Aus dem Versager Steinbrück wird auch weiterhin der erfolgreiche Retter gemacht – ein Musterbeispiel für die Möglichkeit der nahezu totalen Manipulation
Am 13. September erschien ein Spiegelinterview mit Peer Steinbrück über die „dramatischen Tage der Bankenkrise“ und das Frankfurter Fußballstadion, das eigentlich „Steinbrück-Arena“ statt Commerzbank-Arena heißen müsste. Drei Tage vor Erscheinen dieses Interviews war bekannt geworden, dass eine der von Steinbrück zusammen mit Angela Merkel geretteten Banken, die Münchner HRE, noch einmal 40 Milliarden Garantien braucht und sich – wie prophezeit – als Fass ohne Boden erweist. Aber nicht dieses offensichtliche Scheitern der Bankenrettung war Gegenstand der Fragen des Spiegel-Chefredakteurs Müller von Blumencron und seines Redakteurs Sauga. Sie begannen das Interview mit Elogen auf den „Mann“, „der die deutsche Wirtschaft vor dem Zusammenbruch gerettet hat“ und bringen am Schluss Steinbrück als potentiellen Kanzlerkandidaten der SPD ins Spiel. Dazwischen viel Stichwortgeberei und kaum kritische Nachfragen. Albrecht Müller
Peer Steinbrück hat als Finanzminister die Finanzmärkte in Fortsetzung von Eichels Arbeit dereguliert und die Spekulation mit Vermögenswerten erleichtert; er ist zusammen mit der Bundeskanzlerin verantwortlich für eine extrem teure Bankenrettung, speziell von IKB, HRE, Commerzbank und einigen Landesbanken; er hat in der Konjunkturpolitik versagt und war maßgeblich an der systematisch betriebenen Verarmung der öffentlichen Körperschaften beteiligt. Dies alles wird zurzeit in einer massiven und vielfältigen Kampagne pro Steinbrück unter den Teppich gekehrt. Wenn Sie die professionelle Manipulation verstehen und analysieren wollen, dann sollten Sie diese Kampagne beobachten.
Wir hatten am 22. August schon darauf aufmerksam gemacht, dass offensichtlich eine Art Kampagne zu Gunsten von Peer Steinbrück läuft: „Wie man Legenden strickt – mithilfe noch glaubwürdiger Personen, zum Beispiel Heribert Prantls von der SZ“. Das geht munter so weiter. In den Medien und in der Politik. Auch die SPD-Spitze, die vorgibt, sich vom neoliberalen Kurs zu lösen, feiert Steinbrück und damit einen der Hauptakteure des neoliberal geprägten Kurses der SPD in den vergangenen 10 Jahren. (Siehe unten Ziffer 5)
In den Medien finden sich einzelne kritische Stücke zu Steinbrück. Eines davon auf stern.de: „So gut war Steinbrück nie“ schreibt dort Hans Peter Schütz. Er habe sich im Buch „rundum schöngeschrieben“. Steinbrück bekenne sich nicht zur persönlichen Schuld, er gebe wie Kinder beim Beichten nur die schönen Sünden zu und verschweige die richtigen; er habe die Folgen der Finanzkrise für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland nicht gesehen, er sei „nie ein Wirtschaftsfachmann gewesen“. So ist es. Respekt für Hans Peter Schütz dafür, dass er gelegentlich zu solch aufklärendem Journalismus zurückfindet. Die Mehrheit seiner Kolleginnen und Kollegen passt sich dem großen Trend der Lobeshymnen an.
- Steinbrücks Versagen. Oder: Die totale Meinungsmache ist möglich. Auch entgegen den Fakten:
- Steinbrück und sein Staatssekretär Asmussen haben die Krise befördert und dann nichts gegen die Folgen für Deutschlands Volkswirtschaft getan
Steinbrück ist immer wieder als Förderer des „Finanzplatzes“, wahlweise des „Finanzstandorts Deutschland“ aufgetreten. So versprach er zum Beispiel am 10. Januar 2005 vor dem Auditorium der Industrie- und Handelskammer Frankfurt in einer Grundsatzrede, er wolle den Finanzstandort Deutschland auch durch »Produktinnovationen« wie REITs stärken. (Siehe „Machtwahn“ vom März 2006 , Seite 119)
Steinbrücks Staatssekretär Asmussen beschrieb diese Linie des von Steinbrück geführten Bundesfinanzministerium in einem erhellenden Aufsatz für die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (Nr. 19/2006) mit dem Titel „Verbriefungen aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums“
Am 10. Oktober 2008 erschien in den NachDenkSeiten unter dem Titel „Mit dieser Bundesregierung wird der Bock zum Gärtner – Fortsetzung Steinbrück und Co“ eine zusammenfassende Würdigung der Aktivitäten von Steinbrück. Dort finden Sie den Link auf den Zeitschriftenartikel von Asmussen und vor allem auch den Hinweis auf den Niederschlag, den Steinbrücks Haltung zum Finanzkasinobetrieb im Koalitionsvertrag der großen Koalition von 2005 fand. Dort wird der Deregulierung das Wort geredet. Überflüssige Regulierungen sollen abgebaut werden. Es wird der Ausbau des Verbriefungsmarktes, von Projekten der Privatisierung über PPP, von REITs und die Fortentwicklung des Unternehmensbeteiligungsgesetzes gefordert. Produktinnovationen (für den Finanzmarkt, AM) und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden, heißt es dort. Die Finanzmarktaufsicht soll mit Augenmaß vorgehen. Das alles und vieles mehr seien vordringliche Maßnahmen zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland.Steinbrück hat also – federführend für die sozialdemokratische Seite – im Koalitionsvertrag die Finanzmarktaufsicht zu einer laschen Kontrolle ermuntert. Sie solle „mit Augenmaß“ vorgehen. Und heute spielt sich Brandstifter Steinbrück als Feuerwehrmann und Retter auf. Er greift sogar die Finanzelite an; er hält – so in einem Weltinterview vom 18. September – diese Leute für gefährlich. Das sind die gleichen Leute, die er nur mit Augenmaß kontrollieren lassen wollte. Steinbrück kann sich diese Inkonsequenz erlauben, weil die Mehrheit der Journalisten und die fern-sehenden und lesenden Bürger offenbar das Gedächtnis verloren haben oder schlicht Opfer der laufenden Kampagne sind.
In Kapitel 1 von „Meinungsmache“ habe ich diese Ohnmacht gerade am Beispiel der Finanzkrise und der Umfirmierung der Brandstifter zu Feuerwehrleuten beschrieben:„In der Finanzkrise lässt man uns unsere Ohnmacht besonders hart spüren. Jahrelang hat man uns zum Beispiel Sparen gepredigt. Wenn es um Ausgaben für eine bessere Bildung und für ein gutes soziales Netz ging, dann wurde um jede Milliarde geknausert. Jetzt werden weit über 100 Milliarden für eine einzige Bank und nicht einmal eine große, für die Hypo Real Estate (HRE) in München, bereitgestellt. Und die Brandstifter gebärden sich als Feuerwehrleute. Unser stummer Protest prallt ab an einer wohlwollenden Medienbegleitung, die jeden Winkelzug nachvollzieht. Wir erleben so, dass das Grundelement der Demokratie außer Kraft gesetzt wird. Wer gravierende Fehler macht, muss nicht mehr mit der Sanktion der Abwahl rechnen, wenn er oder sie die mächtigen Medien auf die eigene Seite zu ziehen vermag.“
Selbstverständlich hat Steinbrück als Bundesfinanzminister keinen Finger gerührt, um die Privilegien der Finanzindustrie, die zur Förderung des „Finanzstandorts Deutschland“ von Schröder, Eichel und Steinbrück eingeführt wurden, zu beschränken. Die Steuerbefreiung für die Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen gilt nach wie vor. Genauso die Gewerbesteuerbefreiung für die Verbriefung. Die meisten Menschen wissen davon nichts. Auch solche wissen davon nichts, die ein festes positives Urteil über Steinbrück haben.
Steinbrück ist ein gutes Beispiel dafür, dass die in einer Demokratie wichtige Sanktion unterbleibt, wenn die Manipulationsmöglichkeit so groß ist wie bei uns, und wenn sie so praktiziert wird wie im Fall Steinbrück.
- Steinbrück ist zusammen mit der Bundeskanzlerin verantwortlich dafür, dass wir mit Hunderten von Milliarden belastet werden, mit denen die Wettschulden der Spieler im Finanzkasino beglichen werden.
Als Steinbrück für die Förderung des Finanzplatzes Deutschland, für eine lasche Kontrolle und für „Produktinnovationen“ warb, war schon bekannt, dass deutsche Banken in Schwierigkeiten sind. Im Februar 2003 trafen sich Bundeskanzler, Bundesfinanzminister und Bundeswirtschaftsminister mit den Spitzen der Banken und Versicherungen zu einem Krisengespräch mit dem Ziel der Gründung einer Bad Bank. Das kam nicht zu Stande, weil das Treffen vom Handelsblatt bekannt gemacht wurde. Aber die Auslagerung fauler Forderungen in Zweckgesellschaften und ähnliche Bad Banks fand statt. So bei der Industriekreditbank IKB, so bei der Ende September 2003 gegründeten HRE. (In der Anlage zu diesem Beitrag ist der Artikel im Handelsblatt vom 24.2.2003 wiedergegeben. Immer noch lesenswert – vor allem für Menschen, die immer noch glauben, die Finanzkrise habe mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers begonnen)
Das alles wusste Peer Steinbrück. Und dennoch hat er behauptet, die Finanzkrise sei aus den USA über uns gekommen und sie habe ihn wie ein Springinsfeldteufel angesprungen. (Siehe hier und ausführlich in unseren Jahrbüchern)
Peer Steinbrück ist neben Angela Merkel verantwortlich dafür, dass wir mit Hinweis auf die angebliche Systemrelevanz aller Banken sowohl die Industriekreditbank (IKB) als auch die HRE gerettet haben. Der hohe Einsatz von mindestens 8 Milliarden bei der IKB und 142 Milliarden Garantien und darunter Zig-milliarden fällig werdender Zahlungen für die HRE ist aus meiner Sicht nicht nötig gewesen. Der Zusammenbruch von Lehman Brothers hat keine Katastrophe ausgelöst. Ähnlich wäre es mit den beiden anderen Instituten gewesen. Bei uns aber wurde die Möglichkeit einer geplanten Insolvenz dieser Institute gar nicht geprüft. Dafür ist Peer Steinbrück hauptverantwortlich. Er und seine Arbeit kosten uns und unsere Kinder Milliarden.
- Wenn es nach Steinbrücks Neigung zur prozyklischen Konjunkturpolitik gegangen wäre, säße Deutschland in einer noch tieferen Wirtschaftskrise.
Peer Steinbrück hat quasi durchgehend gegen Konjunkturprogramme polemisiert. Der Hintergrund dieser Polemik dürfte der vom „Stern“ genannte Mangel an ökonomischen Sachverstand sein. Steinbrück ist ein ausnehmend schlechter Ökonom. Er weiß nicht, dass der Staat rechtzeitig gegensteuern muss, wenn sich ein Konjunkturabschwung abzeichnet. Er weiß nicht, dass man als Staat nicht sparen kann, wenn man in einer konjunkturell kritischen Situation weiter spart. Er hat nicht einmal wahrgenommen, dass er die leichten Verbesserungen der Einnahmensituation des Staates in den Jahren 2007 und 2008 der konjunkturellen Erholung verdankt. Man könnte sein Verhalten auch einfach so erklären: Steinbrück orientiert sich an dem, was gerade populär ist: Sparen ist populär, auch wenn es keinen Erfolg hat. Und Konjunkturprogramme galten unter den für ihn maßgeblichen Meinungsführern als Strohfeuer. Also passt sich Steinbrück dieser Stimmung an. Seine Finanzpolitik folgt so aus einer Mischung von ökonomischer Ignoranz und Anpassung an die herrschende Linie.
Wie sehr sich Peer Steinbrück bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes vertan hat, habe ich im Kapitel 12 („Inkompetenz in der Wirtschaftspolitik“) von „Meinungsmache“ eingehend beschrieben. In Anlage 2 finden Sie die einschlägige Passage aus meinem Buch einschließlich des Teils der Rede von Peer Steinbrück vom 28. Februar 2008. Der Bundesfinanzminister sprach in Frankfurt zum Thema »Finanzplatz Deutschland: Wachstum oder Krise?«. Diese Rede enthält ein Kapitel mit der Überschrift »Konjunkturprogramm nicht notwendig«. Damals war der Konsum bereits eingebrochen, die Krise auf den Finanzmärkten war beispielhaft am Fall der Industriekreditbank IKB schon acht Monate zuvor auch für Laien sichtbar geworden, für den Finanzminister müsste das sowieso gegolten haben. Aber diese Wirklichkeit unserer wirtschaftlichen Lage prägten seine Rede nicht. Den Abschnitt mit der Absage an die Konjunkturprogramme zu lesen lohnt sich:
Der Text zeigt auf bedrückende Weise das Verhaftetsein an sonderbare Einschätzungen, Fehl- und Vorurteile. Steinbrück wäre der neben der Bundeskanzlerin zur Überwindung der Wirtschaftskrise wichtigste Minister. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn man bedenkt, dass diese Person für die wirtschaftliche Existenz von Millionen von Menschen und Familien mitverantwortlich ist.
Inzwischen wissen wir, das die Konjunktur beginnend mit dem Jahr 2008 wirklich einbrach. Am 5. November 2008, also gerade einmal gut acht Monate nach der Behauptung Steinbrücks, Konjunkturprogramme seien nicht notwendig, hat die Bundesregierung unter seiner Beteiligung ein 16 Punkte Programm einschließlich eines Konjunkturpaketes beschlossen. Alleine dieser Vorgang, alleine die Verzögerung durch den damaligen Bundesfinanzminister müsste ausreichen, um diese Person politisch und fachlich zu erledigen. Nichts davon. Dank Meinungsmache und massiver Manipulation steigt das Ansehen dieses Mannes vermutlich.
- Steinbrück und sein Staatssekretär Asmussen haben die Krise befördert und dann nichts gegen die Folgen für Deutschlands Volkswirtschaft getan
- Die Kampagne für Steinbrück baut auf zuvor gelaufenen Kampagnen auf
Ich nenne die immer wiederkehrende Behauptung, wir hätten damals, 2006, 2007 und 2008 einen Boom gehabt, was lächerlich ist angesichts der geringen Wachstumsraten von real circa 2,6 % im Schnitt.
Er baut auch auf den Kampagnen auf, die wie im Juli und August 2010 zum angeblichen Boom und Wirtschaftswunder gelaufen sind und jetzt Mitte September einfach wiederholt werden. Zum Beispiel bei Spiegel Online und in der Bild-Zeitung. Der Boom wird von ihm als tatsächlich vorhanden diagnostiziert und der Agenda 2010 und seiner Politik zugeschrieben.Mit der Kampagne über die Systemrelevanz aller Banken wurde die Vorarbeit dafür geleistet, das nahezu niemand die Weisheit der Milliarden Spritzen für die Finanzindustrie hinterfragt. Das Schicksal der Banken, das Schicksal aller Banken war damit als schicksalhaft für uns alle deklariert worden. Das ist ein meisterhafter Coup zu Gunsten der Spieler im Finanzcasino und zulasten von uns allen.
- Die Methoden der Meinungsmache zu Gunsten von Steinbrück sind einschlägig
Was im Kapitel 10 von „Meinungsmache“ und zusammengefasst hier unter Ziffer 3 als gängige Methoden der Meinungsmache beschrieben ist, lässt sich leicht am Fall Steinbrück belegen. Dazu ein paar Beispiele:
- Es wird übertrieben in der klaren Absicht, dass die Hälfte hängenbleibt. So wird Steinbrück die Kanzlerkandidatur angedient. Selbst wenn dieses unrealistisch ist, bleibt hängen, dieser Mann sei herausragend.
Er selbst meint, die Commerzbank Arena in Frankfurt könnte in Steinbrück Arena umgetauft werden. Selbst solche Leser der Spiegelinterviews, die das für übertrieben halten, werden lernen, dass Steinbrück sich um Frankfurt verdient gemacht hat, weil er die Banken gerettet habe. An diesem Punkt kann ich übrigens zugestehen, dass er diese Umbenennung verdient: Steinbrück hat in der Tat der Finanzindustrie, die in Frankfurt sitzt, Milliarden in den Rachen geschoben. - Eine wahrheitswidrige Meinung kann man dann am besten verankern, wenn man die Botschaft aus deutlich unterschiedlichen Ecken aussenden lässt. Steinbrück wird von Frau Merkel und von der SPD gelobt. Steinbrück wird von der Wirtschaft und von dem als linksliberal geltenden Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung gelobt. So funktioniert Meinungsmache – auch gegen den Strich der Wirklichkeit gebürstet.
- Steinbrück ist zwar kein guter Ökonom, aber er ist ein guter Agitator. Er weiß zum Beispiel, das man den größten Unsinn erzählen kann, wenn man ihn mit dem Brustton der Überzeugung präsentiert. Steinbrück beherrscht den affirmativen Auftritt. Da müssen Journalisten schon sehr mutig sein, wenn sie dagegen anschreiben wollen.
- Steinbrück weiß, dass Konflikte sehr hilfreiche Methoden der Meinungsmache sind. Also greift er die Finanzeliten an und erscheint so einer großen Zahl von Menschen als Kritiker und in Distanz zu diesen schlimmen Leuten von den Banken und Versicherungen. Diesen Trick hat auch schon Franz Müntefering angewandt, als er im April und Mai 2005 gegen die so genannten Heuschrecken polemisierte. Dieser Angriff hat es ihm erlaubt, nichts zu tun, um die Gefräßigkeit der Heuschrecken zu unterbinden.
- Es wird übertrieben in der klaren Absicht, dass die Hälfte hängenbleibt. So wird Steinbrück die Kanzlerkandidatur angedient. Selbst wenn dieses unrealistisch ist, bleibt hängen, dieser Mann sei herausragend.
- Warum wird Steinbrück gefördert? Ziel der Operation: Die Ordinate rechts halten, die innere Entwicklung der SPD beeinflussen und damit zugleich Wahlchancen der linken Hälfte unterminieren
Wie im Kapitel 20 über „Meinungsmache zur Sicherung von Macht und Einfluss“ (siehe Ziffer 5 der Leseproben) beschrieben und belegt ist, tritt die neoliberale Bewegung mithilfe ihrer politischen Ableger bei Union und FDP nicht nur bei Wahlen an, sie versucht auch die innere Willensbildung der konkurrierenden Parteien zu beeinflussen, einschließlich der Personalauswahl. Die Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums, die SPD, die Grünen und die Linkspartei stehen also nicht nur unter dem Stress der Konkurrenz bei Wahlen. Sie müssen auch ständig mit Versuchen rechnen, die innere Willensbildung zur Sache und zur Person in den genannten Parteien zu beeinflussen. Das ist bei der SPD spätestens seit dem Jahr 1969 zu studieren. Vielleicht auch früher schon. Der SPD wurde inhaltlich immer ein Linksruck angedichtet, um den rechten Kräften in der SPD ein Argument für ihre eigene Position in die Hand zu geben. Und immer wurden die eher konservativen Vertreter in der SPD Spitze publizistisch gefördert und die anderen mit massiven Kampagnen niedergemacht. So bei Helmut Schmidt gegen Willy Brandt, so bei Gerhard Schröder gegen Oskar Lafontaine, so jetzt zu Gunsten von Steinbrück. Müntefering wurde hochgelobt. Gabriel und Steinmeyer wurden in der Hoffnung installiert, damit Vertreter der Rechten in den einflussreichsten Positionen der SPD platziert zu haben. Es werden immer die gepriesen, die rechtskonservativ und lobbygefügig sind. Und für die SPD Wahlen verlieren. So Steinbrück in Nordrhein-Westfalen, Eichel in Hessen, Steinmeier im Bund. Und demnächst vielleicht Steinbrück im Bund.
- Die SPD löst sich nicht vom neoliberalen Kurs. Sie feiert Steinbrück.
Zwei Beispiele:
- Der Vorsitzende der SPD Gabriel höchstpersönlich und der stellvertretende Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Poß (der es besser wissen müsste) laden ein zur Buchvorstellung ins Willy-Brandt-Haus. Diese Einladung (siehe Anlage 1) ist voller Lobeshymnen auf den Autor und sein Buch.
- In Bayern wird Steinbrück von SPD-nahen Einrichtungen und unter der Schirmherrschaft von Franz Maget, dem früheren Spitzenkandidaten der SPD und Vizepräsidenten des bayerischen Landtags, in den Landtag eingeladen. Einladung siehe hier [PDF – 74 KB].
Die SPD-Spitze feiert Steinbrück, obwohl er in seinem Buch wie in den begleitenden Interviews die Versuche der SPD-Führung, sich von den Fehlern in der Vergangenheit zu lösen, hart, grundsätzlich und SPD-feindlich kritisiert. Er wendet sich gegen den (verzagten) Kurswechsel der SPD-Spitze in Sachen Rente mit 67 und meint von Gerhard Schröders Agenda 2010, sie werde “als eine der größten politischen Leistungen der Nachkriegszeit in die Geschichtsbücher eingehen”.
Offensichtlich feiert die SPD Steinbrück, weil er populär ist. Dass der seine Popularität der gezielten Kampagne und dem Verschweigen seines Versagens verdankt, sehen diese Sozialdemokraten nicht. Die SPD zeigt damit einmal mehr, dass sie fremdbestimmt ist, im konkreten Fall den Finger in den Wind hält, feststellt, dass Steinbrück zieht, und danach ihre Linie ausrichtet.Der Mangel an eigener Orientierung in der SPD-Führung wird dann auch noch daran sichtbar, dass man Klaus Zimmermann, den Direktor des IZA in Bonn, und gleichzeitig Präsidenten des DIW, zum Diskussionspartner für Peer Steinbrück ausersehen hat. Steinbrück wird also von rechts kritisiert, von einem ausgewiesenen Förderer und Lobbyisten des Niedriglohnsektors und zugleich von einem Mann, der das früher einmal makroökonomisch kompetente und zugleich ziemlich sozialdemokratisch geprägte DIW umgedreht hat.
Es gab einmal einen anderen Präsidenten des DIW, einen kompetenten Makroökonomen. An diesen Klaus Dieter Arndt, der sich im Grabe umdrehen würde, wenn er das Spektakel der Buchvorstellung Steinbrücks mit seinem Nachfolger als Präsidenten des DIW, mit Klaus Zimmermann, erfassen könnte, will ich erinnern. Hier ein paar Links, damit jüngere Ökonomen wissen, was es einmal gab, und jüngere Sozialdemokraten erfassen können, welch ein Wahnsinn heute die Spitze ihrer Partei prägt: siehe hier und hier.
Klaus Dieter Arndt hätte Peer Steinbrück dreimal in die Tasche gesteckt – sachlich und politisch. Und niemand schwafelte damals davon, dieser Berliner Abgeordnete könnte ein Kanzlerkandidat sein. Das Niveau ist schrecklich gesunken. Steinbrück profitiert davon – vor allem dank einer ausgefuchsten Kampagne.
Anlage 1
Einladung der SPD-Spitze zur
Buchvorstellung und Dialog:
Peer Steinbrück – “Unterm Strich”
Dienstag, 28. September 2010, 19.00 – 21.00 Uhr, Einlass: 18.00 Uhr
Willy-Brandt-Haus, Atrium, Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin
Lieber …
die Finanzkrise ist noch nicht ausgestanden, und schon rückt die Aufarbeitung aufgrund von positiven Unternehmens- und Konjunkturzahlen in den Hintergrund. Dabei ist es gerade heute wichtig, die Finanzkrise, die zu einer der schlimmsten Weltwirtschaftskrisen führte, genau zu analysieren. Nur wenn den Ursachen der Krise genau auf den Grund gegangen wird, können wir daraus lernen und Krisen in dieser Form zukünftig vermeiden.
Als die Finanzkrise ausbrach, war es vor allem Peer Steinbrück, der als damaliger Finanzminister der Großen Koalition dafür sorgte, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht das Vertrauen in das deutsche Bankensystem und in die Politik verloren. Deutlich wurde in dieser Zeit aber auch, dass die gewaltigen Herausforderungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nur zu meistern sind, wenn die Ökonomie wieder eine dienende Funktion gegenüber dem Gemeinwesen hat.
Dieser Primat der Politik kann jedoch nur dadurch erhalten bleiben, wenn es uns – und damit ist ausdrücklich auch die Politik angesprochen – gelingt, den nötigen Mut zur Ehrlichkeit aufzubringen. Wie dies geschehen kann, zeigt uns Peer Steinbrück in seinem Buch „Unterm Strich“. Darin setzt er sich schonungslos mit der Entstehung und den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise auseinander. Denn die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, wie wir mit den Erfahrungen der Krise umgehen.
Er verharrt jedoch nicht bei wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen, sondern spannt den Bogen hin zu grundsätzlichen gesellschaftspolitischen und demokratietheoretischen Gedanken.
Wir freuen uns, dass Peer Steinbrück sein Buch bei einer Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus
vorstellen wird. Er diskutiert mit dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung,
Professor Dr. Klaus F. Zimmermann, und stellt seine Thesen auch im Publikumsgespräch
vor – sicherlich in seiner unvergleichlichen Art, Klartext zu reden.
Mit freundlichen Grüßen
Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD
Joachim Poß, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender
Anlage 2:
Auszug aus „Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen“, Seite 194-196, mit dem Teil einer Rede von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück vom 28. Februar 2008, mit der Überschrift: „Konjunkturprogramm nicht notwendig“:
„Bei der Diskussion über die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzmarktkrise wird gelegentlich – unter Verweis auf die Situation in den USA – lautstark ein Konjunkturprogramm auch für Europa und Deutschland gefordert. Wie ich bereits vor zwei Wochen im Rahmen einer Regierungserklärung zu den Finanzmärkten deutlich gemacht habe, erteile ich dieser Forderung eine klare Absage. Das gilt gleichermaßen für etwaige zusätzliche kreditfinanzierte öffentliche Ausgabenprogramme als auch für Steuersenkungen auf Pump. Denn für mich sprechen eine Reihe guter Gründe dagegen:
Erstens haben wir es (…) in Deutschland immer noch mit einer starken konjunkturellen Grunddynamik zu tun. Die zudem (…) weniger stark als in der Vergangenheit von der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA abhängig ist. Dazu tragen insbesondere die dynamisch wachsenden Schwellenländer wie China, aber auch die Golfregion bei (…). Auch spielen gerade für Deutschland die Absatzmärkte in Osteuropa eine zunehmend wichtigere Rolle. Insgesamt treffen die Finanzmarktturbulenzen auf eine wesentlich robustere deutsche Volkswirtschaft als noch vor einigen Jahren. Auch die stabilen Fundamentaldaten deuten nicht auf eine stärkere konjunkturelle Abkühlung und schon gar nicht auf eine rezessive Entwicklung hin. Auf der Basis der jetzt vorliegenden Erkenntnisse rechnet die Bundesregierung für 2008 mit einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum von 1,7 Prozent. Auch angesichts der unbestreitbaren Risiken könnten wir damit zufrieden sein. Schließlich lägen wir damit ziemlich genau beim derzeit geschätzten Potenzialwachstum in Deutschland!
Zweitens haben wir keinerlei Veranlassung, unseren bislang so erfolgreichen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs – die Kombination von dauerhaft wachstumsfördernden Strukturreformen mit einer soliden Haushaltspolitik – zu verlassen. Die gegenwärtig wirksamen Strukturreformen helfen uns auch im aktuell schwieriger werdenden konjunkturellen Fahrwasser, denn sie wirken konjunkturstützend! So wird sich im laufenden Jahr allein der wachstumsfördernde Gesamteffekt aus der Initiative »Wachstum, Beschäftigung und Familienförderung«, aus der Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von 4,2 % auf 3,3 % sowie aus der Entlastung der Wirtschaft durch die Unternehmensteuerreform auf gut 18 Mrd. € belaufen! Das entspricht fast einem Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes, hat damit also eine vergleichbare Größenordnung mit dem in den USA geplanten Konjunkturpaket von 150 Mrd. $ bzw. 1 % des US-BIP – mit dem wichtigen Unterschied, dass in den USA Rezessionsgefahren bestehen und nicht bei uns!
Drittens würde eine Abkehr vom notwendigen Konsolidierungskurs nicht nur unserem Ziel der Generationengerechtigkeit zuwiderlaufen, sondern könnte auch zu ökonomisch gegenläufigen Entwicklungen führen. Denn eine Lockerung des Konsolidierungskurses könnte auch die europäische Geldpolitik – gerade angesichts des derzeitigen Inflationsdrucks – zu einer restriktiveren Geldpolitik – sprich: zu Zinserhöhungen – veranlassen. Je nach Ausmaß würden diese die Konjunktur stärker belasten, als ein Konjunkturprogramm beschleunigend wirken könnte!“