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Titel: Die für NRW schwerwiegendste Fehlentscheidung des Herrn Rüttgers
Datum: 5. Mai 2010 um 9:16 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise, Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Im NRW-Wahlkampf geht es vor allem um Schwarz-Gelb, Rot-Grün und vor allem um die Hysterie wegen Rot-Rot-Grün. Sachthemen spielen bestenfalls am Rande eine Rolle. Eine der folgenreichsten Fehlentscheidungen des amtierenden Ministerpräsidenten für das Land bleibt völlig außen vor: Es handelt um Risiken von 10 bis 18 Milliarden bei der WestLB für die das Land Garantien übernommen hat. Wird nur ein Bruchteil davon fällig, so bedeutet das das Ende jeglicher Landespolitik. Hätte Ministerpräsident Rüttgers entgegen dem Rat seines Finanzministers einen Zusammenschluss der WestLB mit der Landesbank Baden-Württemberg nicht persönlich blockiert, wären die Risiken für das Land erheblich geringer. Wolfgang Lieb
In einem überaus lesenswerten Feature für den Hörfunksender WDR 5 unter dem Titel „Milliardengrab WestLB [PDF – 229KB]“ schildert der Autor Jürgen Zurheide unter anderem Folgendes:
Als die WestLB 2007/2008 wieder einmal am Rande der Pleite stand, haben die Eigentümer, also das Land NRW, Sparkassen und Landschaftsverbände in einer konzertierten Aktion eine ausgelagerte Zweckgesellschaft der Landesbank unter dem schönen Namen „Phoenix“ mit 23 Milliarden Euro faulen Papieren komplett übernommen und Garantien von über 5 Milliarden Euro hinterlegt. Real sind bisher 286 Millionen geflossen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden weitere Beträge in Milliardenhöhe gezahlt werden müssen.
Doch damit nicht genug: Insgesamt hat das Land für weitere Auslagerungen aus der WestLB 10 Milliarden Euro Garantien übernommen und als Reserve stehen weitere 8 Milliarden Euro zur Verfügung.
Bei einem Haushalt von 53,26 Milliarden und einer derzeit schon hohen Nettokreditaufnahme von 6,6 Milliarden bedeutet jede weitere Milliarde, die von der Garantiesumme fällig werden, eine Strangulierung der Landespolitik.
Vor der Finanzkrise hätte es eine realistische Chance gegeben, die nordrhein-westfälische WestLB mit der baden-württembergischen LBBW zusammenzuführen; die Gespräche waren weit fortgeschritten. „Am Ende hat Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sie blockiert, weil er seinem baden-württembergischen Kollegen Günther Oettinger, nicht traute. Außerdem hatte er die Sorge, dass der Bankenplatz Düsseldorf leiden würde… Rückwirkend dürfte sich diese Entscheidung von Rüttgers, die er auch gegen den Rat seines Finanzministers Helmut Linssen getroffen hat, als d i e Fehlentscheidung seiner jetzt ablaufenden Amtszeit herausstellen“, schreibt Zurheide. Der damalige Präsident des Rheinischen Sparkassenverbandes Karlheinz Bentele wird wie folgt zitiert: „Wir hatten auch glaubwürdige Signale von der Landespolitik in Baden-Württemberg und wir sind gescheitert an einer harten Absage aus der Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen, um es ganz deutlich zu sagen, der Ministerpräsident selbst hat diesen Weg nicht mitgehen wollen.“
Nach Einschätzung von Fachleuten hätte ein Zusammengehen eine bessere Perspektive eröffnet, die Probleme zu bewältigen. „Wenn uns der Schritt gelungen wäre, die beiden sehr großen Landesbanken in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zusammenzufassen, hätten wir gute Chancen gehabt, … aus diesen beiden etwas Gutes zu machen, auch die Unterstützung des Bundes zu haben“, meint der Präsident des westfälisch-lippischen Sparkassenverbandes Rolf Gerlach.
Doch diesen Weg hat Rüttgers, der sich in jenen Tagen selbst gerne als „Banklehrling“ bezeichnet hat, blockiert.
Und dennoch stellt er sich jetzt hin und behauptet, er führe „unser Land sicher durch die Krise“.
Wenn man Rüttgers übel gesonnen wäre, müsste man ihm wünschen, dass er die Suppe, die er sich eingebrockt hat, durch seine Wiederwahl nun auch selbst auslöffeln müsste.
Für das Land und seine 18 Millionen Einwohner, wäre das jedoch eine Katastrophe.
Die WestLB ist ja leider nicht der einzige Karren, den Rüttgers in den Dreck gefahren hat.
Ich habe in meinem Beitrag „FDP Wahlaufruf – Im Wahlkampf stirbt die Wahrheit zuerst“ schon auf einige wichtige Posten der in Wahrheit miserablen Bilanz der 5-jährigen Regierungszeit von Schwarz-Gelb hingewiesen.
Sogar das gewiss regierungsfreundliche Handelsblatt fühlte sich von der Eigenlobhudelei der derzeitigen Landesregierung provoziert und titelte „Rüttgers-Regierung macht NRW zum ´Absteigerland`“ :
„Selbst in strukturschwachen Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern sank die Arbeitslosigkeit in den vergangenen knapp fünf Jahren stärker als in NRW…Um gut 25 Prozent sank in NRW in den vergangenen viereinhalb Jahren die Zahl der Arbeitslosen. Bundesweit ging die Zahl im gleichen Zeitraum aber um 32 Prozent zurück, beim Arbeitsmarkt-Primus Bayern waren es sogar 42 Prozent.
Dies lässt sich auch an der Arbeitslosen-Quote ablesen: Im Mai 2005, beim Antritt der Regierung Rüttgers, lag die Quote bei 12,1 Prozent in NRW und bundesweit bei 11,6 Prozent. Im April 2010 sind es 9,0 Prozent in NRW und 8,1 bundesweit. Die Schere ist also größer geworden. Lag die Arbeitslosigkeit in NRW vor fünf Jahren nur um 0,5 Prozentpunkte über Bundes-Niveau, hat sich der Abstand nun auf 0,9 Prozentpunkte fast verdoppelt“, schreibt das wirtschaftsnahe Blatt.
Nicht nur in seiner Wahlpropaganda, sondern auch in seiner praktischen Politik zeigte Rüttgers alle Tricks eines politischen Taschenspielers. Er mimte auf der Bühne der Bundespolitik den sozial Gerechten und lenkte die Wählerinnen und Wähler seines Landes von der Politik seiner eigenen Landesregierung ab. Hinter den Ablenkungsmanövern verbarg sich aber eine Politik, wie sie unsozialer von kaum einer anderen konservativen Regierung vorangetrieben wurde.
Rüttgers redete auf Bundesebene von den „Lebenslügen“ der „neoliberalen“ Politik, um in seinem Verantwortungsbereich in NRW eben solche Lebenslügen zum Programm zu erheben.
Lässt man sich von den Gaukeleien nicht ablenken, erkennt man eine ziemlich traurige und bittere Realität. Ich will nur an einige Details erinnern, die inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten sind:
Rüttgers ist bekannt, dass er sich immer wieder durch populistische Vorstöße ein dynamisches und meist noch soziales Image geben will. So hat er auf Vorschlag der Unternehmensberatungsfirma McKinsey einen „Deutschlandfonds“, einen 100-Milliarden-Euro-Schutzschirm für krisengeschüttelte Unternehmen vorgeschlagen. Passiert ist nichts, es war ein reiner Presse-Event.
Rüttgers schlug eine nach der Dauer der Arbeitszeit gestaffelte Verlängerung des Arbeitslosengeldes vor. Tatsächlich wollte er nur den jüngeren Arbeitslosen wegnehmen, was er den älteren als kleine Verbesserung (Verlängerung auf 18 Monate nach 25 Beitragsjahren) zugestehen wollte. Auch seinem Vorschlag höhere Renten für Geringverdiener zu gewähren, folgten keine Taten.
Rüttgers (CDU) hat sich für eine Reform der Pflegeversicherung nach dem Vorbild der Riester-Rente ausgesprochen. «Es ist ganz sicher, dass wir im Bereich von Pflege ohne kapitalgedeckte Anteile nicht auskommen werden», sagte Rüttgers. «In der Riester-Rente sehe ich ein Vorbild.». Er will also den Irrsinn der Riester-Rente nun auch noch auf die Pflege übertragen.
Rüttgers ist für eine „solidarische Kopfpauschale“. Die Prämie soll zwar für alle gleich hoch sein, die Zahlungen sollen allerdings 15% des Bruttoeinkommens nicht übersteigen dürfen. Der bei Menschen mit geringerem Einkommen verbleibende Restbetrag soll nicht wie bisher bei der CDU geplant über Steuern, sondern durch einen einkommensabhängigen Zuschlag von den anderen Versicherten erhoben werden („interner Solidarausgleich“).
Sein Vorschlag wurde von Merkel postwendend zurückgewiesen.
Das ist ganz typisch für Rüttgers-Vorschläge. Er spielt den Sozialen. Wissend, dass er sich nie wird durchsetzen können und im Zweifel macht er alles mit.
Obwohl er dem Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb selbst zugestimmt hat, polemisierte er, als er Wahltermin näher rückte, gegen die Steuersenkungspläne der Bundesregierung . Auch von der Senkung der Mehrwertsteuer für die Hoteliers rückte er verbal ab. Etwas dagegen unternommen hat er allerdings nicht.
Man darf gespannt sein, welche Rolle der damals zuständige Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers bei der Vertuschung des Wassereinbruchs im Atommüll-Endlager Asse spielte.
Wie sein hessischer Amtskollege Roland scheut Rüttgers in seinem Populismus auch vor fremdenfeindlichen Verunglimpfungen nicht zurück, vor der letzten Wahl mit seiner Kampagne „Kinder statt Inder“ und zuletzt ist er über rumänische Arbeitnehmer hergezogen: “Die kommen, wann sie wollen, die gehen, wann sie wollen und haben keine Ahnung, was sie tun”.
Rüttgers hat die Videoüberwachung seiner Herausforderin Hannelore Kraft durch die CDU zu verantworten. Es gibt eine begründete Vermutung, dass Rüttgers Staatskanzlei die Entlassung jenes Journalisten betrieb, der darüber berichtet hat.
Jürgen Rüttgers ist ein Politiker der vor allem Fassaden aufbaut. Wofür er tatsächlich steht, weiß niemand so genau. Seine Stilisierung zum »sozialen Gewissen« der Union beruht weniger auf politischen Überzeugungen als auf der nüchternen Analyse, dass sich in Nordrhein-Westfalen mit marktradikalen Sprüchen keine Wahlen gewinnen lassen. Diesen Part überließ er deshalb lieber seinem kleinen freidemokratischen Koalitionspartner. Und deswegen wäre für Rüttgers Schwarz-Gelb wieder die Wunschkoalition. Dann könnte er sich weiter als „Arbeiterführer“ aufspielen und am Kabinettstisch knallharte FDP-Positionen absegnen. Um dieses Doppelspiel weiter betreiben zu können, will Rüttgers „keine Experimente“. Das sind offenbar, die für Rüttgers „stabilen Verhältnisse“, um sein Gauklerspiel fortsetzen zu können.
Es gibt allen Grund diesen Gaukler abzuwählen.
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