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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Buchbesprechung: Butterwegge/Lösch/Ptak/Engartner: Kritik des Neoliberalismus
Datum: 14. November 2007 um 15:58 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Neoliberalismus und Monetarismus, Rezensionen, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Die NachDenkSeiten wollen – so steht es auf der Homepage – „eine gebündelte Informationsquelle für jene Bürgerinnen und Bürger werden, die am Mainstream der öffentlichen Meinungsmacher zweifeln und gegen die gängigen Parolen Einspruch anmelden.“ Dieser Mainstream besteht seit einigen Jahren aus einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik mit einer starken Betonung wettbewerblicher Elemente – zusammengefasst unter dem Begriff des Neoliberalismus. Wie dieser entstanden ist, was das Primat des Marktes bedeutet, wie der Sozialstaat unterminiert wird und wie der Neoliberalismus die Demokratie gefährdet, dass haben Christoph Butterwegge, Bettina Lösch und Ralf Ptak (unter Mitarbeit von Tim Engartner) in einem neuen Buch untersucht.
Eine Rezension von Klemens Himpele.
Im ersten Teil des Buches beleuchtet Ralf Ptak die historischen Grundlagen des Neoliberalismus. Dabei wird die theoretische und organisatorische Entwicklung insbesondere auch der deutschen Variante des Neoliberalismus ins Zentrum gerückt. Kenntnisreich wird die Entwicklung des Neoliberalismus hin zu seiner derzeitigen Bedeutung aufgezeigt. Der Neoliberalismus ist dabei auch als eine Gegenreaktion auf den aufblühenden Keynesianismus zu verstehen (vgl. S. 19, alle Seitenangaben aus beziehen sich auf Butterwegge/Lösch/Ptak 2007). Ein zentrales ideologisches Konstrukt ist daher die die Bekämpfung des „Kollektivismus“ als angebliche Wurzel sämtlicher Krisen. Kollektivismus als Begriff war hierbei weit gefasst und nur durch „die Negation des Individuums“ (S. 25) beschrieben. Ziel war es, „die sozialistische Planwirtschaft (…) ebenso wie die keynesianische Vollbeschäftigungspolitik mit der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft zu identifizieren“ (ebd.) und damit zu delegitimieren. Durch eine hohe mathematische Formalität wird eine Stringenz vorgespielt, wobei „die Ökonomie als ein abstraktes, quasi neutrales […] präsentier[t wird], das ohne Bezug auf Zeit und Raum Universalität suggeriert und die Wirtschaftswissenschaft zu einer entpolitisierten Zone werden lässt.“ (S. 29). Die logische Konsequenz aus dieser angeblichen Neutralität führt dann dazu, dass sich der Mensch lediglich unter den „permanenten Sachzwang“ (S. 61), des Marktes unterordnen kann – staatliche Eingriffe sind in dieser Logik nur sinnvoll, wenn sie vor Zwang im Sinne von physischer Gewalt schützen (S. 63).
Ptak (S. 66) beschreibt dies zusammenfassend, „dass die gesellschaftliche Entwicklung in der neoliberalen Lehre ein Prozess unbewusster Anpassungsleistungen der Menschen ist. Das menschliche Sein gründet sich demnach auf den Selektionsmechanismus des Wettbewerbs, der die freie Marktwirtschaft als höchste Form der Zivilisation hat entstehen lassen. Darin wurde der Mensch zum Individuum, weil er sich diesen Prozessen in Demut unterworfen, und nicht, weil er die Entwicklung gestaltet hat. Eigennutz ist das ethische Fundament des neoliberalen Individuums, der alles Kollektive (mit Ausnahme der Familie) als angebliches Relikt vormodernder Gesellschaft ablehnt. Das neoliberale Freiheitsverständnis beschränkt den Spielraum der Individuen auf die Teilnahme am Markt, wobei strukturelle und ökonomische Macht ausgeblendet werden. Wer das nicht akzeptieren will, muss mit der harten Hand des Wettbewerbsstaates rechnen.“
Im vierten Teil des Buches wird die Fragestellung der demokratischen Gestaltung und Perspektive im Neoliberalismus aus einem anderen Blickwinkel aufgeworfen. Bettina Lösch setzt sich mit der Gefahr für die Demokratie auseinander, die die neoliberale Hegemonie mit sich bringt. Einerseits wird eine Alternativlosigkeit suggeriert, Demokratie jedoch lebt von Alternativen.
Andererseits wird das Marktmodell auch auf die politischen Prozesse angewendet und diese dadurch umgedeutet: „Demokratie wird […] nicht an Werten gemessen, sondern als Marktmodell konstruiert.“ (S. 224). Als Konsequenz daraus können sich Kandidat/innen für politische Führungspositionen nur dann durchsetzen, „wenn ihr Angebot den Präferenzen der Wählerschaft entspreche und gleichsam das Angebot der Konkurrenz übertreffe.“ (S. 229). Dann aber sind Parteien nicht mehr Mitwirkende an der demokratischen Willensbildung. Sie treten dann nicht zu Wahlen an, um ihre Konzepte zu verwirklichen, sondern wählen sich Konzepte aus, um Wahlen zu gewinnen. Die Wähler/innen sind insofern Kund/innen. „Käufer/innen wie auch Wähler/innen sind aber nur insofern frei, wie ihnen von den Anbieter(inne)n verschiede Waren und somit Entscheidungsvarianten offeriert werden.“ (S. 229). Die Idee, für Alternativen zu streiten, ist in einer Welt der Unterordnung unter die spontane Ordnung der Märkte schließlich nicht denkbar.
Lösch geht auch darauf ein, dass die Zivilgesellschaft viele Denkmuster der Neoliberalen inzwischen übernommen hat, was angesichts des betriebenen Aufwandes nur zum Teil verwundern kann: „PR-Kampagnen wie ‚Du bis Deutschland!’ […] sollen den Bürger(inne)n vermitteln, dass die vormals an den Staat gestellten Ansprüche nun auf sie selbst zurückfallen.“ (S. 267). Die Hayek’sche These der weitestmöglichen Zurückdrängung des Staates (aus dem Markt- und Gesellschaftsgeschehen) wird so popularisiert. Dass die Ideen vom schlanken Staat breiten Rückhalt finden – wenngleich Umfragen immer wieder darauf hindeuten, dass die Bevölkerung in zentralen Fragen nicht den neoliberalen Versprechen folgt – ist eine Voraussetzung für deren Durchsetzbarkeit. Politische Entscheidungen sind nicht mehr Ergebnis von Argumenten, sondern von Werbebudgets – so jedenfalls scheinen manche Strategen der Neoliberalen zu planen. (Man denke nur etwa an die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, den Bürgerkonvent oder die Bertelsmann Stiftung.)
Lösch geht auch auf die Problematik ein, dass die Politik zunehmend in nicht demokratisch legitimierten Gremien und Kommission gemacht wird und so keine öffentliche Kontrolle mehr stattfinden kann. „Im Zuge der Informalisierung und Privatisierung von Politik wurde Demokratie zu einer Fassade, hinter der einflussreiche und nicht legitimierte politische bzw. private Akteure ihre Politikgeschäfte betreiben und ihre Interessen durchsetzen.“ (S. 282)
Bereits im zweiten Teil des Buches setzt sich Tim Engartner mit den Privatisierungs- und Liberalisierungsstrategien der Neoliberalen auseinander. Dabei steht die Abwicklung der Verteilung sämtlicher Güter über den Selektionsmechanismus des Marktes im Vordergrund. „Dass in diesen Gedankengang lediglich die Zahlungsbereitschaft Eingang findet, nicht jedoch der häufige Fall der Zahlungsunfähigkeit bzw. der begrenzten finanziellen Ressourcen, zeugt von der Grundhaltung neoliberaler Theoretiker und Praktiker […].“ (S. 90) Der Umfang des privaten Eigentums – und damit die finanziellen Möglichkeiten – werden als „Abbild unterschiedliche[r] menschliche[r] Fähigkeiten“ (ebd.) verstanden, so dass die marktliche Verteilung der Güter als gerecht angesehen wird, wobei die Möglichkeit öffentlicher Steuerung negiert, ja sogar als schädlich angesehen wird. An zahlreichen Beispielen illustriert Engartner den Umfang der Privatisierungen: alleine von 1982 bis 2005 „sank die Zahl der unmittelbaren und mittelbaren staatlichen Beteiligungen auf Bundesebene von 985 auf […] 109“ (S. 108). Dabei – so Engartner (S. 96) – unterstreicht „[D]er Anspruch, Marktmechanismen sektorübergreifend zur Anwendung zu bringen, […] die messianische Dimension des Neoliberalismus […].“
Das zentrale Probleme an diesen Liberalisierungen ist, dass „nach erfolgter Privatisierung nicht mehr auf politischer, sondern auf privater Ebene über den Umfang der Leistungserstellung entschieden [wird] – häufig unter sträflicher Missachtung eines konstitutiven Merkmals demokratischer Gesellschaften: des öffentlichen Interesses.“ (S. 107) Engartner arbeitet heraus, wie eben diese politischen Steuerungsverluste zu Ergebnissen führen, die im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens und des Zusammenhalts einer Gesellschaft kaum wünschenswert sein können.
Im dritten Teil setzt sich Christoph Butterwegge gewohnt kritisch mit den „Rechtfertigungen, Maßnahmen und Folgen einer neoliberalen (Sozial-)Politik“ (S. 135) auseinander. Im Zentrum seiner Auseinandersetzung steht dabei der Abbau des Sozialstaates, der durch die Vertreter des Neoliberalismus mit den „zwei Großen Erzählungen unserer Zeit“ (S. 136) gerechtfertigt wird: Sowohl die Globalisierung als auch die demografische Entwicklung bilden den Hintergrund, der als Sachzwang herhalten muss, um den Abbau des Sozialstaates zu rechtfertigen. Die Gegenargumente sind hinreichend bekannt und auch in den NachDenkSeiten immer wieder thematisiert worden. Butterwegge greift diese auf und ergänzt sie durch pointierte Analysen. So wird beispielsweise die Umdefinition des Gerechtigkeitsbegriffs als eine zentrale Auseinandersetzung begriffen. Die Verteilungsgerechtigkeit gilt dabei als antiquiert und nicht mehr finanzierbar, sie soll durch eine Beteiligungsgerechtigkeit ersetzt werden. Zwar spreche nichts dagegen, die Verteilungs- durch die Beteiligungsgerechtigkeit zu ergänzen. „Zu fragen wäre freilich, weshalb ausgerechnet zu einer Zeit, in der das Geld aufgrund einer zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung von Lebensbereichen wichtiger als früher, aber auch ungleicher denn je verteilt ist, seine Bedeutung (nämlich die der Verteilungsgerechtigkeit) für die Beteiligung der Bürger/innen am gesellschaftlichen Leben gesunken sein soll.“ (S. 161). Butterwegge macht damit deutlich, dass die jeweils gegebenen immer ungleicher werdenden ökonomischen Macht- und Marktstrukturen nur durch Umverteilung geändert werden können, und dass eine Chancengerechtigkeit ohne mehr Verteilungsgerechtigkeit nicht zu haben ist.
Zusammenfassend stellt Butterwegge fest, dass die „Konkurrenzfähigkeit […] im Zeichen der neoliberalen Modernisierung zum Dreh- und Angelpunkt individueller Lebensgestaltung“ wird (S. 216), was nicht ohne Konsequenzen auf das soziale Klima bleibt. „Je enger die Verteilungsspielräume (gemacht) werden, desto mehr wächst die Versuchung, sog. Randgruppen von Ressourcen auszuschließen“ (ebd.).
Das Buch von Butterwegge, Lösch, Ptak und Engartner ist ein gelungener Versuch, Theorie und Praxis des Neoliberalismus darzustellen und eine Kritik hieran zu entwickeln.
Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak, unter Mitarbeit von Tim Engartner. Kritik des Neoliberalismus, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, 298 Seiten, 12,90 Euro.
Klemens Himpele ist Diplom-Volkswirt. Er lebt und arbeitet in Wien und ist Mitglied des erweiterten Bundesvorstandes des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=2767