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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wer steuert die Hochschulen in Zeiten von Postdemokratie?
Datum: 19. November 2013 um 8:48 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft, Markt und Staat, Postdemokratie
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Der Begriff „Postdemokratie“ wurde vor allem durch den britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch in die Debatte eingeführt. Crouch beschreibt damit zwar die formale Fortexistenz demokratischer Institutionen, hinter deren Fassade aber eine weitreichende Selbstaufgabe der Politik stattgefunden hat.
In einer Gesellschaft gibt es aber kein Vakuum der Macht. In dem Maße, in dem die Politik ihre Macht selbst abgegeben hat, hat es eine Verlagerung der Macht- und Entscheidungszentren auf andere Machtinhaber gegeben.
Eine solche Verlagerung der Macht bei formaler Fortexistenz demokratischer Institutionen hat es gerade auch an den nach wie vor weitgehend öffentlich finanzierten Hochschulen im Verlauf der letzten 10 Jahre gegeben.
Vorbereiteter Beitrag von Wolfgang Lieb in der Podiumsdiskussion an der Goethe Universität Frankfurt am Main [PDF – 180 KB] (ich habe allerdings frei gesprochen)
Unter dem positiv und vor allem bei den Hochschulangehörigen sympathisch konnotierten Tarnwort „Autonomie“ wurde in Deutschland ein Systemwechsel von der sich selbstverwaltenden Gruppenuniversität zur „unternehmerischen“ Hochschule vollzogen.
Die staatlichen Hochschulen wurden statt den „Gesetzen“ des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, den anonymen und angeblich objektiven „Gesetzen“ des Wettbewerbs auf dem Wissenschaftsmarkt (Stichwort: Drittmitteleinwerbung) und der Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt (das war der Leitgedanke für die Einführung von Studiengebühren) unterstellt. Die Hochschulen sollen auf Quasi-Märkten agieren und ähnliche Organisationsstrukturen wie Profitunternehmen haben.
Dazu mussten horizontale oder Bottom-up-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung von vertikalen, Top-down-Entscheidungsbefugnissen abgelöst werden.
Wie in einer Aktiengesellschaft soll in diesem Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ das Management von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Dienstherr“ des „Personals“ (§ 38 HessHG) (ehemals Hochschullehrer genannt) und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt) – durchentscheiden können. Man braucht dazu sozusagen einen „Chief Executive Officer“ als Präsidenten, gegen dessen Stimme keine Entscheidung getroffen werden kann. (So ist das z.B. auch in § 15 Abs. 2 Ziff. 3 des NRW- Hochschul“Freiheits“gesetzes geregelt.)
Die Qualität einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community – also aus ihrem symbolischen oder ´kulturellen Kapital` (Pierre Bourdieu) -, sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich Qualität in der „Konkurrenz mit ihresgleichen“ (Pinkwart). Und die Qualität eines wissenschaftlichen Studiums lässt sich aus den Benchmarks von Hochschulrankings ableiten, die Qualität der Forschung aus der Höhe der Drittmitteleinwerbungen – also aus ganz handfestem Kapital.
Damit den Gesetzen des Wettbewerbs gefolgt werden kann, muss – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat aus dem Marktgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
Das Parlament ist allenfalls noch der Zahlmeister, der „Zuschüsse“(!) gewährt.
Dieses Glaubensbekenntnis basiert auf der Überzeugung, dass Wettbewerb und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns die wichtigsten Merkmale zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ seien. Indem »die Grundsätze unternehmerischer, leistungsgerechter Gestaltung in allen Lebensbereichen zur Anwendung gebracht werden«, sollen auch die staatlichen Hochschulen besser geleitet werden. So hat es der verstorbene Bertelsmann-Patriarch, Reinhard Mohn formuliert, der mit seiner Bertelsmann Stiftung und dem 1994 gegründeten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) einer der wirkungsmächtigsten „Reform-Motoren“ für die Hochschulgesetze war. Das 1994 gegründete bertelsmannsche Zentrum für Hochschulentwicklung (CHE), das die Hochschulrektorenkonferenz mit ins Boot genommen hat, entwickelte sich geradezu im „informellen Bundeswissenschaftsministerium“.
An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als demokratische legitimierte rahmensetzende Organe wurde in der „unternehmerischen“ Hochschule – wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen – der Hochschulleitung ein frei schwebender Aufsichtsrat als „Fachaufsicht“ mit weitgehenden Kompetenzen vorgesetzt.
Die Kompetenzen der Hochschulräte sind in den einzelnen Landesgesetzen unterschiedlich weitgehend geregelt – am tiefgreifendsten im sog. Hochschul-„Freiheits“-Gesetz in NRW.
In Frankfurt werden die elf Mitglieder des Hochschulrats vom Ministerium für einen Zeitraum von vier Jahren bestellt. Weniger als die Hälfte, nämlich fünf Mitglieder werden vom Senat, vier vom Präsidium und eines vom Stiftungskuratorium vorgeschlagen. Hinzu ein Vertreter des Ministeriums.
Anders als etwa bei der Berufung der Rundfunkräte bei den staatsunabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, hat das Parlament bei der Bestellung der Hochschulräte durch das Ministerium nichts zu sagen. Mag man bei der Bestellung der Hochschulräte noch von einer teilweisen Legitimation durch den Hochschulsenat und von einer mittelbaren demokratischen Legitimation durch die vom Parlament gewählte Exekutive sprechen, so sind aber die Mitglieder des Hochschulrats nach ihrer Bestellung über ihre gesamte vierjährige Amtszeit keiner auch nur irgendwie demokratisch legitimierten Instanz mehr rechenschaftspflichtig. Sie können für Ihre oft tiefgreifenden und kostenintensiven Entscheidungen von niemand zur Verantwortung gezogen werden. Deshalb nenne ich die Hochschulräte „freischwebend“.
Auch das hessische Hochschulgesetz billigt dem weder parlamentarisch noch gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtigen und von der Hochschule nicht zur Verantwortung ziehbaren Hochschulrat Kompetenzen und Entscheidungsrechte zu, die dem demokratisch gewählten Parlament und der demokratisch legitimierten Regierung entzogen wurden. Ja noch mehr: Hochschulräten wurden mehr Kompetenzen eingeräumt als der Staat gegenüber den Hochschulen vor dem Systemwechsel je hatte. Sie üben z.B. eine Kontrollfunktion in akademischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten aus, sie stimmen der Entwicklungsplanung zu, sie entlasten das Präsidium, sie entscheiden über den Antrag auf die Abwahl des Präsidenten/in zu.
Die Besonderheit in Frankfurt bildet noch ein vom Hochschulrat gebildeter „Wirtschafts- und Finanzausschuss“ der die alleinige Kontrolle in wirtschaftlichen Angelegenheiten ausübt.
Wenigstens einige dieser Defizite der Hochschulratsstruktur räumen inzwischen sogar die wichtigsten Protagonisten der Einführung von Hochschulräten – nämlich das bertelsmannsche Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – ein. In einem „Handbuch Hochschulräte“ wird z.B. festgestellt, dass die Ehrenamtlichkeit der Hochschulräte mit ihren zumeist weitgehenden Kompetenzen konfligiere. Statt aber die Kompetenzen der Ehrenamtlichkeit anzupassen, wird vorgeschlagen, dass die Hochschulratsmitglieder für einen “individuellen Versicherungsschutz“ Sorge tragen sollen und etwa eine „Directors and Officers-Versicherung“ abschließen sollten, wie das für das Management von Unternehmen üblich ist. Die Hochschulen sollen die entsprechenden Versicherungsbeiträge übernehmen.
Als Ersatz für eine öffentliche oder parlamentarische Kontrolle, sollen sich die Hochschulräte einer „externen Evaluation“ stellen. Und um die Ehrenamtler für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit zu rüsten, sollen die Ministerien den Hochschulräten zu Beginn ihrer Amtszeit einen Leitfaden „in Form eines „Starter-Kits für Hochschulräte“ – so heißt es wörtlich in dem Handbuch – zur Verfügung stellen.
Ich halte – mit Verlaub – diese Korrekturen eher für kabarettreif als für zielführend. Jedenfalls können sie das Legitimationsdefizit für die Dauer der Amtszeit nicht heilen.
Die Hochschulratsmitglieder mögen zwar viel Engagement und Sympathie für „ihre“ jeweilige Hochschule haben, doch sie müssen keinerlei fachliche oder rechtliche Kenntnisse besitzen, sie müssen noch nicht einmal mit dem Hochschulwesen vertraut sein. Sie sind ehrenamtlich tätig und müssen sich nach der Geschäftsordnung lediglich halbjährlich versammeln. Nach einer empirischen Untersuchung von Macinkowski/ Kohring [PDF – 1 MB] nehmen Hochschulratsvertreter durchschnittlich zwischen 3,7 bis 4,1- mal im Jahr an Sitzungen teil und wenden – nach Eigenangaben – zwischen 50,9 bis 73,2 Stunden im Jahr für ihre Tätigkeit auf.
Die Kontakte zu Hochschulvertretern sind relativ selten und finden ganz überwiegend zur Hochschulleitung statt.
In aller Regel haben Hochschulräte keinen eigenen planerischen Unterbau, der ihnen für ihre tiefgreifenden und weitreichenden Entscheidungen zuarbeiten könnte.
Es bestehen – so auch das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das niedersächsische Modell einer Stiftungshochschule – (wörtlich) „durchgreifende Zweifel“, ob diese Aufsichtsräte die ihnen vom Gesetz übertragenen Kompetenzen fachlich und sachlich ausfüllen können.
In der Praxis stärken Hochschulräte eher die Durchgriffsmacht der mit den Hochschulreformgesetzen ohnehin massiv gestärkten Hochschulleitungen gegenüber den Hochschulangehörigen und den Gremien der Hochschule.
Auf der Basis von Befragungen von Mitgliedern der Hochschulleitungen, von Hochschulratsmitgliedern und Kanzlern kommt eine neuere Studie des bertelsmannschen CHE über das „strategische Management“ [PDF – 1.7 MB] an den Hochschulen zum Ergebnis, dass Hochschulräte zwar kaum „fachlichen Impulse“ geben, aber dafür die Macht hätten, Strategien einzufordern.
Im Blick auf die fachlichen Impulse ergab sich nach dieser Befragung (so wörtlich) „ein klares negatives Urteil“ (S.90)
„Die große Mehrheit der Interviewten berichtete, dass die Hochschulräte (hier vor allem die externen Mitglieder) fachlich wenig zur Strategie der Hochschule beitragen (teils wollen, teils) können…Gleichzeitig herrschte weitgehende Einigkeit dahingehend, dass es gar nicht wünschenswert sei, dass die Hochschulräte sich inhaltlich in die Strategieentwicklung einschalten würden. Bei den Vertreter(inne)n aus anderen gesellschaftlichen Feldern bestehe ohnehin nur die Gefahr, dass sie Erfahrungen aus ihrem eigenen Umfeld oder ihrer eigenen Branche überbewerteten…“
Wenn aber selbst einer der „Erfinder“ der Hochschulräte“, das CHE, zu dem Befund kommt, dass die Hochschulräte zwar viel Macht haben, aber fachlich eher wenig zu einer Hochschulstrategie beitragen (können), dann stellt sich umso mehr die Frage, warum ihnen in den Hochschulgesetzen nach wie vor die Kompetenz eingeräumt bleibt, über die strategische Ausrichtung einer Hochschule zu entscheiden.
Dass – wie von Hochschulratsmitgliedern immer wieder betont wird – die gesetzlichen Kompetenzen von den Hochschulräten nicht ausgeschöpft werden, sondern diese ihre Funktion eher als „Berater“ oder „Unterstützer“ verstehen, ändert an der Rechtslage nichts. Im Gegenteil, diese Praxis spricht für eine Änderung der Gesetze.
Ich bin selbst Mitglied in einem Hochschulrat einer Hochschule und habe so seit über 10 Jahren Erfahrungen mit einem solchen „Aufsichtsrat“ sammeln können:
Dabei bin ich zur festen Überzeugung gelangt: Ein ehrenamtlicher Hochschulrat ist mit den ihm per Gesetz übertragenen Kompetenzen in aller Regel schlicht überfordert.
In der ganz überwiegenden Zahl der zu treffenden Entscheidungen hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als zumindest jedes externe Mitglied des Hochschulrates.
Etliche Präsidenten haben sich dadurch zu Alleinherrschern bzw. zu patriarchalischen Unternehmerpersönlichkeiten entwickelt.
Hochschulräte arbeiten weder öffentlich noch transparent noch sind sie repräsentativ zusammengesetzt.
Nach der jüngsten Erhebung durch Bogumil et al. ordnen sich 41 % der Befragten Hochschulratsmitglieder dem Bereich Wissenschaft zu. Es könne also angenommen werden, dass eine „Orientierung an den Normen und Interessen des Wissenschaftssystems“ bestehe (S. 93f.), dass damit aber eben nicht gesellschaftliche Perspektiven eingebracht werden.
Die am zweithäufigsten vertretene Gruppe bilden Personen aus der Wirtschaft mit 36%, davon wiederum 78% von Großunternehmen. Aber vor allem: „Führungspersönlichkeiten“ aus der Wirtschaft stellen nahezu die Hälfte aller Hochschulratsvorsitzenden. Arbeitnehmer oder andere Repräsentanten anderer gesellschaftlichen Gruppen sind nur zu einem winzigen Bruchteil vertreten. Der Anteil von Ruheständlern ist hoch.
Von einer angemessenen Repräsentanz – wie es in § 86 HessHG so schön heißt – wichtiger Fürsprecher aus den Bereichen „Wissenschaft, Wirtschaft, der beruflichen Praxis oder der Kultur“ kann also kaum die Rede sein.
In Abwandlung zur Kritik an US-Hochschul-Boards „white, wealthy, businessmen“ könnte man bei uns sagen die Aufsichtsräte sind überwiegend „old, wealthy, businessmen, masculine“.
Dem hiesigen Hochschulrat sitzt Dr. Rolf-E. Breuer, Ehemaliger Sprecher des Vorstands und früherer Vorsitzender des Aufsichtsrates der Deutschen Bank AG vor. Weitere Repräsentanten der Wirtschaft sind Gabriele Eick, Executive Communications, Beratung für synchronisierte Unternehmenskommunikation, Prof. Dr. Axel Weber, Verwaltungsratspräsident der Schweizer Großbank UBS. Auch der als Schatzmeister der Vereinigung von Freunden und Förderer der Frankfurter Uni firmierende Dr. Sönke Bästlein leitet das Corporate Advisory der Mainfirst-Gruppe. Hinzu kommen noch drei Repräsentanten der Landes- und Stadtpolitik und Vertreter wissenschaftlicher Einrichtungen.
Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt hat die Rechtsform einer Stiftungsuniversität. Damit soll wohl an die Tradition der 1914 in Frankfurt am Main mit privaten Mitteln Frankfurter Bürger gegründeten ersten deutschen Stiftungshochschule der Neuzeit angeknüpft werden.
Nach meiner Meinung handelt es sich bei der Umwandlung der Landesuniversität in eine Stiftungsuniversität um eine „funktionelle Privatisierung“ einer überwiegend nach wie vor staatlich finanzierten Hochschule.
Bei der Hochschulratsstruktur ganz allgemein handelt es sich um eine nach dem deutschen öffentlichen Recht singuläre Organisationsform.
Es geht nicht etwa um eine nach dem Verwaltungsrecht übliche Auslagerung einer öffentlichen Aufgabe in eine mitgliedschaftlich organisierte Selbstverwaltungskörperschaft, sondern um eine im demokratischen Verwaltungsstaat bisher unbekannte „Zerfaserung“ von Staatlichkeit bei einer gleichzeitigen „Erosion der klassischen Verbändebeteiligung“ und einer Verschiebung der „Organisationsverantwortung“ hin zu einigen wenigen „Führungspersönlichkeiten“, die niemand rechenschaftspflichtig sind.
Es geht gleichzeitig um eine Machtverschiebung geht zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und vor allem auch zu Ungunsten der Selbstverwaltung der Hochschule.
Die einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft nachgebildete Aufsichtsratsstruktur der Hochschulräte kommt einer „funktionellen Privatisierung“ der öffentlichen und staatlich nur noch „bezuschussten“ Hochschulen gleich. Die öffentlichen Hochschulen werden zwar noch staatlich subventioniert, die „Differenz zwischen staatlicher und privater Hochschulträgerschaft“ verliert an Bedeutung.
Das meine nicht nur ich, sondern auch eine Studie des Instituts für Hochschulforschung (HoF) in Halle und selbst eine Studie von McKinsey für den Stifterverband kommen zu diesem Urteil.
In der Ankündigung zu dieser Diskussion wird die Frage gestellt: Ist die Institution Hochschulrat der neuen Autonomie der Hochschulen förderlich?
Das der „unternehmerischen Hochschule“ zugrunde liegende Hochschul-Autonomie-Verständnis bezieht die „Autonomie“ im Wesentlichen auf die „Institution“ Hochschule und dabei faktisch vor allem auf die Leitungsebene. Diese Verengung des grundgesetzlichen Autonomiebegriffs auf die Institution tangiert aber das primäre „subjektive“, Freiheitsgrundrecht der Hochschulangehörigen als eigentliche Träger der Wissenschaftsfreiheit und der daraus abgeleiteten Selbstverwaltungsrechte.
Man müsste sogar nicht nur von einer Verengung der vom Bundesverfassungsgericht in kontinuierlicher Rechtsprechung entwickelten individuellen Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes sprechen, sondern geradezu von einer Umkehrung der verfassungsrechtlichen Begründung dieses subjektiven Freiheitsrechtes. Das höchste Gericht leitet nämlich erst aus dem primären subjektiven Freiheitsrecht aller Hochschulangehörigen (übrigens auch der Studierenden) eine mittelbare „institutionelle Garantie“ der Hochschule ab. Man spricht deshalb auch vom „Doppelcharakter“ der Wissenschaftsfreiheit. Die Hochschule selbst ist wohlgemerkt nicht Grundrechtsträger!
Die institutionelle Autonomie gegenüber dem Staat hat ihre Begründung darin, dass die staatlich finanzierten Hochschulen einen Ort bieten sollten, an dem sich frei von staatlichen oder politischen Interessen die Gesellschaft selbst zum Gegenstand ihres kritischen Denkens macht. Hochschulen sollten, wie Parsons das ausdrückte, als „Treuhänder der Gesellschaft“ fungieren. Und um das leisten zu können sollten sie von den gesellschaftlichen Verhältnissen und Interessen, die sie ja gerade aufklären sollen, unabhängig sein. Das ist der eigentliche Sinn der Hochschulautonomie.
Das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ wechselt diesen auf die individuelle Wissenschaftsfreiheit und nur mittelbar als „institutionelle Garantie“ auch auf die Hochschule bezogenen Autonomiebegriff und verengt ihn auf die Institution Hochschule, ja noch mehr auf die Hochschulleitung.
Zugespitzt könnte man sagen: Die Institution Hochschule wurde „autonom“ von Staat und Parlament und „heteronom“ einem Hochschulrat unterstellt.
Jedenfalls für das NRW-Modell der Hochschulräte kommt ein in einer Dissertation niedergelegtes Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass das die dortigen Kompetenzen der Hochschulräte den Anforderungen, die nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG an eine wissenschaftsadäquate Teilhabe der betroffenen Hochschulangehörigen zu stellen sind, nicht genügt. Die subjektiven Grundrechtsträger hätten keine hinreichende verfahrensbezogene oder inhaltliche Möglichkeit mehr, eine Gefährdung ihrer individuellen Wissenschaftsfreiheit effektiv abzuwehren.
Das Hochschul-„Freiheits“-Gesetz in NRW verstoße auch gegen die in der Landesverfassung verankerte Selbstverwaltungsgarantie. Der Hochschulrat sei materiell kein Selbstverwaltungsorgan. Es fehle ihm das Element der „Betroffenenteilnahme“ und es fehle der legitimatorische Bezug zu den Betroffenen. Es bestehe kein „universitäres Gegengewicht“ mehr, welches einer Entscheidung der externen Hochschulratsmitglieder gegenübersteht.
Jenseits rechtlicher Bewertungen widerspricht aber nach meiner Meinung die „unternehmerische“ Hochschule mit ihrer Aufsichtsratsstruktur den „professionskulturellen“ Bedingungen einer freien und innovativen Wissenschaft. Die wettbewerbsgesteuerte Hochschule ist wissenschaftlicher Kreativität nicht förderlich, sondern konterkariert eher das vorgegebene Ziel wissenschaftlicher Qualität und läuft Gefahr wissenschaftliche Innovation zu erschweren.
Auch das ist nicht nur meine persönliche Meinung sondern das Ergebnis einer Studie mit dem Titel „Das Dilemma der unternehmerischen Universität“ von Klaus Dörre und Matthias Neis an der Friedrich-Schiller-Uni in Jena. Übrigens der bisher einzig mir bekannte empirische Untersuchung, die die ansonsten ständig nur behaupteten Erfolge der neuen Hochschulstruktur in Frage stellt.
Die Studie kommt zum Ergebnis:
„Einseitig an messbaren Effizienz- und Wettbewerbskriterien ausgerichtete Steuerungssysteme, wie sie den Leitbildern der unternehmerischen Universität und eines academic capitalism entsprechen, laufen Gefahr, das Gegenteil von dem zu produzieren, was sie eigentlich beabsichtigen. Sie können Innovationen erschweren, ja geradezu blockieren.“
Denn Innovationen entstünden innerhalb der Universität als Ergebnis weitgehend ungeplanter Prozesse in Nischen, die sich einer direkten Kontrolle entzögen. Sie beruhten auf kollektivem Lernen, setzten Vertrauen und gegenseitige Anerkennung voraus. „Das Regime von McKinsey und Co“ beeinträchtige geradezu die Funktionsfähigkeit der „Herzkammer des Kapitalismus“, nämlich sein Innovationssystem.
Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt der Wissenschaftssoziologe Richard Münch:
„Die unternehmerische Universität entmachtet die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft und die Fachgesellschaften als Treuhänder des Erkenntnisfortschritts im inneren Kern der Wissenschaft und der Wissensvermittlung und in ihrem Außenverhältnis zur Gesellschaft. Die kollektive Suche nach Erkenntnis als Kollektivgut und der kollektive Prozess der Bildung und des Wissenstransfers in die Gesellschaft in der Hand der wissenschaftlichen und der akademischen Gemeinschaft sowie der einzelnen Fachgesellschaften wird von der privatisierten Nutzung des Erkenntnisfortschritts, der Bildung und des Wissenstransfers durch unternehmerische Universitäten im Wettbewerb um Marktanteile abgelöst“.
Lassen Sie mich am Schluss noch auf eine Tatsache hinweisen, die in der Debatte um die wettbewerbsgesteuerte Hochschule übersehen oder vernachlässigt wird:
In der „unternehmerischen Hochschule“ hat die Lehre gegenüber der Forschung an Boden verloren.
Um mehr Drittmittel einzuwerben, werden z.B. bei Berufungs- und Bleibeverhandlungen immer häufiger deutliche Reduzierungen bei den Lehrdeputaten gewährt. Die erkennbare Gefährdung der Gleichrangigkeit der Lehre hat inzwischen sogar den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Kultusministerkonferenz veranlasst den Wettbewerb „Exzellente Lehre“ auszuloben. Die Dotierung mit gerade einmal zehn Millionen Euro hat allerdings bestenfalls symbolische Bedeutung gemessen an der Drittmittelabhängigkeit der Universitäten.
Zwischen 1998 und 2009 sind die Grundmittel nominal zwar von 12,6 auf 15,5 Mrd. Euro, d.h. um 23 Prozent gestiegen, – was allerdings real eher eine Stagnation bedeutet – die Drittmittel haben sich aber von ca. 2,5 auf über 5,3 Mrd. Euro mehr als verdoppelt. Dadurch ist der Anteil der Drittmittel zwischen 1995 und 2009 von 11 auf 26 Prozent des gesamten Budgets der Hochschulen angewachsen (DFG 2012: 29). Bei den universitären Forschungsausgaben dürfte sich das Verhältnis sogar umgekehrt haben, der Anteil der Drittmittel seit 1995 dürfte von einem auf zwei Drittel gestiegen sein.
Drittmittel sorgen nicht mehr dafür, dass man zusätzliches Geld für die Forschung ausgeben kann, wie das früher einmal der Fall war, sie werden mehr und mehr zur Grundbedingung für Forschung überhaupt. (Michael Hartmann)
Damit komme ich zurück auf meine Eingangsfeststellung: dass die staatlichen Hochschulen wurden statt den „Gesetzen“ des demokratisch legitimierten Gesetzgebers und den Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane, den anonymen und angeblich objektiven den „Gesetzen“ des Wettbewerbs auf dem Wissenschaftsmarkt unterstellt wurden. Mit den auf diesen Wettbewerb ausgerichteten unternehmerischen Leitungsstrukturen ist aber die überwiegende Mehrheit der Lehrenden und Studierenden gemessen an ihren früheren Forschungs- und Lernfreiheiten wesentlich „unfreier“ geworden.
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