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Das kritische Tagebuch

Der Fahrstuhl kennt noch ein paar Etagen nach unten

In Deutschland kommen CDU/CSU zusammen mit der FDP auf rund 49%, in Europa ist die Rechte auf dem Vormarsch. Und das in einer der tiefgreifendsten Krisen, die das Scheitern der wirtschaftsliberalen und konservativen Ideologien jedermann vor Augen führen müsste.
Das scheint Gegenintuitiv, ist jedoch leicht erklärbar: In einer Zeit, in der sich sozialdemokratische Parteien in Deutschland, aber auch in Großbritannien vor allem durch ihr politisches Handeln zum Exekutor der neoliberalen Doktrinen gemacht hat, können sie ihre Wähler nicht mehr mobilisieren.
Die Konservativen verlieren zwar auch, aber sie können immer noch auf einen größeren Teil ihrer Stammwählerschaft bauen, ja sie haben es sogar geschafft, dass verängstigte potentielle Wählerinnen und Wähler der Linken, wie etwa Arbeiter, auf die zynischen Sprüche wie „Vorrang für Arbeit“ oder das Gerede von der „sozialen Marktwirtschaft“ hereinfallen. Wolfgang Lieb

Die „linke“ Hälfte wird bei den Wahlen vermutlich enttäuscht abschneiden

Nach meinem Eindruck werden vor allem SPD und Die Linke bei den heutigen Wahlen unter ihren Möglichkeiten bleiben. Das hat bei der SPD viel damit zu tun, dass sie sich inhaltlich bis auf wenige Ausnahmen dem neoliberalen Glaubensbekenntnis angepasst hat. Hinzu kommt der wahltaktische Fehler, dass sie sich trotz dieses faktischen eigenen Rechtsruckes einen Linksruck anhängen lässt. Dass die Linkspartei vermutlich unter ihren Möglichkeiten bleibt, hat ganz wesentlich mit einer bemerkenswert mangelhaften Wahlkampfführung zu tun. Seit langem ist erkennbar, dass die Strategie der anderen Parteien wie auch der Wirtschaftsverbände darauf zielt, die Linkspartei zu stigmatisieren und im konservativen bis liberalen Wählerbereich einen Antikommunismuswahlkampf wie in den fünfziger Jahren zu führen. Diese Kampagnen strahlen ab auf die potentiellen Wähler der Linkspartei. Sie werden verunsichert und fallen über weite Strecken als Multiplikatoren aus. Albrecht Müller

Institut der deutschen Wirtschaft: Soziale Umverteilung von oben nach unten?

Mit einer geradezu trotzigen Provokation rechtzeitig zum Vorwahlkampf bestreitet das IW [PDF – 11 KB] nicht nur die für jedermann spürbare, immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich, es widerspricht auch allen Befunden und Studien, wonach in den letzten Jahren die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind. Dass der Sozialstaat von unten nach oben verteile, dass sei nur ein Vorurteil, meint Michael Hüther, der Chef das arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Wolfgang Lieb

Der Kampf des Ritters zu Guttenberg gegen „Freibier“ für Opel und die seit Jahrzehnten offene Hand Bayerns für Subventionen vom Bund

Zugegeben, die Entscheidung über den Versuch zur Rettung von Opel mithilfe eines 1,5 Milliarden-Überbrückungskredit und andere Hilfen ist nicht einfach gewesen. Warum Opel retten und nicht Arcandor? Sind Arbeitsplätze bei der Automobilindustrie wertvoller als Arbeitsplätze im mittelständischen Gewerbe, beim Handwerk und beim Außenhandel? Meines Erachtens Nein. Wie weit reicht die Kraft zur Rettung? Warum keine Staatsbeteiligung, wenn schon öffentliches Geld fließt? Das sind durchweg berechtigte Fragen. Aber diese Fragen und Zweifel rechtfertigen keineswegs die jetzt begonnene Profilierung des Bundeswirtschaftsministers Guttenberg. Er lässt sich mit Polemik gegen die „Freibier-für-alle-Mentalität“ in Bayern feiern (siehe im Anhang zwei Beiträge von Spiegel Online), war aber in Berlin nicht konsequent genug, zurückzutreten, als sich seine Forderung nach Insolvenz nicht durchsetzen ließ. Und zu Guttenberg lässt bei seiner Wertung außen vor, wie sehr gerade Unternehmen in Bayern von der von ihm gegeißelten Freibiermentalität profitiert haben und profitieren. Albrecht Müller

Sind die NachDenkSeiten für Kinder und Jugendliche ungeeignet?

Nachdem die NachDenkSeiten noch vor einigen Tagen vom Jugendschutzverein JusProg e.V. als „gesperrt“, danach als „individuell“ – also nicht unter das (Sperr-)Raster fallend – eingestuft wurden, kommt derzeit auf eine Prüfanfrage die Rückmeldung: „Die Seite nachdenkseiten ist noch nicht in unserem Filter vorhanden.“ Dennoch scheint unsere Website vom Family Online Safety Institute (Fosi) offenbar „aufgrund bestimmter Wortverknüpfungen“ den „Extrem-Bereichen der Erotik, Gewalt und Politik“ zugeordnet zu werden und erst nach einer zusätzlichen individuellen Überprüfung nicht mehr unter das Raster fallend eingestuft worden zu sein.

Schuldenbremse – eine Absage an eine aktive, zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik

Der 29. Mai wird als ein schwarzer Tag für die aktive und die zukünftigen Generationen in die Geschichte unseres Landes eingehen. Kurz nach den Lobgesängen auf das wirtschaftspolitisch bisher neutrale Grundgesetz anlässlich des 60. Jahrestages seiner Verkündung wird einer aktiven makroökonomischer Wirtschaftspolitik und einer nachhaltigen Finanzpolitik eine verfassungsrechtliche Barriere vorgeschoben. Die Chance, von diesem unverantwortbaren Irrweg wieder mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundes abzukehren, dürfte sich politisch so bald nicht mehr ergeben – das wäre nur noch durch eine dramatische Notsituation denkbar, die hoffentlich nie eintreten möge. Die Hoffnung, dass der Bundesrat oder die Gerichte diese Verfassungsänderung wegen ihres Eingriffs in die Finanzautonomie und damit in die Eigenstaatlichkeit der Länder [PDF – 270 KB] stoppen, ist nur gering.
Als Bürgerinnen und Bürger bleibt uns nur noch die Möglichkeit, die Kandidatinnen und Kandidaten für den künftigen Bundestag zur Rede zu stellen. Deswegen können wir Sie nur noch ermuntern, sich mit Argumenten gegen die Schuldenbremse zu wappnen, und – auf welchem Wege auch immer – Ihre Vertreterinnen und Vertreter für das Bundes- und für die Länderparlamente damit zu konfrontieren. Wolfgang Lieb

70 Prozent der Deutschen würden Köhler wählen. – Wie das?

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. Genau 60 Jahre später dürfte Horst Köhler zum zweiten Mal zum Bundespräsident gewählt werden. Die Wahl in der Bundesversammlung ist weitgehend Formsache, dort spiegeln sich die Mehrheiten im Bundestag und in den Länderparlamenten wieder und dort haben eben Schwarz-gelb zusammen mit den gleichfalls konservativen freien Wählervereinigungen eine knappe Mehrheit. Diese konservative Mehrheit ergibt sich daraus, dass die SPD seit der letzten Wahl zum Staatsoberhaupt eine Wahl nach der anderen verloren hat, zuletzt in Bayern und Hessen. Es reicht also nicht einmal mehr zu einer Mehrheit von Rot-rot-grün. Köhler profitiert also vor allem vom Niedergang der SPD.
Das ist aber nur die parteipolitische Seite der Präsidentenwahl.
Viel deprimierender ist allerdings, dass Köhler, wenn er direkt vom Volk gewählt würde noch eine viel deutlichere Mehrheit erhielte.
Wie ist es zu erklären, dass ein Hardliner des Weiter-so in der Bevölkerung eine derart unkritische Unterstützung und Sympathie erfährt? Wolfgang Lieb

FDP: Täuschung lohnt sich

„Arbeit muss sich wieder lohnen“, das war das Motto des 60. ordentlichen Bundesparteitags der FDP in der Messe Hannover, in dessen Mittelpunkt „Beratungen“ zum Wahlprogramm [PDF – 620 KB] für die Bundestagswahl standen. Schon aus diesem Slogan kann man ablesen, dass die FDP nicht lügen muss, um einen Wortbruch zu begehen. Nein, die FDP ist geschickter. Sie deutet schon die ursprüngliche Bedeutung der Worte so um, dass sie eine Lüge enthalten. Bei „Arbeit muss sich wieder lohnen“ geht es nämlich nicht darum, dass Arbeit wieder gut be-“lohnt“ wird, sondern ausschließlich darum, dass die Steuern und Sozialabgaben auf den Lohn gesenkt werden. Und das – wie sollte es bei der FDP auch anders sein – besonders für diejenigen, die hohe Löhne beziehen.
„Arbeit muss sich wieder lohnen“ ist tatsächlich eine Lügenphrase, um die wahren Gedanken und Absichten der FDP zu verschleiern. Wolfgang Lieb

Zum Bundestagswahlprogramm der Partei der Linken

In letzter Zeit liest man allenthalben die oft nur vorgespiegelt fürsorgliche Frage, warum die Krise der Linken nicht in die Hände spielt. Heribert Prantl begründet dieses erklärungsbedürftige Phänomen in der Süddeutschen Zeitung damit: „Wenn die Leute in der Klemme sitzen, dann wollen sie nicht immer nur hören, warum das so ist. Sie wollen wissen, wie sie da wieder herauskommen. Dazu ist von der Linkspartei nicht viel zu hören.“ Ein ausgewiesener Realo aus der Linkspartei, das Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus Carl Wechselberg, wirft seiner eigenen Partei im Spiegel vor, sie biete den „Bürgern und Wählern, die sich in der Krise existentiell bedroht sehen“ keine „echte Antworten und Konzepte“ und keine „politische Strategie zu deren Umsetzung“.
Auch der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schlägt im ZDF in die gleiche Kerbe: Die Linke habe ihren Höhepunkt überschritten, sie „hat keine Orientierung an den Lebenswirklichkeiten, sie versucht sozialpopulistischer sein als die anderen.
Umso interessanter ist es, das Bundestagswahlprogramm [PDF – 320 KB] einmal danach abzuklopfen, ob die Linke tatsächlich keine Antworten und Konzepte oder keine Orientierung an der Lebenswirklichkeit hat. Wolfgang Lieb

Alternativer Medienpreis 2009 für die NachDenkSeiten

Am 8.Mai haben die NachDenkSeiten in Nürnberg einen „alternativen medienpreis 2009“ für die Sparte Internet verliehen bekommen. Dafür bedanken wir uns bei den Organisatoren dieses zum zehnten Mal verliehenen Preises und bei den Juroren. Wir haben diese Auszeichnung stellvertretend für alle, die www.nachdenkseiten.de unterstützen und die sich für unser Projekt engagieren, entgegengenommen.
Wir gratulieren unseren Mitgewinnerinnen und Mitgewinnern.
In der Laudatio [PDF – 41 KB] heißt es: Die Nachdenkseiten klären auf. „Sie verwirklichen einen der wesentlichen Internet-Grundgedanken: Experten lassen interessierte Menschen an ihrem Wissen teilhaben. Und das kostenfrei, ehrenamtlich, kontinuierlich und zuverlässig. Damit haben sie sich den Alternativen Medienpreis in der Sparte Internet verdient.“ Wolfgang Lieb

„Zehn Gründe, warum Blogs in Deutschland nicht funktionieren.“

Unter dem Titel „B wie Blog“ nennt der Amerikaner Felix Salmon im SZ-Magazin „zehn Gründe, warum Blogs in Deutschland nicht funktionieren“. Als Betroffene können wir uns dazu schlecht äußern. So viel kann man aber sagen: So viel Belangloses und Nichtbelegtes zu der deutschen Blog-Szene habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Voller Dummheiten und Vorurteile ist das Stück. Schauen Sie sich zum Beispiel den 10. Grund an: „10. Die Deutschen nehmen ihre Ferien extrem ernst. Der Blogger kennt keine Ferien.“ Der Mann schreibt so etwas, ohne je während der Ferienzeit in die deutschen Internetseiten geschaut zu haben. Wahrlich eine Zumutung.
Vielleicht hat er in einem recht. Die deutschen Professoren tauschen sich nicht so intensiv im Netz aus wie in den USA. Aber das rechtfertigt Salmons Wertung nicht.

Anmerkungen zu Berlusconi und zur fortschreitenden Berlusconisierung Europas

Die Nachrichten und Berichte aus Italien treffen auf unsere erstaunlich abgestumpften Gemüter. Was wir in diesen Tagen darüber lesen, wie Berlusconi mit seiner Ehefrau und dem politischen Gegner umspringt, und wie er seine Medienmacht und seine politische Macht hemmungslos nutzt – so zum Beispiel hier -, das führt schon kaum mehr zu der nahe liegenden Frage, ob wir es hier noch mit demokratischen Verhältnissen zu tun haben. Am vergangenen Sonntag zum Beispiel, dem Tag der Pressefreiheit, war in deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern zwar von China die Rede aber nicht von Italien. – Die Demokratie in Italien ist an ihrem Ende angekommen. In vielen anderen Ländern einschließlich Deutschlands und Frankreichs sieht es nicht sehr viel besser aus. Medienmacht und finanzielle Macht hebeln die demokratische Kontrolle aus. Albrecht Müller

ZDF-Frontal21 macht Stimmung gegen die Rentner

„Ist die Rente krisensicher? – Wahrheit und Wahlversprechen“ so lautete die Schlagzeile zu der gestrigen Sendung [PDF – 50,4 KB].
Korrekter hätte die Überschrift lauten müssen: Mit Unwahrheiten und parteiischen „Experten“ gegen die Rentner.
Eine tendenziöse Sendung, die mit Unwahrheiten, manipulativen Gegenüberstellungen und vor allem mit ausgewiesen parteiischen „Experten“ gegen ein Gesetz angehen will, mit dem nominale Rentenkürzungen als Folge sinkender Löhne ausgeschlossen werden sollen.
Dabei ist dieses Gesetz tatsächlich nur ein „Wahlkampfverhinderungsvehikel“ (Röttgen), denn die Renten werden damit auch künftig langsamer steigen. Ab 2011 sollen die Rentenerhöhungen so lange halbiert werden, bis eine aufgrund der neuen Schutzklausel unterbliebene Rentenkürzung nachgeholt ist. Aber davon war in dieser Sendung natürlich nicht die Rede. Es ging darum, von den Verantwortlichen und Gewinnern der Krise abzulenken und die Rentner für die Folgen des Desasters zur Kasse zu bitten. Wolfgang Lieb