Don´t shoot the messenger – Für die einen ist es ein Hackerangriff, für die anderen investigativer Journalismus
Wissen Sie eigentlich, um was es bei den angeblichen russischen Hackerangriffen, die seit Wochen dies- und jenseits des Atlantiks die Schlagzeilen beherrschen, genau geht? Geht es wirklich um manipulierte Wahlen? Um Fake-News? Nein. Es geht darum, dass Interna der Demokratischen Partei über Wikileaks an die Öffentlichkeit kamen. Die Authentizität dieser Interna ist dabei unstrittig. Wären die Interna nicht von Wikileaks, sondern beispielsweise von der Washington Post veröffentlicht worden, würde man die ganze Sache wohl eher als Glanztat des investigativen Journalismus bezeichnen. Doch was dem Herrn geziemt, geziemt noch lange nicht dem Knecht. Also zauberte man in einem PR-Stunt „russische Hacker“ aus dem Hut und lenkte damit erfolgreich von der eigentlichen Affäre ab. Seitdem findet die gesamte Debatte in einer Parallelwelt statt und es ist unwahrscheinlich, ob unsere etablierten Medien den Ausweg aus dem Sumpf finden. Von Jens Berger.
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In ihrem schönen Artikel „Die Geheimdienste munkeln“ geht CCC-Sprecherin Constanze Kurz in der FAZ eher am Rande auf einen Aspekt der Debatte rund um die angeblichen Manipulationen der US-Präsidentschaftswahlen durch russische Hacker ein, der von fast allen anderen Autoren und Politikern geflissentlich ignoriert wird:
„Ob allerdings für das mangelnde Vertrauen in demokratische Prozesse die angeblichen russischen Hacker verantwortlich zu machen wären, ist fraglich. Denn immerhin hat kein böswilliger Russe die Inhalte der geleakten E-Mails der Demokraten-Polit-Manager geschrieben – das waren sie schon selbst.“
Constanze Kurz in der FAZ
Ja, es ist schon sehr seltsam. Im Englischen gibt es das schöne Sprichwort „Don´t shoot the messenger“, man solle doch bitte nicht den Überbringer schlechter Nachrichten für deren Inhalt bestrafen. Genau das ist jedoch der Kern der aktuell hysterisch geführten Debatte über die vermeintlichen russischen Hacker. Die „schlechten Nachrichten“, das waren interne Notizen und Mails von leitenden Wahlkampfmanagern der Clinton-Kampagne und der Dachorganisation der Demokratischen Partei. In diesen Mails machte man sich beispielsweise über Clintons Konkurrenten Bernie Sanders und dessen Anhänger lustig und erwähnte relativ freimütig die hervorragenden Verbindungen der Clinton-Kampagne zu den klassischen Medien. Für kritische Beobachter war all dies nicht wirklich neu und überraschend, den Rest der Wählerschaft und erst recht der Medien hat das Ganze gar nicht interessiert – Hillary Clinton war schließlich „die Gute“ und dieses Image sollte erhalten bleiben. Ob die Leaks, über die wir heute debattieren, überhaupt einen nennenswerten Einfluss auf die Wahlen hatten, kann daher durchaus bezweifelt werden.
Aber um beim Kern zu bleiben: Wenn hierzulande von „Manipulationen der Wahlen“ oder gar „gehackten Wahlen“ gesprochen wird, so ist dies falsch und grob manipulativ. Die Überschriften und Kommentare deutscher Medien suggerieren, dass es bei der US-Debatte tatsächlich darum geht, dass womöglich russische Geheimdienste über Hacker direkt die Wahlergebnisse verfälscht hätten. Davon war jedoch nie die Rede. Um direkte Eingriffe und Manipulationen der Wahlergebnisse geht es doch überhaupt nicht. Es geht „lediglich“ darum, dass Interna aus dem Clinton-Lager über Umwege auf Wikileaks gelandet sind und von verschiedenen Blogs und alternativen Medien aufgegriffen wurden.
Eigentlich geht es hier also um investigativen Journalismus! Oder nicht? Wer hat bei der Watergate-Affäre gefragt, ob die Aussagen des Informanten „Deep Throat“ rechtlich gesehen unbedenklich waren? Hat sich bei der Flick-Affäre irgendwer darüber aufgeregt, dass private Steuerakten ihren Weg in die Zeitungen fanden? Damals gab es offenbar noch keine russischen Hacker, die man für alles verantwortlich machen kann. Aber Spaß beiseite: Dass die versammelte Medienlandschaft eine Nachricht ignoriert und kollektiv auf den Überbringer eindrischt, ist ein bemerkenswertes Novum in der Mediengeschichte.
Dabei lässt sich die ganze Story doch eigentlich auf einen Satz herunterbrechen: Hillary Clinton war die falsche Kandidatin. Ganz offensichtlich konnte Clinton vor allem in den Swing States im „Rostgürtel“ die Wähler nicht für sich gewinnen. Dafür bedurfte es keiner Einflussnahme von außen und Russland oder die russischen Geheimdienste dafür verantwortlich machen zu wollen, ist geradezu absurd. Wenn Comic-Ikone Bart Simpson seinen Hund dafür verantwortlich macht, die Hausaufgaben gefressen zu haben, ist das lustig. Wenn eine eigentlich ernsthafte Präsidentschaftskandidatin wie Hillary Clinton ihr Versagen mit Manipulationen russischer Hacker erklären will, so ist das nur noch tragisch. Und den tragischen Höhepunkt bilden die selbsternannten Qualitätsjournalisten, die diesen Unfug auch noch aufgreifen und unkritisch weiterverbreiten.
Streng genommen sind unsere Qualitätsjournalisten (nicht nur) in diesem Punkt klassische Verschwörungstheoretiker. Eigentlich gibt es doch eine eindeutige Erklärung, warum Clinton die Wahlen verloren hat. Doch die Elite des deutschen Medienwesens bastelt lieber an einer düsteren Schurkengeschichte, bei der die ultimativen Dauer-Bösewichte (die Russen) mit sinisteren Mitteln (Hacken) ihrem Stellvertreter im gelobten Land (Trump) die Präsidentschaft zugeschustert haben. Es wäre ja auch noch schöner, wenn die wunderbare Hillary in einer echten demokratischen Wahl nicht gewinnen sollte. Was nicht sein darf, kann nicht sein und was nicht passt, wird passend gemacht. Die Protokolle der Weisen von Moskau … auf allen Kanälen und von allen Frontblättern in Farbe.
Die Taktik geht auf. In der gesamten Debatte geht es nur noch darum, wer die Interna der Demokratischen Partei veröffentlicht hat. Um den Inhalt dieser Interna geht es längst nicht mehr und die offensichtlichen Gründe, warum Hillary Clinton weder die Herzen noch die Köpfe ihrer Wähler erreichen konnte, spielen auch längst keine Rolle mehr. Trump ist nun der Präsident von Putins Gnaden … zumindest in den Verschwörungstheorien der etablierten Medien dies- und jenseits des Atlantiks. Willkommen in der Parallelwelt!