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Titel: Oops, I did it again – Cem Özdemir unterzeichnet erneut einen offenen Brief der NeoCons

Datum: 20. September 2019 um 13:15 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft
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Vor zehn Tagen berichteten die NachDenkSeiten über die Kandidatur des Grünen-Politikers Cem Özdemir für den Fraktionsvorsitz und verlinkten dabei unter anderem auf einen offenen Brief des neokonservativen Think Tanks Project for the New American Century aus dem Jahre 2004, den Özdemir damals als einer der wenigen deutschen Politiker zusammen mit einer illustren Runde alter und neuer kalter Krieger unterzeichnet hat. Dass Özdemir nichts dazugelernt hat und immer noch zu den transatlantischen Falken gehört, zeigt ein nahezu zeitgleich zu unserem Artikel veröffentlichter offener Brief des dubiosen deutschen Think Tanks „LibMod – Zentrum Liberale Moderne“. Zu den Unterzeichnern gehören neben Özdemir einmal mehr alte und neue kalte Krieger, darunter auch die ehemaligen Führer des Project for the New American Century. Niemand kann später sagen, er habe nicht gewusst, wessen Interessen Cem Özdemir vertritt. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die NachDenkSeiten hatten sich bereits vor zwei Jahren zu dessen Gründung ausführlich mit dem LibMod beschäftigt – einer antirussischen Denkfabrik der „modernen Pickelhauben und liberalen Denkhaubitzen“, wie wir damals spitz formulierten. LibMod ist eine Kreatur der beiden ehemaligen Grünen-Politiker Ralf Fücks und Marieluise Beck, die seitdem weniger in der Öffentlichkeit, dafür um so mehr hinter den Kulissen in Erscheinung getreten ist. So haben sich Beck und ihre Denkfabrik dem zumindest in Deutschland glücklos agierenden NATO-PR-Netzwerk „Integrity Initative“ als Partner angedient und spielen eine Schlüsselrolle bei den Lobbyanstrengungen des amerikanischen Hedge-Fonds-Managers William „Bill“ Browder, der seine einst in Russland ergaunerten und von der russischen Justiz konfiszierten Reichtümer zurückerlangen will. In den USA schaffte Browders Lobbynetzwerk es immerhin, über den „Magnitsky Act“ (die NachDenkSeiten berichteten) gezielte Sanktionen gegen bestimmte Russen zu erwirken, die nach Meinung Browders für seine „Enteignung“ verantwortlich sind. Auch die EU verhängte bereits ähnliche Sanktionen. Der aktuelle – von Özdemir unterzeichnete – offene Brief geht neben viel Tamtam, Lügen, altbewährten Worthülsen (der Begriff „Demokratie“ kommt im kurzen Text gleich siebenmal vor) und antirussischer Propaganda an zentraler Stelle auf einen sehr interessanten Punkt ein – man fordert zwischen den Zeilen eine Ausweitung des „Magnitsky Act“ auf Bürger der EU.

Gleichzeitig konnten wir sehen, wie das Regime von Präsident Putin Legitimität von den Demokratien des Westens zu erlangen sucht […]. Diese Personen, die die Rechte der russischen Bürger verletzen, ziehen Nutzen aus den Rechten und Freiheiten demokratischer Länder. […] Insbesondere müssen wir einen entschiedenen Standpunkt gegenüber jenen einnehmen, die Putin und seinen Bundesgenossen helfen, gestohlenes russisches Kapital zu waschen. Bankiers, Lobbyisten, Politiker und Berater müssen erkennen, dass jede Hilfe, die solchen Offiziellen und ihren Komplizen gewährt wird, Beihilfe zu Verbrechen ist (und oft mit Geld aus kriminellen Quellen bezahlt wird).

Neben Bill Browder selbst zählt übrigens auch der im Exil lebende Oligarch Mikhail Chodorkowski zu den Unterzeichnern. Was in wolkiger Sprache in Namen der „Bewohner der freien Welt“ gefordert wird, ist bei näherer Betrachtung vor allem eine Forderung an die Politik, über den Umweg der Sanktionsdrohung westliche Unternehmen zu zwingen, ihre Zusammenarbeit mit Russland einzuschränken und im Kielwasser dieser Drohungen verurteilten Straftätern wie Browder oder Chodorkowski die Möglichkeit zu geben, ihre ansonsten auf dem Rechtsweg nicht einzutreibenden Forderungen auf eine „Entschädigung“ durchzusetzen. Nicht Menschenrechte und Freiheit, sondern der Wirtschaftskrieg um Russlands Ressourcen und Reichtümer sind die Triebfeder dieses offenen Briefs.

Hinzu kommt, dass sich der Brief 1:1 in die immer schrillere Rhetorik transatlantischer Falken einreiht, die jedwede Entspannung in den West-Ost-Beziehungen mit aller Kraft torpedieren wollen. Ein Blick auf die Unterzeichnerliste reicht aus, um eine Ahnung zu bekommen, welche Intensionen mit dem Brief transportiert werden sollen. Neben auch in Deutschland sehr bekannten Vertretern der antirussischen und transatlantischen Linie, wie Wolf Biermann, Karl-Theodor zu Guttenberg, dem ehemaligen US-Botschafter und gerngesehenen Talkshow-Gast John Kornblum und eben Cem Özdemir, zählen auch viele Personen zu den Unterzeichnern, die in Deutschland nicht bekannt sind.

Im Anhang haben wir eine Liste der Unterzeichner, mit einer kurzen biographischen Einordnung erstellt. Es ist hoch interessant, zu sehen, mit welchen Personen sich der vielleicht kommende Fraktionsvorsitzende der Grünen da ins Bett legt. Da die momentanen politischen Kräfteverhältnisse im Lande eine künftige Regierung mit Beteiligung der Grünen als gesetzt erscheinen lassen, ist dies in der Tat dramatisch. Ein Fraktionsvorsitzender, dessen Aufgabe es ist, die Abgeordneten auf Kurs zu bringen, der eine geistige Nähe zu den Drahtziehern der amerikanischen Kriege seit George W. Bush, Kriegstreibern und geistigen Brandstiftern hat, wäre ein sehr gefährliches Szenario.

p.s.: Nach Lektüre der Kurzbiographien muss man folgende Passage aus dem offenen Brief wohl als feine Selbstironie werten …

Diese Personen […] ziehen Nutzen aus den Rechten und Freiheiten demokratischer Länder. Sie nutzen Lobbyisten, Anwälte, ehemalige Politiker und Geheimdienstmitarbeiter für ihre Ziele. Sie korrumpieren aktive Politiker und Amtsträger, üben auf Unternehmen Druck aus und drängen andere dazu, nach ihren Regeln zu spielen und im Sinne ihrer Interessen tätig zu sein.

Was Putins Umfeld beschreiben soll, ist vielmehr eine perfekte Charakterisierung der Unterzeichner.

Anhang: Kommentierte Liste der Unterzeichner

William Browder, ein amerikanischer Hedge-Fonds-Manager, der sich in der Jelzin-Ära bei der Plünderung des russischen Staates eine goldene Nase verdiente, von der russischen Justiz dann steuer- und strafrechtlich verfolgt wurde und seitdem einen Privatkrieg gegen Putin führt. Browder zählt zu den maßgeblichen Lobbyisten, die hinter den Kulissen auf Sanktionen gegen Russland drängen. Dabei wird er von der antirussischen Publizistin Marieluise Beck unterstützt, die den offenen Brief aufgelegt hat. Die NachDenkSeiten hatten über Browder berichtet.

Garry Kasparow, ein ehemaliger Schach-Weltmeister, der seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für marktliberale Reformen eintritt und seinerzeit zu den Unterstützern von Boris Jelzin gehörte. Seit der Wahl Putins trat Kasparow immer wieder in verschiedenen Konstellationen als „Oppositionspolitiker“ auf, dessen marktliberaler Kurs ihn zwar im Westen zu einer „Ikone“ der Neokonservativen machte, in Russland selbst jedoch nie über das Niveau eines radikalen Außenseiters hinauskam. Dafür ist Kasparow bestens mit amerikanischen Think Tanks vernetzt.

Mikhail Chodorkowski, ein ehemaliger russischer Oligarch, der Teile seines Ölkonzerns Yukos an amerikanische Multis verkaufen wollte, dann wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt wurde und eine zehnjährige Gefängnisstrafe verbüßte. Seitdem lebt Chodorkowski im Londoner Exil und arbeitet an einem „Regime Change“ in Russland und klagt auf milliardenschwere Entschädigungen.

Lesen Sie dazu auch: „Guter Oligarch, böser Putin“ und „Chodorkowski ruft zur Revolution auf“.

Max Boot, Senior Fellow beim Council on Foreign Relations, der sich unter anderem als außenpolitischer Berater von John McCain als Falke einen Namen machte. Boot, der von zahlreichen kritischen Journalisten als „Kriegstreiber“ charakterisiert wird, gehörte unter anderem zu den Stimmen, die lautstark eine militärische Intervention der USA in Syrien forderten. Früher war er Mitglied des mittlerweile aufgelösten Project for the New American Century (PNAC) , dessen Chef William „Bill“ Kristol ebenfalls zu den Unterzeichnern gehört. Kristol gilt als Vordenker der NeoCons und maßgebliche Triebfeder hinter der Kriegspolitik der USA unter George W. Bush. Kristols Partner sind so illustre Personen wie Robert Kagan, Elliott Abrams, Dick Cheney, Paul Wolfowitz, Francis Fukuyama und Donald Rumsfeld, die zusammen das Herz des amerikanischen Neokonservatismus bilden. Noch heute mischt sich Kristol immer wieder als Falke in die politische Debatte ein. So sprach er sich dafür aus, Julian Assange „zu neutralisieren“, und kritisierte erst jüngst die Abzugspläne Trumps für Syrien und Afghanistan. Kristol besteht übrigens darauf, Kriege gegen muslimische Staaten nicht als „Invasionen“, sondern als „Befreiungen“ zu bezeichnen. Ein weiterer Unterzeichner aus dem Kreis der ehemaligen Mitglieder des PNAC ist David J. Kramer, der später unter George W. Bush zahlreiche Posten im US-Außenministerium einnahm und danach für zahlreiche Think Tanks, wie dem German Marshall Fund, in leitenden Positionen tätig war. In den USA zählt Kramer zu den maßgeblichen Befürwortern von Sanktionen gegen Russland.

Zum Kreis der amerikanischen NeoCons unter den Unterzeichnern zählt auch Karl Rove, der als „Senior Advisor“ („Chefberater“) und stellvertretender Stabschef von George W. Bush ganz maßgeblich für dessen Kriegspolitik mitverantwortlich zeichnet.

Anne Applebaum, eine einschlägig bekannte polnisch-amerikanische Journalistin, die unter anderem 2002 Saddam Hussein mit Hitler verglich und die US-Regierung zum Angriffskrieg gegen Irak aufforderte, um „Saddams Atomwaffenprogramm“ zu stoppen. 2014 forderte sie den Westen auf, zusammen mit der Ukraine in einen „totalen Krieg“ gegen Russland zu ziehen. Applebaum lebt in Warschau und ist mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet, einem Falken, der unter anderem verantwortlich für die Stationierung des amerikanischen Raketenabwehrsystems auf polnischem Boden ist und natürlich auch zu den Unterzeichnern des offenen Briefes gehört.

Guto Bebb, Richard Harrington, Andrew Percy und Malcolm Rifkind,  vier Tory-Abgeordnete, die einer Gruppe mit dem Namen „Conservative Friends of Israel“ angehören, die in einer Channel-4-Doku als die „mächtigste politische Lobbyorganisation“ in Großbritannien beschrieben wurde, die massiven Einfluss auf die BBC und andere Medien ausübt. Percy kommentierte die israelischen Kriegsverbrechen während der „Operation Defensive Shield“ lakonisch mit dem Satz: „Israel macht es genauso, wie wir es tun würden“ und verglich die Bombardierung ziviler Wohngebiete durch Israel mit dem britischen Bombardement deutscher Städte im zweiten Weltkrieg.

Chris Bryant, ein ehemaliger britischer Labour-Abgeordneter, der 2003 zu den Befürwortern des Irak-Kriegs zählte und 2016 zu den „Putschisten“ innerhalb der Labour-Party gehörte, die den Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn absetzen wollten. Später verkündete er, er sei Opfer einer „homophoben Kampagne“, für die Russland verantwortlich sei. Mit Stephen Kinnock gehört auch ein weiterer „Labour-Putschist“ zu den Unterzeichnern. Kinnock ist verheiratet mit Helle Thoring-Schmidt, der ehemaligen dänischen Ministerpräsidentin, zu deren erster Amtshandlung die Beteiligung Dänemarks an den NATO-Luftangriffen auf Libyen gehörte.

Zu den britischen Vertretern der Unterzeichnerliste gehört auch noch der ehemalige Diplomat Andrew Wood, dessen zweifelhafter Ruhm darin besteht, aktiv am sogenannten „Steele-Dossier“ mitgearbeitet zu haben – einem mittlerweile auch offiziell als „Fälschung“ und „Verschwörung“ bezeichneten Dokument, das die private britische Sicherheitsfirma „Orbis“ erstellt hat, um aufzuzeigen, dass der russische Geheimdienst angeblich in Besitz delikater Informationen sei, mit denen Russland den US-Präsidenten Donald Trump erpresst. Orbis taucht ebenfalls im Umfeld des bis heute rätselhaften Anschlags auf den russischen Agenten Sergej Skripal im englischen Salisbury auf.

Lesen sie dazu: „Die Salisbury Tales – was verschweigen Medien und Politik im Falle des vergifteten russischen Doppelagenten?“.

Arend Jan Boekestijn, ein ehemaliger niederländischer Abgeordneter, der sich zum Neokonservatismus bekennt und im Vorfeld des Irak-Kriegs in den niederländischen Medien massiv für eine Invasion getrommelt hat.

Gyde Jensen, eine junge FDP-Abgeordnete, die vor ihrem Bundestagsmandat als Kommunikationsberaterin für die Friedrich Naumann Stiftung in Washington tätig war und im letzten Jahr den Vorsitz des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe übernahm.

Irwin Cotler, ein ehemaliger kanadischer Justizminister, der sich dem Kampf für Browder angeschlossen hat, in Kanada und auf G7-Ebene für Sanktionen gegen Russland kämpft, daraufhin seinerseits mit einem Einreiseverbot versehen wurde, das er selbst als „Ehrenmedaille“ bezeichnet.

Viorel Cibotaru, ein ehemaliger Verteidigungsminister der Republik Moldau, der zeitweise für die NATO das regionale Think Tank für einen Beitritt des Landes geleitet hat. Mit an Bord ist auch Tinatin Khidasheli, die als georgische Verteidigungsministerin ihr Land möglichst schnell in die NATO bringen wollte.

Toomas Hendrik Ilves, ein ehemaliger estnischer Präsident, der in den USA aufgewachsen ist und während des Kalten Kriegs als Chef der „Estland-Abteilung“ des amerikanischen Propagandasenders „Radio Free Europe“ tätig war, nach der Unabhängigkeit des Landes als erster US-Botschafter eingesetzt wurde und seitdem Estland stramm auf NATO-Kurs trimmt.

Vytautas Landsbergi war der erste Präsident Litauens nach der Unabhängigkeit. Er hat Litauen auf NATO-Kurs gebracht und zählt zu den Falken, die die EU auf einen Konfrontationskurs zu Russland manövrieren wollen.

Gareth Evans, ein ehemaliger australischer Verteidigungsminister, der als einer der Väter der „Schutzverantwortungsdoktrin“ (Responsibility to Protect) gilt, mit der vor allem westliche Regierungen mit liberalen und Mitte-Links-Regierungen völkerrechtswidrige Angriffskriege rechtfertigen.

Katrina Swett, die Präsidentin der „Lantos Foundation for Human Rights and Justice”, einem vom Exil-Ungarn Tom Lantos in den USA gegründeten Think Tank. Lantos gehörte als US-Außenpolitiker bereits 1990 zu den Falken, die die US-Politik in den ersten Golfkrieg steuerten. Er war maßgeblich verantwortlich für die Falschaussage der Tochter des kuwaitischen US-Botschafters, die in einer Kongressanhörung als angebliche Krankenschwester von Gräueltaten irakischer Soldaten (Brustkastenlüge) berichtete. In diesem Jahr zeichnete die Lantos Foundation übrigens niemand anderen als Bill Browder mit ihrem „Menschenrechtspreis“ aus.

Bernard-Henri Lévy, ein französischer Philosoph und Publizist, der große Nähe zu den amerikanischen Neokonservativen hat und die Angriffskriege der USA und ihrer europäischen Verbündeten stets mit Vehemenz verteidigt hat. Anfang 2011 reiste er gar auf eigene Initiative nach Libyen, um Kontakte zu den Rebellen aufzunehmen und Frankreich für einen Krieg zu begeistern. Neben dem Islam gehört auch Russland zu seinen Feindbildern. 2008 forderte er den Westen auf, Georgien gegen Russland militärisch beizustehen. Selbst die FAZ charakterisiert Lévy als „russophob“.

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