Hinweise des Tages II

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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Wer Hartz IV bezieht, soll was tun
  2. Beschäftigungswunder Deutschland?
  3. Die “Pflegemafia” aus dem Osten reloaded: Organisierte Kriminalität, Geschäfte an und mit alten Menschen und die nicht-triviale Frage: Was tun?
  4. Big Data Healthcare: Risiko-Faktor Arbeitsunfähigkeit
  5. Die Gesellschaft rückt auseinander: Warum immer weniger Menschen immer mehr besitzen
  6. Steuergerechtigkeit: Abgeltungssteuer abschaffen!
  7. Über die WTO sollen wir den Datenkraken schutzlos ausgeliefert werden
  8. Spanische Justiz: Für Respektlosigkeit gegen Polizei bis zu 600.000 Euro
  9. Partner mit Annexionswünschen
  10. Seit’ an Seit’ mit China
  11. Linke Forderungen – für einmal aus den USA
  12. Es ist nicht alles seine Schuld
  13. Weil die SPD keine AfD sein wollte
  14. Keine gute Entscheidung
  15. Kretschmann überzeugt bei Podiumsdiskussion in Berlin
  16. NRW-Abgeordnete bekommen mehr Geld
  17. Zu guter Letzt: Sicheres Herkunftsland: De Maizière verbringt Sommerurlaub in Afghanistan

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Wer Hartz IV bezieht, soll was tun
    Bremerhavener Agentur für Arbeit will in Pilotprojekt schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose entgeltfrei für Firmen und Kommunen arbeiten lassen.
    In Bremerhaven soll Anfang 2018 ein Pilotprojekt zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit starten. Statt einfach nur zu Hause rumzusitzen, sollen Hartz-IV-EmpfängerInnen entgeltfrei in Firmen aushelfen oder öffentliche Grünanlagen pflegen. Ziel ist es, sie durch Arbeit in die Gesellschaft zu integrieren.
    Dass das strukturschwache Bremerhaven schon länger ein Problem mit Langzeitarbeitslosigkeit hat, ist bekannt. Neu ist jedoch, dass sich die Bundesagentur für Arbeit selbst eingesteht, dass ihre Konzepte zur Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt nicht funktionieren. Auf der Pressekonferenz der Agentur für Arbeit Bremen/Bremerhaven, in der die aktuellen Arbeitsmarktzahlen für das Land Bremen vorgestellt werden sollten, räumte sie ein, dass es einen harten Kern von Langzeitarbeitslosen gibt, dem sie nicht helfen kann.
    „Je länger man von Arbeitslosigkeit betroffen ist, desto schwieriger wird es auch, aus ihr wieder raus zu kommen“, sagte Susanne Ahlers, Geschäftsführerin des Jobcenters Bremen. Kommen dazu noch Faktoren wie ein Kind, hohes Alter oder ein Migrationshintergrund, gehen die Chancen, einen neuen Job zu bekommen gegen Null.
    Die bisherigen Wiedereingliederungsmaßnahmen dauerten nur ein halbes Jahr. In den meisten Fällen scheiterten diese Versuche. „Auch Langzeitarbeitslose einfach nur weiterzubilden hilft nicht, denn viele von ihnen sind einfach nicht mehr beschulbar“, sagt Götz von Einem, der Chef der Agentur für Arbeit in Bremen.
    Das neue Konzept sieht vor, Menschen, die seit mindestens vier Jahren arbeitslos sind, zwei bis drei Jahre lang in eine öffentlich geförderte Beschäftigung zu schicken. Langzeitarbeitslose sollen demnach Betrieben, als zusätzliche kostenlose Kraft angeboten werden. „Dort können sie als eine Art Handlanger den Arbeitsprozess in Firmen unterstützen“, sagt von Einem. Ein weiterer Vorschlag sieht vor, sie in der Stadtteilverschönerung einzusetzen.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: 1. April? Nein, 31. Mai 2017. Sogar unentgeltliche Arbeit für kommerziell arbeitende, private Firmen. Das ist nicht “fast Zwangsarbeit”, das ist Zwangsarbeit. Das kann eigentlich nicht wahr sein; was unterscheidet diese Tätigkeiten von (echten) Sklavenjobs, wo nur die Existenz gesichert wird (was bei Hartz IV nicht einmal gegeben ist)? Was ist daran “Pilotprojekt”? Genau dasselbe Konzept wie die 1-Euro-Jobs, nur jetzt ohne den einen Euro extra; wiederum mit der Behauptung, es dürften nur “zusätzliche Jobs” angeboten werden, wobei ein Job der “zusätzlich” ist und gemacht werden muss, bezahlt gehört, und anderenfalls bezahlte Arbeitsstellen vernichtet werden. Workfare wie in den turbokapitalistischen USA… Das Konzept 1-Euro-Job ist 12 Jahren lang gescheitert, deshalb wird es neu aufgelegt??? “Wenn die SPD einen Fehler macht, dann macht die den immer wieder” – jetzt in der Landesregierung von Bremen.

  2. Beschäftigungswunder Deutschland?
    Die Wirtschaft boomt, die Zahl der Arbeitsplätze steigt. Manche sprechen schon davon, dass fast Vollbeschäftigung erreicht sei. Doch so ist es leider nicht. Zahlreiche Arbeitslose finden keinen Job – weil zu wenig Arbeit für alle vorhanden. Es gilt daher, Arbeit anders zu verteilen. An guten Ideen dafür, mangelt es nicht, meint Lars Niggemeyer.
    Folgt man den öffentlichen Verlautbarungen von Politik und Presse sieht die Lage auf dem Arbeitsmarkt bestens aus: Vollbeschäftigung sei fast erreicht, es vollziehe sich seit zehn Jahren ein Beschäftigungswunder. Eine aktuelle Studie des Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) kommt jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis: Das deutsche „Beschäftigungswunder“ basiert zum erheblichen Teil auf einer Zunahme der atypischen Beschäftigung. Prekäre Beschäftigungsformen plus reguläre Teilzeit sind zusammen für 77 Prozent aller seit dem konjunkturellen Tiefpunkt im Jahr 2004 neu entstandenen Arbeitsverhältnisse ausschlaggebend.
    Der Beschäftigungsaufbau hat daher nicht zu einer qualitativen Verbesserung des Arbeitsmarktes beigetragen, im Gegenteil: Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2015 39,3 Prozent aller Arbeitnehmer atypisch (Teilzeit, Minijob, Leiharbeit) beschäftigt sind. Zu Beginn der Erfassung durch das WSI – im Jahr 2003 – lag der Anteil nur bei 29,5 Prozent. Zusammengenommen sind 14,1 Millionen Beschäftige betroffen. Addiert man hierzu noch 3,1 Millionen Vollzeitbeschäftigte, die nur befristete Arbeitsverträge haben, sind insgesamt 17,2 Millionen von 36 Millionen abhängig Beschäftigen atypisch erwerbstätig, das sind 48 Prozent, also fast jeder zweite.
    Quelle: Gegenblende
  3. Big Data Healthcare: Risiko-Faktor Arbeitsunfähigkeit
    Längst versuchen Krankenkassen, ein detailliertes Abbild unserer Gesundheit zu ermitteln – oder was sie aus ihrer von Interessen geleiteten Sicht dafür halten. In dieses Abbild fließen alle unsere erfassbaren Arbeits-, Ess-, Freizeit-, Einkaufs- sowie sonstige Lebensgewohnheiten und Neigungen ein.
    Analog zum unbegrenzten Datenhunger der Kreditinstitute für die Berechnung der Kreditwürdigkeit anhand von mehr als 80.000 Indikatoren wird auch die medizinische „Bonität“ eines jeden Versicherten errechnet. Diese Daten geben nicht nur statistisch Aufschluss über Korrelationen zwischen gesundheitlichen Beschwerden einerseits und den vielleicht ursächlichen, individuellen Lebensgewohnheiten, sondern lassen eine detaillierte Analyse des individuellen Krankheits-Risikos zu, welches über vollständig individualisierte Versicherungstarife eingepreist werden soll.
    Das Ziel dieser forcierten „Entwicklung“ ist die feinst mögliche Risiko-Kategorisierung – die maximale Verfeinerung der Schubladen, in die uns Krankenversicherer bislang sortiert hatten. Das bedeutet nicht weniger als das vollständige Unterlaufen des ursprünglichen Solidargedankens der (ersten Betriebs-) Krankenkassen.
    Quelle: Arbeitsunrecht
  4. Die “Pflegemafia” aus dem Osten reloaded: Organisierte Kriminalität, Geschäfte an und mit alten Menschen und die nicht-triviale Frage: Was tun?
    Gerade in der Presse sollte man mit Sorgfalt die Worte wägen und benutzen. Dieser Satz gehört nicht dazu: »Rund 230 überwiegend russische Pflegedienste stehen im Verdacht, ein System für Abrechnungsbetrug aufgebaut zu haben.« Da wird sich der eine oder andere fragen – wieso “russische” Pflegedienste? Was haben die in Deutschland verloren? Und stimmt das überhaupt?
    Der Satz stammt aus diesem Artikel von Anette Dowideit: Hunderte Pflegedienste unter Betrugsverdacht. Und darin schreibt sie, dass das mit den “russischen Pflegediensten” aus dem Abschlussbericht von Sonderermittlern des BKA und LKA aus Nordrhein-Westfalen hervor gehe, der ihr und dem Bayerischen Rundfunk vorliegt. Der BR veröffentlichte zeitgleich unter der Überschrift Sonderermittler vermuten bundesweites Netzwerk. Dort findet man dann diese Typisierung: »Rund 230 russisch-eurasische ambulante Pflegedienste stehen nach Erkenntnissen deutscher Ermittlungsbehörden im Verdacht, ein bundesweites System zum Abrechnungsbetrug aufgebaut zu haben.« “Russisch-eurasische” Pflegedienste – das wird ja immer bunter. Natürlich kommen da bei nicht wenigen Lesern unangenehme Assoziationen zur “Russenmafia” auf. Und die Berichterstattung liefert einiges Futter für diese Einordnung: »Bei einigen der 230 Unternehmen, die dem Betrugsnetzwerk angehören sollen, gehen die Ermittler zudem von Verbindungen zur Organisierten Kriminalität aus. So zum Beispiel wegen der Einrichtung von Scheinfirmen im In-und Ausland, wegen des Verdachts der Geldwäsche oder enger Verflechtungen zur Glücksspielbranche. Unter ehemaligen Firmenbetreibern sollen außerdem auch Personen sein, die von den Behörden in anderem Zusammenhang als Auftragsmörder verdächtigt werden.« Geldwäsche bis hin zu Auftragskillern? Und dann die armen Pflegebedürftigen, die von solchen Gestalten ausgenommen werden?
    Quelle: Aktuelle Sozialpolitik
  5. Die Gesellschaft rückt auseinander: Warum immer weniger Menschen immer mehr besitzen
    In Deutschland besitzen nur zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens – und die Ungleichheit nimmt weiter zu. Besonders bemerkenswert ist, dass 74 Prozent der Haushalte über ein geringeres Vermögen verfügen, als der Durchschnitt. Diese extrem ungleiche Verteilung des Wohlstandes birgt nicht nur ein soziales, sondern auch ein ökonomisches Problem.
    Um Ungleichheit statistisch zu beschreiben, zum Beispiel der Verteilung von Vermögen oder Einkommen, gibt es einen speziellen Index. Der “Gini-Koeffizient” beschreibt den Grad der Ungleichverteilung. Ein Wert von “0” steht für totale Gleichheit: Alle haben exakt gleich viel Vermögen. “100” stände dafür, dass ein Mensch alles besitzt und der Rest nichts. In Deutschland liegt der “Gini-Koeffizient” mit 77,5 relativ hoch. Im Nachbarland Belgien ist er mit 62,6 deutlich niedriger. Trauriger Spitzenreiter in puncto Ungleichheit in Europa sind die Schweiz (80,3) und Schweden (80,9). Weltweit aber ist der Unterschied zwischen dem, was die Reichen besitzen, und dem, was die Armen haben, am gravierendsten in den USA mit 85 und in Russland mit 91,2. Nirgendwo sonst besitzen so wenige Menschen so viel. Fast alle Untersuchungen zu dem Thema zeigen auch, dass die Ungleichheit in den letzten Dekaden wächst.
    Quelle: 3sat
  6. Steuergerechtigkeit: Abgeltungssteuer abschaffen!
    Auch die Ernüchterung darüber, dass sie gar nicht so unkompliziert ist wie versprochen, lässt ehemalige Befürworter nun zu Gegnern der Abgeltungssteuer werden. „Gut so!“, meint der DGB-klartext und klärt auf.
    Die steuerpolitischen Eckpunkte des DGB zur Bundestagswahl gewinnen zunehmend an Bekanntheit und Anerkennung. Bereits in der vorletzten Woche attestierte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dass im Vergleich mit anderen Ideen einzig der vom DGB geforderte Einkommensteuertarif für eine Entlastung von 95 Prozent aller Lohnsteuerzahler sorge, zugleich aber den begrenzten Spielraum der öffentlichen Haushalte nicht überstrapaziere.
    Während des vom DGB mitausgerichteteten Makroökonomischen Kongresses bezeichnete dann vergangene Woche der Direktor der Abteilung für wirtschaftspolitische Studien bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die steuerpolitischen Vorschläge der Gewerkschaften als „das Beste, was derzeit auf dem Markt ist.“
    Quelle: DGB Klartext
  7. Über die WTO sollen wir den Datenkraken schutzlos ausgeliefert werden
    In der Welthandelsorganisation WTO laufen derzeit im Hintergrund besorgniserregende Diskussionen. Wenn die Pläne für den Freihandel mit Daten so umgesetzt werden, wie diskutiert, kann man die Durchsetzung nationaler oder überhaupt irgendwelcher Datenschutzregeln vergessen.
    Unter dem Deckmantel des Begriffs „E-Commerce“ würden die der WTO unterbreiteten Vorschläge die Datenflüsse vollständig und bedingungslos liberalisieren, die Zölle abbauen, die wirtschaftlichen Auflagen für den Handel unterbinden und nationale und örtliche Unternehmen, Dienstleistungen und Beschäftigte gefährden. Das geht aus einem Bericht der internationalen Gewerkschaftsorganisation Uni Global Union hervor, der mir vorliegt. Titel: „Drohende Vertiefung der digitalen Kluft – besorgniserregende WTO-Diskussionen“.
    Quelle: Norbert Häring
  8. Spanische Justiz: Für Respektlosigkeit gegen Polizei bis zu 600.000 Euro
    In Spanien kann Ungehorsam gegenüber der Polizei mit harten Strafen geahndet werden: Eine Frau veröffentlicht das Foto eines Einsatzfahrzeugs auf einem Behindertenparkplatz und muss eine Geldstrafe zahlen. Die Kritik wächst. […]
    Das kleine Schild reichte den Behörden, um gegen Lázaro und García vorzugehen. „Mit Videoaufnahmen, dem Drehbuch und zahlreichen Zeugen konnten wir ihre Unschuld beweisen“, sagt der Anwalt Daniel Amelang López, der half, die Puppenspieler aus dem Gefängnis zu holen. Bis Anfang 2017 dauerte es danach, bis er die Richter davon überzeugt hatte, dass die beiden nicht zu Hass und Gewalt aufgerufen hatten, und alle Anschuldigungen fallengelassen wurden. „Fast täglich gibt es neue Fälle“, schätzt der Anwalt, dessen Kanzlei es nicht an Klienten mangelt: Sie werden beschuldigt, im Internet Sympathie für Terroristen geäußert oder sich Polizisten gegenüber ungebührlich verhalten zu haben.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Das stößt sogar der bei Vergehen der Konservativen weniger empfindlichen FAZ im Politikteil auf. Die EU sollte viel mehr gegen die Rechtsverstöße in Ungarn und Polen unternehmen, aber auch mal den Blick gen Westen werfen: das beschriebene Gesetz ist eine Maßnahme eines Unterdrückungs- und Polizeistaats.

  9. Partner mit Annexionswünschen
    Mit massivem Druck sucht Berlin die politische Krise in Albanien, einem traditionellen Verbündeten deutscher Südosteuropapolitik, beizulegen. In Tirana ist auf der Basis von Vorschlägen eines CDU-Europaabgeordneten eine Übergangsregierung gebildet worden; Neuwahlen sollen folgen. Die Übergangsregierung wird von Premierminister Edi Rama geführt, einem engen Weggefährten Berlins mit guten Kontakten zur Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD). Albanien, das prowestlichste Land Südosteuropas, arbeitet seit langem systematisch mit der Bundesrepublik zusammen, die vor allem den großalbanischen Irredentismus nutzt, um Druck auf missliebige Regierungen der Region auszuüben. Tirana half etwa bei der Unterstützung kosovoalbanischer Separatisten im Kosovo-Krieg des Jahres 1999 und droht aktuell, bei Bedarf die südserbische Provinz Kosovo zu annektieren. Während deutsche Unternehmen in gewissem Maße gute Geschäfte in Albanien machen, verarmt die Bevölkerung; gelegentlich kommt es zu Unruhen.
    Quelle: German Foreign Policy
  10. Seit’ an Seit’ mit China
    Für Freihandel und eine »regelbasierte Weltordnung«: Kanzlerin Merkel und Premierminister Li üben in Berlin den Schulterschluss
    Die Bundesregierung kann auch pragmatisch: Mit den USA läuft es derzeit nicht so gut. Da bietet sich der Schulterschluss mit der zweiten großen Weltwirtschaftsmacht geradezu an. Das machte den Staatsbesuch von Chinas Premierminister Li Keqiang am Mittwoch und Donnerstag besonders interessant. Nach einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ankunftsabend und deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen am Donnerstag, machten sich die Gäste dann auf nach Brüssel zu einem Treffen mit den Spitzenkräften der EU. Li wurde von mehreren Ministern begleitet, die mit ihren deutschen Pendants konferierten. Der Besuch fand im Rahmen der seit 2004 jährlich abgehaltenen Treffen zwischen den deutschen und chinesischen Regierungschefs statt, wurde aber diesmal mit Bedacht in das Vorfeld des G-20-Gipfels der selbsternannten wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gelegt, der Anfang Juli unter deutschem Vorsitz in Hamburg tagen wird.
    Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua hebt in ihrer Berichterstattung gemeinsame Interessen von Gast und Gastgeber hervor. Li habe sich bei Merkel dafür eingesetzt, dass Deutschland und China weiter »Freihandel« und eine investitionsfreundliche Politik fördern sowie die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verteidigen sollten. Letztere war in den 1990ern nicht zuletzt dank des Engagements der damaligen BRD-Regierungen aus Union und FDP entstanden. China war 2001 beigetreten und hat mit seinem exportorientierten Entwicklungsmodell seitdem erheblich von der Mitgliedschaft profitiert. Die weitere »Liberalisierung« des Welthandels im Rahmen der WTO stockt jedoch seit Ende der 1990er Jahre aufgrund großer Interessenkonflikte zwischen dem reichen Norden und vielen Entwicklungsländern.
    Quelle: junge Welt

    Anmerkung Christian Reimann: Nun also doch eine gemeinsame Linie zwischen China und Deutschland – auch beim Thema “Freihandel”. Selbst Herr Gabriel, der kürzlich in China war, stellte seine Flexibiltät erneut unter Beweis. Noch in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister hatte er vor den Standards – insbesondere den angeblich so sehr viel niedrigeren aus Asien – für den Fall eines Scheiterns der sogenannten Freihandelsabkommen CETA und TTIP – auch auf einer sog. Freihandelskonferenz der SPD gewarnt.
    Vielleicht ist sich diese Bundesregierung – und hier vor allem die Vertreterschaft der SPD – inzwischen bewusst geworden, dass dieser Abstand durch ihre Politik (z.B. eines “der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt”; so Bundeskanzler Schröder 2005) wesentlich geringer worden sein dürfte.

  11. Linke Forderungen – für einmal aus den USA
    US-Senator Bernie Sanders zeigte an der Freien Universität Berlin, dass eine international gesinnte Linke gute Argumente hat.
    Wird Berlin zum Hyde Park Corner der amerikanischen Opposition? Eine Woche nach dem triumphalen Auftritt von Ex-Präsident Obama ist Senator Bernie Sanders, der unterlegene Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, an der Freien Universität Berlin gefeiert worden. Anlass seiner Rede war die deutsche Ausgabe seines Buchs zur Wahl («Unsere Revolution. Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft»). Über die zu erwartende Kritik an der Regierung Trump hinaus argumentierte Sanders für internationale Zusammenarbeit und gegen die Politik des in sich gekehrten Hasses. Er sprach viel über die europäischen Modelle in der Bildungs- und Gesundheitspolitik – so viel, dass der Berichterstatter des Berliner «Tagesspiegels» sich zur (genau genommen ungeheuerlichen) Behauptung verstieg, der in Brooklyn/New York geborene Sanders sei «ja selbst ein Europäer, der zum Amerikaner bekehrt wurde. Sein Vater, ein polnischer Jude, wanderte im Ersten Weltkrieg in die USA ein». Über den Stellenwert der Europäischen Union – die Gretchenfrage europäischer Politik – verlor der Senator aus Vermont dagegen kein Wort. Er wurde auch nicht gefragt.
    Quelle: Infosperber
  12. Es ist nicht alles seine Schuld
    Der Kampf ums Klima ist nicht gleich verloren, nur weil die USA nicht mehr mitmachen. China holt auf – und Deutschland muss sich um seine Autos und Kraftwerke kümmern. […]
    Wenn ein Weltklimavertrag überhaupt so etwas wie eine bremsende, regulierende Funktion entfaltet, wird man sich diese Wirkung kaum als globale Treibhausplanwirtschaft vorstellen können. Mit Widerstand ist zu rechnen, Länder werden aus- und wieder einsteigen, soeben beginnen die USA ein solches Manöver. Und natürlich ist offene Obstruktion, wie die Trump-Regierung sie übt, nur eine Form des Widerstands.
    Die deutsche Methode besteht eher darin, die große Bedeutung des Klimaschutzes zu betonen, um ihn zu ignorieren, wenn es darauf ankommt: beim Atomausstieg, in der Verkehrspolitik, im Wohnungsbau. Alle zehn Jahre, ganz grob geschätzt, braucht Deutschland ein neues Klimaziel – damit nicht auffällt, dass das jeweils letzte nach jahrelanger Vernachlässigung unerreichbar geworden ist.
    Quelle: Zeit Online

    dazu: Trump und das Welt-Klima”Merkel blockiert auf der europäischen Ebene”
    Nach dem angekündigten Ausstieg der USA aus dem Klimaschutzabkommen ist die Kritik vonseiten der Bundesregierung besonders laut. Doch der Zeigefinger in Richtung Washington sei überhaupt nicht angebracht, sagte der Kieler Klimaforscher Mojib Latif im Dlf. Deutschland trete immer als Mahner auf, aber die Bundeskanzlerin blockiere auf europäischer Ebene.
    Quelle: Deutschlandfunk

  13. Weil die SPD keine AfD sein wollte
    Warum die Sozialdemokraten aus machttaktischen Gründen froh sein werden, wenn es die »Schande für Deutschland« in den Bundestag schafft
    Was war das doch für eine Aufbruchsstimmung, die Martin Schulz da in seine Rede im Willy-Brandt-Haus legte, als er Ende Januar vor ausgesuchten Genossinnen und Genossen sprach. Die Sozialdemokratie sollte wieder Kanzlerpartei werden. Auch um gegen die Rechtspopulisten ein Zeichen zu setzen. Und um sie, die er eine »Schande für Deutschland« nannte, wegzuhalten von etwaigen Machtoptionen. Dass man »diese Typen […] bekämpfen« müsse, hatte er schon ein Jahr vor seiner Kandidatur der Presse gallig ins Notizbüchlein diktiert. Jetzt sollte das angepackt werden. Mit ihm als SPD-Kanzler.
    Vier Monate sind seitdem vergangen. Die Umfragewerte sind so, wie sie waren, als Gabriel Schulz die Kandidatur antrug. Zwischenzeitlich sah es jedoch tatsächlich bei fast allen Demoskopen so aus, als würde die Sozialdemokratie zu einer Alternative für Merkel-Deutschland werden können – je nachdem, wie offen sie sich für mögliche Koalitionspartner zeigte. Aber dieser Hype kam viel zu früh, konnte bis September nicht gehalten werden. Nun ist man selbst als Juniorpartner in der Koalition nicht sicher. Ob nun bei Forsa, Emnid oder Allensbach: Fiele die AfD unter fünf Prozent, wäre die GroKo abgelöst und könnte diese Regierung durch eine Neuauflage der sogenannten »bürgerlichen Koalition« zwischen Union und FDP ersetzt werden. Anders, polemischer gesagt: Die Sozialdemokraten müssen froh sein, wenn es diese »Schande für Deutschland« in den Bundestag schafft. Denn ohne die AfD geht es geradewegs in die Opposition.
    Quelle: Heppenheimer Hiob

    dazu: Umfragen: SPD sinkt in Gunst der Wähler weiter
    Die SPD setzt ihren Sinkflug in den Umfragen fort: Im ZDF-„Politbarometer” kommen die Sozialdemokraten derzeit nur noch auf 25 Prozent (minus 2 Punkte), wie der Sender mitteilte. Die Union kann sich dagegen zum dritten Mal in Folge weiter absetzen (39 Prozent, plus 1). Bereits am Donnerstag hatte das Hamburger Institut GMS für die SPD einen Zustimmungswert von nur noch 23 Prozent gemeldet. Damit nähern sich die SPD-Umfragewerte denen vor der Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten im Januar. Im April noch hatten ihre Zustimmungswerte bei mehr als 30 Prozent gelegen.
    Quelle: Berliner Zeitung

  14. Keine gute Entscheidung
    Der Bundestag hat seine Geschäftsordnung geändert, um einen AfD-Alterspräsidenten zu verhindern. Das nutzt nur den Rechtspopulisten.
    Norbert Lammerts Absicht war gut. Der scheidende Bundestagspräsident will verhindern, dass ein AfD-Abgeordneter die erste Sitzung des neugewählten Parlaments im Herbst mit einer Rede eröffnen darf – dazu vermutlich einer, der den Holocaust als „Mythos“ bezeichnet hat.
    Deshalb hat das Parlament mit den Stimmen von CDU und SPD am frühen Freitagmorgen auf Lammerts Vorschlag hin die Geschäftsordnung geändert: Alterspräsident des Bundestags soll künftig nicht mehr der an Jahren älteste Abgeordnete, sondern der mit den meisten Dienstjahren sein. Statt des befürchteten AfD-Mannes Wilhelm von Gottberg wird dies nun vermutlich der CDU-Abgeordnete und Finanzminister Wolfgang Schäuble werden.
    Ohne jeden Zweifel ist Schäuble die bessere Wahl. Und dennoch: Die Entscheidung ist falsch, schlecht für die Demokratie und sie wird vor allem der AfD nutzen. Denn diese kann sagen: Schaut her, die Regierungsparteien haben eine solche Angst vor uns, dass sie zu Verfahrenstricks greifen müssen. Auch können sich die Rechtspopulisten wieder mal als ausgegrenzt und damit als Opfer darstellen. Das dürfte ihnen im Wahlkampf eher nutzen.
    Quelle: taz

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Die Kritik an dieser Änderung der Geschäftsordnung ist wohlbegründet und richtig, und natürlich ist ein Holocaust-Leugner an prominenter Stelle im Bundestag eine Schande – aber dass der durch die CDU-Spendenaffäre belastete Schäuble, der schon mal Flugzeuge abschießen und die Bundeswehr im Innern einsetzen wollte und auch die Beschränkung des Gesetzgebers durch das Grundgesetz beklagt hat, eine so viel bessere Wahl wäre, stelle ich infrage.

  15. Kretschmann überzeugt bei Podiumsdiskussion in Berlin
    Auftritte in Berlin sind für Winfried Kretschmann prinzipiell Auswärtsspiele. Besonders Gremiensitzungen seiner eigenen Partei meidet der baden-württembergische Ministerpräsident nach Möglichkeit – die Rituale und Profilneurosen auf der Hauptstadtbühne sind ihm ein Graus. Erstaunlich wohl fühlte sich der Grüne jetzt aber bei einer Veranstaltung der Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“, einer von Arbeitgebern und Industrie finanzierten marktliberalen Lobby-Organisation.
    Kretschmann war gebeten worden, „20 Minuten Klartext“ zu reden, und wurde befragt von einem prominenten Parteifreund, dem früheren Bundestagsabgeordneten der Grünen, Hubert Kleinert, der heute als Politik-Professor in Kassel tätig ist. Im Publikum mischten sich ehemalige und aktuelle Bundestagsabgeordnete von FDP und CDU mit Interessenvertretern von Verbänden und Unternehmen – Dirk Niebel und Hermann Otto Solms, Oswald Metzger und Thomas Bareiß. Ein Hauch von „Jamaika“ waberte durch den Salon in Berlin-Mitte. […]
    Der neoliberale Gastgeber war rundum zufrieden mit Kretschmann: „Das ist ja fast einer von uns“, raunte ein sichtlich ­überzeugter Lobbyist, „wenn er nur nicht demnächst ein ­Fahrverbot für Dieselautos verhängt.“
    Quelle: Südwest Presse
  16. NRW-Abgeordnete bekommen mehr Geld
    Am Ende geht’s ums Geld: Als letzter Tagesordnungspunkt der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags am Donnerstag (01.06.2017) ist eine Erhöhung der Abgeordnetenbezüge beschlossen worden. Nach einer Mitteilung der früheren Parlamentspräsidentin Carina Gödecke (SPD) sollen die Diäten zum 1. Juli um rund 180 Euro monatlich auf dann 11.185,85 Euro steigen.
    Quelle: WDR

    Anmerkung Lutz Hausstein: Köstlich immer wieder – diese “Meldungen” des “Postillon”. Huch! Diese Nachricht stammt doch gar nicht aus der Feder des “Postillon”, die ist vom WDR! Jetzt verstehe ich Frau Merkels Standard-Phrase endlich richtig: UNS geht es gut.

  17. Zu guter Letzt: Sicheres Herkunftsland: De Maizière verbringt Sommerurlaub in Afghanistan
    Berlin, Kabul (dpo) – Deutschlands Innenminister will sich im Urlaub keine Sorgen um seine Sicherheit machen. Deshalb wird Thomas de Maizière (CDU) seinen Sommerurlaub in diesem Jahr nach eigenen Angaben in dem sicheren Herkunftsland Afghanistan verbringen – schließlich werden regelmäßig Flüchtlinge dorthin abgeschoben, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.
    “In Afghanistan ist das Wetter in dieser Jahreszeit fantastisch”, bestätigte de Maizière, der vor der Bundestagswahl noch schnell seinen Resturlaub verbrauchen muss, kurz vor dem Abflug Richtung Hindukusch.. “Und sicher ist es dort auch. Sonst würde die Bundesregierung es niemals verantworten können, Menschen dort abzusetzen und sich selbst zu überlassen!”
    Quelle: Der Postillon

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