Hier kommt die deutsche Übersetzung der Einschätzung des MIT-Professors Postol zum Geheimdienst Report betreffend den Giftgasangriff vom 4. April in Syrien
Die englische Ausgabe dieser Einschätzung gibt es seit einigen Tagen im Netz. Aber es ist wichtig, diesen Text auch jenen zugänglich zu machen, die relativ komplizierte Texte nicht auf Englisch lesen können. Die Kernaussage: „Ich habe mir das Dokument aufmerksam angesehen, und ich glaube, dass man zweifelsfrei zeigen kann, dass das Dokument keinen Beweis irgendeiner Art dafür liefert, dass die US-Regierung konkret weiß, dass die syrische Regierung Verursacher des Giftgasangriffs in Khan Shaykhun, Syrien, am 4. April 2017… (war)“. – Wir verdanken die Übersetzung Carsten Weikamp, eng verbunden mit den NachDenkSeiten. Danke. Albrecht Müller.
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Schnelle Einschätzung des Geheimdienst-Reports, den das Weiße Haus am 11. April 2017 herausgegeben hat zum Giftgasangriff in Khan Shaykhun, Syrien
Von Theodore A. Postol, Emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und Nationale Sicherheitspolitik am Massachusetts Institute of Technology
Quelle: Theodore Postol – A Quick Turnaround Assessment of the White House Intelligence Report Issued on April 11, 2017 About the Nerve Agent Attack in Khan Shaykhun, Syria – Imgur
Lieber Larry,
ich beziehe mich auf das, was ich als ein Statement des Weißen Hauses verstehe, das Behauptungen aufstellt über geheimdienstliche Erkenntnisse zum Giftgasangriff am 4. April 2017 in Khan Shaykhun in Syrien. Aus Ihrer Nachricht entnehme ich, dass diese Zusammenfassung geheimdienstlicher Informationen im Laufe des 11. April 2017 herausgegeben wurde.
Ich habe mir das Dokument aufmerksam angesehen, und ich glaube, dass man zweifelsfrei zeigen kann, dass das Dokument keinen Beweis irgendeiner Art dafür liefert, dass die US-Regierung konkret weiß, dass die syrische Regierung Verursacher des Giftgasangriffs in Khan Shaykhun, Syrien, um ca. 6:00 bis 7:00 Uhr am 4. April 2017.
Tatsache ist, dass ein in dem Dokument angeführtes Beweisstück auf einen Angriff hinweist, der am Morgen des 4. April von Einzelpersonen am Boden verübt wurde, nicht aus der Luft.
Dieser Schluss basiert auf einer Vermutung, die das Weiße Haus anstellt hinsichtlich des Giftgasbehälters und der Fotos dieses Behälters. Meine Einschätzung ist, dass dieser Behälter höchst wahrscheinlich manipuliert oder inszeniert ist, so dass keine ernsthaften Schlüsse aus den vom Weißen Haus vorgelegten Fotos gezogen werden können.
Wenn man – wie das Weiße Haus – annimmt, dass das Sarin an dieser Stelle ausgetreten ist und dass an dieser Stelle nicht manipuliert worden ist, dann ist die plausibelste Schlussfolgerung, dass das Sarin aus einem improvisierten Behälter ausgetreten ist, der aus einem 122mm Raketenrohr bestand, in das das Sarin gefüllt war und das auf beiden Seiten verschlossen war.
Die einzige unbestreitbare Tatsache im Bericht des Weißen Hauses ist, dass an jenem Morgen in Khan Shaykhun ein Chemiewaffenangriff mit Giftgas stattgefunden hat. Der Report wiederholt diesen Punkt an vielen Stellen, aber er enthält absolut keinen Beweis dafür, dass es sich dabei um einen Angriff mit einer Munition handelt, die aus einem Flugzeug abgeworfen wurde. Tatsächlich gibt es im Report keinen Beweis dafür, wer der Urheber dieser Gräueltat war.
Stattdessen konzentriert sich der Report auf die Verletzungen der Opfer, die zweifellos auf einen Giftgaseinsatz hindeuten.
Als einzigen Beweis dafür, dass es sich um einen Angriff der syrischen Regierung handele, führt der Bericht einen Krater an, den man auf einer Straße im Norden von Khan Shaykhun identifiziert habe.
Ich habe diesen Krater bei Google Earth gefunden, und es gibt absolut keinen Beweis, dass dieser Krater von einer Munition erzeugt wurde, die Giftgas freisetzen sollte, nachdem sie aus einem Flugzeug abgeworfen wurde.
Die Karte von Google Earth, Abbildung 1 am Ende dieses Textabschnitts, zeigt den Ort des Kraters in der Straße nördlich von Khan Shaykhun wie im Report des Weißen Hauses.
Die Daten, die das Weiße Haus anführt, deuten eher darauf hin, dass die Munition am Boden angebracht wurde als dass sie aus einem Flugzeug abgeworfen wurde, vorausgesetzt, dass die Stelle nicht manipuliert wurde, ehe die Aufnahmen gemacht wurden. Das Weiße Haus gibt allerdings unter Hinweis auf die Munition in diesem Krater an, dass diese fehlerhafte Datenquelle Basis der Schlussfolgerung sei, dass die Munition aus einem Flugzeug der syrischen Luftwaffe stamme.
Eine Analyse der Trümmer auf den Bildern im Bericht des Weißen Hauses weist deutlich darauf hin, dass die Munition höchstwahrscheinlich mit einer separaten, direkt darauf angebrachten Sprengstoffeinheit am Boden platziert wurde, die den Behälter zerstört und die behauptete Sarin-Ladung hat austreten lassen.
Weil es hier auf die Zeit anzukommen scheint, habe ich anhängend an diese Abhandlung die Beweise, dass der Bericht des Weißen Hauses falsche und irreführende Schlussfolgerungen zieht, in Form einer Folge von Abbildungen zusammengefasst.
Unter jeder der Abbildungen gibt es eine Beschreibung, aber ich werde die Abbildungen jetzt hier zusammenfassen und dann weitere Untersuchungen abwarten zu der Basis, auf die ich meine Schlussfolgerungen stütze.
Abbildung 1 zeigt die nordöstliche Ecke von Khan Shaykhun, wo sich der Krater befindet, den der Geheimdienstbericht des Weißen Hauses als Austrittsort des Sarin-Angriffs bezeichnet.
Das Google-Earth-Bild zeigt auch die Windrichtung über dem Krater. Um 03:00 Uhr morgens wehte der Wind nach Süden mit einer Geschwindigkeit von 1,5-2 m/s. Gegen 06:00 Uhr wehte der Wind in südöstlicher Richtung mit 1-2 m/s. Die Temperatur in Bodennähe war niedrig, etwa 50-55° F [10-13° C]. Das sind optimale Bedingungen für einen Giftgasangriff.
Bei niedrigen Temperaturen in Bodennähe, keiner Sonneneinstrahlung und langsamer Luftbewegung bleibt die dichte kalte Luft nah am Boden, es gibt kaum Aufwärtsbewegung der Luft. Das sorgt dafür, dass Partikel, Tröpfchen oder Gaswölkchen nah am Boden bleiben, während sich die umgebende Luft über den Boden bewegt. Wir nehmen diese Bewegung als eine sanfte Brise an einem ruhigen Morgen vor Sonnenaufgang wahr.
Man kann sich eine Sarin-Wolke in etwa wie eine Tintenwolke vorstellen, wie sie ein flüchtender Oktopus abgibt. Die Tintenwolke sitzt im Wasser, und wenn sich das Wasser langsam bewegt, bewegt sich die Wolke entsprechend. Während die Wolke vom Wasser bewegt wird, breitet sie sich langsam in alle Richtungen aus. Und wenn die Wasserschicht, in der die Wolke ist, sich knapp über dem Meeresgrund bewegt, wird die Wolke dort Objekte bedecken.
Das ist die Situation an einem kühlen Morgen vor Sonnenaufgang, wenn nur leichter Wind geht.
Abbildungen 5 und 6 zeigen die Wetterlage in Dreistunden-Intervallen in Khan Shaykhun vom 3. Bis 5. April, also vom Tag vor dem Anschlag bis zum Tag nach dem Angriff. Das Erstaunliche an dem Wetter ist, dass an den Tagen des 3. und des 5. April relativ starke Winde geweht haben. Wäre der Angriff also am Tag vorher oder am Tag danach am frühen Morgen ausgeführt worden, wäre er also sehr ineffektiv gewesen. Die stärkeren Winde hätten die Giftwolke aufgelöst und die Vermischung mit Wind aus höheren Schichten hätte das Giftgas vom Boden in höhere Schichten gehoben. Deswegen ist absolut klar, dass der Angriff kein Unfall war, sondern dass Tag und Uhrzeit sorgfältig gewählt waren.
Abbildung 2 zeigt ein hochauflösendes Foto des Kraters, den der Report des Weißen Hauses als Ursprung des Sarin-Angriffs identifiziert. Unter der Annahme, dass an der Stelle nicht manipuliert wurde, kann man ein Objekt erkennen, das das Weiße Haus als Giftgasbehälter bezeichnet.
Der Behälter sieht aus wie ein 122-mm-Rohr, wie es in der Herstellung von Artilleriegeschossen verwendet wird.
In der Nahaufnahme des Behälters in Abbildung 3 sieht es so aus, als ob das Rohr ursprünglich am vorderen und hinteren Ende versiegelt gewesen sei. Von Bedeutung ist auch, dass das Rohr flach in den Krater gedrückt ist und einen Riss hat, der durch das Nachgeben der spröden Metallhülle entstanden ist, als diese plötzlich von oben eingedrückt wurde.
Abbildung 4 zeigt den möglichen Aufbau eines improvisierten Sarin-Verteilers, mit dessen Hilfe der Krater und die zerdrückte Hülle dessen zustande gekommen sein könnten, was ursprünglich ein zylindrisches Rohr war. Eine realistische Annahme, wie dieser Verteilmechanismus funktioniert hat (natürlich wieder unter der Annahme wie der im Bericht des Weißen Hauses, dass weder Krater noch Behälter inszeniert waren), sieht so aus, dass eine Ladung Sprengstoff auf ein Ende des saringefüllten Rohres platziert und zur Detonation gebracht wurde.
Der Sprengstoff hätte auf das Rohr wie ein stumpfer Vorschlaghammer gewirkt. Er hätte das Rohr in den Boden gedrückt und dabei den Krater erzeugt. Da das Rohr mit Sarin, einem nicht komprimierbaren Gas, gefüllt war, hätte das Sarin beim Flachdrücken des Rohres gegen die Wände und Enden des Rohres gedrückt und den Riss entlang der Längsseite des Rohres und den Bruch am Deckel am hinteren Ende bewirkt. Dieser Mechanismus ist im Grunde derselbe, wie wenn man mit einem Hammer auf eine Zahnpastatube schlägt, wodurch die Tube platzt und die Zahnpasta in alle Richtungen spritzt abhängig von der Art der Risse der Tube.
Wenn das der tatsächliche Mechanismus ist, mit dem das Sarin freigesetzt wurde, dann deutet das darauf hin, dass das Rohr von Personen auf dem Boden platziert und nicht aus einem Flugzeug abgeworfen wurde.
Abbildung 8 zeigt den improvisierten Sarinverteiler im Vergleich mit einer typischen Artillerierakete und der modifizierten Artillerierakete, die bei dem Sarin-Angriff am 21. August 2013 in Damaskus verwendet wurde.
Damals (am 30. August 2013) hatte das Weiße Haus unter Obama ebenfalls einen Geheimdienstbericht herausgegeben, der offensichtliche Ungenauigkeiten aufwies. So hieß es in dem Bericht zum Beispiel unzweideutig, dass die in Damaskus verwendete saringefüllte Artillerierakete aus einer von der syrischen Regierung kontrollierten Gegend abgefeuert wurde. Wie sich dann herausstellte, hatte die konkret verwendete Rakete kaum mehr als 2 km Reichweite, was weit entfernt von jeder Grenze gewesen ist, die die syrische Regierung zum damaligen Zeitpunkt gehalten hatte. Der damalige Bericht des Weißen Hauses enthielt weitere kritische und schwerwiegende Fehler, die man getrost als amateurhaft bezeichnen kann. Zum Beispiel, dass die Abschuss- und Einschlagstellen der Raketen von US-Satelliten beobachtet worden seien. Diese Behauptung war absolut falsch, und jeder einigermaßen kompetente Geheimdienst-Analytiker hätte das gewusst. Die Raketen konnte man mit dem Space-Based Infrared Satellite (SBIRS) sehen, aber der Satellit konnte die Einschlagstellen absolut nicht erkennen, weil es beim Einschlagen keine Explosionen gegeben hatte. Diese Fehler waren klare Anzeichen dafür, dass der Geheimdienstbericht des Weißen Hauses in Teilen erfunden und nicht von kompetenten Geheimdienst-Experten verifiziert worden war.
Genauso verhält es sich mit dem aktuellen Geheimdienst-Report des Weißen Hauses. Kein kompetenter Analytiker würde annehmen, dass der Krater, der als Ursprungsort des Sarin-Angriffs angeführt wird, ein unzweideutiger Hinweis darauf ist, dass die Munition von einem Flugzeug abgeworfen wurde. Kein kompetenter Analytiker würde annehmen, dass die Karkasse auf dem Foto tatsächlich ein Sarin-Kanister ist. Jeder kompetente Analytiker hätte Fragen gehabt, ob die Trümmer im Krater echt waren oder inszeniert. Kein kompetenter Analytiker hätte die Tatsache übersehen, dass der angebliche Sarinkanister von oben eher gewaltsam zerdrückt wurde als dass er durch eine Explosion von innen geplatzt wäre. All diese höchst amateurhaften Fehler weisen darauf hin, dass dieser Bericht des Weißen Hauses, genau wie damals der Obama-Report, nicht wie behauptet von Geheimdienstexperten ordentlich überprüft wurde.
Ich habe in der Vergangenheit mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet, und ich habe schwere Bedenken über die Politisierung der Geheimdienste, die in letzter Zeit immer häufiger zu werden scheint – aber ich weiß, dass die Geheimdienste hoch kompetente Analytiker in ihren Reihen haben. Und wenn man diese Analytiker zu den Behauptungen des Weißen Hauses ordentlich befragt hätte, dann hätten die nicht zugestimmt, dass das Dokument einen weiteren Weg nimmt.
Ich stehe zur Verfügung, um meinen Kommentar weiter auszuführen. Ich hatte bisher nur wenige Stunden, um den angeblichen Geheimdienstreport schnell zu überprüfen. Aber schon die schnelle Durchsicht zeigt ohne große Analyse, dass der Bericht nicht korrekt sein kann, und es scheint, als ob er auch von den Geheimdiensten nicht richtig überprüft worden wäre.
Das ist ein ernsthaftes Problem.
Präsident Obama war anfangs falsch über angebliche Geheimdienst-Beweise informiert worden, dass Syrien Täter des Giftgasangriffs am 21. August 2013 in Damaskus war. Das ist öffentliches Wissen. Präsident Obama hat gesagt, dass er anfangs falsch verstanden hatte, dass Geheimdienstinformationen eindeutig zeigten, dass Syrien die Quelle des Giftgasangriffs war. Diese Falschinformation wurde korrigiert, als der damalige nationale Geheimdienstchef, John Clapper, den Präsidenten unterbrach, als der in einem Geheimdienstbriefing war. Laut Präsident Obama sagte Clapper damals, dass die Geheimdienstinformation, dass Syrien hinter dem Giftgasangriff stecke, „keine todsichere Sache“ sei.
Die Frage, die unsere Nation beantworten muss, ist, wie es dazu kommen konnte, dass der Präsident anfangs in die Irre geführt wurde bei einer so grundlegend wichtigen Geheimdiensterkenntnis? Eine zweite, ebenso wichtige Frage ist, wie das Weiße Haus einen Geheimdienstreport produzieren konnte, der so offensichtlich fehlerbehaftet und amateurhaft ist, und wie der dann veröffentlicht und niemals korrigiert werden konnte. Die gleiche Falschinformation aus dem Geheimdienst-Report vom 30. August 2013 trug Außenminister John Kerry auch noch als Zeugenaussage dem Senate Foreign Relations Committee [Ausschuss des Senats für Außenpolitik] vor!
Wir haben wieder eine Situation, wo das Weiße Haus einen offensichtlich falschen, irreführenden und amateurhaften Geheimdienstbericht herausgegeben hat.
Dem Kongress und der Öffentlichkeit sind im Namen der Geheimdienste Berichte vorgelegt worden über Massenvernichtungswaffen im Irak, technische Beweise, die angeblich von Satellitensystemen aufgenommen wurden und von denen jeder kompetente Analytiker wusste, dass sie falsch waren, und jetzt Bilder eines Kraters, denen jeder Analytiker, der auch nur ein kleines bisschen Kompetenz hat, nicht trauen wird.
Es ist später Abend, so dass ich meine Ausführung hier beende.
Ich stehe bereit, um dem Land jede Analyse und Hilfe bereitzustellen, die in meiner Macht liegt. Was ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann, ist, dass das, was das Weiße Haus dem Land gerade mitteilt, nicht wahr sein kann, und dass die Tatsache, dass diese Information in diesem Format veröffentlicht wurde, ernste Fragen aufwirft hinsichtlich des Umgangs mit der nationalen Sicherheit unseres Landes.
Mit freundlichen Grüßen
Theodore A. Postol