Deutsche Nachrichtendienste sprechen Russland von Einmischung frei
Exklusiv: US-amerikanische Massenmedien sind nur an Geschichten über russische Niedertracht interessiert. Als deutsche Nachrichtendienste Russland vom Verdacht der Unterwanderung der deutschen Demokratie freisprachen, herrschte daher eisiges Schweigen, sagt der frühere CIA-Analyst Ray McGovern. Von Ray McGovern[*].
Der Artikel wurde im englischen Original auf Consortiumnews veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung enthält geringfügige Änderungen gegenüber dem Original.
Nach einer mehrere Monate andauernden, politisch aufgeladenen Untersuchung konnten die deutschen Nachrichtendienste keine schlüssigen Beweise dafür finden, dass Moskau Cyberangriffe oder eine Desinformationskampagne mit dem Ziel geführt habe, den demokratischen Prozess in Deutschland zu unterwandern. Davon unbeeindruckt, gab Kanzlerin Angela Merkel eine neue Untersuchung in Auftrag.
Im letzten Jahr führten die beiden wichtigsten deutschen Nachrichtendienste, der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) – die Pendants zu CIA und FBI – gemeinsame Ermittlungen durch, um Behauptungen zu belegen, dass Russland sich in die deutsche Politik einmische und versuche, das Ergebnis der Bundestagswahl im September diesen Jahres zu beeinflussen.
Wie die große Mehrheit der Amerikaner wurden die meisten Deutschen durch die „Mainstream-Medien” schlecht informiert und dazu gebracht zu glauben, dass der Kreml über Hacking und „Propaganda“ in die jüngsten US-Wahlen eingegriffen und Donald Trump geholfen habe, Präsident zu werden.
Die deutschen Nachrichtendienste beißen selten die Hand, die sie füttert, und verstehen, dass der am besten gefüllte Teil des Futtertrogs der CIA-Stützpunkt in Berlin ist, wobei die grundsätzliche Führung beim CIA-Hauptsitz in Langley, Virginia liegt. Diesmal beschlossen die Analysten im BND und im BfV jedoch, anders als sonst üblich, wie verantwortungsbewusste Erwachsene zu handeln.
Während der ehemalige CIA-Direktor John Brennan seine Analysten dazu brachte, auf eine dünne, schwach belegte Argumentation zurückzugreifen und „einzuschätzen“, dass Russland versucht habe, die amerikanischen Wahlen zu Donald Trumps Gunsten zu beeinflussen, kamen die Nachrichtendienste in Berlin zu dem Schluss, dass Beweise dafür fehlten. Sie haben ihre Untersuchungen nun abgeschlossen.
Außerdem wurde sogar über die Schlussfolgerungen in der Süddeutschen Zeitung, die zum deutschen Mainstream gehört, berichtet – offenbar weil ein patriotischer Insider meinte, dass die Bevölkerung Deutschlands ebenfalls davon erfahren solle.
Nicht mehr länger Lemminge?
Wenn BND-Präsident Bruno Kahl gedacht haben sollte, er könne sich darauf verlassen, dass seine eigenen Analysten ihren amerikanischen Kollegen wie die Lemminge folgen und Beweise à la Curveball finden würden, um die amerikanischen Behauptungen zu stützen, dann war das jetzt ein böses Erwachen.
Als die gemeinsame Untersuchung noch lief und seine Analysten ihr Bestes taten, um verlässliche Beweise für die Niedertracht der Russen zu finden, hatte Kahl sich wie seine BND-Vorgänger verhalten und die Vorwürfe seines Amtskollegen bei der CIA nachgeplappert, Russland verbreite Unsicherheit und Instabilität in Deutschland und anderswo in Europa.
In einem seltenen Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 28. November 2016 wähnte er sich wahrscheinlich auf festem Terrain, als er die subversiven „Störversuche” der Russen rügte. Er war erst ein paar Monate im Amt und vielleicht naiv genug zu denken, dass es sich bei den Aussagen von John Brennan um die reine Wahrheit handelte (wenn er wirklich so leichtgläubig ist, hat Kahl den falschen Job.)
In dem Interview spielte Kahl die Marionette Charlie McCarthy, Brennan die Rolle von Charlies Bauchredner Edgar Bergen. Kahl erzählte der Süddeutschen, dass er mit der „Einschätzung” des amerikanischen Nachrichtendiensts übereinstimme, der Kreml stecke hinter den Cyberangriffen, mit denen die amerikanischen Wahlen beeinflusst werden sollten.
Er fügte hinzu: „Auch wir haben Erkenntnisse, dass Cyber-Angriffe stattfinden, die keinen anderen Sinn haben, als politische Verunsicherung hervorzurufen. (…) Nicht nur [mit dem Ziel, den Ausgang der Wahl zu beeinflussen]. Die Täter haben ein Interesse, den demokratischen Prozess als solchen zu delegitimieren. (…) Ich habe den Eindruck, dass der amerikanische Wahlausgang in Russland bisher keine Trauer hervorruft.“
„Europa ist im Fokus dieser Störversuche, und Deutschland ganz besonders. (…) Hier wird eine Art von Druck auf den öffentlichen Diskurs und auf die Demokratie ausgeübt, der nicht hinnehmbar ist.“ Kommt Ihnen das bekannt vor?
Man könnte den neuen BND-Präsidenten noch immer damit entschuldigen, dass er davon ausging, seine Analysten würden sich an ihren Brötchengeber erinnern und wie in der Vergangenheit zu den von ihren Herren in Berlin und bei der CIA gewünschten Schlussfolgerungen kommen.
Daher muss es eine unliebsame Überraschung für Kahl gewesen sein, als er herausfand, dass die Analysten des BND diesmal auf ihren Prinzipien beharren und sich weigern würden, so gefügig wie ihre Kollegen in Washington zu sein. Seine Analysten konnten keine Beweise dafür finden, dass der Kreml hart daran arbeitet, den demokratischen Prozess in Deutschland zu delegitimieren, und taten dies auch kund.
Noch schlimmer aus US-amerikanischer Sicht war, dass die beiden deutschen Nachrichtendienste dem üblichen Druck einiger Führungskräfte in Berlin (vielleicht sogar von Kahl selbst) standhielten, alle noch so unverfänglichen Informationen, die sie finden konnten, zu dem antirussischen Mosaik zusammenzufügen, das Washington konstruierte, eine Art kubistischer Version einer verzerrten Realität.
Daher: zurück an die Arbeit
Was tun mächtige Beamte, wenn die Verwaltung zu „unrichtigen” Schlussfolgerungen kommt? Sie schicken die Analysten und Ermittler zurück an die Arbeit, bis sie mit den „richtigen“ Antworten ankommen. Auch diesmal gab es keine Ausnahme. Da es an Beweisen für ein vom Kreml geleitetes Hacking mangelte, entschlossen sich die Deutschen nun für einen Ansatz, mit dem Informationen leichter frisiert werden können.
Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung hat Kanzlerin Merkel nun neue Ermittlungen einleiten lassen. Insbesondere wird eine gemeinsame „psychologische Operationsgruppe“ von BND und BfV sich speziell mit der Berichterstattung der russischen Nachrichtenagenturen in Deutschland befassen. Man kann davon ausgehen, dass alle Artikel, die Wladimir Putin nicht als Teufel portraitieren, als „russische Propaganda” verurteilt werden.
Als Anleitung könnte Merkel den neuen „Ermittlern” gut ein Exemplar der beweislosen „Einschätzung: Russlands Kampagne zur Beeinflussung der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016” von CIA, FBI und NSA in die Hand drücken. Der am 6. Januar veröffentlichte Bericht war eine Schande und Peinlichkeit für seriöse Nachrichtendienstler. Die vorgelegten dürftigen „Beweise“ füllten zusammen mit allen „Einschätzungen“, in denen die amerikanischen Analysten schwelgten, nicht einmal fünf Seiten, es wurde Füllstoff benötigt – und zwar vorzugsweise Füllstoff, den man wie eine Analyse aussehen lassen konnte.
Und so wurden der CIA/FBI/NSA-Einschätzung sieben weitere Seiten hinzugefügt, wenngleich die darin enthaltenen Informationen nichts mit dem berühmten russischen Hacking-Fall zu tun hatten. Kein Problem, denn die zusätzlichen sieben Seiten trugen den ominösen Titel: „Anhang A: Russland – Kreml-Fernsehen versucht, die Politik zu beeinflussen und Unzufriedenheit in den USA zu säen”.
Die Extraseiten wurden wiederum dazu genutzt, die folgende Anklage zu begründen: „Russlands staatliche Propagandamaschine hat zur Beeinflussungskampagne beigetragen, indem sie als Plattform für Botschaften des Kreml an das russische und internationale Publikum diente.“
Ließ ein Insider Informationen durchsickern?
Es ist nicht klar, wie die Süddeutsche Zeitung an die Schlussfolgerungen der gemeinsamen Untersuchung kam, oder ob sie sogar im Besitz einer vollständigen Kopie des 50 Seiten langen Abschlussberichts ist. Die Zeitung machte jedoch deutlich, dass sie jetzt erkannt hat, dass Kahl sie mit seinen nicht belegten Anschuldigungen vom vergangenen November ausgespielt hat.
Nach dem, was der Zeitung berichtet wurde, scheinen die Analysten bereit gewesen zu sein, ihrem Chef das zu liefern, was er schon zu seiner gewünschten Schlussfolgerung erklärt hatte, aber es gab einfach keine Beweise dafür. In dem Artikel wird ein Sicherheitsexperte zitiert, der sagte: „Wir hätten gerne die gelbe Karte gezogen.“ Aus dem Kabinett wurde beklagt: „Wir haben keine Smoking Gun gefunden.“
Wie die Süddeutsche berichtete, planten BND und BfV ursprünglich, Auszüge aus ihrer noch immer als vertraulich eingestuften Untersuchung zu veröffentlichen. Nun ist jedoch nicht klar, wann und ob der ganze Bericht überhaupt freigegeben wird.
Am Tag nach der Veröffentlichung des Artikels in der Süddeutschen berichteten einige andere Zeitungen darüber – und zwar kurz. Newsweek und Politico widmeten dem Knüller jeweils ganze drei Sätze. Da sie nicht zur bevorzugten “Russland ist an allem schuld”-Erzählung passte, geriet die Meldung schnell in Vergessenheit. Ich habe keine einzige Erwähnung der Geschichte in den größeren US-amerikanischen Mainstream-Medien finden können.
Wenn die Amerikaner Kenntnis von der Geschichte erhalten haben sollten, dann wahrscheinlich über RT – das schwarze Schaf des oben erwähnten CIA/FBI/NSA-Berichts, der die russische „Propaganda“ verurteilte. Kann noch deutlicher werden, weshalb RT America und RT International von der amerikanischen Regierung und den Mainstream-Medien verachtet werden? Vielen Amerikanern wird langsam bewusst, dass sie sich nicht darauf verlassen können, vom amerikanischen Netz- und Kabelfernsehen korrekte Nachrichten zu erhalten, und sie wenden sich an RT, um zumindest etwas über die andere Seite dieser wichtigen Meldungen zu erfahren.
Von dem Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Februar über Deutschlands gescheiterte Jagd nach Beweisen für eine Einmischung Russlands in den Wahlkampf erfuhr ich durch einen Anruf am frühen Morgen von RT International.
[«*] Ray McGovern arbeitet bei Tell the Word, dem Verlag der ökumenischen Church of the Saviour in der Innenstadt Washingtons. In seinen dreißig Jahren als CIA-Analyst war McGovern Ende der siebziger Jahre der ranghöchste Vertreter des CIA gegenüber der Analyseabteilung des BND.