Die Bundesregierung gibt Gas bei der Autobahnprivatisierung und niemand schreibt darüber
Deutschlands Edelfedern sind in heller Aufregung. Man sorgt sich darum, dass die Checks & Balances der Verfassung nicht mehr funktionieren könnten und die Demokratie im Lande in akuter Gefahr sei. Das stimmt, aber wo bitteschön steht das, werden Sie nun denken. Stimmt, die Rede ist natürlich nicht von Deutschland, sondern von den USA, denen die ungeteilte Aufmerksamkeit der deutschen Leitmedien gilt. Dass die Demokratie in Deutschland momentan unterminiert wird und die Bundesregierung munter dabei ist, die Checks & Balances des Grundgesetzes auszuhebeln, findet indes gar keine Beachtung. Dabei zieht die Große Koalition in Berlin just in diesem Moment ein Schurkenstück ersten Grades durch: Man schafft die Grundlagen für eine Autobahnprivatisierung über den Umweg der Novellierung des Länderfinanzausgleichs. So kann man das Grundgesetz ohne große öffentliche Debatte ändern und Fakten schaffen, ehe die Wähler überhaupt ahnen, was da passiert ist. Und unsere Qualitätszeitungen debattieren indes weiterhin, ob dieser oder jener Trump-Vertraute Verbindungen nach Russland hat. Was braucht es noch, um von einem kollektiven Versagen der Vierten Gewalt zu sprechen? Von Jens Berger.
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Grundlagen zum Thema: Jens Berger – Autobahnen vom Lebensversicherer? Das ist Irrsinn mit Methode.
Unseren Qualitätszeitungen zufolge müssen wir uns gar keine Sorgen über eine Autobahnprivatisierung machen. Schließlich hat Sigmar Gabriel bereits im November gesagt, dass es keine Autobahnprivatisierung geben wird und die Gesetzentwürfe sehen ja auch vor, dass die Autobahnen unveräußerlich sind und im Besitz des Bundes bleiben. Also ist alles in bester Ordnung und die Warnungen vor einer Autobahnprivatisierung das üblich hysterische Gegacker linker Spinner? Postfaktisch? Fake News? Mitnichten. Es ist eher so, dass die zuständigen Redakteure der große Zeitungen sich im geistigen Tiefschlaf befinden und verdrängen, was eigentlich eine Privatisierung ist.
Der Verkauf der Autobahnen ist tatsächlich laut dem aktuellen Entwurf der entsprechenden Gesetze untersagt. Das heißt jedoch per se erst einmal nicht viel. Es gibt zahlreiche Formen von „Privatisierung“ und nur bei sehr wenigen wechseln wirklich die Besitzrechte am zu privatisierenden Gut. Im Gegenteil: Ein echter Verkauf ist meist für die Unternehmen ohnehin nur die zweite Wahl. Wer beispielsweise eine komplette Wasserversorgungsinfrastruktur übernehmen will, muss erst einmal das dafür nötige Kapital akquirieren und dafür fallen hohe Finanzierungskosten an, die ihrerseits die Rendite drücken. Besser ist da natürlich, ein Nutzungsrecht von der öffentlichen Hand überschrieben zu bekommen, das einem das Recht einräumt, Gebühren zu erheben. Die Rendite solcher „Privatisierungsmodelle“ ist oft sogar höher als bei einem „echten“ Verkauf. Und eben diese Übertragung der Nutzungsrechte lässt der „Kompromiss“ zwischen Bund und Ländern ausdrücklich zu, der von den meisten Zeitungen als Absage an eine Autobahnprivatisierung gewertet wurde. Anderslautende Gutachten, die in diesem Falle sogar von Unternehmensverbänden kamen, wurden nur am Rande wahrgenommen und nicht groß diskutiert.
Es ist ohnehin erstaunlich. Eine Google-News-Suche nach dem Begriff „Autobahnprivatisierung“ ergibt in den Massenmedien seit November 2016 – dem Datum, seit dem das Thema angeblich vom Tisch ist – nur noch vereinzelte Treffer. Dabei wurde das Thema den gesamten Februar über hitzig im Bundesrat und im Bundestag diskutiert, wie es die Organisation GiB (Gemeingut in BürgerInnenhand) am Dienstag sehr schön zusammengefasst hat. Dass Bundesrat und Bundestag über ein derart vorbelastetes Thema debattieren, ohne dass jemand davon etwas mitbekommt, hat jedoch einen einfachen Grund.
Die Bundesregierung hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und versucht nun die Autobahnprivatisierung klammheimlich durch die Hintertür zu beschließen – und zwar als einen Unterpunkt des „Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems“, also des berühmten „Länderfinanzausgleichs“. Der soll ja 2019 auslaufen und 2020 durch ein neues Regelwerk ersetzt werden. Dafür müssen ohnehin zahlreiche Artikel des Grundgesetzes geändert werden. Was läge als näher, als die Autobahnprivatisierung ohne großes Aufheben in dieses große Paket zu verschieben und den Länderfinanzausgleich als eine Art Trojanisches Pferd zu nutzen? Und genau dies ist der Fall. So heißt der Artikel 13 zum neuen Gesetz beispielsweise „Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesfernstraßen“. Artikel 18 heißt „Änderung des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs“ und Artikel 20 „Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes“. Deutlicher geht es kaum.
Erst vor zwei Wochen, am 16. Februar, fand im Bundestag die erste Lesung zum Änderungskatalog des Grundgesetzes statt. Haben Sie dazu in den Medien irgendetwas vernommen? Selbstverständlich wurden bei dieser Gelegenheit auch zwei Anträge der Linkspartei vorgebracht – man wollte die Autobahnprivatisierung im Grundgesetz ausschließen und die Gründung einer Bundesfernstraßengesellschaft sofort einstellen. Beides wurde erwartungsgemäß von der übergroßen Mehrheit der Privatisierungsbefürworter im Bundestag abgelehnt. Das ist nicht überraschend. Ein wenig überraschend ist indes, dass auch darüber niemand groß berichtet hat.
Die Bundesregierung scheint es mit ihrem Plan, die Autobahnen zu privatisieren, sehr eilig zu haben. Die Länder haben offenbar noch Bedenken, da der Bund aber durch die Einbettung in den Länderfinanzausgleich gleich zahlreiche „Zückerli“ in der Hinterhand hat, um die Ministerpräsidenten sanft zu überreden, ist davon auszugehen, dass auch die Länder schon bald ihren Widerstand aufgeben werden. Der Länderfinanzausgleich ist also – um im Bild zu bleiben – einer Danaergeschenk. Ist er verabschiedet, sind die Würfel gefallen und die Autobahnen können privatisiert werden.
Und was macht die Vierte Gewalt? Die lässt Trump nun von einem Mimikforscher beobachten und hält es offenbar für unnötig, die Öffentlichkeit über die bevorstehende Privatisierung der Autobahnen zu informieren. Wer je die Position vertreten hat, die Medien gehörten zum System der Checks & Balances dazu, sollte sich dies wohl noch einmal ganz genau überlegen.
Für alle Leserinnen und Leser, die der Themenbereich „Gemeinwohl und Privatisierung“ interessiert, habe ich am Ende des Textes noch einen Veranstaltungshinweis: Am 16. März findet um 19:00 Uhr in der Hochschule für Philosophie der Kaulbachstraße 33 in München die Veranstaltung „Verspekuliert die Finanzwirtschaft unsere Zukunft? Mit Gemeinwohl-Ökonomie zu mehr sozialer Gerechtigkeit“ mit Günter Grzega statt. Der Eintritt ist frei.