Teile der HSH Nordbank werden privatisiert, ihre Schulden werden sozialisiert und niemand stellt die Frage nach den Verantwortlichen
Wenn Olaf Scholz stolz verkündet, dass die gestrige Absichtserklärung zum Verkauf von Teilen der HSH Nordbank an zwei Finanzinvestoren ein „gutes Verhandlungsergebnis“ war und damit die „existenzielle Krise“ der Nordländer abgewendet sei, so ist dies bestenfalls der fromme Wunsch eines Bürgermeisters, der seine Qualifikation für das Amt des Finanzministers unterstreichen will. Mit der Realität hat dies nichts zu tun. Verkauft wurde nicht die HSH Nordbank, sondern ein von den Käufern sorgfältig ausgesuchter Teil der Bank; die ganzen faulen Kredite verbleiben beim Staat und wie hoch die Kosten letztlich ausfallen, ist nach wie vor vollkommen offen. Die Medien rechnen bereits jetzt mit Folgekosten in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Euro für Hamburg und Schleswig-Holstein. Doch das ist immer noch viel zu defensiv, sehen unabhängige Expertenschätzungen die Kosten doch rund doppelt so hoch. Dieses Geld – mehr als 8.000 Euro pro Bewohner der beiden Nordländer –, mit dem man 30 Jahre lang Kitas und Polizei hätte bezahlen können, wird in den nächsten Jahrzehnten fehlen. Klar, die Kosten trägt – wie immer – der Steuerzahler. Aber wohin ist das Geld eigentlich verschwunden? Und wer trägt die politische Verantwortung? Diese Fragen werden öffentlich lieber gar nicht erst gestellt. Man ahnt bereits, wieso. Von Jens Berger.
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Nun schreibe ich bereits seit mehr als zehn Jahren über den Skandal bei der HSH Nordbank. Bereits 2009, als die Verantwortlichen an der Waterkant noch von einem Börsengang der HSH schwärmten und die kommenden Milliardengewinne schon fest verplant hatten, schrieb ich, dass „Norddeutschland nun harte Zeiten bevorstehen“ und schätzte damals den Schaden für die Steuerzahler konservativ auf sechs Milliarden Euro. Ich sollte mich täuschen und zwar ganz massiv. Was war geschehen? Um die Geschichte hinter der Geschichte zu verstehen, muss man ein wenig ausholen.
Als Hintergrund lesen Sie bitte auch die Artikel „HSH-Nordbank-Prozess – nur die Spitze des Eisbergs“ und „Bis zu 30 Milliarden Euro Schaden für den Steuerzahler – warum berichtet eigentlich niemand mehr über die HSH Nordbank?“.
Wenn in den Medien über die HSH Nordbank berichtet wird, visualisiert man den Skandal gerne mit dem Pleitebanker Dirk Jens Nonnenmacher. Und das passt ja auch gut ins Bild. Der gierige Geck mit gegeltem Haar entspricht schon äußerlich dem Klischee eines halbseidenen Finanzhais, das wir seit Michael Douglas’ Verkörperung des Gordon Gecko in Oliver Stones Film „Wall Street“ kennen. Nonnenmachers dubioser „Omega-Deal“, seine Millionenabfindung und sein eitles Auftreten vor Gericht runden die Geschichte ab. Doch Nonnenmacher ist auch „nur“ ein Nebendarsteller in einem Plot, in dem es von Anfang an darum ging, dass ein paar schwerreiche Hamburger Reeder, Finanzberater und Schiffsmakler schnelles Geld machen konnten und die Allgemeinheit am Ende die Rechnung präsentiert bekommt.
Die HSH Nordbank hat sich noch vor wenigen Jahren selbst als „weltgrößter Schiffsfinanzierer“ bezeichnet und bei einem Portfolio von 33 Milliarden Euro in diesem Geschäftsfeld wird dies wohl keine Übertreibung sein. Wie funktioniert eine solche Schiffsfinanzierung? Bereits unter der ersten rot-grünen Bundesregierung wurden für reiche Steuerzahler Möglichkeiten geschaffen, die eigene Steuerlast durch sogenannte Verlustvorträge bei der Schiffsfinanzierung zu mindern. Dies war über ein Finanzierungsmodell über geschlossene Schiffsfonds möglich, bei dem in der Anfangsphase bewusst hohe „Buchverluste“ entstehen sollten, die dann anderen Finanzgewinnen gegenübergestellt wurden und damit das zu versteuernde Einkommen drückten. Gewinner dieser „Steuersparmodelle“ waren Schiffsmakler, Finanzberater und natürlich die schwerreichen Hamburger Reeder, die so zu preiswerten neuen Schiffen kamen, die dann auch noch in der Anfangsphase hohe Verluste erwirtschaften sollten, was ihnen die Möglichkeit gab, die eigenen Kosten bereits gleich zu Beginn der Laufzeit den neuen Eignern (also den „Steuersparern“)in Rechnung zu stellen. Und finanziert wurde das ganze Spektakel von den norddeutschen Landesbanken, allen voran der HSH Nordbank, natürlich mit geliehenem Geld.
Nun kam es, wie es kommen musste. Durch den aus Norddeutschland finanzierten Boom beim Bau von Frachtschiffen stieg die Tonnagezahl, die am Weltmarkt angeboten wurde, massiv in die Höhe und wenn das Angebot steigt, ohne dass die Nachfrage mitzieht, sinken bekanntermaßen die Preise. Diese Entwicklung setzte schon vor der Weltfinanzkrise ein.
So sank der HARPEX, der den Preis für Charterraten in der Containerschifffahrt markiert, bereits vor dem Lehman-Kollaps auf ein Niveau, das langfristig die Rechnungen in den Hochglanzbroschüren der Schiffsfonds zerstörte und für sich schon zu einem Platzen der Blase führen musste. Doch dann platzten zunächst andere Blasen an der Wall Street. Durch die geplatzte Kreditblase verteuerte sich plötzlich das Fremdkapital und gleichzeitig brach die Weltwirtschaft zusammen und die Nachfrage nach Tonnage auf den Weltmeeren brach mit ein. Der HARPEX implodierte förmlich. Musste man im Sommer 2008 noch 233.988 US$ bezahlen, wenn man einen Ozeanriesen für einen Tag chartern wollte, so bezahlte man Anfang Dezember 2008 nur noch 2.316 US$. Dies entspricht dem Mietpreis für einen Ferrari, nur dass man für ein Auto nicht mindestens 20 Mann Besatzung mitbezahlt. Ein Schiff dieser Größenordnung verursacht dem Besitzer rund 19.000 US$ Kosten pro Tag. Bei solchen Charterpreisen, die sich seit Platzen der Blase immer noch nicht merklich erhöht haben, schaffen es nur wenige Reedereien, kostendeckend zu arbeiten. Das ist aber für laufende Finanzierungen nicht so dramatisch, da die Kosten ja schon zu Beginn der Betriebsperiode einkassiert wurden. Die Reeder waren fein raus, Verlierer waren nun die „Steuersparer“, deren geschlossene Fonds pleite gingen, und natürlich die Schiffsfinanzierer, da insolvente Fonds auch die Kreditraten nicht mehr bedienen können. Die HSH Nordbank saß nun auf 33 Milliarden Euro Schiffskrediten von fragwürdigem Wert. Spätestens jetzt hätte es einen „nationalen Notfallplan“ gebraucht, um die HSH noch zu retten und den Schaden für den Steuerzahler kontrollieren zu können. Doch davon wollten die Landesregierungen in Hamburg und Schleswig-Holstein nichts wissen.
Ole von Beust war – wie sein Nachfolger Olaf Scholz – zu eng mit den Reedern und der Finanzlobby verbunden, sein Finanzsenator Michael Freytag wollte ebenfalls nie Licht ins Dunkel bringen und er wusste sicher schon, warum. Die Schleswig-Holsteiner Peter Harry Carstensen und sein Finanzminister Rainer Wiegard machten während der entscheidenden Jahre indes eher den Eindruck, als seien sie bereits mit der Aufsicht der Sparkasse Büdelsdorf heillos überfordert und die Probleme der HSH würden sich wohl schon in Luft auflösen, wenn man in der Staatskanzlei nur ganz, ganz lange die Augen fest schließt. Zu keinem Zeitpunkt haben von Beust/Freytag, Carstensen/Wiegard und auch nicht ihre Amtsnachfolger auch nur im Ansatz den Eindruck erweckt, die Krise wirklich im Sinne der Bürger lösen zu wollen. Eine echte Ausnahme stellt der ehemalige schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Werner Marnette dar, der nach bestem Wissen und Gewissen aufklären wollte, aber an dem Kartell der Piraten in Nadelstreifen scheiterte und 2009 seinen Hut nehmen musste.
Seitdem ist die Lage der HSH außer Kontrolle. Während die Banker und die Lokalpolitik sich die Situation mit Pressemeldungen aus einem Paralleluniversum „schön soffen“, fielen immer mehr Schiffskredite aus und die Länder mussten nun auch finanziell einspringen. Bereits jetzt flossen mehr als 13,5 Milliarden Euro aus den Landeshaushalten von Hamburg und Schleswig-Holstein. Wie hoch die Kosten für den Steuerzahler am Ende sein werden, ist unmöglich zu sagen. Denn mit dem Verkauf der HSH Nordbank an die Finanzinvestoren Cerberus und J.C. Flowers wird ja nur das „Kerngeschäft“ der Bank übergeben. Die Bad Bank hsh finanzfonds inklusive des gesamten Portfolios von problematischen Krediten verbleibt beim Steuerzahler! Und was genau in den Verträgen steht, ist ohnehin nicht bekannt. Und da ist Zweifel angebracht; vor allem, wenn man sich die Beteiligten einmal näher anschaut.
Wie eine Bankenprivatisierung unter Christopher Flowers’ Regie aussehen kann, mussten schon die Japaner leidvoll erfahren. Im März 2000 übernahm ein von ihm geführtes Konsortium die chronisch in Schieflage vor sich hin dümpelnde japanische LTCB für rund 900 Millionen Euro aus dem Besitz des Staates. Für die HSH Nordbank hat er zusammen mit Cerberus nur unwesentlich mehr Geld auf den Tisch gelegt. Vier Jahre später brachte er die komplett umstrukturierte Bank unter dem Namen Shinsei an die Börse. Sein Gewinn bei diesem Coup wird auf rund 750 Millionen Euro geschätzt. Zahlen musste dies im Endeffekt der japanische Steuerzahler – Flowers hatte über ein Zusatzabkommen, das von Goldman Sachs eingefädelt wurde, die „schlechten“ Schulden der Bank beim Staat abgeladen.
Die japanische Presse sprach damals von einem „Blutbad“. Etliche Firmenkunden der LTCB mussten Konkurs anmelden und der Gesamtschaden für den japanischen Staat wird auf rund 33 Milliarden Euro geschätzt. Von Flowers gab es nur ein freundliches „Sayonara“ – er musste den Japanern noch nicht einmal Steuern auf seine Gewinne zahlen, da seine Fonds in Steueroasen heimisch sind. Es ist also nicht auszuschließen, dass Flowers in Hamburg ein ähnliches Geschäft durchzieht. Wie hoch die Zusatzbelastungen, die über die bereits jetzt entstandenen 13,5 Milliarden Euro Schaden hinausgehen, tatsächlich ausfallen, werden wir wohl erst in einigen Jahren erfahren. Aber dann sind die Verantwortlichen, wie Olaf Scholz, schon nicht mehr in Amt und Würden. Nach uns die Sintflut, die Reeder und die Finanzlobby danken.