Die Ära der Krokodilstränen nähert sich dem Ende
Wer sagt, Meryl Streep sei als Schauspielerin „überbewertet“, hat ganz offensichtlich keine Ahnung vom Business. Die Vorstellung, die Streep bei der Verleihung der Golden Globe Awards gab, war jedenfalls in jeglicher Hinsicht oscarreif. Während der Schauspielerin die Krokodilstränen aus den Äuglein tropften und sie über die Gewalt dozierte, die nun mit Donald Trump über das Land kommen wird, hielt das Publikum den Atem an – und klatschte zusammen mit den Massenmedien dies- und jenseits des Atlantiks frenetisch Beifall. Abseits der Redaktionsbüros und VIP-Ränge im noblen Beverly Hilton Hotel wurde Streeps pathetischer Auftritt jedoch nicht so kritiklos gefeiert. Die ebenfalls sehr emotionale Gegenrede des leidlich bekannten linken Rappers AnOmaly schauten sich alleine auf Facebook binnen weniger Stunden mehr als sieben Millionen Menschen an. Das Meinungsmonopol der Eliten ist offenbar in Auflösung begriffen. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
„Missachtung lädt zu Missachtung ein, Gewalt stachelt zu Gewalt an. Wenn die Mächtigen ihre Position benutzen, um andere zu tyrannisieren, dann verlieren wir alle“ – wer könnte diesem Satz von Meryl Streep schon widersprechen? Streep spielte in ihrer Golden-Globe-Rede damit auf eine durchaus als schäbig zu bezeichnende Aktion an, bei der Donald Trump im Wahlkampf einen körperlich behinderten New-York-Times-Journalisten nachgeäfft hat. Keine Frage, so etwas gehört sich nicht und kann, ja muss, kritisiert werden. Erstaunlich ist jedoch, dass Frau Streep offenbar nur dann die Krokodilstränen aufs Gucci-Kostüm tropfen, wenn es um einen gedemütigten Angehörigen ihrer eigenen Schicht geht, einen liberalen Akademiker aus dem Mediengeschäft; eine Steilvorlage für den Rapper AnOmaly.
Meryl Streep tut gerade so, als sei Trump der erste Politiker, der Missachtung und Gewalt einsetzt und seine Position benutzt, um andere zu tyrannisieren. Ist das ernst gemeint? Wir bombardieren momentan sieben verschiedene Länder. Meryl Streep besitzt die Nerven, so zu tun, als ob es Donald Trump sei, der nun die Gewalt in die Politik bringt. Wir bomben, wir benutzen Drohnen, um über Hundert Zivilisten, Mütter, Kinder, umzubringen. Und schaut Euch die Wirtschaft an. Auch wenn es mit der Wirtschaft bergauf geht, hat die durchschnittliche Familie immer weniger. Die Mittel- und die Unterschicht werden von den Eliten tyrannisiert, tyrannisiert vom Establishment. […] Meryl Streep, willst Du mich verarschen? Weißt Du überhaupt, was in Syrien und im Nahen Osten vor sich geht? Oder lebst Du in einer Fantasy-Parallelwelt für Filmstars, in der Barack Obama und Hillary Clinton eine Art Mutter Teresa sind und alles wieder normal wird, wenn wir nur Donald Trump loswerden.
AnOmaly
Da hat der Rapper, der sich selbst als einen Kämpfer für die soziale Gerechtigkeit bezeichnet und im Wahlkampf für Bernie Sanders eingetreten ist, mit seiner Gegenrede einen wunden Punkt getroffen. Es stimmt ja – wo war das „liberale Hollywood“, als Obama den Drohnenkrieg ausgeweitet hat und seine Wahlversprechen von einer friedlicheren Politik über den Haufen geworfen hat? Wo waren die Tränen für die Drohnen-Opfer, deren Todesurteil vom bereits heute als „Friedenspräsidenten“ verklärten Barack Obama unterzeichnet wurde?
Sicher, einige wenige Künstler haben auch Bernie Sanders im Wahlkampf unterstützt und Hillary Clinton ihre Unterstützung verweigert. Der Großteil der „üblichen Verdächtigen“ aus dem Show- und Musikgeschäft, inklusive Meryl Streep, hat jedoch vom Anfang bis zum Ende des Wahlkampfs Hillary Clinton unterstützt und versteht jetzt natürlich die Welt nicht mehr … und dies nicht nur im übertragenen Sinn.
Es scheint vielmehr so, als habe das liberale Establishment in den USA die Erdung zur normalen Bevölkerung vollkommen verloren und sich in eine Parallelwelt verabschiedet. Die Zäsur verläuft immer deutlicher zwischen Oben und Unten und offenbar nicht mehr zwischen liberal und konservativ. Immer wieder wird im politischen Feuilleton darüber debattiert, dass die politische Rechte durch den Sieg Donald Trumps ein handfestes Problem habe. Das kann man so sehen, obgleich die „Probleme“ wohl eher im Establishment als an der Basis zu verorten sind. Das Establishment der politischen Linken steht jedoch keinesfalls besser da. Dort klammert man sich verzweifelt an eine Kandidatin, die bei selbstkritischer Betrachtung nie hätte Kandidatin werden dürfen. Anstatt dem geheuchelten Eliten-Liberalismus á la Clinton eine klare Absage zu erteilen, meidet man jegliche kritische Analyse, sucht einen Schuldigen – und wenn es nur wieder mal die Russen sind – und schimpft ansonsten über Trump; das wird jedoch nicht reichen.
Mir scheint es vielmehr so, als seien wir Zeugen einer politischen und medialen Zeitenwende. Hollywood und die größten Zeitungen der Welt klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und ein kleiner unbekannter Rapper meldet sich auf Facebook zu Wort, spuckt dem Establishment in die Suppe und bekommt dafür von Millionen Nutzern der Sozialen Netzwerke Beifall. Es hat wahrlich lange gedauert, aber die digitale Revolution scheint nun endlich auch in der politischen Welt angekommen zu sein. Und das ist gut so!