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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Strompreise machen Angst und das sollen sie auch
Datum: 9. August 2012 um 17:13 Uhr
Rubrik: Energiewende, Lobbyismus und politische Korruption, Verbraucherschutz
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Die Strompreise lassen so manchen Bürger an der Richtigkeit der sogenannten Energiewende zweifeln. Hiobsbotschaften über weiter steigende Strompreise durch den Atomausstieg sind Wasser auf die Mühlen der Atomapologeten und der Energiebranche. Die Gewinne der Konzerne durch die Laufzeitverlängerung der AKW wurden nie auf die Kunden umgelegt und solche Geschenke mag man von Unternehmensseite ungern wieder hergeben. Die Drohung mit Strompreiserhöhungen hat jedoch wenig mit dem zu tun, was behauptet wird.
Von Franz Thienel und Sabine Schiffer[*]
So stellt MdB Göppel (CSU) fest: dass der Strompreis sinkt, aber die Preissenkung werde nicht an die Kunden weiter gegeben. In seinem offenen Brief an sein Bundestagskollegium heißt es dazu: „Demgegenüber sank an der Strombörse Leipzig innerhalb des letzten Jahres der Terminmarktpreis von 6,2 auf 5,0 Cent pro kWh.“ Und er fragt: „Warum wird diese vom hohen Angebot erneuerbarer Energien herkommende Senkung des Einkaufspreises nicht an die Stromkunden weitergegeben?“[1]
Dazu muss man Folgendes wissen: Seit Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) Anfang 2000 muss Strom aus regenerativen Quellen vorrangig ins Netz eingespeist werden mit dem Ziel, CO2-emmitierende Kraftwerke sukzessive abzulösen. Um das zu erreichen wurde im EEG festgelegt, dass die Kosten[2] für die Verstromung täglich „geschenkter“ Primärenergie (aus Sonne, Wind, Wasser etc.) auf die Allgemeinheit der Verbraucher umgelegt werden. Dadurch ist der Verkauf dieser Stromsorten an der Strombörse immer garantiert, während der Strom der teuersten konventionellen Kraftwerke in der Börsenlistung teilweise nicht mehr zum Zuge kommt. Durch das Verdrängen teurer konventioneller Kraftwerke sinkt der Börsenpreis für Strom.
Für die Konzerne bedeutet dies einen doppelten Verlust: Da der Börsenpreis fällt, ist ihre Gewinnmarge geringer. Und da sie ihren eigenen Strom manchmal nicht mehr einbringen können, fallen ihre Gewinne weiter. Trotz der Umlagefinanzierung regenerativer Energien wird nicht primär der Strom teurer, sondern lediglich die Gewinnmarge der Anbieter schmilzt. Dies dürfte das Gebaren der Stromkonzerne in der öffentlichen Debatte erklären. (Details zum Verfahren an der Strompreisbörse lassen sich im beigefügten Kasten nachvollziehen.[**] )
Hinzu kommt noch, dass durch Solarstrom oftmals genau dann viel Strom zur Verfügung steht, wenn Spitzenlasten auftreten – nämlich zur Mittagszeit. Das Vorhalten eigener Kraftwerke – die manchmal dauerhaft laufen – zur Abdeckung der Spitzenlast, die aber nur wenige Male im Jahre überhaupt zum Zuge kommen, wird dadurch überflüssig. Auch wäre der von den Konzernen und der Politik geforderte teure Netzausbau der Fernübertragungsleitungen unnötig, wenn erneuerbare Energie mit integrierten Stromspeichern stets dort Strom liefert, wo er benötigt wird: lokal, also dezentral.[3] Darüber hinaus ist der volkswirtschaftliche Nutzen regenerativer Energien äußerst wichtig: Sie liefern langfristig stabile „eigene“ Primärenergie, was z.B. die Teilnahme an den sog. „neuen Kriegen“ um fossile Ressourcen obsolet macht. Neben dem friedenspolitischen Aspekt hätte das auch positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vor Ort.
Der preissenkende Effekt (der „Merit-Order-Regelung*) wird mit zunehmender Einspeisung erneuerbarer Energien größer als der preiserhöhende Umlage-Effekt (durch die Einspeisevergütungen) , wird aber von den Versorgern nicht an die Verbraucher weitergegeben, sondern in die eigene Tasche gesteckt. Seit Jahren wird lediglich der preiserhöhende Effekt auf den Stromrechnungen als „EEG-Differenzkosten“ für erneuerbare Energien ausgewiesen. Die Stromkunden glauben dann, Strom aus erneuerbaren Energien würde sie um diesen Betrag finanziell stärker belasten als Strom aus fossiler Energie und Atomenergie. Doch das ist ein Irrtum, der durch das Bundeswirtschaftsministerium und die Stromwirtschaft zu Lasten der erneuerbaren Energien gerne gepflegt wird.[4]
Dementsprechend wird die Photovoltaik-Förderung beendet, auch wenn diese nicht ansatzweise die Höhe der Summen erreicht hat, die zur Förderung der Atomindustrie ausgegeben wurden. Interessant ist auch die gängige Praxis, bei Solarzellen den Energieinput (also die Gesamtenergiemenge zur Herstellung der Anlagen) mit dem -Energieoutput zu vergleichen – was bei der Berechnung des angeblich günstigen Atomstroms nicht geschieht. Und das, obwohl Atomstrom mit über 300 Mrd. Euro staatlich gefördert wurde – und die Anlagen weder versichert sind, noch die Entsorgung der Brennstäbe sicher gestellt ist. Es ist auch zukünftig nicht geplant, dass solche Kosten bei den Konzernen anfallen und so deren Gewinne schmälern.[5] Die Kosten für die Entsorgung des Atommülls bleiben der Allgemeinheit aufgebürdet. Andererseits werden die Stromkunden nun durch eine Debatte über Strompreiserhöhungen verunsichert, die durch den Ausstieg aus dem Atomstrom anfallen sollen. Auch der neue Bundesumweltminister Altmaier, der eng mit den großen Energiekonzernen kooperiert, stößt in dieses Horn.
Die Bevorzugung der Großkonzerne sieht man auch daran, dass die kartellrechtlich gerügten Preisabsprachen der vier großen Energiekonzerne (EnBW, Vattenfall, RWE und E.ON) noch nicht zu einer Reaktion von politischer Seite geführt haben. Die Konzerne konnten von 2002 bis 2010 ihre Gewinne versiebenfachen.[6] Auch deren Besitz der Stromnetze ist nicht unproblematisch, schließlich erfüllen die Netze eine öffentliche Aufgabe und gehörten eigentlich in die öffentliche Hand – zumal, wenn jetzt über Umlagen und Beteiligung der Bevölkerung an Netzausbaukosten nachgedacht wird!
Beim Thema Windstrom verläuft die Debatte anders: Überall, wo lokale Windkraftanlagen entstehen sollen, melden sich in Windeseile „Bürgerinitiativen“ zu Wort. Deren Sprecher sind in der Regel Personen, die nie zuvor in der Lokalpolitik eine Rolle gespielt haben. Sie werden erst erschreckt und dann trainiert von Argumentationsbroschüren des Bundesverbands Landschaftsschutz (BLS). Als Referenten zum Thema Windkraft laden solche „Bürgerinitiativen“ dann häufig Sprecher des BLS ein. Wo die direkte Einflussnahme des BLS endet und echtes Bürgerengagement beginnt, ist dabei oft schwer abzuschätzen. Fest steht: Mit Hilfe unbekannter, aber nie versiegender Geldquellen ist es dem BLS gelungen, an Dutzenden von Windkraft-Standorten eine St.-Florians-Dynamik aufzubauen, die friedliche Dörfer in bisher kaum gekannter Weise spaltet – wie die Recherchen Claudia Peters eindrücklich belegen.[7] Die Verunsicherungsthemen sind Tier- und Landschaftsschutz (gerade so, als wären Stromtrassen schön und gut verträglich). In vielen Fällen liegt der Verdacht nahe, dass es sich dabei um ein vom BLS betriebenes sog. Astroturfing handelt, also um die Inszenierung einer Graswurzelbewegung, die in Wirklichkeit ganz anderen, „höheren“ Interessen dient.
Bei den großen Offshore-Projekten, wo Windkraftanlagen von großen Stromkonzernen fernab der Küste im Meer gebaut werden sollen mitsamt den dazu gehörigen Stromnetzen von Nord nach Süd, sind vergleichbare Umweltbedenken kaum zu vernehmen – jedenfalls nicht von diesen (angeblichen) Bürgerbewegungen. Auch der Strom aus der Wüste, den die Desertec-Foundation propagiert, scheint vor allem dem Zweck zu dienen, Großkonzernstrukturen zu erhalten und eine dezentrale alternative Energieversorgung zu verhindern.[8]
Die Energiewirtschaft braucht viele Verbündete, um die Mythen über die Energieversorgung und den Strompreis aufrechterhalten zu können. Anhand zweier Beispiele kann das PR-Prinzip nachvollzogen werden: Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) (ehemals „Kernforschungszentrum“) ist zum Beispiel bereits in der Vergangenheit mit einseitigen Stellungnahmen und einer erkennbaren Affinität zu Großkonzernen und der Atomindustrie aufgefallen. Insofern verwundert die medienwirksame Veröffentlichung einer Angst machenden Studie vom Mai 2012 nicht, wonach bis 2025 die Strompreise um 70 Prozent steigen sollen. Es wäre von öffentlichem Interesse der Frage nachzugehen, wer die 124 Mio € Drittmittel für die Forschung des KIT beisteuert.
Der Journalist Christian Fuchs entlarvte z.B. den Verein „Bürger für Technik e.V.“ (BfT) als verlängerten Arm der Atomindustrie. Dieser Lobbyverein bietet vor allem jungen Leuten kostenlose Technologieberatung aus der interessenbezogenen Sicht der Energiewirtschaft an. Mit Botschaften wie „Atomenergie ist gut, alternative Energien werden überschätzt“ wird entsprechende Stimmung gemacht. Fuchs beschreibt umfassend, wie Scheinorganisationen Aktionsformen der Umweltbewegung nutzen – Astroturfing eben.[9]
Anhand der angeführten Beispiele wird ersichtlich, wie leicht und stark manipulierbar die öffentliche Meinung in diesem Themenfeld ist. Leider und wie so oft funktionieren die meisten Medien bei den gezielten Desinformationskampagnen nicht als Aufklärer sondern übernehmen gar die Propaganda der Energiewirtschaft kritiklos. Auch auf diesem Feld versagen die meisten Medien in ihrer aufklärenden Rolle als „vierte Gewalt“.
[«**]Der sog. Merit-Order-Effekt ist für das Sinken der Strombörsenpreise verantwortlich. „Merit-Order-Effekt“ ist ein Begriff aus der Kraftwerkseinsatz-Planung (merit, engl. für: der Vorzug, Vorrang). Als Merit-Order bezeichnet man an der Strombörse die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke. Diese Reihenfolge bestimmt sich in der Regel über den Preis. Dazu werden die am Vortag abgegebenen stündlichen Preis-Mengen-Gebote der Stromanbieter verwendet.
In Wikipedia heißt es dazu: Beginnend mit den niedrigsten Grenzkosten werden solange Kraftwerke mit höheren Grenzkosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. An der Strombörse bestimmt das letzte Gebot, das noch einen Zuschlag erhält, den Strompreis (Market Clearing Price). Der Preis für Strom wird also durch das jeweils teuerste Kraftwerk bestimmt, das noch benötigt wird, um die Stromnachfrage zu decken.[10]
Die Merit-Order gilt aber nicht für Kraftwerke, die EEG-Strom nach dem Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) einspeisen. Für diese wird der Markteintritt gesetzlich garantiert. Aufgrund der vorrangigen EEG-Einspeisung werden also nicht mehr die absolut teuersten Kraftwerke aus dem Markt genommen, sondern nur die verbliebenen teuersten konventionellen Kraftwerke.[11]
Konkret sieht das Verfahren so aus: Da z.B. Solarstrom den höchsten Strompreis hat, würde er in der Merit-Order-Reihe ganz rechts bei den teuersten Spitzenlastströmen stehen und würde an der Börse nie zum Zuge kommen. Deshalb wird Solarstrom von den Netzbetreibern an der Börse nicht mit seinem eigentlichen Preis, dem EEG-Strompreis angeboten, sondern er wird als billigster Strom zu einem Preis von Null angeboten[12]. So ist sichergestellt, dass die umweltverträglichen Stromsorten ganz links in der Merit-Order-Reihe stehen und deshalb auch immer verkauft werden. Wenn die Menge der eingespeisten erneuerbaren Energien erhöht wird, verschieben sich die rechts davon eingeordneten Angebote und damit die gesamte Angebotskurve nach rechts. Die Nachfragekurve verändert ihren Platz nicht. Es kommt deshalb zu einem neuen Schnittpunkt mit der Nachfragekurve. Und das bedeutet die Senkung des Einkaufspreises an der Strombörse, wie man am folgenden Schaubild sieht.
Die Kostenersparnis durch den Merit-Order-Effekt lag laut Berechnungen des Umweltministeriums (BMU) bereits im Jahr 2006 bei ca. 5,0 Mrd. €.[13] Diese Ersparnis schmälert aber die Gewinne der Konzerne, wogegen sich diese massiv wehren.[14]
[«1] Göppel – Wird die Energiewende zurückgedreht
[«2] das sind die (Strom-) Gestehungskosten, die von 2000 bis 2012 rapide sanken: onshore Windkraftanlagen um ca. 40 Prozent, kleinere PV-Dachanlagen um ca. 61 Prozent.
[«3] Wegen der zuverlässigen Begrenzung der solaren Höchstleistung auf 0,3 Peak [durch die integrierten Stromspeicher] sind Leistungsübertragungen in fernere Regionen jedoch nicht notwendig. Die zur Verfügung gestellte Leistung kann in der eigenen Region genutzt werden. [Strom aus Wind bei Windstille und Strom aus Sonne in den Nachtstunden] siehe hier.
[«4] Im “Informationsportal für Verbraucher” des BMWi ist zu lesen:
“(…) Wie hoch erneuerbare Energien insgesamt subventioniert werden, erkennt man anhand der so genannten Differenzkosten. Das ist der Unterschied zwischen den gezahlten Fördervergütungen und den (eingesparten) durchschnittlichen unternehmensspezifischen Strombezugskosten, d.h. sämtlichen Kosten, die bei dem jeweiligen Energieversorgungsunternehmen für den Strombezug tatsächlich entstanden sind. Diese Differenzkosten betrugen 2008 über 4,5 Milliarden EUR insgesamt, für das Jahr 2015 sind nach den derzeitigen Regelungen im EEG über 7 Milliarden EUR zu erwarten. (…)”
So werden die erneuerbaren Energien in Misskredit gebracht.
s. auch: Quellen hier und hier.
[«5] Greenpeace – Atomstrom kostet Bundesbürger 304 Millarden Euro staatliche Förderung
[«8] IMV – Schiffer Solarstrom in Joradnien [PDF – 81,3 KB]
[«11] Strom-Prinz – Merit – Order – Effekt
[«12] Solarenergie bedroht also nicht die Verbraucher, sondern vor allem die Gewinne der Atomindustrie und Großenergiekonzerne: Die EEG-Umlage ist eine Ausgleichszahlung der Stromkunden an die Netzbetreiber für die Differenz zwischen dem tatsächlichen Strom- und dem Börsenpreis. Die EEG-Umlage [in Euro] ist das Produkt aus EEG-Strommenge [in MWh] und durchschnittlicher EEG-Vergütung [in Euro / MWh]. (s. hier)
[«13] „Ökonomische Wirkungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“, Untersuchung des Ingenieurbüro für neue Energien im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Quelle EEG Kosten – Nutzung [PDF – 267 KB])
[«14] Übertragungsnetzbetreiber(ÜNB) sind die vier großen Energieanbieter RWE, Vattenfall, E.ON und EnBW, deren Tochtergesellschaften die deutschen Übertragungsnetze besitzen.
letzter Webseitenaufruf bei den Quellen: 04.08.2012
[«*] Sabine Schiffer ist Leiterin des Instituts für Medienverantwortung gUG in Erlangen, Franz Thienel ist Diplom Ingenieur und freier Mitarbeiter des IMV.
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