BILD keilt gegen FIFA, um Russland zu treffen – wie aus einer Posse ein Politikum wurde
„Fifa kuscht vor Putin!“ – diese Meldung der BILD sorgte gestern weit über die BILD-Leserschaft hinaus für groteske Aufregung. Es soll dabei – so BILD – darum gehen, dass die Fifa auf Weisung Moskaus Journalisten, die sich für den FIFA-Konföderationen-Pokal akkreditieren wollen, vorschreibt, über was sie zu berichten haben. Für BILD ein „Zensur-Skandal“. Dumm nur, dass an der Story nichts dran ist. Dennoch wurde die BILD-Meldung von den meisten als seriös geltenden Medien 1:1 weiterverbreitet und DFB-Funktionäre sowie Spitzenpolitiker fühlten sich berufen, in der BILD gegen Russland zu wettern. „Wenn die Deutschen schon nicht auf einen Anti-Russland-Kurs gebracht werden können, dann versucht es [BILD-Chef] Julian Reichelt jetzt über des Deutschen Lieblingssport Fußball, um weitere Empörung ohne Fakten zu erzeugen“, so einer unserer Leser, der selbst aus dem Sportjournalismus kommt. Von Jens Berger.
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Der Empörungspunkt ist die angebliche „Zensur“ die Reportern, die sich für den Confed-Cup akkreditieren, droht. Konkret geht es um einen Passus in der Akkreditierung, die Reportern auferlegt ausschließlich über den Wettkampf und umliegende Sehenswürdigkeiten berichten zu dürfen. Doch das ist übliche Praxis und wurde so bereits auch 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta praktiziert. Denn die übliche Praxis für Journalisten ist es ein Arbeitsvisum im jeweiligen Land zu beantragen. Diese Hürde hat Russland für den Confed-Cup gestrichen um so die Arbeit für die Medien zu erleichtern. Allerdings gilt diese Erleichterung nur für Sportjournalisten mit dem Tätigkeitsfeld Confed-Cup. Möchte man über gesellschaftliche Themen berichten, braucht man, wie bisher auch, ein Arbeits-Visum, welches anstandslos ausgestellt wird. So war es auch 1996 in Atlanta und ist allgemein gültige Praxis. Was die Bild unter Julian Reichelt daraus macht ist einfach nur lächerlich und dient ausschließlich der negativen Stimmungsmache gegenüber Russland.
Zuschrift eines Lesers, der anonym bleiben will, da er selbst im Sportjournalismus tätig ist
Wir haben die Zuschrift unseres Lesers gegengecheckt und er hat Recht. Wie sowohl das russische Sportministerium als auch die FIFA auf Anfrage mitteilen, handelt es sich bei der von BILD und CO. kritisierten Modus Operandi keinesfalls um eine wie auch immer geartete inhaltliche Einschränkung für Sportjournalisten, sondern um das Angebot eines vereinfachten Medienvisums. Russland hat in Absprache mit der FIFA ein vereinfachtes Schnellverfahren zur Visaerteilung für Sportjournalisten eingeführt, die vom FIFA-Konföderationen-Pokal bzw. der WM im nächsten Jahr berichten. Journalisten, die über andere Themen berichten wollen, müssen nach wie vor das normale Verfahren zur Erteilung eines Arbeitsvisums durchlaufen. Das Angebot ist also eine Sonderregelung für Sportjournalisten. Selbstverständlich hat dies überhaupt nichts mit den Inhalten zu tun, die die Sportjournalisten schreiben und senden. Wie die BILD überhaupt auf die Idee kommen kann, dies als „Zensur“ zu interpretieren, ist mit gesundem Menschenverstand nicht greifbar.
Besonders groß ist das Erstaunen bei den Sportjournalisten selbst. So schreibt beispielsweise Oliver Frick, der als ARD-Teamchef für den Hörfunk beim Confed Cup akkreditiert ist, dass er in dieser Akkreditierungspraxis überhaupt kein Problem sehe. Im Gegenteil: „Und ich habe nachgeschaut: genau dieses Formular habe ich schon 2009 vor Südafrika bekommen und auch 2013 vor Brasilien. Das ist einfach ein Standardschriftsatz der FIFA“, so Fricke. Auch ansonsten kann er die Aufregung nicht nachvollziehen. In Russland habe er „keine einzige blöde Situation“ erleben müssen. So berichtet Fricke beispielsweise, dass er in Russland ohne Probleme die Baustellen für die Fußball-WM besuchen durfte – „das wäre woanders nicht möglich“.
Da stellt sich natürlich die Frage, warum SPIEGEL Online, FAZ und andere die BILD-Meldung einfach weiterverbreiten, ohne einen eigenen Faktencheck zu betreiben. Es ist ja nicht so, dass in den Häusern SPIEGEL und FAZ keine Sportjournalisten tätig sind. Ein ebenso schlechtes Bild geben zahlreiche Spitzenpolitiker ab. So haben sich beispielsweise Volker Kauder, Thomas Oppermann, Ralf Stegner und Katrin Göring-Eckardt – meist über die BILD – lautstark über die vermeintliche Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit beklagt. Und sogar der DFB hat lautstark Protest eingelegt. Weswegen und auf welcher Basis? Das weiß der DFB offenbar selbst nicht genau – Hauptsache man wird in der BILD positiv zitiert.
Immer wieder werden wir von Lesern kritisiert, dass wir uns überhaupt mit der BILD beschäftigen. Das seien doch eh Fake-News, die ohnehin niemand mit Verstand glaubt. Das mag man so sehen. Fest steht jedoch auch, dass gerade die BILD eine unglaubliche indirekte Macht in diesem Staate hat, wie das Beispiel Confed-Cup zeigt. Wenn die Medienelite die Fake News made by BILD 1:1 weiterverbreitet und namhafte Spitzenpolitiker sich von der BILD jedes mögliche Zitat in den Mund legen lassen, nur um von diesem Blatt positiv zitiert zu werden, ist eine rote Linie überschritten. Dass dann auch noch ein großer Sportverband über jedes Stöckchen springt, das BILD ihm vorhält, ist ein weiterer Offenbarungseid. So wird aus einer Posse ein Politikum. Wenn es nur „gegen Russland“ geht, springen Opportunisten offenbar auch mit der BILD ins Bett und lassen sich nur all zu gerne schamlos instrumentalisieren. Und es sage niemand, man hätte es ja nicht besser gewusst.