Privater Reichtum – öffentliche Armut
Nach Angaben des Bundesverbandes deutscher Banken ist das Geldvermögen der Deutschen im vergangenen Jahr um 239 Milliarden Euro gestiegen und erreichte insgesamt 4,67 Billionen Euro. Es wäre interessant neben die „Schuldenuhr“ eine „Reichtumsuhr“ zu stellen, die den Zuwachs an Geldvermögen in Deutschland in jeder Sekunde misst. Der Betrachter würde vermutlich staunen, dass die Reichtsumsuhr erheblich schneller laufen würde. Die Schulden der öffentlichen Hand haben in den letzten 10 Jahren von 1.199 Milliarden Euro (1999) auf 1.657 Milliarden Euro (2009), also um 458 Milliarden zugenommen. Das Geldvermögen stieg im gleichen Zeitraum von 3.539 Milliarden Euro auf 4.672 Milliarden Euro, also um 1.133 Milliarden Euro. Ein Anstieg des privaten Reichtums um zweieinhalbfache der öffentlichen Schulden. Man könnte auch sagen, das Geldvermögen der Kreditgeber ist fast um 1.133 Milliarden gestiegen, während die Schuldenlast der Steuerzahler um 458 Milliarden gewachsen ist. Darin zeigt sich die ganze Perfidie, dass die Bundesregierung mit ihrem „Sparpaket“ das Geld nun gerade von denen holen will, die in den letzten Jahren ihr einziges „Vermögen“, nämlich ihre Arbeit verloren haben. Wolfgang Lieb
Zunächst die vollständige Meldung des Bankenverbandes:
Das Geldvermögen der Deutschen ist im vergangenen Jahr um 239 Mrd € gestiegen und erreichte insgesamt 4,67 Billionen €. 2008 war das Geldvermögen noch in Folge der Finanzkrise gesunken. Vor allem das Aktienvermögen war extrem kräftig zurückgegangen und betrug Ende 2008 nur noch 169 Mrd €. 2009 sind die Aktienbestände (+ 12 Mrd €) und vor allem die Investmentfondsanteile (+ 51 Mrd €) der privaten Haushalte wieder etwas gestiegen. Beim Sparen und Vorsorgen setzen die Deutschen nach wie vor auf Sicherheit. Knapp 1,8 Billionen € – und damit mehr als ein Drittel ihres Geldes – haben die Deutschen in Spar-, Sicht- und Terminanlagen angelegt oder als Bargeld zur Verfügung. Die Geldanlagen bei Versicherungen (inkl. Pensionskassen, Pensionsfonds und berufsständische Versorgungswerke) betragen gut 1,3 Billionen €. 364 Mrd € sind in verzinslichen Wertpapieren angelegt.
Quelle: Bankenverband
Über die Verteilung des gesparten Geldvermögens und wo der Anstieg von 239 Milliarden im vergangenen Jahr gelandet ist, sagt diese Statistik natürlich nichts aus.
Unbestreitbar ist, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen kaum Ersparnisse oder sogar eine negative Sparquote haben. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP aus dem Jahre 2008 [PDF – 194 KB] kann man Folgendes entnehmen:
Die aktuellen Daten (erhoben im Jahr 2003) zeigen, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen eine negative Sparquote haben. Mit steigendem Einkommen steigt die Sparquote kontinuierlich an. Während die Sparquote bei Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 900 Euro –11,8 Prozent beträgt, liegt sie bei Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 900 bis 1 300 Euro bei –0,5 Prozent. Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 1 300 bis 1 500 Euro, 1 500 bis 2 000 Euro, 2 000 bis 2 600 Euro haben Sparquoten von jeweils zwischen 0,5 Prozent und 4,4 Prozent. Bei Haushalten mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 2 600 bis 3 600 Euro, 3 600 bis 5 000 Euro, 5 000 bis 18 000 Euro betragen die Sparquoten jeweils zwischen 9,0 Prozent und 21,8 Prozent.
Das durchschnittliche verfügbare Einkommen von Arbeitnehmern lag 2009 bei knapp 1.500 Euro pro Monat [PDF – 61 KB]. Man kann also davon ausgehen, dass der Anteil der durchschnittlichen Einkommensbezieher an dem angesparten Geldvermögen äußerst gering ist, selbst wenn man Geldanlagen bei der betrieblichen Altersversorgung mit einbezieht.
Ähnlich sieht auch die Verteilung beim Gesamtvermögen aus:
2007 besaß das reichste eine Prozent der Bundesbürger 23% des gesamten Vermögens in Deutschland. Die obersten 5% verfügten gar über 46% und das reichste Zehntel kontrollierte 61,1%. Für die Mehrheit bleibt nicht mehr viel übrig. Die unteren 70% kommen nicht einmal auf 9% vom Gesamtvermögen. (Zitiert nach Ulrike Herrmann, Hurra wir dürfen zahlen)
Soviel lässt sich aus den Geld- und Vermögensverteilungsstatistiken entnehmen: Nicht die Vermögenden sind verarmt, sonder der Staat ist verarmt worden.
In der öffentlichen Debatte oft übersehen wird ein wichtiger Zusammenhang zwischen der steigenden öffentlichen Verschuldung und dem steigenden privaten Geldvermögen ausgeblendet. Die Steuersenkungen zugunsten der Vermögenden in den vergangenen zwei Jahrzehnten zeigen ihre Wirkung. Der Staat verzichtet einerseits auf die Einnahme von Steuern aus sprudelnden Quellen und ist andererseits gezwungen, seine Unterfinanzierung über die Verschuldung wieder auszugleichen. Gleichzeitig profitieren die Vermögenden in zweifacher Hinsicht: Zum einen zahlen Spitzenverdiener und Vermögende aufgrund der mehrfachen Senkung des Spitzensteuersatzes oder der Nichterhebung der Vermögensteuer weniger Steuern. Zum zweiten sind sie die Gläubiger der öffentlichen Verschuldung und erhalten vom Staat dafür gute Zinsen.
Müssten nicht gerade diejenigen, die so oft auf die Schuldenuhr zeigen und das Schreckbild der Staatsverschuldung zur Begründung für ihre Sparpolitik an die Wand malen, die Gruppen der Gesellschaft, die enorm hohe Ersparnisse haben, so besteuern, dass sie einen größeren Teil der Schuldenlasten tragen? Statt dessen wurde genau für diese Gruppe in den vergangenen 10 Jahren die Steuern massiv gesenkt. Mit dem „Sparpaket“ holt nun der Staat das Geld, auf das er durch die Steuersenkungen verzichtet hat, gerade bei den kleinen Leuten, die nun wirklich den geringsten Vermögenszuwachs hatten und die sogar ihr einziges „Vermögen“, nämlich ihre Arbeit verloren haben, über die Kürzung des Sozialhaushalts wieder zurück.
Deutschland hat im europäischen Vergleich eine der niedrigsten Steuerquoten. Die reale Steuerbelastung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ist mit 21% die niedrigste im EU-Vergleich; in keinem anderen der 15 EU-Staaten außer Deutschland ist zwischen 1995-2002 die reale Kapitalsteuerbelastung gesunken; die reale Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften betrug 2003 nur rund 11%, für 2004 und 2005 lag die reale Ertragssteuer der Firmen bei 15%; die reale Besteuerung von Vermögensbeständen in Deutschland ist in der EU mit Abstand am niedrigsten. Der Spitzensteuersatz wurde von 53 auf 42 % bzw. 45% gesenkt. Die “großen Koalition” hat darüber hinaus die Steuern aus Zins- und Kapitalerträgen weiter abgesenkt.
Die Statistik über den Anstieg des Geldvermögens müsste Anlass sein, auch und gerade die Wohlhabenden in diesem Land zum Abbau der Schulden heranzuziehen.
Dazu gäbe es zahlreiche Hebel:
- Erhöhung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer
- Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die in der Zeit der Regierung Kohl abgeschafft worden ist.
- Wiedereinführung der Gewerbekapitalsteuer, die ebenfalls in der Regierungszeit von Helmut Kohl abgeschafft wurde.
- Erhöhung der Körperschaftssteuer
- Streichung der Steuerfreiheit für Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen.
- Aufhebung der Steuerfreiheit im Bereich der Finanzdienstleistungen.
- Wirksame Erbschaftsbesteuerung statt der weiteren Lockerung.
- Wiedereinführung der Börsensatzsteuer
- Angleichung der Steuersätze für Zins- und Vermögenseinkünfte an die Steuersätze der Einkommensteuer.
Im Übrigen:
Gerade heute wurde über die Nachrichten verbreitet, dass der Bund 20 Milliarden weniger Schulden machen muss als im Bundeshaushalt für 2010 veranschlagt wurde.
Als Grund für die günstigere Entwicklung im Bundeshaushalt wird vor allem die konjunkturelle Erholung genannt. Dadurch seien die Steuereinnahmen gestiegen und gleichzeitig müssten geringere Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit geleistet werden.
Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die effektivste Sparpolitik eine aktive Wirtschaftspolitik ist. Bei einem mageren Wachstum von 1,7 % konnte der Haushalt schon fast doppelt so hoch entlastet werden, wie durch das gesamte „Sparpaket“ eingespart werden sollen.
Statt die gesamte politische Energie und die öffentliche Debatte darauf zu beschränken, wie Geld bei den Ärmsten der Armen eingespart werden kann, wäre viel mehr gewonnen, wenn sich die Bundesregierung endlich um eine aktive Konjunktur- und Beschäftigungspolitik kümmern würde. Aber das Gegenteil geschieht. Siehe den gestrigen Beitrag „Aufgeblähtes Wachstum“.