelähmte Republik” vom 4.10.2006 ist jetzt auch online abrufbar.
Phoenix hat in dieser Sendung die immer wieder bemühte Behauptung aufgegriffen, wir litten unter einer Reformblockade, Deutschland sei gelähmt. Siehe dazu auch den Tagebucheintrag vom 6.10.: „Die Ausreden der Reformer werden immer bunter“.
Ich wies in der Sendung darauf hin, dass man von einer politischen Lähmung wahrlich nicht sprechen kann. Von Kohl über Schröder bis zu Merkel sind eine Reihe von Entscheidungen für so genannte Reformen getroffen worden, meist solche, die man besser nicht getroffen hätte. Das Problem ist, dass die getroffenen Reformerentscheidungen anders als erwartet keine positiven Folgen haben. Im Gegenteil. Sie haben in vielfältiger Weise geschadet.

Steingart – Mittelmaß in der Sache aber Meister in der Kunst der Verführung.

In den letzten Tagen sind im Spiegel und in SpiegelOnline insgesamt sieben Auszüge aus dem neuen Buch von Gabor Steingart erschienen. Steingart ist Leiter des Berliner Büros des Spiegel. Sein letztes Buch ist wohlwollend von Müntefering vorgestellt worden. Auch seine jetzigen Thesen verfangen. Wolfgang Lieb berichtete von einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei der sich gleich mehrere Diskussionsteilnehmer auf Steingarts neues Buch beriefen. In der Sache begreifen kann ich das nicht, verstehen schon, denn Steingart hat eine perfid eingängige Art zu schreiben. Damit überspielt er die vielen Denkfehler und Argumentationslücken. Er nutzt Vorurteile, er übertreibt und arbeitet mit Assoziationen. Davon darf man sich nicht mitnehmen lassen. Man kommt ihm nur auf die Schliche, wenn man seinen Text präzise und Satz für Satz hinterfragt.
Im folgenden finden Sie zunächst die Links auf die sieben bis heute erschienenen Beiträge (A) und dann eine zusammenfassende Kritik (B) .
Man muss dieses Buch nicht kaufen. Es zu lesen ist für an Aufklärung interessierte Menschen eine Zumutung. Es ist zudem die Schrift eines Verfassungsfeindes. Das schreibe ich mit Bedacht und nach reiflicher Prüfung. Wie nämlich Steingart mit dem Sozialstaatsgebot umgeht, ist jenseits dessen, was sich streitbare Demokraten bieten lassen können. Und wie er mit Schwächeren umgeht, hat mit Demokratie und mit der Achtung vor der Würde von Menschen nichts zu tun. Und die Häme gegenüber Arbeitnehmern und Gewerkschaften ist bemerkenswert. Aber prüfen Sie selbst.