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Titel: Zur Zukunft der Hochschulen in NRW – Anhörung zur Novellierung des Hochschulgesetzes

Datum: 30. April 2013 um 15:20 Uhr
Rubrik: Hochschulen und Wissenschaft
Verantwortlich:

Am 7. Mai 2013 findet im Düsseldorfer Landtag eine öffentliche Anhörung zur Weiterentwicklung des NRW-„Hochschulfreiheitsgesetzes“ statt. Ich bin von der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Sachverständiger benannt worden.
Dazu bin ich um eine schriftliche Stellungnahme gebeten worden. Meine Stellungnahme möchte ich auch den hochschulpolitisch interessierten Leserinnen und Lesern anbieten.
Sollte Sie Hochschulpolitik nicht interessieren, so könnten Sie ja meine Stellungnahme an Ihnen bekannte Hochschulangehörige oder mit Hochschulpolitik Befassten weiterleiten.
Ich wäre an Kritik, Anregungen und zusätzlichem Rat interessiert.
Die in der Anhörung zu erörternden Anträge der Landtagsfraktionen, geben einen Überblick über den Streitstand zu einer von der Landesregierung geplanten Novelle des NRW-Hochschulgesetzes: CDU und FDP wollen am Konzept der „unternehmerischen“ Hochschule festhalten, die Fraktion der PIRATEN wollen die Hochschulräte abschaffen und SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN suchen nach einer neuen Balance zwischen der institutionellen Autonomie der Hochschulen einerseits und der demokratischer Verantwortung des Staates sowie der Stärkung der Selbstverwaltungsorgane der Hochschule andererseits. Wolfgang Lieb.

Dr. Wolfgang Lieb
Staatssekretär a.D.

Köln, den 27. 04. 2013

Betr.: Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft und Forschung am 7. Mai 2013

Hier: Stellungnahme zu den Beratungsgegenständen

Zu I. Gesetz zur Stärkung der Wissenschaftsautonomie
Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 16/1255 [PDF – 342 KB]

Der Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN will den Hochschulrat im derzeit geltenden Hochschulgesetz NRW abschaffen und ihn durch eine Beiratskonstruktion ersetzen – im Wesentlichen durch eine Änderung des § 21 HG NRW.

  1. Ich teile die Kritik an der Hochschulratsstruktur mit folgender Begründung:
    • Paradigmenwechsel

      Mit dem „Hochschulfreiheits“-Gesetz vom 31. Oktober 2006 wurde auch in NRW ein Systemwechsel von der sich selbstverwaltenden Gruppenuniversität zur „unternehmerischen“ Hochschule vollzogen.
      Die Hochschulen wurden statt den „Gesetzen“ des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, den anonymen „Gesetzen“ des Wettbewerbs auf dem Wissenschaftsmarkt (Stichwort: Drittmitteleinwerbung) und des Wettbewerbs auf dem Ausbildungsmarkt (Stichwort: ehemals Einwerbung von Studiengebühren) unterstellt.

    • Das Problem der Legitimation

      An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als demokratische legitimierte rahmensetzende Organe für die sich selbst verwaltenden Hochschulen wurde in der „unternehmerischen“ Hochschule der Hochschulleitung ein freischwebender Aufsichtsrat als „Fachaufsicht“ mit weitgehenden Kompetenzen vorgesetzt, dessen Mitglieder während und nach ihrer gesamten fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig sind. Sie können weder abberufen noch abgewählt werden. Sie können für Ihre oft tiefgreifenden und kostenintensiven Entscheidungen nicht zur Verantwortung gezogen werden.

    • Das Problem der Sachkompetenz

      Die Hochschulratsmitglieder mögen zwar viel Engagement und Sympathie für „ihre“ jeweilige Hochschule haben, doch sie müssen keinerlei fachliche oder rechtliche Kenntnisse besitzen, sie müssen noch nicht einmal mit dem Hochschulwesen vertraut sein, sie sind ehrenamtlich tätig und müssen sich nach den gesetzlichen Vorgaben lediglich vier Mal im Jahr treffen. (Durchschnittlich nehmen Hochschulratsvertreter zwischen 3,7 bis 4,1- mal im Jahr an Sitzungen teil und wenden zwischen 50,9 bis 73,2 (so die im Ruhestand befindlichen Mitglieder) Stunden im Jahr für ihre Tätigkeit auf. Die Kontakte zu Hochschulvertretern sind relativ selten und finden ganz überwiegend zur Hochschulleitung statt (Marcinkowski, Frank/ Kohring Matthias, Organisation und Öffentlichkeit von Hochschulen, Münster 2013 S. 39 [PDF – 921 KB])
      In aller Regel haben Hochschulräte keinen eigenen planerischen Unterbau, der ihnen für ihre tiefgreifenden und weitreichenden Entscheidungen zuarbeiten könnte.

      Es bestehen – so auch das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das niedersächsische Modell einer Stiftungshochschule – „durchgreifende Zweifel“, ob diese Aufsichtsräte die ihnen vom Gesetz übertragenen Kompetenzen fachlich und sachlich ausfüllen können.

      In der Praxis stärken Hochschulräte eher die Durchgriffsmacht der mit den Hochschulreformgesetzen ohnehin massiv gestärkten Hochschulleitungen gegenüber den Hochschulangehörigen und den Gremien der Hochschule. Das ist einer der Gründe für die überwiegend positiven Einstellungen der Hochschulleitung gegenüber der Hochschulrats-Struktur.

    • Das Problem der Pluralität

      Hochschulräte arbeiten in der Regel weder transparent noch sind sie repräsentativ zusammengesetzt. Vor allem unter den Hochschulratsvorsitzenden sind „Führungspersönlichkeiten“ aus der Wirtschaft dominant vertreten.

      In der tatsächlichen Zusammensetzung zeigt sich eine „Erosion der klassischen Verbändebeteiligung“. Grundsätzlich haben wir es mit einer Verschiebung der „Organisationsverantwortung“ zu Lasten der klassisch-parlamentarischen Repräsentation der gesellschaftlichen Interessen und vor allem auch zu Ungunsten der Selbstverwaltung der Hochschule zu tun.

    • Funktionelle Privatisierung der Hochschulen

      Da Wettbewerb und Konkurrenz das entscheidende Steuerungsinstrument für die Hochschulen sein sollen, steuern vor allem einzuwerbenden Mittel (Drittmittel und früher Einnahmen aus Studiengebühren) – also eine die staatliche Grundfinanzierung ergänzende Finanzierung – das nach wie vor ganz überwiegend staatlich finanzierte „Unternehmen“ Hochschule. Mit der einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft nachgebildeten Aufsichtsratsstruktur wurden die öffentlichen Hochschulen faktisch „funktionell privatisiert“.

    • Umdeutung der Hochschulautonomie auf eine autonome Leitungsstruktur

      Die Umdeutung und Verengung der „Hochschul“-Autonomie auf die Institution Hochschule und ihre Verengung auf eine „autonome“ Leitungs- und Aufsichtsratsstruktur tangiert die individuellen Freiheitsgrundrechte der Hochschulangehörigen als nach Art. 5 Abs. 3 GG primäre Träger der Wissenschaftsfreiheit.

    • Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit nach dem GG

      Ich schließe mich weitgehend einem in einer Dissertation niedergelegten Rechtsgutachten von Thomas Horst an (Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Hochschulgesetzes NRW über den Hochschulrat, Hamburg 2010), wonach das NRW-Modell der Hochschulräte den Anforderungen, die nach Art. 5 Abs. 3 S. 1GG an eine wissenschaftsadäquate Teilhabe der betroffenen Hochschulangehörigen zu stellen sind, nicht genügt.

      Dies betrifft vor allem die in § 17 Abs. 3 S. 2 HG NRW normierte Möglichkeit des Hochschulrats, die vom Senat versagte Zustimmung für die Wahl der Hochschulleitung mit 2/3 bzw. 3/4- Mehrheit zu ersetzen.

    • Verstoß gegen die Selbstverwaltungsgarantie nach der LV NRW

      Das HG NRW verstößt zusätzlich gegen die Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 16 Abs. 1 der LV NRW. Entgegen dem Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 HG NRW ist der Hochschulrat materiell kein Selbstverwaltungsorgan. Es fehlt ihm das Element der „Betroffenenteilnahme“ und es fehlt der legitimatorische Bezug zu den Betroffenen, da insbesondere auch die Amtsbestellung des Hochschulrats nicht (allein oder wenigstens mehrheitlich) durch die Körperschaft Hochschule selbst erfolgt.

    • Dienstherrneigenschaft verstößt gegen funktionsgerechte Organisationsstruktur

      Über die verfassungsrechtliche Problematik der bestehenden Regelungen zum Hochschulrat hinaus verstößt u.a. auch dessen „Dienstherreneigenschaft“ gegenüber dem hauptamtlichen Präsidium (§ 33 Abs. 2 S. 3 HG NRW) gegen den Grundsatz einer funktionsgerechten Organstruktur. Als (ehrenamtlicher) oberster Dienstbehörde kommen dem Hochschulratsvorsitzenden zahlreiche wesentliche Entscheidungen z.B. in Bezug auf das Beamtenverhältnis zu – bis hin zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen. Dass dies nicht funktionsgerecht sein kann, ist weitgehend anerkannt.

    • Widerspruch zu den „professionskulturellen“ Bedingungen einer freien Wissenschaft

      Jenseits der rechtlichen Bewertung widerspricht die „unternehmerische“ Hochschule mit ihrer Aufsichtsratsstruktur den „professionskulturellen“ Bedingungen einer freien Wissenschaft. Sie ist wissenschaftlicher Kreativität nicht förderlich sondern konterkariert eher das vorgegebene Ziel wissenschaftlicher Qualität und läuft Gefahr wissenschaftliche Innovation zu erschweren.
      (Das ist jedenfalls das Ergebnis einer empirischen Studie von Dörre und Neis an der Friedrich-Schiller-Uni in Jena. Übrigens der bisher einzig mir bekannte empirische fundierte Untersuchung, die die ansonsten nur behaupteten Erfolge der neuen Hochschulstruktur in Frage stellt. (Klaus Dörre, Matthias Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Hochschule, Hochschulen zwischen Wissensproduktion und Marktzwang, edition sigma, 2010) Siehe dazu auch Richard Münch, Unternehmen Universität – Wie die manageriale Revolution die akademische Forschung und Lehre verändert)

    (Eine ausführlichere Begründung für diese 10 Thesen habe ich in meiner Stellungnahme 15/1126 für das Sachverständigengespräch des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie am 16. Dezember 2011 im Landtag Nordrhein-Westfalen gegeben. (Anlage))

  2. In einem Vergleich der 14 Bundesländer, in denen ein Hochschulrat in den Landesgesetzen vorgegeben ist, stehen den Hochschulräten in NRW (neben und derzeit noch in Baden-Württemberg) besonders weitreichende Kompetenzen zu (Vgl. Bogumil et. al. Modernisierung der Universitäten, Berlin 2013, S. 87ff.) Die Kompetenzen, die der Hochschulrat in NRW wahrnimmt, sind überwiegend ehemalige Senatskompetenzen bzw. Aufsichtsrechte, die ehemals beim Ministerium lagen. Wobei festzustellen ist, dass vor dem HG NRW 2006, also im HG NRW 2000 der Gesetzgeber staatliche Befugnisse schon weitgehend an die Hochschulen delegiert, der Staat hatte zwar eine Rechts- und Finanzaufsicht hatte und er flankierte die autonomen Hochschulen durch landesplanerische Zielvorgaben und Rahmenbedingungen (Vgl. Lieb/Goebel, Autonomie und Verantwortung staatlicher Hochschulen, in Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 866, S. 205ff.), aber er hatte keine „Fachaufsicht“ (so Andreas Pinkwart, „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ [PDF – 109 KB]) wie sie im HG NRW 2006 den Hochschulräten eingeräumt wurde. Derart weitgehende Entscheidungskompetenzen und Einflussmöglichkeiten auf die Hochschulen, wie sie dem Hochschulrat mit diesem Gesetz eingeräumt wurden, hatten Staat und Parlament bisher nie.
  3. In der von den PIRATEN vorgeschlagenen Neufassung des § 21 HG NRW „Beiräte“ im scheint mir das Anliegen, „externen Sachverstand durch Beiräte zu hochschulpolitischen und wirtschaftlichen Fragen“ heranziehen zu wollen, zu kurz zu kommen.
    Zwar sollte die Verantwortung der staatlichen Hochschulen gegenüber der sie tragenden Gesellschaft durchaus durch eine neue Organisationsstruktur (Hochschulbeiräte, Gesellschaftsräte oder Kuratorien) gesetzlich verankert werden. Die Beratungsstruktur sollte jedoch im Gesetz differenzierter ausgeführt werden und nicht nur dem Einvernehmen von Präsidium und Senat der einzelnen Hochschule überlassen bleiben.

    So sollte – anders als das bei den Hochschulräten faktisch der Fall ist – Wert darauf gelegt werden, dass in den „Beiräten“ unterschiedliche gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert sind (Z.B. auch eine Frauenquote). Es sollte im Gesetz weiter eine Aufgabenbeschreibung der „Beiräte“ vorgegeben werden, etwa dass diese die Hochschulen bei ihrer strategischen Entwicklung, aber auch im Hinblick auf ihre regionale Einbindung beraten und unterstützen sollen. Die Hochschulen könnten möglicherweise den „Beiräten“ gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Diese Rechenschaftspflicht könnte bis hin zur Herstellung eines (rechtlichen) Benehmens zwischen den Hochschulen und einer solchen Beiratskonstruktion reichen, etwa hinsichtlich des Abschlusses von Zielvereinbarungen, bei der Verabschiedung des Hochschulentwicklungs- oder des Wirtschaftsplanes. Die „Beiräte“ sollten allerdings – anders als die Hochschulräte – keine Letzt-Entscheidungskompetenzen haben.

    Angesichts der im Antrag der Fraktion die PIRATEN nicht weiter thematisierten hochschulinternen hierarchisch-administrativen der Leitungsstrukturen sollten in einer Gesetzesnovelle auch Vorgaben zur Stärkung der Mitbestimmungsrechte und moderner informeller Partizipations- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Hochschulangehörigen gemacht werden, so etwa zur Zusammensetzung der Senate, zu Beauftragten für benachteiligte Gruppen oder auch zu einem Ausbau der Mitbestimmungsrechte der Personalvertretungen (Siehe etwa Köhler, Partizipation und Innovation, Universität Hamburg – Zentrum für Wissenschaftsmanagement Speyer „Partizipation als Element der Governance von Hochschulen“, Hamburg, 12./13. Oktober 2011). Außerdem sollten die Informationsrechte der Hochschulmitglieder gestärkt und Transparenz etwa bei Kooperationsvereinbarungen der Hochschule mit außeruniversitären Partnern gewährleistet werden.
    Politisch müsste außerdem darüber entschieden werden, ob die Hochschulen des Landes verpflichtet werden sollten, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen („Zivilklausel“).

    Eine Gesetzesnovelle, die ausschließlich die Hochschulräte abschaffen würde, wäre aus meiner Sicht eine vertane Chance für ein „Hochschulzukunftsgesetz“.

Zu II.: Finger weg von der Hochschulautonomie – Positionspapier der Hochschulautonomie – Positionspapier der Hochschulratsvorsitzenden nutzen
Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP, Drucksache 16/1190 [PDF – 108 KB]

  1. In dem Antrag wird die Landesregierung aufgefordert sich zum bestehenden „System der Hochschulfreiheit“ zu bekennen.
    Als bestehendes „System der Hochschulfreiheit“ dürfte wohl die Normierung gemeint sein wie sie im derzeit geltenden Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (HG NRW 2006) geregelt ist.

    Mit dem Hochschulgesetz NRW vom 31. Oktober 2006, dem sog. “Hochschulfreiheitsgesetz“ wurde in der Tat „ein neues Kapitel in der Hochschulpolitik“ in Nordrhein-Westfalen aufgeschlagen: Es wurde ein Leitbildwechsel, ja geradezu ein „Systemwandel“ (Denise Amrhein, Die Universität als Dienstleistungsunternehmen, S. 5 ff.; zur deregulierten Hochschule Ulrich Smeddinck, DÖV 2007, 269 ff.) im Hochschulwesen vollzogen – nämlich ein Paradigmenwechsel von der sich selbstverwaltenden Gruppenuniversität zur „unternehmerischen“ Hochschule.

    (Zur Analyse und zur Kritik an diesem „System der Hochschulfreiheit“ verweise ich auf meine schriftliche Stellungnahme für das Sachverständigengespräch zur Novellierung des NRW- „Hochschulfreiheitsgesetzes“ im Düsseldorfer Landtag am 16. Dezember 2011. (Stellungnahme 15/1126 Landtag Nordrhein-Westfalen 15. Legislaturperiode vom 5. Dezember 2011 (Anlage))

    An den Kernthesen meiner Stellungnahme im Sachverständigengespräch vom 16. Dezember 2011 halte ich fest:

    1. Durch das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheits“-Gesetz ist die überwiegende Mehrheit der Lehrenden und Studierenden gemessen an ihren früheren Forschungs- und Lernfreiheiten wesentlich „unfreier“ geworden. Die akademische Selbstverwaltung wurde durch eine zentralistische Management- und Aufsichtsratsstruktur (nach dem Leitbild des New Public Managements) ersetzt und die „unternehmerische“ Hochschule soll – jedenfalls de lege lata – von einem überwiegend mit externen besetzten, niemand rechenschaftspflichtigen, intransparent agierenden, nicht pluralistisch zusammengesetzten Hochschulrat mit bezweifelbarer Sachkompetenz (BVerwG, WissR 43 (2010), S.184ff.) gesteuert werden (Siehe auch oben I. 1.). Dass die gesetzlichen Kompetenzen von den Hochschulräten nicht ausgeschöpft werden, sondern diese ihre Funktion eher als „Berater“ oder „Unterstützer“ verstehen, ändert an der Rechtslage nichts. Im Gegenteil, diese Praxis spricht für eine Änderung des Gesetzes. Die nordrhein-westfälischen Hochschulen wurden statt den „Gesetzen“ des demokratischen Gesetzgebers, den anonymen „Gesetzen“ des Wettbewerbs um die staatliche Grundfinanzierung (staatliche „Zuschüsse“) ergänzende Einwerbung von Drittmitteln und (damals noch) um die Einwerbung von Studiengebühren unterstellt. Die Hochschulen sollen auf „Quasi-Märkten agieren“ und ähnliche Organisationsstrukturen wie Profitunternehmen haben (Werner Nienhüser, Academic Capitalism?, 2012)

      „Die unternehmerische Universität entmachtet die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft und die Fachgesellschaften als Treuhänder des Erkenntnisfortschritts im inneren Kern der Wissenschaft und der Wissensvermittlung in ihrem Außenverhältnis zur Gesellschaft. Die kollektive Suche nach Erkenntnis als Kollektivgut und der kollektive Prozess der Bildung und des Wissenstransfers in die Gesellschaft in der Hand der wissenschaftlichen und der akademischen Gemeinschaft sowie der einzelnen Fachgesellschaften wird von der privatisierten Nutzung des Erkenntnisfortschritts, der Bildung und des Wissenstransfers durch unternehmerische Universitäten im Wettbewerb um Marktanteile abgelöst“

      stellt der Bamberger Soziologe Richard Münch fest. Er beschreibt die Ökonomisierung der Wissenschaft in Anlehnung an die in Amerika stattfindende Debatte als Trend zu einem „akademischen Kapitalismus“.

      (Zur Kritik an den Hochschulräten nach dem NRW-Hochschulgesetz siehe oben meine Stellungnahme zu I.)

    2. An dieser Stelle deshalb noch eine Anmerkung zu der Behauptung in dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP wonach der Hochschulrat „dringend benötigte Kompetenzen in die Hochschulen eingebracht“ hätte. Selbst einer der Erfinder der Hochschulratsstruktur, das bertelsmannsche Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), räumte in einer Studie über das „Strategische Management an Hochschulen folgendes ein [PDF – 1.7 MB]:

      „Die große Mehrheit der Interviewten berichtete, dass die Hochschulräte (hier vor allem die externen Mitglieder) fachlich wenig zur Strategie der Hochschule beitragen (teils wollen, teils) können. Eine kleine Ausnahme wurde gemacht in Bezug auf diejenigen externen Mitglieder, die selbst aus einer Hochschule stammen. Gleichzeitig herrschte weitgehende Einigkeit dahingehend, dass es gar nicht wünschenswert sei, dass die Hochschulräte sich inhaltlich in die Strategieentwicklung einschalten würden. Bei den Vertreter(inne)n aus anderen gesellschaftlichen Feldern bestehe ohnehin nur die Gefahr, dass sie Erfahrungen aus ihrem eigenen Umfeld oder ihrer eigenen Branche überbewerteten. Die Hochschulräte seien zahlenmäßig nicht groß genug, als dass sie ein für solche Funktionen genügend breites fachliches Spektrum abbilden könnten. Die hochschulinternen Mitglieder des Hochschulrats wiederum verfügen über den fachlichen Hintergrund, repräsentieren aber ebenfalls nur eine kleine Auswahl von Disziplinen und Bereichen. Daher sollte man auch von ihnen eher erwarten, dass sie sich mit inhaltlichen Beiträgen zur Strategie eher zurückhalten.“

      (S. 90f.)

      Dass durch Hochschulräte den Hochschulen geholfen werden könnte, „ihre Ressourcen optimal einzusetzen“ , wird von ihnen selbst in Frage gestellt: „Relativ gering schätzen sie (die Hochschulräte (WL)) ihren Einfluss hingegen im Hinblick auf die finanziellen Entscheidungen (Haushaltsaufstellung und -führung) und finanzrelevante Instrumente (formelgebundene Mittelvergabe ein.“ (Bogumil et. al. Modernisierung der Universitäten, Berlin 2013, S. 92)

    3. Weiter wird in dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP gesagt, dass der Hochschulrat den Hochschulen nicht zuletzt

      „durch seine Zusammensetzung wichtige Fürsprecher in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft (bringe), wodurch es zu einer deutlich engeren Verzahnung zwischen Hochschulen, Gesellschaft und Wirtschaft kam und kommt“.

      Hier wird allenfalls ein Wunschbild gezeichnet. Nach der jüngsten Erhebung durch Bogumil et al. ordnen sich 41 % der Befragten Hochschulratsmitglieder dem Bereich Wissenschaft zu. Es könne also angenommen werden, dass eine „Orientierung an den Normen und Interessen des Wissenschaftssystems“ bestehe (S. 93f.) und damit eben nicht gesellschaftliche Perspektiven und Kompetenzen eingebracht werden.
      Die am zweithäufigsten vertretene Gruppe bilden Personen aus der Wirtschaft mit 36%, davon wiederum 78% von Großunternehmen. Arbeitnehmer oder andere Repräsentanten von gesellschaftlichen Gruppen sind nur zu einem kleinen Bruchteil vertreten. Der Anteil von Ruheständlern ist hoch. Von einer angemessenen Repräsentanz „wichtiger Fürsprecher in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“ in den Hochschulräten kann also kaum die Rede sein. (In Abwandlung zur Kritik an US-Boards „white, wealthy, businessmen“ könnte man vielmehr sagen, die Hochschulräte sind bei uns „old, wealthy, masculine, businessmen“.)

    4. Das dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP zugrundeliegende Hochschul-Autonomie-Verständnis, nämlich der „Stärkung der Hochschule als Organisation“ bezieht die „Autonomie“ im Wesentlichen auf die „Institution“ der Hochschule und dabei faktisch vor allem auf die Leitungsebene. Diese Verengung des grundgesetzlichen Autonomiebegriffs tangiert das „subjektive“, individuelle Freiheitsgrundrecht der Hochschulangehörigen als primäre Träger der Wissenschaftsfreiheit und deren Selbstverwaltungsrechte.
      Zugespitzt könnte man sagen: Die Institution Hochschule wurde „autonom“ von Staat und Parlament und heteronom einem Hochschulrat unterstellt.

      Auf die verfassungsrechtlich bedenkliche Bestimmung in § 17 Abs. 3 Satz 2 HG normierte Möglichkeit des Hochschulrats, eine versagte Zustimmung für die Wahl der Hochschulleitung mit 2/3- bzw. 3/4-Mehrheit zu ersetzen, wurde oben schon hingewiesen. Die Wahl der Hochschulleitung kann somit in letzter Konsequenz gegen das Votum des Senats durchgesetzt werden und der Senat hat bei einer Abwahl der Hochschulleitung lediglich ein Anhörungsrecht (§ 17 Abs. 4 Satz 1 HG NRW) (Vgl. Bogumil et al., S. 64)

      Verfassungsrechtlich problematisch ist auch die derzeitige Rechtslage zum Abschluss von Zielvereinbarungen. „Sie garantiert der Gruppe der Hochschullehrer beim wissenschaftsrelevanten Prozess zum Abschluss von Zielvereinbarungen (§ 21 Abs. 1 Ziff. 2.) nicht den vom Bundesverfassungsgericht geforderten hinreichenden Einfluss“ (Thomas Horst, Zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Hochschulgesetzes NRW über den Hochschulrat, Hamburg 2010). Die subjektiven Grundrechtsträger haben dabei keine hinreichende verfahrensbezogene oder inhaltliche Möglichkeit mehr, eine Gefährdung ihrer individuellen Wissenschaftsfreiheit effektiv abzuwehren (Dazu Bogumil et al. a.a.O. S.63).

      Über einen Verstoß gegen die in Art. 5 Abs. 3 GG garantierte Wissenschaftsfreiheit hinaus, verstößt das HG NRW gegen das in Art. 16 Abs. 1 der Landesverfassung garantierte Recht auf „einen ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung. Der Hochschulrat ist entgegen dem Gesetzeswortlaut § 9 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 HG NRW materiell kein Selbstverwaltungsorgan. Es fehlen ihm das Element der „Betroffenenteilnahme“ und der legitimatorische Bezug zu den Betroffenen, da insbesondere auch die Amtsbestellung des Hochschulrats nicht (allein oder wenigstens mehrheitlich) durch die Körperschaft Hochschule selbst erfolgt. Sowohl bei hälftiger Besetzung des Hochschulrats und schon gar bei seiner rein hochschulexterner Besetzung (§ 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 i.V.m. § 21 Abs. 6 S. 2 HG NRW) besteht kein „universitäres Gegengewicht“, welches einer Entscheidung der externen Hochschulratsmitglieder entgegensteht.

      Über die verfassungsrechtliche Problematik der bestehenden Regelungen zum Hochschulrat hinaus verstößt u.a. auch dessen „Dienstherreneigenschaft“ des/der Vorsitzenden des Hochschulrats gegenüber dem hauptamtlichen Präsidium (§ 33 Abs. 2 S. 3 HG NRW) gegen den Grundsatz einer funktionsgerechten Organstruktur. Als (ehrenamtliche) oberster Dienstbehörde kommen dem Hochschulrat zahlreiche wesentliche Entscheidungen z.B. in Bezug auf das Beamtenverhältnis zu – bis hin zu disziplinarrechtlichen Maßnahmen. Dass dies nicht funktionsgerecht sein kann, ist weitgehend anerkannt: Inzwischen haben sogar nahezu alle Hochschulräte versucht (Horst, ZBR 9/2011, S. 289ff.) diese Kompetenzen entgegen dem geltenden Recht auf die Rektorate zu delegieren.

    Die gesetzlichen Regelungen über den Hochschulrat im HG NRW lassen sich auch nicht verfassungskonform auslegen. Eine Gesetzesänderung ist daher geboten.

  2. Anmerkungen zur Begründung des Antrags der Fraktionen von CDU und FDP:

    Die Aussage aus einem Offenen Brief der Landesrektorenkonferenzen von Universitäten und Fachhochschule, der sich die Antragssteller anschließen, dass „durch die gewachsenen Handlungsspielräume … die NRW-Hochschulen heute national und international wettbewerbsfähiger“ dastünden, ist eine nicht belegbare und bisher nirgends belegte Behauptung von Vertretern der Hochschulleitungen, die – verständlicherweise – ihre Amtsführung und in Zeiten des Hochschul-Marketings ihre Hochschule in einem positiven Licht erscheinen lassen möchten.

    1. Weder das Förder-Ranking der DFG, also der Vergleich der Bewilligungsvolumen für die Forschung an den NRW-Hochschulen ((Vgl. z.B. Tabelle 3-1 des Förder-Rankings 2009 der Deutschen Forschungsgemeinschaft [PDF – 22.4 MB]), noch die Exzellenzinitiative können als eindeutiger Beleg für die Behauptung einer generellen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der NRW-Hochschulen dienen. Die Ergebnisse der Exzellenzinitiative bei der die RWTH Aachen ihren Exzellenzstatus behaupten und die Universität Köln hinzugekommen ist, und wonach drei Exzellenzcluster in NRW mehr eingeworben wurden, sind zwar erfreulich, sie bestätigten allerdings nur den allgemeinen Trend zur „Eliteförderung“, der das prinzipiell auf interner Gleichheit beruhende traditionelle Universitätssystem in Richtung auf eine deutliche vertikale Differenzierung aufzubrechen droht. Dadurch wurden die bestehenden Unterschiede zwischen den Universitäten entscheidend verschärft und eine „symbolische Hierarchisierung“ der Hochschullandschaft vorangetrieben. Entgegen der allgemeinen Darstellung, wonach es nur „Gewinner“ und „Nicht-Gewinner“ gebe, gibt es unübersehbar auch klare Verlierer, bei einer gleichzeitigen Konzentration der Forschungsmittelvergabe auf einige wenige „führende“ Hochschulen. (Allein von 2009 auf 2010 konnten die Drittmitteleinnahmen der RWTH noch einmal um 13,6 Prozent auf nun 258 Mio. Euro gesteigert werden.)
    2. Dieser Trend zur Hierarchisierung nach angelsächsischem Beispiel wird noch verstärkt durch die „leistungsorientierte“ Vergabe der Landesmittel an die Hochschule, d.h. nach Maßgabe weniger Kriterien, unter denen die eingeworbenen Drittmittel wiederum eine zentrale Rolle spielen. Um den Teufelskreis, in den die „Nicht-Gewinner“ geraten sind, zu entschleunigen hat die neue Landesregierung -richtigerweise – die Kürzungen bei den Hochschulen, die im landesinternen Vergleich nicht so gut abschneiden auf maximal ein Prozent des Gesamtbudgets gedeckelt. (Vgl. zur Hierarchisierung Michael Hartmann, Die Exzellenzinitiative und die Hierarchisierung des deutschen Hochschulsystems)

      Wenn der Trend mit „symbolischen Gewinnern“ und einer umgekehrten „Verliererdynamik“ anhält, wird man im Ergebnis in peripheren Regionen eben vornehmlich auch periphere Universitäten finden (Klaus Dörre, Matthias Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Hochschule, Hochschulen zwischen Wissensproduktion und Marktzwang, edition sigma, 2010, S. 148.)

    3. Was die „professionskulturellen“ Bedingungen (Dörre/Neis) einer freien Wissenschaft anbetrifft, schließe ich mich den Untersuchungen von Richard Münch an: „Die unternehmerische Universität entmachtet die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft und die Fachgesellschaften als Treuhänder des Erkenntnisfortschritts im inneren Kern der Wissenschaft und der Wissensvermittlung in ihrem Außenverhältnis zur Gesellschaft. Die kollektive Suche nach Erkenntnis als Kollektivgut und der kollektive Prozess der Bildung und des Wissenstransfers in die Gesellschaft in der Hand der wissenschaftlichen und der akademischen Gemeinschaft sowie der einzelnen Fachgesellschaften wird von der privatisierten Nutzung des Erkenntnisfortschritts, der Bildung und des Wissenstransfers durch unternehmerische Universitäten im Wettbewerb um Marktanteile abgelöst. Dieser grundlegende institutionelle Wandel bedroht die innere akademische Freiheit und unterwirft Bildung und Wissenstransfer äußeren Zwecken. Er bedeutet eine zunehmende Engführung der Wissensevolution und die Schrumpfung des aus dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt resultierenden Erneuerungspotentials der Gesellschaft.“ (Richard Münch, Unternehmen Universität – Wie die manageriale Revolution die akademische Forschung und Lehre verändert)
    4. Sogar die These, dass die „unternehmerische Hochschule“ unternehmerisch erfolgreich sei, wird in einer empirischen Studie, in der auch die TU Dortmund einbezogen wurde, in Frage gestellt. Dörre/Neis (a.a.O. S. 153) kommen zum Ergebnis: „Einseitig an messbaren Effizienz- und Wettbewerbskriterien ausgerichtete Steuerungssysteme, wie sie den Leitbildern der unternehmerischen Universität und eines academic capitalism entsprechen, laufen Gefahr, das Gegenteil von dem zu produzieren, was sie eigentlich beabsichtigen. Sie können Innovationen erschweren, ja geradezu blockieren.“ Denn Innovationen entstünden innerhalb der Universität als Ergebnis weitgehend ungeplanter Prozesse in Nischen, die sich einer direkten Kontrolle entzögen. Sie beruhten auf kollektivem Lernen, setzten Vertrauen und gegenseitige Anerkennung voraus. „Das Regime von McKinsey und Co“ beeinträchtige geradezu die Funktionsfähigkeit der „Herzkammer des Kapitalismus“, nämlich sein Innovationssystem.
    5. Was bei der einseitigen Betonung der „Wettbewerbsfähigkeit“ auf dem Feld der Einwerbung von Drittmitteln darüber hinaus übersehen und vernachlässigt wird, ist die nicht zu übersehende Tatsache, dass die Lehre gegenüber der Forschung an Boden verliert. Um mehr Drittmittel einzuwerben, werden z.B. bei Berufungs- und Bleibeverhandlungen immer häufiger deutliche Reduzierungen bei den Lehrdeputaten gewährt. Die erkennbare Gefährdung der Gleichrangigkeit der Lehre hat den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Kultusministerkonferenz veranlasst den Wettbewerb „Exzellente Lehre“ auszuloben. Die Dotierung mit gerade einmal zehn Millionen Euro hat allerdings bestenfalls symbolische Bedeutung. Und mit dem ab Wintersemester 2011/2012 gestarteten „Qualitätspakt Lehre“ dürften allenfalls die Lücken gestopft werden, die aus der stark gestiegenen Studierendenzahl aufgetreten sind. (Vgl. Hartmann a.a.O.)
    6. Zwischen den Hochschulleitungen und der Professorenschaft scheint es im Hinblick auf den Wettbewerb um Drittmittel und um Exzellenz deutlich unterschiedliche Wahrnehmungen zu geben: Nach einer Umfrage des „Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung“ in deren Rahmen mehrere tausend Professoren/innen befragt wurden sahen knapp 30 Prozent der Befragten die Exzellenzinitiative als „überhaupt nicht“ und weitere fast 27 Prozent „eher ungeeignet“ an, den Wissenschaftsstandort zu stärken (Vgl. Hartmann a.a.O.)
    7. Unter der Überschrift „Bevormundung oder Freiheit“ wendet sich der Antrag der Fraktionen von CDU und FDP gegen eine „Weiterentwicklung des Hochschulrechts“ durch die Landesregierung.
      In dieser eher der politischen Rhetorik zuzuordnenden Formulierung tritt aus meiner Sicht ein merkwürdiges Selbstverständnis von Volksvertretern zu Tage.
      Die Parlamentarier von CDU und FDP billigen dem demokratisch nicht legitimierten, parlamentarisch nicht rechenschaftspflichtigen und von der Hochschule nicht zur Verantwortung ziehbaren Hochschulrat Kompetenzen und Entscheidungsrechte zu, die sie dem demokratisch gewählten Parlament und der demokratisch legitimierten Regierung verweigern wollen. Und zwar mehr Kompetenzen („Fachaufsicht“) als der Staat gegenüber den Hochschulen vor dem Hochschulgesetz aus dem Jahre 2006 je hatte.

      Es hat also allenfalls ein Wechsel der „Bevormundung“ stattgefunden, weg vom Parlament hin zu den Hochschulräten.

      Bei der Hochschulratsstruktur handelt es sich auch nicht um eine Auslagerung einer öffentlichen Aufgabe in eine mitgliedschaftlich organisierte Selbstverwaltungskörperschaft, sondern um eine im demokratischen Verwaltungsstaat bisher unbekannte „Zerfaserung“ von Staatlichkeit bei einer gleichzeitigen „Erosion der klassischen Verbändebeteiligung“ und einer Verschiebung der „Organisationsverantwortung“ hin zu einigen wenigen „Führungspersönlichkeiten“ , die niemand rechenschaftspflichtig sind (Vgl. Jörg Bogumil, Rolf G. Heinze, Stephan Grohs, Sascha Gerber, Hochschulräte als neues Steuerungsinstrument? Eine empirische Analyse der Mitglieder und Aufgabenbereiche, 2007, Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung [PDF – 481 KB])

      Die einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft nachgebildete Aufsichtsratsstruktur der Hochschulräte kommt einer funktionellen Privatisierung der öffentlichen und staatlich nur noch „bezuschussten“ Hochschulen gleich. Die öffentlichen Hochschulen werden zwar noch staatlich subventioniert, die „Differenz zwischen staatlicher und privater Hochschulträgerschaft“ verliert aber an Bedeutung (Siehe Enrique Fernández Darraz, Gero Lenhardt, Robert D. Reisz, Manfred Stock, Hochschulprivatisierung und akademische Freiheit, hrsg. vom Institut für Hochschulforschung (HoF) 2010; ähnlich auch „Rolle und Zukunft privater Hochschulen in Deutschland“, eine Studie des Stifterverbands in Kooperation mit McKinsey & Company [PDF – 3.7 MB]).

    8. Der Vorhalt, die jetzige Landesregierung wolle die Hochschulen wieder „bevormunden“, ist jedoch de lege lata widersprüchlich. Denn nach § 6 Abs. 2 HG NRW schließt das Ministerium mit jeder Hochschule Vereinbarungen für mehrere Jahre über strategische Entwicklungsziele und konkrete Leistungsziele. Diese sog. Zielvereinbarungen mit der Exekutive haben einen vormals unbekannten Detailierungsgrad. Danach kann das Ministerium mit Geld als „goldenem Zügel“ die Hochschule „anreizen“ die gewünschten Ziele zu erreichen, d.h. „ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen (kann) nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden“.
      Und wenn der Geldanreiz dann immer noch nicht zum gewünschten Verhalten der Hochschule führt, dann kann das Ministerium das von ihm vorgegebenen Verhalten erzwingen.
      In § 6 Abs. 3 HFG NRW heißt es: „Wenn und soweit eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt, kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen mit dem Hochschulrat Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen festlegen.“

      Dem Parlament selbst stehen außer über das allgemeine Haushaltsrecht jedoch keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten bei den Zielvereinbarungen zu. Diese werden in aller Regel zwischen den Hochschulleitungen und dem Ministerium geschlossen.

    9. Die Fraktionen von CDU und FDP beziehen sich zur Unterstützung ihres Antrags auf ein „Positionspapier der Vorsitzenden deutscher Hochschulräte“ [PDF – 137 KB]. Das Positionspapier wurde zunächst von Hochschulratsvorsitzenden entwickelt und unterzeichnet, die sich im Forum Hochschulräte einer von der Heinz Nixdorf Stiftung und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft in Kooperation mit dem bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) als Plattform zusammengefunden haben. Diese Austauschplattform für Hochschulratsmitglieder wird also von dezidierten Befürwortern der Hochschulratsstruktur getragen und ist insofern parteilich bzw. tritt mindestens so „ideologisch“ (so der Vorwurf auf Seite 2 des Antrags der Fraktionen von CDU und FDP gegenüber den Plänen einer Novellierung des Hochschulgesetzes) für diese „Grundstrukturen“ ein, wie möglicherweise die Kritiker, die die Hochschulräte abschaffen wollen oder ihnen eine verfassungsgemäße und einem Ehrenamt funktionsgerechte Rolle einräumen oder dem demokratischen Gesetzeber und dem Staat wieder eine größere „Gewährleistungskompetenz“ für eine freie und autonome Wissenschaft zubilligen wollen.

      Es wäre im Übrigen eine bemerkenswerte und höchst selten zu beobachtende Tatsache, wenn die das „Positionspapier“ unterzeichnenden Vorsitzenden der Hochschulräte ihre eigene Funktion in Frage stellen würden. Es ist vielmehr umgekehrt so, dass dieses Papier eine politische Einlassung voller unkritischem Selbstlob für die eigene Tätigkeit darstellt. Hier spiegelt sich das für einmal eingerichtete Institutionen typische Beharrungsverhalten wider.
      Auffallend ist, dass die Selbsteinschätzung der strategischen Kompetenz durch die Hochschulratsmitglieder erheblich höher liegt als die Einschätzungen durch die Hochschulleitungen und schon gar durch die Hochschullehrer im Senat (Marcinkowski/Kohring a.a.O. S. 44.)„Statistisch gesehen scheint in erster Linie ein Effekt einer besonders hohen Selbstwertschätzung des Hochschulrats vorzuliegen.“ (Ebd. S. 46)

      Es ist auch nur zu selbstverständlich, dass die in der Anhörung vom 16. Dezember vertretenen Experten von Seiten der Hochschulleitungen, die im Hochschulgesetz verankerte Managementstruktur verteidigen. Wer würde schon eine einmal durch Gesetz eingeräumte Machtstellung gerne wieder in Frage stellen lassen wollen. Dass mit dem Hochschulgesetz NRW die monokratischen Leitungsorgane zu Lasten der Kollegialorgane gestärkt wurden, ist unbestreitbar. Und dass die Hochschulpräsidien mit dem Hochschulrat im Rücken eine zusätzliche Dominanz erfahren ist empirisch erhärtet. Und welche Hochschulleitung würde sich schon ohne Not gegen einen Hochschulrat stellen, von dem sie gewählt oder im Zweifel abgewählt werden kann.

      Sowohl das „Positionspapier der Hochschulratsvorsitzenden“ als auch die Stellungnahmen der Experten bei der Anhörung vom 16. Dezember 2011 stehen der politischen Bewertung offen. Dass sie „Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung des Hochschulfreiheitsgesetzes in Bezug auf die Hochschulräte“ sein sollen, ist wiederum selbst ein politisches Urteil.

  3. Wissenschaftliche Evaluierung des Hochschulgesetzes NRW
    Im Antrag der Fraktionen von CDU und FDP wird eine „Evaluierung des Hochschulfreiheitsgesetzes“ gefordert.

    Gegen eine wissenschaftliche Evaluierung ist prinzipiell nichts einzuwenden.

    Nach § 7 Abs. 3 Hochschulgesetz NRW kann das Ministerium hochschulübergreifende, vergleichende Begutachtungen der Qualitätssicherungssysteme der Hochschulen (Informed Peer Review) sowie Struktur- und Forschungsevaluationen veranlassen.
    Das Ministerium führt nun seit geraumer Zeit Dialoge und Experteninterviews und -gespräche mit den Hochschulangehörigen und mit gesellschaftlichen Gruppen durch und hat angekündigt, dass es über die Eckpunkte zur Weiterentwicklung des nordrhein-westfälischen Hochschulrechts bis zur Novelle eines Gesetzes zum Wintersemester 2014/15 „in der Hochschulforschung renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Prozess einbeziehen“ will.

    Es bleibt unklar, wo der Unterschied zu der im Antrag geforderten „wissenschaftlichen Evaluierung“ liegen könnte.

    Es gibt auch schon eine reichhaltige wissenschaftliche Literatur sowohl zum New Public Management an den Hochschulen als auch speziell zu den Hochschulräten. Natürlich gibt es noch Forschungslücken, aber eine weitere „wissenschaftliche Evaluierung“ dürfte keine grundlegend neuen Erkenntnisse bringen, sondern nur viel Zeit, Geld und Ressourcen der Hochschulen kosten.

    Auch die beste wissenschaftliche Evaluation kann jedoch eine politische Entscheidung des Gesetzgebers nicht ersetzen. Die jüngeren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum brandenburgischen Hochschulgesetz (BVerfGE 111, S. 333ff. / 2004), zu den niedersächsischen Stiftungshochschulen (BVerfGE 135, S. 286ff. / 2009) zum hamburgischen Hochschulgesetz (BVerfGE 127, S. 87ff. / 2010) und zur W-Besoldung in Hessen (BVerfG, Az. 2 BvL 4/10) zeigen, dass dem Gesetzgeber vom Grundgesetz keine bestimmte Organisation des Wissenschaftsbetriebs vorgegeben ist, sondern ihm bezüglich „der Eignung neuer Organisationsformen eine Einschätzungsprärogative und Prognosespielraum“ (Bogumil et al. S. 59) eingeräumt ist.

    In jedem Falle sehe ich den Gesetzgeber gehalten, die oben genannten verfassungsrechtlich bedenklichen Bestimmungen des derzeit geltenden Hochschulgesetzes gerade auch zu den Kompetenzen der Hochschulräte einer Korrektur zu unterziehen, die die Zweifel an ihrer Verfassungskonformität beseitigt.

Zu III.: Hochschulautonomie zukunftsgerecht weiterentwickeln – Demokratische Strukturen stärken, Verantwortung des Landes wahrnehmen
Antrag der Fraktionen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1898 [PDF – 140 KB]

In dem Antrag geht es um eine neue Balance zwischen der institutionellen Autonomie der Hochschulen einerseits und der demokratischer Verantwortung des Staates sowie der Stärkung der Selbstverwaltungsorgane der Hochschule andererseits.

Es ist zutreffend, dass mit dem Hochschulgesetz 2000 und dem Hochschulreformweiterentwicklungsgesetz 2004 den Hochschulen eine so weitgehende institutionelle Autonomie eingeräumt wurde, wie in kaum einem anderen Bundesland.

Der dem Hochschulgesetz NRW zugrunde liegende Leitbildwechsel (siehe oben I. 1.) hin zur „unternehmerischen“, wettbewerbsgesteuerten Hochschule mit einer einem Wirtschaftsunternehmen nachempfundenen Managementstruktur wird jedoch in dem Antrag nur unzureichend beschrieben. Das „Hochschulfreiheitsgesetz“ ist nicht etwa auf halber Strecke stehen geblieben, sondern hat unter dem von den Hochschulen mit großer Sympathie aufgegriffenen Tarnwort „Autonomie“ die Organisationsprinzipien der „unternehmerische Hochschule“ so umfassend durchgesetzt, wie das in kaum einem anderen Bundesland geschehen ist.

Wenn man allerdings dem Paradigma der wettbewerbsgesteuerten Hochschule folgt, das die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit (als primär subjektives Freiheitsgrundrecht der Hochschulangehörigen) auf die Autonomie der Institution Hochschule verengt, dann muss man relativ umständlich die staatliche Verantwortung gegenüber den Hochschulen – wie das im Antrag geschieht – über den Umweg des erst seit einigen Jahren in die (politische) Debatte eingeführte Konzepts der „Gewährleistungsverantwortung“ wieder einführen.

(Anmerkung: Es ist umstritten, ob das Konzept des „Gewährleistungsstaats“ und der „Gewährleistungsverantwortung“ eine weiterführende Synthese des traditionellen Verständnisses eines Wohlfahrtsstaates und dem neoliberalen Staatsverständnis darstellt. Vgl. dazu etwa Christoph Reichard, Das Konzept des Gewährleistungsstaates, 2003 [PDF – 539 KB])

Dabei lässt sich die Rolle und Verantwortung des Staates gegenüber den öffentlichen Hochschulen viel unmittelbarer aus dem Grundgesetz und der kontinuierlichen Verfassungsrechtsprechung ableiten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes zum einen jedem, der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will – also auch Studierenden – primär ein subjektives, individuelles Freiheitsrecht. Zum anderen leitet das Gericht aus diesem subjektiven Grundrecht mittelbar eine „institutionelle Garantie“ der Hochschule ab. Damit sich Forschung und Lehre ungehindert in dem Bemühen um Wahrheit entfalten können, ist die Wissenschaft selbst – wie es das Bundesverfassungsgericht formulierte – zu einem von staatlicher Bevormundung freien Bereich autonomer Verantwortung der einzelnen Wissenschaftler und der in ihr tätigen Universität erklärt worden. Diesem „Doppelcharakter“ der Wissenschaftsfreiheit liegt der Gedanke zu Grunde, dass “gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft am besten dient” (BVerfGE 47, 327 (370)).

Die institutionelle Autonomie gegenüber dem Staat hat ihre Begründung darin, dass die staatlich finanzierten Hochschulen einen Ort bieten sollten, an dem sich frei von staatlichen oder politischen Interessen die Gesellschaft selbst zum Gegenstand ihres kritischen Denkens macht. Hochschulen sollten, wie Parsons das ausdrückte, als „Treuhänder der Gesellschaft“ fungieren. Und um das leisten zu können, sollten sie von den Verhältnissen und Interessen, die sie ja gerade aufklären sollen, unabhängig sein. Das ist der eigentliche Sinn der Hochschulautonomie.

Der Freiraum der Hochschul-Autonomie ist also nach der Wertung des Grundgesetzes weder für eine vom Staat und der Gesellschaft nischenhaft (in „Einsamkeit und Freiheit“) abgekapselte noch für eine vom Wettbewerb um die Einwerbung von Drittmitteln gesteuerte, sondern für „eine letztlich dem Wohle des einzelnen und der ganzen Gesellschaft dienende Wissenschaft verfassungsrechtlich garantiert“ (BVerfG a.a.O.). Der (Kultur-) Staat hat eine Förder- und Schutzaufgabe, ihm ist deshalb auf dem Feld der Hochschulen weder Untätigkeit gestattet, noch darf er sich damit begnügen, sie zu finanzieren und sie im Übrigen sich selbst zu überlassen oder sie gar gesellschaftlichen Einzelinteressen auszuliefern (Vgl. meine Stellungnahme für das Sachverständigengespräch des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie am 16. Dezember 2011).

„Autonomie“ der Hochschule bedeutet deshalb nicht den Rückzug der staatlichen Verantwortung zugunsten einer unternehmerischen Autonomie der Hochschule im Sinne einer funktionellen Privatisierung und zugunsten einer der einzelunternehmerischen Wettbewerbslogik unterworfenen autokratischen Leitungsstruktur. Autonomie heißt vielmehr die gesetzliche Gewährleistung der Freiheit der Wissenschaft in einer demokratischen Hochschule zum Nutzen und Fortschritt der gesamten Gesellschaft und nicht nur von wirtschaftlichen Einzelinteressen. (Siehe dazu „Das Leitbild Demokratische und Soziale Hochschule, Hans-Böckler-Stiftung S. 11 [PDF – 788 KB])

Geboten wäre somit ein demokratisch anschlussfähiges Autonomieverständnis, das die Selbstbestimmung der Grundrechtsträger der Wissenschaftsfreiheit und die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschule miteinander vermittelt. Mitbestimmung und Partizipation der Wissenschaftler (und auch der Studierenden) als Grundrechtsträger ist aus dieser Sicht ein unverzichtbarer Bestandteil einer autonomen Hochschule (Siehe auch „Für eine demokratische und soziale Hochschule, Das hochschulpolitische Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes”, S. 18f.)

Gerade die staatliche gewährte Freiheitsgarantie und nicht zuletzt die ganz überwiegende Finanzierung durch die Allgemeinheit begründen nicht nur die Verantwortung der Hochschulen gegenüber der Gesellschaft, sondern auch eine Pflicht der Wissenschaftler über die Ziele, Inhalte, Ergebnisse und die Folgen von Forschung und Lehre selbstkritisch gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen. Die Hochschule in der Demokratie ist zu Transparenz und Kommunikation verpflichtet (Stichworte: „Open Access“, Wissenstransfer). Dies schon deshalb, um in den verteilungspolitischen Auseinandersetzungen bei knappen öffentlichen Haushalten erfolgreich sein zu können.

Zu einem demokratisch anschlussfähigen Autonomieverständnis gehört selbstverständlich auch, dass das Parlament und die parlamentarisch kontrollierte Exekutive „eine für die gesamte Hochschullandschaft verbindliche, strategische Planung des Landes (Landeshochschulentwicklungsplan)“ vorgeben und „Rahmenvorgaben im Bereich der Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten sowie der Personalverwaltung (etwa Sicherung „Guter Arbeit“, „European Charter for Researchers“) machen können, wie das mit den „Eckpunkten zum Entwurf eines Hochschulzukunftsgesetzes“ in den Dialogprozess eingebracht wurde [PDF – 17.4 KB]. Der Staat hat damit auch für eine aufgabengerechte Finanzierung der Hochschulen Sorge zu tragen und der Haushaltsgesetzgeber hat ein Recht auf ein angemessenes „Finanzcontrolling“ der Hochschulen.

Die staatliche Verantwortung gegenüber dem Hochschulwesen ergibt sich – was in der Autonomiedebatte vielfach in Vergessenheit geraten ist – auch daraus, dass die Hochschulen ein wichtiger Teil des Bildungssystems sind und Wirtschaft und Gesellschaft ein massives Interesse an wissenschaftlicher Qualifizierung haben. Mehr als ein Fünftel aller Arbeitskräfte werden derzeit an den Hochschulen ausgebildet. Gesellschaftlicher Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung hängen wesentlich von der Qualität des Bildungs- und Wissenschaftsbereich ab. Um das zu gewährleisten reicht die „einzelbetriebliche Perspektive“ der Hochschulen nicht aus. Das erfordert einen ständigen Dialog und eine Kooperation zwischen den Bildungsbereichen, die Gewährleistung der Durchlässigkeit im Tertiären Bildungssektor oder auch eine Ausrichtung der an den Hochschulen vermittelten Qualifikationen an der Beschäftigungsfähigkeit und eine Steuerung der (Ausbildungs-) Ressourcen am gesellschaftlichen Bedarf.

Viele andere hier nicht genannten Aspekte mehr belegen eine staatliche Gesamtverantwortung für das Hochschulwesen, die gegenüber der Verantwortung der „entfesselten Hochschulen“ (Detlef Müller-Böling) in eine neue Balance zu bringen ist bzw. die eine „Verantwortungspartnerschaft“ zwischen Parlament und Exekutive einerseits und den sich selbstverwaltenden Hochschulen andererseits begründet. Wer diese staatliche Gesamtverantwortung als Volksvertreter nicht anzunehmen bereit ist, leistet in der Tat, wie es in dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt, einen hochschulpolitischen „Offenbarungseid“.

Zu IV. Entschließungsantrag zum Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 16/1898 Hochschulautonomie zukunftsgerecht weiterentwickeln – Demokratische Strukturen stärken, Verantwortung des Landes wahrnehmen: „Ein neues Hochschulgesetz für NRW anstatt eine Weiterentwicklung des Hochschulfreiheitsgesetzes“ [PDF – 80.1 KB]

Zur Schilderung der Ausgangslage in diesem Entschließungsantrag habe ich an verschiedenen Stellen schon Stellung genommen.

Den Beschreibungen über die Bürokratisierung füge ich noch folgende Zitate des Bamberger Soziologen Richard Münch an: „Es wächst der Verwaltungsapparat und es schrumpfen Forschung und Lehre… Die Verwaltung ist nicht länger Diener der Professoren, sondern operatives Kontrollorgan der Universitätsleitung. Sie betreibt nicht mehr „altmodische“ Kameralistik und bürokratische Aktenführung nach Sachgebieten, sondern „modernstes“ Prozessmanagement, gleichwohl in der Übergangszeit noch mit altgedientem Personal, das mit seiner neuen Rolle noch nicht richtig zurechtkommt, in der Regel schlicht überfordert ist… Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und Sekretariate müssen einen zunehmenden Teil ihres Zeitbudgets für diese „fortschrittliche“ Art der Administration verwenden. Für Forschung und Lehre selbst bleibt immer weniger Zeit.“

Zu II. 1.) Es wäre für die Entwicklung des Hochschulwesens im Lande sicherlich interessant, eine Bilanz zwischen „Siegern“ und „Besiegten“ aufzustellen.

Zu II. 2.) Das „Hochschulfreiheitsgesetz“ hat in der Tat keine Bürokratie abgebaut, sondern eine Vielzahl von Parallel-Bürokratien innerhalb der einzelnen Hochschulen aufgebaut.

Zu II. 3.) Entscheidend für eine Novelle des Hochschulgesetzes wäre, dass dem Leitbild der wettbewerbsgesteuerten „unternehmerischen Hochschule“ ein alternatives Leitbild in Richtung auf eine demokratische und soziale Hochschule entgegengesetzt und eine neue Balance zwischen staatlicher Gesamtverantwortung und hochschulischer Selbstverwaltung gefunden wird.

Zu III. 4.) Das Leitbild der „Unternehmerischen Hochschule“, das dem aktuellen Landeshochschulgesetz zugrunde liegt, hat noch nie zu den Hochschulen gepasst.

Zu III. 1.) Siehe oben die Ausführungen zu einer wissenschaftlichen Evaluation unter II. 3.

Zu III. 2.) Grundsätzlich sollten alle vier Mitgliedsgruppen an den Hochschulen paritätische Mitentscheidungsrechte in den Gremien haben. Keine Gruppe sollte gegen alle anderen entscheiden können. Über die Zusammensetzung der Gremien hinaus sollten Beauftragte für benachteiligte Gruppen eingesetzt werden.
Darüber hinaus sollten moderne informeller Partizipations- und Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Zu III. 3.) Siehe oben unter I. 3.

Zu III. 4.) In jedem Fall sollte die Dienstvorgesetzten-Funktion des/r Hochschulratsvorsitzenden gegenüber den hauptberuflichen Präsidiumsmitgliedern abgeschafft werden. Diese Dienstvorgesetzten-Funktion wird auch von der Hochschulrektorenkonferenz bemängelt, weil sie eine sachliche Überforderung des Ehrenamtes darstellt. Die Anwendung der formalen Regelungen des Dienstrechts auf die Präsidiumsmitglieder durch das Ministerium würde dessen Gestaltungsfreiheit nicht tangieren.


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