Nochmals: Anne Will, Scholz. Arbeitslosigkeit und Niedriglohnsektor eine Folge der Globalisierung?
Es ist immer wieder ermunternd, zu beobachten, was für gute Beobachter und Analytiker unter den Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten sind. Im Anschluss an die Sendung Anne Will vom vergangenen Sonntag und unseren Beitrag dazu schickte der NDS-Leser Tobias Peters die folgenden weiteren Beobachtungen. Neben dem Skandalerlebnis der Sendung, dass Scholz Wagenknecht als Verschwörungstheoretikerin bezeichnet und in eine Schublade mit Trump steckt, gebe es „einige andere Stellen, die sehr aufschlussreich sind.“ Das stimmt. Wir zitieren zunächst die Lesermail, dann folgt eine Ergänzung. Albrecht Müller.
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NDS-Leser T. Peters:
Ab Minute 15:00:
Für mich war erhellend das Weltbild, das Scholz gezeigt hat. Das kommt nach Minute 15:00 bis 16:00. Dort behauptet er, dass der Trend der Lohnsenkungen schon Jahrzehnte in allen Industrieländern vorhanden war. Aus seinen Formulierungen ist zu entnehmen, dass dieser Trend aus seiner Sicht eigentlich eine natürliche und quasi gesetzliche und damit unaufhaltsame Entwicklung ist. Die Aufgabe der SPD ist es nur, diese Entwicklung sozialverträglicher zu gestalten. Deshalb die Agenda 2010.Ab Minute 25.10:
In anderer Form wird dies nochmals bei Minute 25:10 wiederholt, wo er behauptet, dass der Niedriglohnsektor nicht politisch eingeführt wurde, sondern einfach so passiert ist. (Aufgrund der Veränderungen in der globalen Wirtschaft usw.)Nochmals; Seine Geschichte ist also nun, das die Tendenz besteht, dass das Einkommen sinkt und dass dies natürliche und unaufhaltsame Abläufe sind. Verschwörungstheoretiker sind für ihn nun diejenigen, die behaupten, dass diese Lohnsenkung politisch gewollt und durchgesetzt wurde; z.B. wie durch die von ihm vertretene Agenda 2010.
Diese Annahme des Fallens der Lohnquote aufgrund unerklärlicher und unbeeinflussbarer äußerer Umstände stammt a) von den Neoliberalen und den Neoklassikern mit ihrer “Naturgesetzlichen” Wirtschaftsauffassung aber b) auch von den Marxisten mit ihrem “tendenziellen Fall der Profitrate”. (Allerdings von einem Steinzeitmarxismus, wie er eigentlich seit über 100 Jahren überholt ist).
Es ist ein leichtes, dieses marxistische Gedankengut irgendwie krude auf die heutigen Verhältnisse zu übertragen. Warum marxistisches Gedankengut? Nun, Scholz war in den 1980ern Stamokapler bei den Jusos; das bedeutet, dass er irgendeinen sehr ideologisch aufgeladenen und ziemlich dummen Marxismus vertreten hat. Das war bei den Jusos damals üblich, die wissenschaftlich hellsten Marxisten waren sie noch nie und in den 1980ern ist die Analysefähigkeit dort massiv nach unten gesegelt. Außerdem ist Scholz Jurist, kann man von ihm verlangen, dass er irgendwelche Grundlagen oder gar Feinheiten der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Theoriendiskussion verstanden hat ?
So erkläre ich mir die dummen Ansichten von Scholz.
Minute 38:00:
Anne Will fragt Scholz ganz klar, ob er die Agenda 2010 für falsch hält. Ausweichen, Geschwurbel und das übliche „unsere Reformen waren richtig und eine tolle Leistung“.Minute 42:55:
Die SPD hat schon immer Sozialdemokratische Politik gemacht. Auf Wagenknecht geeicht: Wer die SPD dort angreift oder ihr das abspricht, zerstört den sozialen Frieden.Mit freundlichen Grüßen
Tobias Peters
Nachtrag Albrecht Müller:
Wenn die hier skizzierte Einschätzung des stellvertretenden Vorsitzenden Scholz durch Tobias Peters zutrifft, dann erklärt das einiges. Der Verlust der beschäftigungspolitischen Kompetenz der SPD, die Missachtung der eigenen Stärken und Erfolge in der Konjunkturpolitik zwischen 1966 und 1980 wird auf diesem Hintergrund etwas verständlicher, wenn auch nicht entschuldbar.
Die neoliberalen Ideologen und ein Teil der Pseudomarxisten sind eine de-facto-Koalition eingegangen, die bis heute nachwirkt und sichtbar wird im Fall der Lohnquote, im Verzicht auf eine wirksame Makropolitik, im Stolz auf den Niedriglohnsektor und die Agenda 2010.
Eine andere Position, die Gegenposition, habe ich bei einer Veranstaltung des NachDenkSeiten-Kreises München und anderer Mitveranstalter am 9. Februar 2017 skizziert. Das war ein Versuch, konstruktiv mit dem Problem umzugehen: