Institut der deutschen Wirtschaft: Soziale Umverteilung von oben nach unten?
Mit einer geradezu trotzigen Provokation rechtzeitig zum Vorwahlkampf bestreitet das IW [PDF – 11 KB] nicht nur die für jedermann spürbare, immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich, es widerspricht auch allen Befunden und Studien, wonach in den letzten Jahren die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind. Dass der Sozialstaat von unten nach oben verteile, dass sei nur ein Vorurteil, meint Michael Hüther, der Chef das arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Wolfgang Lieb
„Vorurteil 1: Sozialstaat verteilt von unten nach oben.
Das Gegenteil ist der Fall. Die 10 Prozent der Haushalte mit den höchsten Markteinkommen zahlten 2003 auch die höchsten Abgaben… Insgesamt beziehen die Haushalte in den unteren vier Zehnteln mehr als 72 Prozent aller Transfers, zahlen aber nur gut 12 Prozent aller Zwangsabgaben. Umgekehrt schultern die Nettofinanciers ab dem 5. Zehntel rund 88 Prozent der Einkommenssteuern und Sozialversicherungsbeiträge, bekommen aber lediglich knapp 28 Prozent aller staatlichen Geldtransfers“, heißt es im Statement des Direktors des IW, Michael Hüther auf der Pressekonferenz vom 4. Juni 2009 anlässlich der Vorstellung einer von der informedia-Stiftung, Gemeinnützige Stiftung für Gesellschaftswissenschaften und Publizistik Köln, geförderten Studie.
Wie kann das IW aber zu einem Urteil kommen, das allen bisherigen Befunden widerspricht?
Die IW-Studie widerspricht etwa einer Untersuchung der gewiss wirtschaftsfreundlichen OECD, die ermittelt hat, dass in Deutschland die relative Armut in den vergangenen Jahren stärker gewachsen ist als im OECD-Schnitt [PDF – 68 KB]. Sie widerspricht allen Reichtums-Armutsberichten der Bundesregierung oder allen Verteilungsberichten etwa des DGB oder des DIW [PDF – 348 KB], wonach gerade in den letzten Jahren die Reichen immer reicher wurden und das reichste Zehntel der Bevölkerung inzwischen über mehr als 60 Prozent des Gesamtvermögens von 6,6 Billionen Euro verfügt.
Die IW-Studie ist nicht komplett im Internet veröffentlicht, ich kann mich also nur auf den Redetext von Hüther bei deren Vorstellung beziehen. Man müsste bei den Erläuterungen an vielen Stellen einhaken, ich will mich auf nur wenige Einwände beschränken:
Die IW-Studie berücksichtigt nur die „Markteinkommen“, und auch die nur bis 18.000 Euro („Spitzenverdiener mit monatlich mehr als 18.000 Euro netto (bleiben) außen vor“). Außerdem lässt sie die Entwicklung der Primärverteilung bzw. die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung, außer Betracht. „Von der Wohlstandsverteilung darf nicht zwingend auf Umverteilungsbedarf geschlossen werden“, heißt es dazu abwiegelnd auf Seite 19.
So bleibt außer Betracht, dass aufgrund der seit den 90er Jahren stagnierenden (Real-)Löhne die Lohnquote an der Einkommensverteilung von 68 % im Jahre 1992 auf 64,6% im Jahre 2007 zugunsten der Gewinn- und Vermögenseinkommensbeziehern abgestürzt.
Quelle: NachDenkSeiten
„Die untere Hälfte der Haushalte mit den niedrigeren Markteinkommen schultert gerade einmal 10 Prozent des Einkommenssteueraufkommens, die obere Hälfte trägt dagegen 90 Prozent… Allein das oberste Zehntel, also die Spitzenverdiener, trugen 2003 nach der Auswertung der EVS-Daten fast 38 Prozent der gesamten Einkommenssteuerlast“ heißt es in der IW-Studie.
Das ist die altbekannte Behauptung, mit der auch schon Schröder und Steinbrück ihre sozial ungerechte Steuerpolitik zu beschönigen versuchten.
Dabei wird „übersehen“, dass auf das oberste Einkommens-Dezil mehr als 40 Prozent des Markteinkommens entfällt und dass der Anteil dieser Einkommensgruppe am Gesamteinkommen deutlich angestiegen ist. So etwa das DIW S. 195 [PDF – 348 KB].
Die reichsten 10 % der über 17jährigen Personen in Deutschland besitzen fast 60 % des gesamten Vermögens. Die reichsten 20% kommen sogar auf 80% des Vermögens. Auf das oberste Prozent allein entfallen sogar mehr als 20 % des gesamten Vermögens. Mehr als zwei Drittel der Deutschen verfügt dagegen über kein oder ein nur sehr geringes individuelles Netto-Vermögen [PDF – 42.7 KB]
Das Nettogesamtvermögen (ohne Sachvermögen) der Deutschen über 17 Jahre beträgt auf Basis der Daten aus dem SOEP für 2002 4,5 Billionen Euro. Dem Brutto-Vermögen von 6,5 Millionen Euro stehen Verbindlichkeiten, d. h. Schulden der privaten Haushalte, in Höhe von 1,1 Billionen Euro, gegenüber. Den größten Bestandteil machen der Grund- und Immobilienbesitz mit 4,5 Billionen Euro aus (vgl. DIW Berlin Wochenbericht Nr. 45/2007, Seite 667).
Somit verfügt jeder Bundesbürger über 17 Jahre über ein Nettogesamtvermögen im Durchschnitt (arithmetisches Mittel) in Höhe von knapp 81.000 Euro). Der Median oder der Zentralwert des Vermögens, der eine Grenze zwischen zwei Hälften bezeichnet, liegt hingegen über 15.000 Euro. Das heißt, die ärmere Hälfte der Bevölkerung verfügt über weniger als 15.000 Euro Vermögen.
Quelle: NachDenkSeiten
Das Nettogesamtvermögen (ohne Sachvermögen) der Deutschen über 17 Jahre beträgt auf Basis der Daten aus dem SOEP für 2002 4,5 Billionen Euro. Dem Brutto-Vermögen von 6,5 Millionen Euro stehen Verbindlichkeiten, d. h. Schulden der privaten Haushalte, in Höhe von 1,1 Billionen Euro, gegenüber. Den größten Bestandteil machen der Grund- und Immobilienbesitz mit 4,5 Billionen Euro aus (vgl. DIW Berlin Wochenbericht Nr. 45/2007, Seite 667).
Somit verfügt jeder Bundesbürger über 17 Jahre über ein Nettogesamtvermögen im Durchschnitt (arithmetisches Mittel) in Höhe von knapp 81.000 Euro). Der Median oder der Zentralwert des Vermögens, der eine Grenze zwischen zwei Hälften bezeichnet, liegt hingegen über 15.000 Euro. Das heißt, die ärmere Hälfte der Bevölkerung verfügt über weniger als 15.000 Euro Vermögen.
Die Angaben des IW zum Einkommenssteueraufkommen mögen vielleicht sogar statistisch korrekt sein, es ist aber – vorsichtig gesagt – eine ziemlich suggestive Verengung des Blickfelds, wenn man bei der Frage nach einer gerechten Verteilung ausschließlich auf die Einkommensteuer abhebt. Diese macht nämlich nur rund ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen aus. Rund 46 % machen die Umsatz- und Verbrauchssteuern aus, die jeder – Einkommensbezieher – ob arm oder reich – in gleicher Höhe bezahlen muss.
Immerhin kann auch die IW-Studie über folgendes nicht hinwegsehen: „Erwirtschafteten die Haushalte mit den zweithöchsten Markteinkommen 1993 noch das 19,5-fache dessen, was Haushalte der zweitniedrigsten Gruppe verdient haben, so wuchs der Abstand bis 1998 auf das 24,5-Fache. Danach öffnete sich die Kluft zwar etwas langsamer, aber das Verhältnis stieg weiter bis 2003 auf das 26,8-Fache. Insgesamt hat die Spreizung der Markteinkommen zwischen diesen beiden Zehnteln von 1993 bis 2003 um 38 Prozent zugenommen“.
Nach Abzug von Einkommenssteuern und Sozialbeiträgen sowie unter Einbeziehung
staatlicher Geldtransfers kommt die IW-Studie zu einem erstaunlichen und erklärungsbedürftigen Ergebnis: „Waren die Markteinkommen des 9. Zehntels im Jahr 2003 noch 26,8 Mal höher als im 2. Zehntel, so ist diese Differenz bei den Nettoeinkommen, also nach staatlicher Umverteilung, auf das 2,6-Fache geschrumpft.“
Ohne weitere Angaben ist dieses Ergebnis nicht nachvollziehbar, denn 1993 gab es noch einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, der 2003 auf 48,5 Prozent gesenkt wurde. Auch die Beitragsbemessungsgrenzen wurden nicht wesentlich verändert.
Doch selbst wenn die Berechnung für 2003 noch richtig wäre, so würde sie nach der Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent im Jahre 2005 sicher nicht mehr zutreffen.
Die zweifelhafte Qualität der Studie zeigt sich an einem für die Skeptiker der Umverteilung von unten nach oben typischen und gravierenden Fehler: „Armut ist eine relative Größe. Wer nach der statistischen Konvention weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, gilt als einkommensarm.
Diese Definition führt aber zu kaum nachvollziehbaren Effekten: Stellen Sie sich einmal vor, bei ansonsten unverändert verteilten Einkommen knackt ein bislang einkommensarmer Bürger den Jackpot im Lotto und rutscht ob seiner neuen Vermögenseinkünfte nun über die bisherige Armutsschwelle. Statistisch muss das mittlere Einkommen neu berechnet werden.“ Heißt es auf S.11.
Und gerade das ist eine Milchmädchenrechnung. Das mittlere Einkommen ist der Median und nicht das Durchschnittseinkommen. Das Durchschnittseinkommen würde sich durch solche Lottogewinne ggf. etwas verschieben können. Das mittlere Einkommen oder der Median entsprechend der Definition der Europäischen Union ist jedoch eine statistische Größe, die gerade solche Ausreißer vermeidet (eine ausführlichere Erklärung finden Sie auf BILD-Blog)
Was müssen das für Wissenschaftler sein und was sind solche Berechnungen wert, wenn so banale statistische Fehler gemacht werden.
Die IW-Studie ist ein politisches Pamphlet, in dem das vorgegebene politische Ziel – nämlich die Umverteilung von unten nach oben zu bestreiten oder gar den Eindruck zu erwecken, das Gegenteil sei der Fall – mit zweifelhaften statistischen Daten belegt werden soll. Man kann eben auch mit Statistik lügen.