BILD und die Rentenangst – harte Interessen, weiche Zahlen

Bericht: Kim Otto, Markus Zeidler
ARD, 21:45 – 22:15 Uhr:
Seit Monaten läuft in der BILD-Zeitung eine Kampagne um die gesetzliche Rente. Die Botschaft: Wer nicht privat vorsorge, dem drohe Altersarmut.
MONITOR zeigt, wie mit unseriösen Zahlen die Angst in der Bevölkerung geschürt wird. Diese vermeintlich objektiven Fakten stammen von einem Wirtschaftsinstitut, hinter dem die Finanzwirtschaft steht. Gleichzeitig kommen Wissenschaftler zu Wort, die in Aufsichtsräten von großen Versicherungskonzernen sitzen. Die Recherchen zeigen, wie der Versicherungskonzern Allianz gemeinsam mit der Gruppe Bild.T-online.de eine “strategische Kooperation” eingegangen ist. Das Ziel ist offenbar, möglichst viele Bild-Leser zum Abschluss einer privaten Altersvorsorge zu bewegen. Dafür wurde auch mit großen Anzeigen in der BILD-Zeitung geworben. Experten beobachten seit Jahren, wie ein Netzwerk aus Journalisten, Wissenschaftlern und Versicherungskonzernen die gesetzliche Rente verunglimpft und mit dubiosen Zahlen für die private Versicherungswirtschaft wirbt.

Quelle: WDR

Zum Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und zu Kaufmann in der SZ

Eine neue Volksverblödungswelle überschwemmt das Land. Ausgelöst wurde sie vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Von FAZ bis Handelsblatt, von der Stuttgarter Zeitung bis zum heute-journal wird ein neuer Demographie-Tsunamie beschworen. Siehe auch Tagebucheintrag vom 15.3.. Die Studie ist und enthält Wertungen jenseits jeder Wissenschaftlichkeit. – Ähnliches gilt für ein Interview der Süddeutschen Zeitung mit dem Soziologen Franz-Xaver Kaufmann. Nach Lektüre dieses Interviews habe ich den Eindruck, wir sind am Ende des Zeitalters der Aufklärung angekommen.

IAT-Report: Mindestens sechs Millionen Niedriglohnbeschäftigte in Deutschland:

Knapp 21% aller abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeiten für Niedriglöhne.
Nach der international üblichen Definition der Niedriglohngrenze (zwei Drittel des Medianentgelts) beträgt diese im Jahre 2004 in Westdeutschland 9,83 € und im Osten 7,15 €.
Teilzeitbeschäftigte und Minijobber/innen sind überdurchschnittlich häufig von niedrigen Stundenlöhnen betroffen. 9% oder gut 2,6 Millionen abhängig Beschäftigte arbeiten sogar für Stundenlöhne von unter 7,38 € in West- bzw. 5,37 € in Ostdeutschland.
Das sind einige der wichtigsten Ergebnisse einer Untersuchung von Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Technik im IAT-Report 2006-03 [PDF – 344 KB].

Vom unsauberen Umgang mit Fakten bei Schirrmacher, Spiegel, ZDF-heute, Bild u.a.m.

Prof. Gerd Bosbach hat sich freundlicherweise den Spiegel letzter Woche („Jeder für sich. Wie der Kindermangel eine Gesellschaft von Egoisten schafft“) angesehen. Seine Antwort ist auch zugleich eine Antwort auf höchst irreführende Einlassungen in ZDF-heute vom 14.3. und in Bild vom 15.3. (siehe unten).
Mein Eindruck: die Manipulation zum Thema Demographie legt noch einen Zahn zu. In vielen Medien wird brutal manipuliert. Das hat schon Züge der Propaganda von Goebbels. Wir können deshalb nicht umhin, Sie in den NachDenkSeiten auch weiterhin mit Fakten und Anmerkungen zu diesem Thema zu belästigen. Wir regen zugleich an, in die Debatte einzugreifen und zumindest in Ihrem Freundes-, Kollegen- und Familienkreis aufklärend zu wirken. Wir dürfen unseren Eliten diese massive und erkennbar interessenbestimmte Irreführung nicht durchgehen lassen.

Neue europäische Vergleichsstudie aus dem WSI: Mindestlöhne stabilisieren Einkommen – kein Hinweis auf Jobverluste

Mindestlöhne gehören in den meisten Ländern Europas zu den grundlegenden Instrumenten der Regulierung des Arbeitmarktes. Sie stabilisieren das Einkommen von Geringverdienern und schützen Betriebe vor Sozialdumping. Negative Auswirkungen auf die Beschäftigung lassen sich in der Regel nicht beobachten. Zu diesem Ergebnis gelangt eine aktuelle Studie [PDF – 58 KB] des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
In 18 von 25 Staaten der Europäischen Union existieren gesetzliche Mindestlöhne. Die Erfahrungen mit gesetzlichen Mindestlöhnen in Europa sind überwiegend positiv, zeigt der internationale Vergleich. Mit der Festlegung einer für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlichen Untergrenze wird die Einkommenssituation von Geringverdienern deutlich verbessert. Gleichzeitig werden die Betriebe vor Sozialdumping geschützt. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass von den Mindestlöhnen in der Regel keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung ausgehen. So wurde etwa in Großbritannien der gesetzliche Mindestlohn seit seiner Einführung im Jahr 1999 um mehr als 40 Prozent erhöht, während im gleichen Zeitraum die Arbeitslosigkeit um 25 Prozent zurückging.

Tarifpolitischer Jahresbericht 2005 des WSI: Gemischte Bilanz – Reallohnverluste überwiegen

Die Bilanz des Tarifjahres 2005 fällt gemischt aus: In wenigen Branchen konnten die Gewerkschaften deutliche Reallohnsteigerungen durchsetzen, so zum Beispiel in der Stahlindustrie und in der chemischen Industrie. Im öffentlichen Dienst gelang nach langwierigen Verhandlungen die Vereinbarung über ein vollständig neues Tarifwerk. In vielen anderen Branchen kämpften die Gewerkschaften mit dem Rücken zur Wand. Geringe Lohn- und Gehaltssteigerungen zwischen 1 und 2 %, Einschnitte in manteltarifliche Regelungen und Leistungen und die Vereinbarung weiterer tariflicher Öffnungsklauseln und Flexi-Bestimmungen prägten die Abschlüsse in zahlreichen Tarifbereichen.
Die Zahl der Erwerbstätigen ging leicht zurück und die Arbeitslosenzahl stieg jahresdurchschnittlich von 4,4 auf 4,8 Mio. Die Gewinnsituation der Unternehmen verbesserte sich erneut: Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen stiegen nach knapp 12 % in 2004 im vergangenen Jahr noch einmal um über 6 %.

Vizekanzler Müntefering als oberster Versicherungsagent

„Koalition mahnt zu privater Vorsorge“, berichtet die FR korrekt; Bundessozialminister Müntefering, meint, um im Alter gut versorgt zu sein, „müssen die Menschen zusätzlich privat vorsorgen“, heißt es in der „Rheinpfalz“ und so vermutlich in allen anderen Medien auch. Die Beschlüsse des Kabinetts von gestern und die öffentlichen Äußerungen der Verantwortlichen sind wie eine zig-millionenschwere Werbekampagne der Lebensversicherer. – Wer meint, die Privatvorsorge löse ein Problem, das die gesetzliche Rente nicht zu lösen vermag, der hat nichts verstanden, oder er handelt im Auftrag der Versicherungswirtschaft. Deshalb heißt die Überschrift des einschlägigen Kapitel in meinem neuen Buch „Machtwahn“ auch: „Dumm, arglos oder korrupt?“. Zur Vorab-Information der NachDenkSeiten-Nutzer ist der einschlägige Text in der Rubrik „Veröffentlichungen der Herausgeber“ eingestellt.