Ein Bündel von Manipulationen zur Umdeutung der um 316 Milliarden sinkenden Steuereinnahmen
Bei den herrschenden Kreisen gilt als eiserner Glaubenssatz, dass die Schulden des Staates so enorm steigen, weil der Staat zu viel Geld ausgibt – allgemein und insbesondere für Konjunkturprogramme. Diese abenteuerliche Religion wurde schon bei früheren Konjunktureinbrüchen (etwa im Jahre 2001-2003) Lügen gestraft. Mit den durch die Steuerschätzer in Aussicht gestellten Einbrüchen bei den Steuereinnahmen wird erneut klar, dass wachsende Schulden von dem Einbruch der Konjunktur bedingt sein können. Und zwar in massiven Größenordnungen. Das passt den Meinungsführern nicht ins Konzept. Deshalb versuchen sie auch die jetzt vorher gesagten Steuermindereinnahmen der öffentlichen Hand zuzuschieben. Die begleitenden Journalisten sind zum größeren Teil absolut unfähig, diese Versuche kritisch zu begleiten, im Gegenteil: Sie decken sie. Sie sind so schlimm eingenordet, dass sie nicht einmal merken, dass ihr geliebter Professor Sinn – wenigstens teilweise – den Unsinn nicht mehr mitmacht. Albrecht Müller.
Im folgenden gehe ich auf einige Medienereignisse ein, die die geschilderte Beobachtung belegen:
- Am 14. Mai, als die Steuerschätzung offiziell bekannt gegeben wurde, startete die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Berlin eine „Aktion der INSM zur Steuerschätzung“. Sie war überschrieben mit „Schuldenlast steigt auf Rekordhöhe“ und der Einführungstext lautet wie folgt:
Die in der Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums prognostizierten Mindereinnahmen des Bundes führen zusammen mit den beiden Konjunkturpaketen zu einem Rekordschuldenstand. Pro Kopf sind es rund 23.000 Euro, wie der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) errechnet hat. Mit einer Demonstration von der Schuldenlast gebeutelter “Deutscher Michel” vor dem Bundesfinanzministerium in Berlin warnt die INSM vor weiteren Wahlgeschenken auf Kosten des Steuerzahlers.
Da wird also das Faktum, dass die Steuereinnahmen einbrechen, sofort auf die Schuldenhöhe prognostiziert und es wird sofort behauptet, die Konjunkturpakete würden mit dazu beitragen, den Rekordschuldenstand zu erreichen. Natürlich wird nicht gesagt, dass ohne Konjunkturprogramme die Steuerausfälle und damit auch die Schulden möglicherweise um noch sehr viel höher lägen.
Es wird auch nicht gesagt, dass die Bankenrettungspakete ganz wesentlich zu den hohen Schulden beitragen.
Die Aktion der INSM schlug sich in meiner Tageszeitung, der Rheinpfalz, zum Beispiel in der prominenten Abbildung eines Fotos von der Aktion der Lobbyorganisation INSM und in der Hauptschlagzeile nieder. Sie lautete „Verschuldung klettert auf Höchststand“. Die korrekte Schlagzeile hätte zum Beispiel lauten müssen „Konjunktureinbruch beschert Riesensteuerausfälle“. In der Bildunterschrift zum AP-Foto hieß es:
„Aktivisten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft prangern vor dem Finanzministerium die stetig gewachsene Pro-Kopfverschuldung der Deutschen an.“
Wie wir alle wissen, handelt es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um gekaufte „Aktivisten“ und auch da wird abgelenkt von dem eigentlichen Ereignis.
- Einen ähnlichen Ablenkungsversuch haben sich die Tagesthemen am Abend des 14. Mai geleistet. Vorweg kann angemerkt werden, dass in den Tagesthemen immerhin mehrmals deutlich gemacht wurde, dass angesichts der riesigen Steuerausfälle weitere Steuersenkungen, wie von Union und FDP vorgesehen, nicht gerade angebracht sind.
Aber der Einstieg war schon höchst eigenartig und eindeutig ein Ergebnis eines engen Geflechtes von öffentlich-rechtlichen Redaktionen und einschlägigen Wissenschaftlern. Da wurde Hans-Werner Sinns Hand mit einem Stift gezeigt, wie er auf ein Blatt Papier die 320.000.000.000 malt. Dazu lässt man ihn sagen:
„Der Staat wirft so mit den Milliarden um sich, dass man also schwindlig werden kann.“Diese Aussage kann man eigentlich nur als Auftrags-Aussage verstehen. Sie ist sachlich nicht gerechtfertigt, weil es um die 316 Milliarden Steuerausfälle geht. Und selbst Professor Sinn hat dafür gerade auch am 14. Mai sachlichere und besserer Erklärungen. Siehe drittens. Es muss also die beabsichtigte Meinungsmache des Berliner Redakteurs der Tagesthemen gewesen sein, oder der Redaktion in Hamburg, um einen solchen Unsinn zur Ablenkung von den wirklichen Geschehnissen in die spätabendliche Hauptnachrichtensendung zu bringen.
- Es folgen noch einige Hinweise auf Sendungen des Deutschlandfunks mit erstaunlichen Fehlleistungen der Journalisten/in. Immerhin versucht Professor Sinn der ihn interviewenden Dame zu erklären, dass es wenig Sinn macht, prozyklisch zu sparen. Man müsste Hans-Werner Sinn schon loben ob dieses Versuches, wenn er nicht zu den Öffentlichen Banken im Vergleich zu privat geführten Banken den üblichen Unsinn erzählen würde:
Quelle: dradio (Text)
Quelle: dradio (Audio)Zu dem Steinbrück-Interview noch so ein “schönes” Beispiel aus dem Journalismus-Absurdistan. (Nebenbei: auch eins für die “Lernfähigkeit” eines Herrn Sinn, aus der der Steinbrück-Interviewer sogar noch hätte Honig saugen können).
Kaum zu glauben, aber so etwas bietet tatsächlich ein so genanntes Qualitätsmedium:
Schulz: Steuerausfälle im hohen dreistelligen Milliardenbereich, darauf müssen wir uns gefasst machen. Lässt sich diese Zahl konkret übersetzen? Welche Zwänge kommen auf die öffentlichen Haushalte zu?
Sinn: Was heißt hier Zwänge? Es kommt Verschuldung auf uns zu. Wir werden dieses Jahr eine Netto-Neuverschuldung von knapp 90 Milliarden Euro in Deutschland haben, weil die Steuereinnahmen angesichts der Wirtschaftsflaute wegbrechen und der Staat ja nun eins nicht tun darf: Seine Ausgaben in Proportionen dazu reduzieren, denn dann würde er die Krise verschärfen. Das wäre eine Parallelpolitik. Er muss sogar im Gegenteil zusätzliche Ausgabenprogramme machen. Wir haben ja das Konjunkturprogramm, was auch noch Verschuldung bringt. Das ist alles schlimm, aber schlimm ist die Krise und dies sind Heilmittel, die die Krise abmildern. Das geht nicht anders.
Schulz: Und das heißt, im Wahlkampf müssen die Parteien auch Haushaltskonsolidierung eigentlich lautererweise verfolgen?
Sinn: Nein! Das können sie jetzt nicht verfolgen. Das wäre jetzt falsch. Man darf die Haushalte in der Krise nicht konsolidieren, sondern muss die Schulden akzeptieren, weil jede Konsolidierungsstrategie eine Parallelpolitik wäre, die den Abschwung verstärkt.
Schulz: Und wie steht es mit den Plänen zur steuerlichen Entlastung? Folgt das auch daraus, dass die dann richtig sind?
Sinn: Die Staaten der westlichen Welt haben ja vereinbart, dass sie Konjunkturprogramme machen, das heißt, über das hinaus, was sowieso an Defiziten durch die Krise entsteht, mindestens ein Prozent des Sozialproduktes noch mal an Programmen realisieren. Das kann also eine Ausgabenerhöhung, oder eine Steuereinnahmensenkung sein. Beides würde im Sinne der Keynesianischen Theorie die Wirtschaft beleben und die Krise abfedern. Ich persönlich finde es richtiger, wenn der Staat die Infrastrukturausgaben erhöht, weil wir da auf der einen Seite viel Nachholbedarf haben und auf der anderen Seite ja auch diese Maßnahmen dann sehr direkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln, während Steuersenkungen das nur indirekt tun, in dem Sinne, dass die Begünstigten dann vielleicht etwas mehr konsumieren.
- Als Ergänzung zur Information noch der Link auf ein Interview mit Steinbrück
Quelle: dradio (Text)
Quelle: dradio (Audio)Kommentar eines Nutzers der NachDenkSeiten:Das muss man gelesen haben/gehört haben, insbesondere die zweite Hälfte des Interviews, wenn die Rede auf Banken kommt. Es dokumentiert mustergültig die Abdankung des kritischen Journalismus vor den Sprechblasen der Regierenden – obwohl es genug Gelegenheiten gab, die Luft rauszulassen.
In diesem Texten sind so viele Manipulationsvorgänge und -versuche enthalten, dass es lohnt, das ganze in die Rubrik Manipulation des Monats einzuordnen.