Die berechtigten Angriffe auf Trump und die „Rechtspopulisten“ wirken wie ein Schutzschild für die etablierten Kriegsführer und Neoliberalen. Chomsky klärt mal wieder auf.
Der US-amerikanische Linguist und kritische Beobachter Chomsky hat dem ORF ein interessantes Interview gegeben. Siehe hier. Der begleitende Text des ORF dazu ist hier einzusehen und unten zitiert und kommentiert. Chomsky macht freimütig klar, dass die Politik von Obama, Clinton und co. nicht sehr viel besser war und dass die Politik dieser Gruppe und ihrer Freunde in Europa mitverantwortlich sind für Rechtspopulismus. Sie sind „Quellen der Wut, der Unzufriedenheit und der Verzweiflung der Menschen“. Albrecht Müller.
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Es ist gut, dass Chomsky den Finger in die Wunde legt. Denn andernfalls würde mit den berechtigten Attacken auf Trump wie auch mit den Klageliedern über das (vermutliche) Anwachsen der Rechten in Frankreich am morgigen Sonntag und anderswo später vergessen gemacht, wem wir dieses Elend zu verdanken haben.
Unter den Wählern dieser Parteien sind solche Menschen, „…denen ihre Arbeit, ihre Würde und ihre Aussichten auf wirtschaftliches Vorankommen genommen wurden. All das geschah durch eine Politik, die dazu gemacht ist, Wohlstand und Macht in den Händen weniger zu konzentrieren und den Rest vor sich hinvegetieren zu lassen.“
Die Konzentration auf das Angriffsziel Trump macht das alles nahezu vergessen. Gut, dass der alte Mann Chomsky jung geblieben ist, und gut, dass es im Sender ORF Journalisten wie Johannes Perterer gibt.
Hier da noch weitere Auszüge aus dem Text des ORF mit Originalzitaten von Chomsky:
Scharfe Abrechnung mit der US-Politik
Der emeritierte Linguistik-Professor und politische Intellektuelle Noam Chomsky sieht die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten als ein Ergebnis neoliberaler Politik. Trump selbst habe keine Ideologie, führe mit seiner Klimapolitik die Welt aber „in Richtung Selbstzerstörung“.
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Trump ist der 16. US-Präsident, den der 88-Jährige miterlebt. Verglichen mit den anderen sei er dennoch einzigartig, weil „er ein Showman ist, der keine bestimmte Ideologie hat. Die einzige Ideologie, der er folgt, ist er selbst“, sagte Chomsky in seinem Büro in der Eliteuniversität Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge im Gespräch mit dem ORF.
Profitmaximierung und „Talibanisierung“
Er müsse immer alle Kameras auf sich ziehen und zeigen, „dass er härter im Nehmen ist als alle anderen“. Gleichzeitig verfolge der rechte Flügel der Republikaner jedoch seine Agenda, „nämlich alle Teile des Staates aufzulösen, die für das Allgemeinwohl verantwortlich sind und der Profitmaximierung von Großkonzernen und den Reichen in der Gesellschaft im Wege stehen“. Doch das würde niemand thematisieren.
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Der amerikanische Sprachwissenschaftler Noam Chomsky spricht über Donald Trump, die Erstarkung des Rechtspopulismus sowie die Unterwürfigkeit der Medien.
Zugleich werde eine Art „Talibanisierung“ Amerikas betrieben. Kunst und Geisteswissenschaften würden eliminiert. Das Programm mit Justizminister Jeff Session, Bildungsministerin Betty DeVos und Chefberater Steve Bannon sei ziemlich eindeutig, nämlich die USA in eine jüdisch-christliche White-Supremacy-Kultur zu verwandeln.
Atomwaffen und Klimawandel
Für die amerikanische Demokratie sei Trump eine „Abrissbirne“, die die laut Chomsky gefährlichsten Programmatiken der Obama-Administration weiterführe: Eine davon sei die Modernisierung des amerikanischen Atomwaffenarsenals. Als gefährlichste Agenda, die momentan aus dem Weißen Haus kommt, sieht Chomsky jedoch die Haltung Trumps zum Klimawandel.
ORF – Chomsky in seinem Büro
Auf diese zwei Bedrohungen richtet Chomsky derzeit sein Hauptaugenmerk: „Bei der atomaren Bedrohungen wissen wir zumindest prinzipiell, wie man damit umgehen kann: durch die Reduktion der Anzahl von Atomwaffen und schlussendlich durch ihre Vernichtung.“ Die drohende Umweltkatastrophe scheint jedoch unaufhaltsam zu sein: „Wir wissen, was man dagegen tun kann, und manche Länder tun auch einiges. Aber wenn nie viel schneller viel mehr dagegen unternommen wird und sich die Klimapolitik der USA nicht drastisch verändert, besteht eine gute Chance, dass wir einen Punkt ohne Wiederkehr erreichen.“
Trump als Folge neoliberaler Politik
Den politischen Aufstieg Trumps sieht Chomsky als eine Konsequenz und gleichzeitig als eine Fortsetzung neoliberaler Politik. Diese erzeuge durch die Deregulierung der Märkte und Einsparungen beim Sozialstaat eine größere wirtschaftliche Ungleichheit. Um den Neoliberalismus und die Auswirkungen wirtschaftlicher Ungleichheit auf Gesellschaften geht es auch in seinem neuesten Buch „Requiem für den amerikanischen Traum: Die 10 Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht“.
Zwischenbemerkung Albrecht Müller: Bewundernswert, dass dieser 88-jährige noch ein Buch zu schreiben vermag und das auch noch zu einem so wichtigen Thema.
Weiter mit dem Text des ORF; die folgende Beobachtung zur Rechtsentwicklung bei den Demokraten können wir auf Deutschland und Europa übertragen bestätigen: mit Schröder, Blair, Hollande und Co. war das nicht anders:
Von Demokraten enttäuscht
Von der Demokratischen Partei in den USA ist Chomsky zutiefst enttäuscht: „Die Demokratische Partei hat die Arbeiterklassen vor etwa 30 bis 40 Jahren mehr oder weniger im Stich gelassen. Deshalb haben die Menschen bei der letzten Präsidentschaftswahl ihren erbitterten Klassenfeind zum Präsidenten gewählt.“
Auch von der momentanen Strategie der Demokraten hält Chomsky nicht viel: „Sehen Sie sich an, was der Obama-Clinton-Flügel der Demokraten momentan macht. Worauf konzentrieren sie sich? Nicht darauf, wie etwa Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt werden oder auf den Klimawandel. Sie konzentrieren sich auf die triviale Frage, ob die Russen versucht haben, in den heiligen amerikanischen Wahlprozess einzugreifen, während die halbe Welt darüber in Gelächter ausbricht. Schauen Sie sich an, wo die USA überall nicht nur Wahlen manipuliert, sondern Regierungen gestürzt haben!“
Chomsky sieht ein Driften der Politik nach rechts seit den 1970er Jahren: Die Inhalte, mit denen Bernie Sanders als linker Präsidentschaftskandidat für Aufsehen gesorgt hatte, würden sich kaum von denen von Dwight Eisenhower in den 1950er Jahren unterscheiden. Nur: Eisenhower war Republikaner.
Rechtspopulismus als logische Folge
Auch den Rechtspopulismus im Rest des Westens sieht Chomsky als ein Ergebnis neoliberaler Politik: „Was gegen den Rechtspopulismus getan werden muss, ist die Quellen der Wut, der Unzufriedenheit und der Verzweiflung der Menschen zu untersuchen, die sich ihm zuwenden.“ Eine davon sei, dass diese Menschen in der neoliberalen Periode im Stich gelassen worden sind.
„Das sind Menschen, denen ihre Arbeit, ihre Würde und ihre Aussichten auf wirtschaftliches Vorankommen genommen wurden. All das geschah durch eine Politik, die dazu gemacht ist, Wohlstand und Macht in den Händen weniger zu konzentrieren und den Rest vor sich hinvegetieren zu lassen.“ Die richtige Antwort auf den Rechtspopulismus sei, dass man diese Probleme lösen müsse.
Politisches Programm bei Krisenbewältigung
Auch die europäische Politik bekommt von Chomsky unter Berufung auf den Ökonomen Mark Weisbrot ihr Fett ab. Die Krisenbewältigung in Europa von 2008 bis 2011 habe die Agenda gehabt, die sozialdemokratischen Prozess Europas in der Nachkriegszeit abzubauen und ein System wiederherzustellen, das auf die Interessen der Banken und der Reichen ausgerichtet sei. Wirtschaftlich seien die Programme absurd gewesen, das hätten auch die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) so gesehen.
Zudem sei sichergestellt worden, dass die Entscheidungsfindung aus den Händen der Bevölkerung genommen wurde. Im Fall Griechenland übernahm die Troika das Kommando. Als die griechische Regierung „den unverschämten Vorschlag machte, dass die Griechen vielleicht gefragt werden sollten“, hätten die europäischen Eliten wütend reagiert – und die Auflagen für Griechenland noch härter gemacht. In Europa würde also eine ähnliche Politik wie die von Trump gemacht, „nicht ganz so extrem, aber ähnlich“.
Medien „zu unterwürfig“
Auch bei seiner Medienkritik bleibt Chomsky streitbar: Die Massenmedien würden nicht genügend über diese Themen berichten und seien Politikern gegenüber zu unterwürfig: „Es gibt ein Konzept von Objektivität in den Medien, das sogar in Journalismusschulen unterrichtet wird. Objektivität bedeutet im Journalismus, dass man präzise berichtet, worüber in Washington diskutiert wird.“ Wenn man also berichtet, was die da oben sagen, gelte man als objektiv.
Wenn man aber etwas anderes sage, gelte man als voreingenommen: „Wenn man also bei den republikanischen Vorwahlen als Journalist geschrieben hätte, dass jeder republikanische Präsidentschaftskandidat dafür ist, jegliche Perspektive auf das Überleben der Menschheit so schnell wie möglich zu zerstören, wäre man voreingenommen gewesen. Es wäre aber die Wahrheit gewesen.“
Johannes Perterer, ORF/ Christian Körber (Bearbeitung), ORF.at
19.4.2017