Wir leben im Thriller – schon lange
Wir befinden uns im Jahr 2016, doch seit den Snowden-Enthüllungen ist alles 1984 – oder post-1984. Dies zu leugnen, wäre verlogen und falsch. Der Überwachungsstaat und die unfassbare Macht der Geheimdienste ist Realität, ein Teil unseres Alltags – auch wenn wir es weiterhin verdrängen oder bewusst ignorieren. Wir leben in einer Welt, die viele Hollywood-Thriller in den Schatten stellt. Doch das tun wir schon lange. Haben Sie schon einmal etwas von Allen Dulles gehört? Von Emran Feroz
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Viele Agentenkrimis und Spionagethriller sind oftmals ähnlich aufgebaut. Und wahrscheinlich überkommt vielen Menschen beim Zusehen nicht selten derselbe Gedanke: „Ob die auch in echt so skrupellos und kaltblütig drauf sind?“ Allen Welsh Dulles ist das beste Beispiel dafür, dass solche Annahmen mehr als berechtigt sind. Es gibt nämlich so gut wie keine Missetat, die der ehemalige CIA-Direktor zwischen den 50er- und 60er-Jahren nicht begangen hat. Egal, ob Kontakte zu den Nazis oder etwa auch der italienischen Mafia, brutale Menschenversuche, gezielte Attentate oder den Sturz ganzer Regierungen – Dulles hielt das alles für legitime Wege, um US-amerikanische Interessen zu „verteidigen“.
In seinem Buch „Das Schachbrett des Teufels“ beschreibt der US-amerikanische Journalist David Talbot den skrupellosen Lebensweg Allen Dulles’ wie kein anderer. Demnach ist es auch alles andere als verwunderlich, dass sein Buch vom US-Mainstream, allen voran von der „New York Times“ ignoriert und verdrängt wurde. Ironischerweise wurde es dennoch ein New-York-Times-Bestseller. Doch genauso groß sollte das Interesse an Dulles auch in Deutschland sein. Immerhin gehörte er zu den Hauptförderern des BND. Zu Reinhard Gehlen, dem Gründer des deutschen Geheimdienstes, pflegte Dulles ein sehr inniges Verhältnis.
Umso mehr hasste Dulles alles, was er auf irgendeine Art und Weise als links identifizierte. Dies erklärt auch seine Nähe zu den Nazis während des 2. Weltkrieges. Dulles hielt sich damals in der Schweiz auf, wo er weniger als Geheimagent, sondern mehr als eine Art Untergrundpolitiker agierte und Kontakte zu allen möglichen Parteien pflegte. Und wie viele andere US-Offizielle war er der Meinung, dass die Sowjetunion im Vergleich zu den Nazis der „wichtigere Gegner“ sei.
Nachdem Allen Dulles zum CIA-Direktor aufstieg und sein Bruder John Foster zeitgleich als US-Außenminister tätig war, wurde de facto der Grundstein für jenen militärisch-industriellen Komplex gelegt, den der Geheimdienst heute darstellt. Dulles stürzte demokratisch gewählte Regierungen, etwa jene im Iran oder in Guatemala, während er innenpolitisch ebenfalls für Wirbel sorgte. Besonders deutlich wurde dies etwa nach dem Kennedy-Attentat. Dulles, der einen Platz in der sogenannten Warren-Kommission, die das Attentat aufklären sollte, einnahm, vertrat vehement die Einzeltäter-Theorie. Zum gleichen Zeitpunkt tat er alles in seiner Macht stehende, um jene, die etwa behaupteten, Lee Harvey Oswald sei ein CIA-Agent gewesen, mundtot zu machen. Dass Dulles kein Fan von Kennedy gewesen ist, war weitläufig bekannt.
Dulles Wirken hat bis heute zahlreiche Auswirkungen in verschiedenster Hinsicht. Dass die CIA heute noch als eine Art Staat im Staat agiert und nahezu überall auf der Welt geheime Kriege führt – etwa durch die Bewaffnung von Milizen in Afrika oder im Nahen Osten, durch Schatteneinsätze von Spezialtruppen oder durch Drohnen-Angriffe – hat man auch Dulles’ Wirken zu verdanken. Dulles war auch ein großer Anhänger von medialer Propaganda. Er setzte gezielt darauf, die Bevölkerung zu desinformieren und anzulügen. Zu führenden Medienhäusern, die heute immer noch den Diskurs bestimmen und die Deutungshoheit haben, führte er enge Beziehungen.
Einige Medien gründete Dulles praktisch selbst. Ein gutes Beispiel hierfür ist etwa der Radiosender „Free Europe“. Dulles setzte es durch, dass die Finanzierung des Senders vom US-Kongress übernommen wurde. Ziel war damals die Verbreitung antisowjetischer Propaganda in Europa. „Free Europe“ (heute meist bekannt unter Radio Free Europe/Radio Liberty) existiert weiterhin. Mittlerweile hat der Sender eine umfassende Internetplattform und ist nicht nur in Osteuropa aktiv, sondern auch im Nahen Osten und Zentralasien. Heute wie damals verbreitet „RFE/RL“ Nachrichten, die mit der US-amerikanischen Außenpolitik konform sind. Kurz gesagt: Dank Dulles verbreitet „Free Europe“ weiterhin Propaganda.
Umso mehr sollte man sich die Frage stellen, warum Allen Dulles weiterhin so vielen Menschen kein Begriff zu sein scheint. In seiner wichtigsten Mission war dieses Großkaliber westlicher Geheimdienstgeschichte wohl erfolgreich. Denn ob tot oder lebendig, Dulles blieb immer im Schatten. Um dies zu vereiteln, sollte man sich David Talbots Buch zu Gemüte führen – und dabei nicht allzu sehr erschrecken.