Kontenkrieg gegen Libyen
Weitestgehend unbeachtet von den Medien hat in den letzten Wochen eine Hand voll Länder libysche Vermögenswerte im Volumen von rund 50 Milliarden Dollar eingefroren. Obgleich die Eigentumsfrage an diesen Vermögenswerte völkerrechtlich umstritten ist, wachsen dies- und jenseits des Atlantik bereits die Begehrlichkeiten. Während man in den USA und der EU noch taktiert, haben einige afrikanische Staaten kurzerhand die Besitztümer des ehemaligen Vorreiters eines politischen und wirtschaftlichen Panafrikanismus still enteignet. Je länger der Bürgerkrieg in Libyen dauert, desto größer wird auch das völkerrechtliche Dilemma rund um das eingefrorene Vermögen. Jens Berger
Mit der UN-Resolution 1970 ordnete der UN-Sicherheitsrat am 26. Februar dieses Jahres an, dass alle UN-Mitgliedsstaaten sämtliche Vermögenswerte einfrieren sollen, die direkt oder indirekt vom libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi und seinem Clan kontrolliert werden. Gleichzeitig bekundete der Sicherheitsrat die Absicht, dass die eingefrorenen Vermögenswerte zu einem späteren Zeitpunkt „an das libysche Volk […] zu seinem Nutzen“ übereignet werden sollen. Anders als die Nachfolgeresolution 1973, die sich beim Thema „Einfrieren der Vermögenswerte“ auf die Resolution 1970 bezieht und bei der sich unter anderem Deutschland, Russland und China der Stimme enthielten, wurde die Resolution 1970 vom Sicherheitsrat einstimmig angenommen.
Die USA eröffnen den Kontenkrieg
Am 25. Februar – also bereits einen Tag vor der Verabschiedung der UN-Resolution 1970 – unterschrieb US-Präsident Obama die Executive Order 13566 [PDF – 201 KB], auf deren Basis die US-Behörden innerhalb weniger Tage Finanztitel im Werte von mehr als 30 Milliarden Dollar einfroren. Der mit Abstand größte Anteil dieser Finanztitel bestand dabei aus den Bankvermögen und kurzfristigen Einlagen des libyschen Staatsfonds LIA (Libyan Investment Authority) und den libyschen Währungsreserven, die bei der amerikanischen Zentralbank FED in New York angelegt waren [PDF – 60 KB]. Libysche Staatsbürger verfügen laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich über ein Vermögen von rund 62 Milliarden Dollar bei ausländischen Banken [PDF – 721 KB]. Die breiter gefasste Statistik des IWF, in der auch die Vermögen der libyschen Zentralbank und des Staatsfonds LIA eingehen, beziffert die libyschen Bankguthaben im Ausland sogar auf 151 Milliarden Dollar. Die 30 Milliarden Dollar, die die Amerikaner über Nacht sicherstellten, sind somit zwar die mit Abstand größte Summe, die jemals in der Geschichte von einem Staat eingefroren wurde, aber dennoch nur ein Bruchteil des libyschen Auslandsvermögens.
Neben den USA engagierten sich auch Kanada, die Schweiz, Österreich, Großbritannien, die Niederlande und Deutschland in den letzten Wochen an der großangelegten Suche nach libyschen Vermögenswerten. Es gibt keine konkreten Zahlen, wie viel Geld von diesen Staaten eingefroren wurde – auch das Bundesfinanzministerium hält sich bedeckt und spricht vage von einer einstelligen Milliardensumme. Experten gehen davon aus, dass die weltweit eingefrorene Summe zwischen 50 und 60 Milliarden Dollar beträgt. Dennoch dürften diese Wirtschaftssanktionen keinen kurzfristigen Erfolg haben, da ein signifikanter Teil der libyschen Gelder in den intransparenten Konstrukten des Schattenbanksystems der Offshore-Steuerparadiese versickert ist. So schafften es die Niederlande beispielsweise noch nicht einmal, die Gelder der niederländischen Holding des zu 100% der LIA gehörenden „Oilinvest BV“ einzufrieren, über die unter anderem die Raffinerien und Tankstellen der Tamoil und der HEM in Europa verwaltet werden.
Tamoil unter Beschuss der Konkurrenz
Die Holding hat ihren Sitz in der unter niederländischer Jurisdiktion stehenden Steueroase Curacao und wurde laut Informationen des Wall Street Journals am 21. März aus dem Handelsregister gestrichen – es ist erstaunlich, wie schnell man offenbar die Besitzverhältnisse eines Ölmultis, der in Europa fast 3.000 Tankstellen betreibt und einen Umsatz von über sieben Milliarden Euro macht, im Dickicht der karibischen Steueroasen verstecken kann. Die Niederlande machten gute Miene zum bösen Spiel und haben sich mit Tamoil darauf geeinigt, dass man das Unternehmen gewähren lässt, wenn es den Behörden im Gegenzug versichert, keine liquiden Mittel in den Dunstkreis des Gaddafi-Clans zu überweisen. Tamoil steht somit weder in den USA noch in der EU auf der Liste der sanktionierten libyschen Unternehmen. Solch juristische Feinheiten interessieren die Konkurrenz jedoch nicht.
Eine breite Allianz aus BP (Großbritannien), Shell (Niederlande/Großbritannien), ENI (Italien) und Total (Frankreich) verhängte seit Mitte März ihre eigenen Sanktionen gegen die Konkurrenz aus dem Hause Gaddafi. BP hat beispielsweise sämtliche Verträge mit der Tamoil aufgelöst und beruft sich dabei auf höhere Gewalt. Für Tamoil könnten diese „Privatsanktionen“ ernsthafte Folgen haben, da in der Branche regionale Lieferkontrakte überlebenswichtig sind. So beliefern beispielsweise die Tamoil-Raffinerien auch das große Tankstellennetz der Konkurrenten BP und Shell. Ohne diese Großkunden könnte der Konzern bereits bald in eine finanzielle Notlage kommen.
Von den drei europäischen Tamoil-Raffinerien arbeitet nur noch die Holborn-Raffiniere in Hamburg ordnungsgemäß – die Tamoil-Raffinerie in Italien hat ihren Betrieb eingestellt, während die Schweizer Raffinerie des Konzerns „geplante Wartungsarbeiten“ auf den Monat April vorgezogen und damit ebenfalls den Betrieb eingestellt hat. Was die Konkurrenz mit ihrem Feldzug gegen Tamoil erreichen will, ist derweil unklar. Es könnte sein, dass man sich das Tamoil-Tankstellennetz einverleiben will, es könnte jedoch auch sein, dass man Überkapazitäten vom europäischen Markt fegen und damit die Preise nach oben manipulieren will. Der niederländisch-britische Ölmulti Royal Dutch Shell gab nach zwei Wochen offenbar dem politischen Druck nach und stellte seine „Privatsanktionen“ gegen Tamoil mittlerweile ein. Für BP könnte der Tankstellenkrieg jedoch ein teures Nachspiel haben – Tamoil hat vor einem deutschen Gericht Klage gegen BP eingereicht und die Chancen auf Erfolg stehen nicht eben schlecht.
Afrika zeigt sich unsolidarisch
Noch bedrohlicher für die libyschen Interessen stellt sich die Lage jedoch auf dem afrikanischen Kontinent dar. Muammar al-Gaddafi pflegt seit Langem sein Image als Interessenvertreter Afrikas, der das panafrikanische Projekt vorantreiben will. Hinter dem pompösen Postkolonialismus steckt jedoch auch ein wirtschaftliches Interesse, das nicht nur der amerikanischen und europäischen Konkurrenz seit Langem ein Dorn im Auge ist. Der libysche Staat hat über diverse Finanzvehikel seines Staatsfonds LIA sehr massiv in die Wirtschaft der schwarzafrikanischen Staaten investiert – so gehören auch zentralafrikanische Diamantenminen, kongolesische Sägewerke, sambische Villen, zahlreiche Luxushotels in verschiedenen Ländern und Beteiligungen an lokalen Wasser- und Energieversorgern sowie Telekommunikationsunternehmen zum Portfolio. Diese Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen sind jedoch häufig strategische Investitionen, die noch lange nicht profitabel sind und denen bei den jüngst verhängten Sanktionen schon bald die liquiden Mittel ausgehen könnten.
In einigen afrikanischen Staaten ist die Solidarität mit dem panafrikanischen Hoffnungsträger Gaddafi jedoch erstaunlich gering ausgeprägt. So hat beispielsweise die Regierung von Sambia kurzerhand den 75%-Mehrheitsanteil der Libyer am lokalen Mobilfunkunternehmen Zamtel kurzerhand eingefroren und bereits angekündigt, die Anteile zu übernehmen, wenn das Unternehmen nicht mehr an liquide Mittel kommt. In Uganda wurden die Mehrheitsbeteiligungen der Libyer am lokalen Mobilfunkunternehmen kurzerhand konfisziert, womit das Unternehmen de facto zwangsverstaatlicht wurde. Noch rigoroser geht man in Ruanda gegen die Libyer vor – die ruandischen Behörden entzogen dem libyschen Mobilfunkunternehmen Rwandatel kurzerhand die Lizenz und konfiszierten auch gleich ein Luxushotel, das mehrheitlich der LIA gehörte. Diesem Beispiel folgte auch der westafrikanische Zwergstaat Gambia, der über Ostern sämtliche Besitztümer der LIA (unter anderem sechs Hotels, eine Bank und eine Baufirma) beschlagnahmte. Auch Südafrika beteiligt sich bereitwillig an den Sanktionen – dies ist kaum überraschend, stehen der größte Ölexporteur und die größte Volkswirtschaft des schwarzen Kontinents doch in dauerhafter Konkurrenz um den wirtschaftlichen Einfluss südlich der Sahara.
Die UN-Sanktionen haben massive Auswirkungen auf die Arbeit des Staatsfonds LIA, auch wenn dessen Direktinvestitionen in Europa meist Minderheitsanteile an großen Unternehmen (z.B. FIAT, Rusal, ENI, Unicredit, Pearson (Financial Times)) sind, die den operativen Betrieb dieser Unternehmen jedoch kaum beeinträchtigen. Wirtschaftlich bedrohlich wirken sie sich aber auf die LIA-Beteiligungen in Afrika aus, die meist am finanziellen Tropf der Libyer hängen. Ob sich die schwarzafrikanischen Staaten damit einen Gefallen tun, wenn sie Gaddafi fallen lassen wie eine heiße Kartoffel, darf jedoch bezweifelt werden. Libyen ist nicht nur eines der fünf größten Geberländer der Afrikanischen Union, sondern auch einer der Hauptfinanziers der African Development Bank (AfDB) und des African Development Fund (ADF). Es ist nicht eben wahrscheinlich, dass eine neue libysche Regierung Gaddafis Faible für panafrikanische Wohltaten teilen wird. Ohne die libyschen Gelder wird der Kontinent jedoch noch mehr am Tropf der Weltbank und des IWF hängen, die knallharte Interessenpolitik im Sinne des Westens betreiben.
Auswirkungen und Begehrlichkeiten
Ihren offiziell beabsichtigen Zweck werden die Sanktionen jedoch aller Voraussicht nach nicht erreichen, da sich die großen Volkswirtschaften China, Indien und Russland nur halbherzig an ihnen beteiligen, weil sie wirtschaftliche Nachteile für sich selbst befürchten. Da die UN-Statuten den Mitgliedsstaaten ganze 120 Tage Zeit geben, die Resolution umzusetzen, ist es für die libyschen Behörden auch nicht sonderlich schwer, so viele Gelder in Sicherheit zu bringen, um zumindest den Bürgerkrieg noch sehr lange finanzieren zu können. Söldnerfirmen und Waffenschieber haben bekanntlich keine Probleme mit Zahlungen von obskuren Finanzvehikeln aus noch obskureren Steueroasen. Und sollte das Geld doch ausgehen, verfügt Libyen auch noch über physische Goldreserven im Gegenwert von sieben Milliarden Dollar.
Kaum waren die libyschen Gelder eingefroren, meldeten sich schon weltweit Opfer der früheren libyschen Politik, die gerne Zugriff auf diese Gelder hätten. In Deutschland sind dies die Opfer des La-Belle-Anschlags, die gerne 600 Millionen Euro Entschädigungsgelder hätten, in Großbritannien die Opfer der von Libyen unterstützten Terrororganisation IRA und in den USA die Opfer des Lockerbie-Anschlags. Die Ansprüche dieser Gruppen auf die eingefrorenen Gelder sind jedoch völkerrechtlich sehr zweifelhaft, da die Staaten, die libysche Gelder eingefrorenen haben, treuhänderisch agieren müssen und großzügige Kompensationszahlungen diesem Gebot widersprächen. Mehr noch: Eine neue libysche Regierung hätte ihrerseits in einem solchen Fall sogar Anspruch auf die Rückzahlung von möglicherweise veruntreuten Geldern. Damit sollten unverschämte Forderungen aus den Reihen amerikanischer Politiker, die sich wünschen, ihren Krieg gegen Libyen mit libyschen Geldern zu finanzieren, freilich ebenfalls ins Reich der Wunschgedanken verabschiedet werden. Bessere Chancen hat da schon die Idee, mit den Geldern „humanitäre Hilfslieferungen“ nach Libyen zu finanzieren, einer Forderung, der sich unter anderem auch Bundeswirtschaftsminister Brüderle anschloss. Eine solche Verwendung wäre zwar nicht gegen den Gedanken der UN-Sanktionen, würde aber eines weiteren Entschlusses des UN-Sicherheitsrats bedürfen.
Völkerrechtliche Probleme
So klar die UN-Resolutionen 1970 und 1973 formuliert sind, so umstritten ist ihre völkerrechtliche Interpretation. Die US-Regierung vertritt dabei die Position, dass die eingefrorenen Gelder dem libyschen Volk gehören und im Idealfall auch wieder an eine weltweit anerkannte libysche Regierung in der Post-Gaddafi-Ära zurückgegeben werden sollten. Der Rechtsexperte Hal Eren, der sich acht Jahre lang für die US-Exportkontrollbehörde OFAC mit Wirtschaftssanktionen beschäftigt hat, widerspricht jedoch der US-Regierung und unterstreicht gegenüber CNN, dass die eingefrorenen Gelder rechtlich immer noch denselben Personen und Institutionen gehören und die US-Behörden ohne eine explizite Einwilligung des Gaddafi-Clans in keiner Form über die eingefrorenen Gelder verfügen können. Die Frage, wie mit eingefrorenen oder konfiszierten „Potentatengeldern“ umzugehen ist, ist auf dem Gebiet des Völkerrechts immer noch Neuland, wobei sich jedoch die Praxis durchgesetzt hat, dass Nachfolgeregierungen, die völkerrechtlich anerkannt sind, als Rechtsnachfolger Zugriff auf die eingefrorenen Gelder haben. Aber was passiert, wenn es keine völkerrechtlich anerkannte Nachfolgeregierung gibt?
Es scheint unwahrscheinlich, dass die USA oder die EU die eingefrorenen Gelder jemals einer libyschen Regierung zurückgeben, der ein Mitglied der Familie Gaddafi angehört. Sollte die jetzige libysche Regierung jedoch den Bürgerkrieg gewinnen, stünde nicht nur die UN vor einem Dilemma. Für einen solchen Fall ist keine Regelung, wie mit den eingefrorenen Geldern verfahren werden soll, vorgesehen. Da die Rückzahlung an das libysche Volk nur eine Absichtserklärung ist, könnten die westlichen Staaten diese Gelder theoretisch bis in alle Ewigkeit als Treuhänder für eine zukünftige libysche Regierung verwalten. Irgendwann wird dann wahrscheinlich Gras über die Sache wachsen und das Geld wandert still und heimlich in die Vermögensposten der westlichen Staaten.
Nach Angaben der – sicher nicht neutralen – iranischen Nachrichtenagentur FARS sind die USA immer noch im Besitz von rund 11 Milliarden Dollar iranischer Gelder, die sie vor nunmehr 30 Jahren bei der Machtübernahme der Mullahs „einfroren“ – die USA bestreiten dies jedoch vehement. Solange es keine übergeordnete Gerichtsbarkeit für solche Fälle gibt, gilt im internationalen Recht die Staatenimmunität, nach der ein Staat nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterliegt. Die Chancen, dass Muammar al-Gaddafi die Fronten im Kontenkrieg auf dem Rechtsweg zu seinen Gunsten wenden kann, sind in diesem weitestgehend rechtsfreien Raum jedoch ebenfalls verschwindend gering.