Bizarrer Streit in der Ökonomenzunft – von Laien, Professoren, Weisen und Zwergen
Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen auch Zwerge lange Schatten und wenn ökonomischer Sachverstand Mangelware ist, können auch schon einmal aus wirtschaftswissenschaftlichen Zwergen Wirtschaftsweise werden. Wie tief die Sonne der Kultur in den deutschen Wissenschaften heutzutage tatsächlich steht, zeigt eine absurde Replik, mit der die vier neoliberalen Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – umgangssprachlich die „Wirtschaftsweisen“ – auf einen Artikel des fünften Sachverständigen reagieren. Peter Bofinger hatte nämlich in der FAS die Unfehlbarkeit freier Märkte angezweifelt und eine aktivere Industriepolitik des Staates angeregt. Das war für die obersten Hüter des Neoliberalismus zu viel und es überrascht nicht, dass sie Kritik an Bofingers Gedanken übten. Überraschend ist jedoch die Schärfe und die Niveaulosigkeit der Replik. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Peter Bofinger dürfte den meisten NachDenkSeiten-Lesern bekannt sein. Seit langem begleiten wir den Ökonomen, der auf Empfehlung der Gewerkschaften in den Sachverständigenrat der Bundesregierung eingezogen ist, kritisch-konstruktiv. Bofinger schrieb auch das Vorwort zu unserem Jahrbuch 2011/2012 und gilt als einiger der wenigen bekannten deutschen Ökonomen, die sich dem neoliberalen Dogma verweigern. Damit ist er im Sachverständigenrat schon beinahe ein Exot. Drei der „fünf Weisen“ werden nämlich von der Bundesregierung nominiert, ein Weiser wird von Arbeitgebern vorgeschlagen und der fünfte Weise, aktuell Peter Bofinger, von den Gewerkschaften. Bofinger gegenüber sitzen mit Christoph M. Schmidt, Lars Feld, Isabel Schnabel und Volker Wieland vier ausgemachte Anhänger marktliberaler Ideen, die damit leider sogar repräsentativ für den Zustand der Wirtschaftswissenschaften in Deutschland sind.
Unter diesen Rahmenbedingungen ist es sogar verständlich, dass die vier marktliberalen Sachverständigen nicht eben begeistert von dem waren, was ihr Kollege Bofinger in der vorletzten Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum Besten gab. Unter der Überschrift „Mehr Zentralismus wagen“ machte Bofinger sich kurze, aber inhaltlich durchaus überzeugende Gedanken zur Frage, ob die Gesellschaft sich bei der Gestaltung der Zukunft wirklich auf die „kreativen Kräfte des Wettbewerbs“ verlassen sollte. Begrifflich greift Bofinger dabei auf eine strittige Formulierung aus dem Gutachten des Sachverständigenrates aus dem Jahre 2009 zurück und zieht anhand von drei griffigen Beispielen Bilanz.
- Finanzkrise
Die Finanzkrise von 2007 kann als Musterbeispiel dafür gelten, dass „die Märkte“ offenbar alles andere als allwissend sind und auch kollektiv zu falschen Einschätzungen kommen. Unter bestimmten Rahmenbedingungen wird auf den Märkten derjenige, der eigentlich den richtigen Riecher hat, von einer tumben Herde überrannt und totgetrampelt. Der Glaube an die Weisheit des Wettbewerbs hat uns in der Finanzbranche Produkte wie Wetten auf den Zahlungsausfall gebündelter Schuldobligationen beschert. Wer tatsächlich glaubt, dass sich die „kreativen Kräfte des Wettbewerbs“ in der Finanzbranche zum Wohle der Gesellschaft entfaltet hätten, dem sei die Lektüre von Michael Lewis´ exzellenten und dabei sehr unterhaltsamen Buch „The Big Short. Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte“ empfohlen – ich möchte dabei wetten, dass vier der fünf Wirtschaftsweisen das Buch entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Bofinger liegt übrigens schon länger mit seinen Kollegen in diesem Punkt im Clinch und auch die NachDenkSeiten haben diesen absurden Streit schon dokumentiert.
- Erneuerbare Energien
Als zweites Beispiel für die Unfähigkeit der Märkte, von sich heraus kreative Ideen im Sinne der Allgemeinheit zu entwickeln, nennt Peter Bofinger die erneuerbaren Energien. Sicher, dieses Beispiel ist nicht so eindeutig, da es ja – anders als in der Finanzbranche – durchaus staatliche Lenkungsversuche gab und kleinere Marktteilnehmer auch sehr erfolgreiche Innovationen entwickelten. Aber genau dies belegt ja Bofingers These. Die großen Spieler am Markt haben die komplette Energiewende ganz einfach verschlafen und wohl darauf gesetzt, dass die „grüne Phase“ der Regierung schon irgendwann einmal vorbeigeht und die eigene Lobby sich am Ende des Tages durchsetzt. Es ging nie um Marktlösungen zum Wohle der Allgemeinheit, sondern darum die größtmögliche Rendite zu erzielen. Allgemeinwohl hin, Nutzen für die Gesellschaft her. Kreative Kräfte hat der Wettbewerb jedenfalls nicht in Gang gesetzt.
Dann wurden jedoch vom Staat Fakten geschaffen, die nicht mehr so einfach revidierbar waren und dank staatlicher Lenkung konnte im Markt ein kreatives, innovatives Segment entstehen, das ohne die Intervention in die freien Märkte nie eine Chance gehabt hätte. Ob man nun – so wie Bofinger dies tut – den dafür mit dem EEG geschaffenen Gesetzesrahmen über den grünen Klee lobt oder skeptischer an die Sache herangeht: Unter dem Strich ist Bofingers Aussage, dass sich in der Energieversorgung in Deutschland nur deshalb ein neues Segment bilden konnte, weil der Staat lenkend in den nicht funktionierenden Markt eingegriffen hat, sicher unstrittig.
- Abgasskandal
Der konkrete Aufhänger für Bofingers Gedanken ist das Versagen der Automobilindustrie. Auf verschärfte Umweltgrenzwerte haben die Hersteller – und zwar nicht nur die deutschen(!) – offenbar mit kreativen Mauscheleien reagiert, die in Einzelfällen sogar die Grenze zum justiziablen Betrug überschritten haben. Gemäß der Logik der Marktliberalen wäre ein solches Ergebnis gar nicht möglich, da der Wettbewerb ja dazu geführt hätte, dass der Bedarf durch das beste Angebot am Markt gedeckt wird und dadurch die Gesellschaft als Ganzes gewinnt. Nun war das „beste“ Angebot aber offenbar ein Angebot, das für den Konsumenten preiswert und bequem war, aber dafür die Grenzwerte ganz einfach ignoriert hat. Nun werden marktliberale Kommentatoren einwerfen, dass Grenzwerte ja ohnehin ein unerlaubter Eingriff in den Markt seien, da Konsumenten, die Wert auf die Umwelt legen, auch ohne staatliche „Gängelung“ zu Produkten greifen werden, die umweltfreundlich sind und die Anbieter daher von sich aus umweltfreundliche Produkte entwickeln. Dass dies grenzenlos naiv ist, sollte klar sein. Ja, auch der „Abgasskandal“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass selbst ein funktionierender Wettbewerb nicht automatisch zum Allgemeinwohl beiträgt – selbst dann nicht, wenn der Staat halbgare Grenzwerte aufstellt, ohne sich gleichzeitig um deren Einhaltung zu kümmern.
Bofinger hat schon Recht
Summa summarum muss man daher natürlich zu dem Schluss kommen, dass Peter Bofinger im Kern vollkommen Recht hat. Offen ist hingegen die Debatte, wie und auf welchem Gebiet der Staat regulierend in den Wettbewerb eingreifen soll, um im Sinne der Allgemeinheit das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Aber so weit ist Bofinger in seinem kleinen Artikel ja ohnehin nicht gegangen. Sein Einwurf war schließlich auch eher als die Anregung einer Debatte und nicht als deren Schlussstrich gedacht.
Besonders angeregt fühlten sich offenbar Bofingers vier Kollegen aus dem Sachverständigenrat. Doch was die vier Weisen da in der letzten Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (leider noch nicht online) von sich gaben, ist erstaunlich niveaulos und selbst für deutsche Ökonomen nicht gerade originell. Mehr noch: Da Bofinger offenbar einen wunden Nerv getroffen hat, gehen seine vier neoliberalen Kollegen auch rhetorisch in die Offensive und teilen dabei mächtig unter der Gürtellinie aus, indem sie Bofinger indirekt als einen Laien bezeichnen. Das ist abstrus.
Eine Replik aus der Parallelwelt
Bemerkenswert ist bei der Replik vor allem, dass die vier Ökonomen überhaupt nicht auf Peter Bofingers Argumente eingehen, sondern zunächst einmal lustvoll einen Strohmann aufbauen, den sie dann – jedoch stümperhaft – verbrennen. Der Name ihres Strohmanns ist „China“. Wenn ein Ökonom die Unfehlbarkeit freier Märkte auch nur im Kern in Frage stellt, dann muss er ja schließlich ein Anhänger der Planwirtschaft sein. Und Planwirtschaft, das ist China.
Sie ahnen bereits, dass dieses Beispiel nicht sonderlich klug ist, da selbst die Anhänger einer ultrafreien Marktwirtschaft eingestehen müssen, dass das chinesische Modell ja nun nicht so erfolglos ist, wie man es gern hätte. Also weicht man rhetorisch auf einen Nebenkriegsplatz aus – die Menschrechte. Und spätestens wenn marktliberale Ökonomen nicht mehr ökonomisch, sondern moralisch argumentieren, wird es vollends abstrus. Wenn man den Gedankengang der vier Wirtschaftsweisen nachzeichnet, kommt man zu dem Schluss, dass staatliche Eingriffe in nicht funktionierende Marktsegmente am Ende eine Frage der Menschenrechte sind. Das schreiben die vier Autoren natürlich so nicht – aber genau so leiten sie den „theoretischen Unterbau“ ihrer Replik auf Bofinger her.
Nach dieser fragwürdigen theoretischen Einleitung wird es zwar praktischer, aber dafür sogar noch niveauloser. Um Bofinger bei seinen Beispielen zu widersprechen, muss man schließlich auch auf sie eingehen. Das tun die vier Autoren auch – wenn auch nur sehr kurz und bündig. Die zentrale Ursache der Finanzkrise war, so lernen wir es dann, kein Fehler der Märkte, sondern „eine Konsequenz des staatlichen Schutzes vor den Folgen der Fehleinschätzungen“. Der Staat hat die Märkte also nach Ansicht der vier Weisen nicht zu wenig, sondern zu scharf reguliert. Dabei kann man über die Gefahren eines „moral hazards“ durch die vorgenommenen Bankenrettungen ja durchaus debattieren. Die Vorstellung, nach der sämtliche Banken systemrelevant seien und der Staat Forderungen an insolvente Banken implizit garantiert, ist natürlich kritikwürdig, wurde und wird von Bofinger aber auch nicht vorgebracht. Und ausgerechnet den Umstand, dass der Staat während der Finanzkrise schlussendlich vor den Erpressungen der Finanzbranche eingeknickt ist, als Kernursache für die Krise selbst zu interpretieren, ist schon ziemlich unverschämt. Aber nun gut – was soll man auch schreiben, wenn man vom eklatanten Versagen der Märkte während der Finanzkrise ablenken muss? Die Ausführungen der vier Wirtschaftsweisen zu diesem Thema sind jedenfalls hochnotpeinlich und eigentlich eines studierten Ökonomen unwürdig.
Beinahe noch peinlicher fallen jedoch die Repliken zu den zwei weiteren Beispielen Bofingers aus. Verantwortlich für das Versagen der Märkte ist hier nämlich nach Sicht der vier Professoren – Sie ahnen es vielleicht schon – der Staat! Wie kann das sein? Nun, bei der Energiewirtschaft handele es sich ja auf kommunaler Ebene bekanntermaßen zumeist um kommunale Betriebe, also um den Staat selbst. Die Stadtwerke Klein-Kleckerdorf seien also dafür in Haft zu nehmen, dass Eon, RWE, Vattenfall und EnBW so lange ausschließlich auf Kohle und Atom gesetzt haben? Das ist doch mal eine steile These. Und wie verhält es sich bei der Automobilwirtschaft? Schnallen Sie sich an – die aktuelle Abgasaffäre erklären die vier Sachverständigen mit der 20%-Beteiligung des Landes Niedersachsen am VW-Konzern. Das ist wirklich tolldreist, hat aber Methode. Auch bei der Finanzkrise wurde ja versucht, sie als Folge des Versagens öffentlicher Banken darzustellen.
Überzeugen können diese „Argumente“ natürlich nicht. Und das wissen auch Schmidt, Feld, Schnabel und Wieland und greifen daher auch ganz tief in die Schublade mit Schopenhauers Kunstgriffen, mit denen man Recht bekommen soll, ohne dabei Recht zu haben. Zum Einsatz kommt hier ein „argumentum ad personam“, das Schopenhauer selbst so kommentiert hat:
„Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob.“
Laien verwechseln häufig die Liebe von Ökonomen zum Markt mit einer Liebe zu einzelnen Marktakteuren. Einem Profi sollte das nicht passieren.
Christoph M. Schmidt, Lars Feld, Isabel Schnabel und Volker Wieland über Peter Bofinger
Das muss man sich man vorstellen: Vier neoliberale Wirtschaftswissenschaftler wollen einen Kollegen zurechtweisen, finden dafür aber kein einziges inhaltliches Argument, sprechen ihm daher ganz einfach seine Profession ab und nennen ihn einen Laien. So mutieren Weise zu Zwergen und selbst die abnehmende Sonne der Kultur kann darüber nicht mehr hinwegtäuschen.