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Meinungsmache

Die „Montags(gegen)demonstration“ aus dem Chefsessel – eine ganzseitige Anzeige gegen das Volk

„Auch wir sind das Volk“, unter dieser Überschrift wollen über 60 Firmenvorstände, Aufsichtsräte, Wirtschaftsverbandsfunktionäre, Finanz- und Vermögensberater, Medienbosse und einige Kulturschaffende mit einer teuren, ganzseitigen Anzeige dem Volk, das sich gegen Hartz wehrt, das Maul stopfen. Ein Netzwerk aus Energiewirtschaft, wirtschaftsfreundlicher Presse und Vermögensberatern demonstriert aus ihren bequemen Chefsesseln für einen „radikalen Kurswechsel“ gegen das „gemeine“ Volk. „Die da oben“ beschimpfen „die da unten“.

Die Weißwäscher: Aus Niederlagen werden Erfolge

Da verliert die CDU bei der Kommunalwahl in NRW knapp 7% und dennoch redet der CDU-Landeschef Rüttgers von einem „großartigen Ergebnis“. Da erzielt die SPD nach einem Absturz bei der vorigen Wahl mit einem weiteren Minus von über 2% ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen dieses Landes und dennoch redet der SPD-Landesvorsitzende Schartau von einer „guten Basis“. Das Umdeuten von Niederlagen zu Erfolgen muss beim Wahlvolk den bitteren Eindruck hinterlassen: Egal ob, wie oder was ihr wählt, wir deuten das Ergebnis so um, dass wir uns bestätigt fühlen.

Nachdenk-Splitter zu den Wahlen in Brandenburg und Sachsen

Die hohen Ergebnisse für die Rechtsradikalen NPD und DVU sind bedrückend. Aber ähnlich bedrückend ist das Ausmaß der Manipulation, die mit uns stattfindet und die am Wahlabend und dem Tag danach wieder einmal sichtbar wurde. Dazu ein paar Hinweise und Anmerkungen.

Ist die Arbeitslosenversicherung keine Versicherung?

Der Unmut gegen Hartz IV – vor allem bei älteren Arbeitnehmern – speist sich aus dem Gefühl eines Vertrauensbruchs. Viele Menschen haben Jahrzehnte in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt und jetzt sollen sie nach einem Jahr ohne Arbeit Sozialhilfeempfänger werden. Das erleben viele als ungerecht und beschämend. Sie haben mehr einbezahlt als sie jetzt von ihrer „Versicherung“ zurück erstattet bekommen. Um den Protest zu dämpfen, werden jetzt immer wieder – zuletzt etwa in der wdr-Sendung „Hart aber fair“ am Mittwoch, den 8. 9. 2004 – unsinnige und irreführende Gegenrechnungen angestellt.

Infratest dimap stellt die “richtigen” Fragen für die “richtigen” Antworten

Am vergangenen Freitag meldete der „Bericht aus Berlin“ als Ergebnis der aktuellen Umfrage im Rahmen des Deutschland Trend: „Knappe Mehrheit gegen Reformstopp“. Einige Zeitungen, die zusammen mit der ARD diese Umfragen finanzieren, überschrieben ihre Artikel und Berichte am Samstag, den 4.9. z. B. mit „Mehrheit will Reformkurs fortsetzen. – Verschiebung der Gesundheitsreform stößt auf Ablehnung.“ (FR) oder „Mehrheit der Deutschen gegen Reformstopp“ (Die Rheinpfalz). 54% wollten „weitere Reformen so schnell wie möglich angehen“, hieß es in der entsprechenden Graphik mit der Überschrift „Weitere Reformen“.

“Die Reformlüge”

Albrecht Müller, “Die Reformlüge – 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren”.

“Sei rüde, sei ehrlich, mach es schnell”

Das ist die Überschrift über einem Beitrag des Spiegel vom 16. August 2004 zu Sozialreformen im Rahmen der Titelgeschichte dieser Woche: “Angst vor der Armut”. In diesem Artikel wird über eine neue so genannte Benchmarking-Studie der Bertelsmann Stiftung berichtet. Eingebettet in den Hauptartikel “Das verunsicherte Volk” ist dann auch ein Interview mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Bischof Dr. Wolfgang Huber. Seine Hauptbotschaft laut Spiegel: Mehr Mut zu Reformen. Das ist der Tenor des gesamten Stücks. Wer sich mit den Reformen beschäftigt und die Art der Agitation bewundern will, sollte sich diese Beiträge ansehen.
Ich gebe einige Hinweise auf Denkfehler und Tücken, mit Schwerpunkt beim Bericht des Spiegel. Dabei greife ich auf Material zurück, das in einem Buch verarbeitet ist, das ich im letzten halben Jahr neben der Entwicklung der NachDenkSeiten geschrieben habe: Albrecht Müller, “Die Reformlüge – Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren”. Mehr dazu in den nächsten Tagen.

Betrifft: Hartz IV. Oder worüber die Informationskampagne der Bundesregierung nicht informiert.

Jetzt wird also besser „vermittelt“. In ganzseitigen Anzeigen wird gefragt: „Wie verbessert Hartz IV die Lage der Arbeitslosen?“ In einzelnen Berechnungsbeispielen soll der allgemeine Eindruck erweckt werden, dass das Arbeitslosengeld II die bisherige finanzielle Lage der Betroffenen nur geringfügig verschlechtere, bei Alleinerziehenden gar verbessere. Worüber nicht informiert wird: 20% im Westen und 36% im Osten werden keinerlei Leistung mehr beziehen. 51% (West) bzw. 44% (Ost) geringere, 11% (West) bzw. 6% (Ost) eine etwa gleiche Leistung und 18% (West) bzw. 15% (Ost) eine höhere Leistung.

Noch eine Informationskampagne zur Agenda – Sie wird auch nicht darüber hinwegtäuschen können, um was es in Wahrheit geht

„Warum? Machen wir die Agenda 2010“ konnten wir in den letzten Wochen in einer Anzeigenserie der Bundesregierung nachlesen. Die Umfragen und die zunehmenden Proteste beweisen, dass diese Informationskampagne offenbar nicht viel gebracht hat. Jetzt soll eine neue Kampagne her. Das Geld dafür kann man sich sparen. Die Agenda hat kein Vermittlungsproblem, die Leute wissen ziemlich genau, worum es in Wahrheit geht. Die Globalisierungsthese oder die demographische Entwicklung taugen als Begründungen nicht, in Wahrheit geht es um den Einstieg in einen Systemwechsel von der „sozialen Marktwirtschaft“ zur anglo-amerikanischen Form des marktradikalen Kapitalismus; diese Abkehr vom Grundkonsens des sozialen Ausgleichs wollen die Menschen nicht und deshalb hilft die beste Vermittlung der Agenda nichts.

Wie viel Heuchelei verträgt unsere Demokratie? Hartz IV und die wirklich gefährlichen Kritiker

Die Schlagzeilen dieses Wochenendes lauten: Bundespräsident Köhler mahnt über Bild am Sonntag zu behutsamem Umgang bei der Anwendung der Arbeitsmarktreformen. Die CSU warnt, dass Kinder nicht die Opfer sein dürften, Grünen-Chef Bütikofer räumt im Deutschlandfunk Widersprüche bei Hartz IV ein, FDP-Fraktionschef Gerhard sieht laut Handelsblatt in der raschen Umsetzung der „Reform“ gar eine Gefährdung der Demokratie. Bis vor kurzem gingen ihnen diese „Reformen“ viel zu langsam und vor allem nicht weit genug. Jetzt, wo der Widerstand der Bevölkerung sich immer heftiger artikuliert, schlagen sie sich in die Büsche.

75 Jahre auf Kurs

Die Argumentationsweise der Wirtschaftsverbände gegen sozialstaatliche Errungenschaften sind heute verblüffend ähnlich wie vor 75 Jahren. Darauf macht mich Claus Hofmann aufmerk-sam. Was er da in einer Denkschrift des Reichsverbandes der deutschen Industrie von 1929 ausgegraben hat, ist interessant für alle Nutzer der NachDenkSeiten, die gelegentlich ein Zitat für ihre eigenen Artikel und Reden brauchen.

Arbeitszeitverlängerung – Eine Gespensterdebatte über eine Gespensterdebatte

Kaum waren die betriebsbezogenen Vereinbarungen zwischen Siemens und der IG-Metall über die Verlängerung der Arbeitszeiten in den Betrieben Kamp-Lintfort und Bocholt unter Dach und Fach kam es in der öffentlichen Debatte zum üblich gewordenen Ritual: Wer bietet mehr? Flächendeckend 40, 42, 45 oder gar 50 Stunden, die Streichung einer Woche Urlaub oder von Feiertagen ohne Lohnausgleich werden nicht nur von den üblichen Verdächtigen BDI, BDA, Ifo, DIW usw. in die Debatte gebracht. Nein, inzwischen haben wir auch noch unseren neuen Bundespräsidenten, der als oberster Stichwortgeber die Arbeitszeitverlängerung als ernsthaften Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit „der“ Wirtschaft erklärt und damit eine Gespensterdebatte über eine Gespensterdebatte anheizt.