Maßnahmepaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte oder nur zur Rettung der Finanzinstitute, die sich verzockt haben
Die Bundesregierung hat heute ein „Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG)“ [PDF – 144 KB] auf den Weg gebracht. Darin sind 400 Milliarden Euro als Garantie für sog. Refinanzierungsinstrumente vorgesehen. 80 Milliarden Euro sollen der Rekapitalisierung und der Risikoübernahme durch den Erwerb von problematischen Forderungen von Finanzunternehmen dienen. Schließlich soll noch ein Finanzmarktstabilisierungsfonds mit einem Volumen von maximal 100 Milliarden Euro eingerichtet werden, der durch die Deutsche Bundesbank verwaltet wird. Sehen Sie dazu die Grafik des Bundesfinanzministeriums.
Ist das milliardenschwere Maßnahmepaket in Wahrheit ein Hilfsprogramm zur Rettung der Banken – und zwar gerade derjenigen, die die Krise mit ausgelöst haben?
Von Wolfgang Lieb
Als haushaltsrechtliche Vorsorge sieht die Bundesregierung nur 20 Milliarden, das sind 5 % der Garantiesumme von 400 Milliarden vor, und dazu verlangt sie eine Kreditaufnahmeermächtigung von 70 Milliarden (+10 Milliarden weiterer Kreditrahmen) für die Rekapitalisierung und den Erwerb von Problemaktiva (ggf. faule Kredite). Das macht also zunächst einmal 100 Milliarden Euro aus, über die der Bundesfinanzminister künftig direkt verfügen kann.
Ich will nun keine voreilige Kritik üben, denn die Situation ist zu ernst und vor allem auch zu undurchschaubar, als dass man diese Maßnahmen von vorneherein als falsch oder in ihrer Wirkung als unzureichend oder gar kontraproduktiv verdammen sollte.
Das Gesetz ist zunächst einmal ein ziemlich weitgehendes Ermächtigungsgesetz für den Bundesfinanzminister:
- Über die aus dem Fonds vorzunehmenden Stabilisierungsmaßnahmen entscheidet das BMF auf Antrag eines Unternehmens des Finanzsektors.
- Das BMF kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedarf, der Deutschen Bundesbank die Entscheidung über Maßnahmen nach diesem Gesetz und die Verwaltung des Fonds übertragen.
- Das BMF wird ermächtigt, für den Fonds Garantien bis zur Höhe von 400 Milliarden Euro übernehmen, um Liquiditätsengpässe zu beheben und die Refinanzierung am Kapitalmarkt zu unterstützen; dies gilt für ab Inkrafttreten dieses Gesetzes und bis zum 31. Dezember 2009 begebene Schuldtitel und begründete Verbindlichkeiten aus Einlagen von Unternehmen des Finanzsektors, die eine Laufzeit von bis zu 36 Monaten haben.
- Das BMF wird ermächtigt, für den Fonds zur Deckung von Aufwendungen und von Maßnahmen nach den §§ 6 und 8 dieses Gesetzes Kredite bis zur Höhe von 70 Milliarden Euro aufzunehmen.
- Das BMF wird ermächtigt, für den Fonds im Falle der Inanspruchnahme aus einer Garantie nach § 7 dieses Gesetzes weitere Kredite in Höhe von bis zu 20 Milliarden Euro aufzunehmen.
- Das BMF kann durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen erlassen über die von den begünstigten Unternehmen des Finanzsektors zu erfüllenden Anforderungen an
- die geschäftspolitische Ausrichtung, bei Kreditinstituten insbesondere die Versorgung kleiner und mittlerer Unternehmen mit Krediten, und die Nachhaltigkeit des verfolgten Geschäftsmodells,
- die Verwendung der aufgenommenen Mittel,
- die Vergütung ihrer Organe, Angestellten und wesentlichen Erfüllungsgehilfen,
- die Eigenmittelausstattung,
- die Ausschüttung von Dividenden,
- den Zeitraum, innerhalb dessen diese Anforderungen zu erfüllen sind,
- Maßnahmen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen,
- die Art und Weise, wie dem Fonds Rechenschaft zu legen ist,
- eine von dem vertretungsberechtigten Organ mit Zustimmung des Aufsichtsorgans abzugebende und zu veröffentlichende Verpflichtungserklärung zur Einhaltung der in Nummer 1 bis 8 beschriebenen Anforderungen,
- sonstige Bedingungen, die zur Sicherstellung des Zweckes dieses Gesetzes nach Absatz 1 erforderlich sind.
Einen derart weitgehenden Entscheidungs- und Verfügungsrahmen über Finanzmittel (Garantien, Kredite, Aufwendungen) ohne eine direkte parlamentarische Einflussmöglichkeit oder Interventionen des Bundesrats hat es meines Wissens in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. Das Parlament soll also mit der Verabschiedung des Gesetzes dem Finanzminister zur Stabilisierung der Finanzmarktkrise „plain pouvoir“ geben und nimmt sich damit die politische Einflussnahme. Eine solche totale Machtübertragung auf die Exekutive ist nicht nur demokratisch höchst problematisch, sie öffnet außerparlamentarischer Einflussnahme durch Finanzunternehmen auf die Entscheidungen Tür und Tor.
Warum verlangt man nicht wenigstens einen Parlamentsbeschluss bei Kreditvergaben oder Aufwendungen ab einer bestimmten Größenordnung? Das Parlament kann noch nicht einmal die Notbremse ziehen, wenn die Belastungen für den Haushalt explodieren.
Obwohl auch der Bundesrat von den wesentlichen Entscheidungen des BMF ausgeschlossen ist, sollen nach Abwicklung des Fonds verbleibende Defizite (deren Umfang nicht abschätzbar ist) zwischen Bund und Ländern im Verhältnis 65 zu 35 aufgeteilt werden. Das mag, wenn man von einer gesamtstaatlichen Verantwortung ausgeht, verständlich sein. Man darf aber gespannt sein, ob die Länder dem zustimmen werden. Bayern hat schon seinen Widerstand angekündigt.
Worum geht es in der Sache:
„Nach derzeitigem Eindruck sind die Marktkräfte allein nicht mehr in der Lage, das System zu stabilisieren. In dieser Krisensituation ist es fundamentale Aufgabe des Staates, das Vertrauen in den Finanzmarkt wiederherzustellen und eine weitere Zuspitzung der Finanzmarktkrise zu verhindern. Die dramatische aktuelle Lage hat überall in Europa staatliche Interventionen zum kurzfristigen Krisenmanagement erforderlich gemacht. Vor diesem Hintergrund führt das Gesetz Maßnahmen ein, die erforderlich sind, um die volle Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte zu gewährleisten und das Finanzsystem zu stabilisieren.
Die gesetzliche Einrichtung eines Sondervermögens ist angesichts der besonderen und kritischen Situation auf dem Finanzmarkt gerechtfertigt. Die dramatische Entwicklung zwingt die Bundesregierung kurzfristig zu einem unmittelbaren und entschiedenen Eingreifen. Dies erfordert Kredit- und Garantieermächtigungen in erheblichem Umfang“, so heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs.
Was macht die kritische Situation auf dem Finanzmarkt aus?
Eigentlich stellt ja die Europäische Zentralbank Liquidität im Überfluss zur Verfügung, und sie hat mit der Zinssenkung auch die Kreditaufnahme ein wenig erleichtert. Offenbar werden diese Hilfen aber nicht ausreichend in Anspruch genommen. Das Problem scheint zu sein, dass sich die Banken gegenseitig kein Geld mehr leihen, weil sie einander misstrauen, und dadurch scheint auch die Kreditvergabe der Banken an Unternehmen oder Privatleute stark beeinträchtigt.
Warum trauen sich die Banken gegenseitig nicht?
Offenbar vergeben sie keine oder in zu geringem Umfang Kredite an andere Finanzunternehmen, weil sie befürchten, dass diese sie nicht zurückzahlen können, sei es dass sie an faulen Krediten ersticken und gar in Insolvenz geraten könnten. Dieses verloren gegangene Vertrauen soll und will nun der Staat wiederherstellen, indem er für die Refinanzierung haftet und „gegen eine angemessene Gebühr“ Garantien in Höhe bis zu 400 Milliarden Euro übernimmt.
Die „Bankfachleute“ misstrauen sich also gegenseitig, aber der Staat, der noch viel weniger über die Interna der Finanzinstitute weiß, soll die Risiken blindlings übernehmen. Noch mehr, er soll Unternehmen, die eigentlich vor der Insolvenz stehen, dadurch retten, dass er sie „rekapitalisiert“ (zum Beispiel in dem er stimmrechtlose Vorzugsaktien, Aktien, Hybridkapital wie Genussscheine kauft). Dafür stehen ihm bis zu 80 Milliarden Euro zur Verfügung.
Das einzige, was der Staat sich dafür „kaufen“ kann, sind etwa Auflagen in Bezug auf die geschäftspolitische Ausrichtung, auf die Managementvergütungen oder auf Dividendenausschüttungen (aber nur bei diesen „rekapitalisierten“ Unternehmen).
Die Stabilisierung des Finanzsystems mag notwendig sein, um eine Pleitewelle der Banken zu verhindern, sie mag notwendig sein, damit die Bürger nicht ihre Spareinlagen verlieren oder aus Angst vor einem Verlust kollektiv ihre Guthaben auflösen, und damit die Banken wieder ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen können, nämlich Kredite an Investoren der „Realökonomie“ und an Konsumenten, die sich etwas anschaffen wollen, zu vergeben.
Ungerecht und geradezu ärgerlich ist, dass von dieser staatlichen Stabilisierung vermutlich diejenigen Finanzinstitute, die am unseriösesten gearbeitet und sich am meisten verspekuliert haben, am meisten profitieren. Man belohnt also geradezu diejenigen, die die Krise ausgelöst haben.
Um aber wenigstens diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen oder auf die Straße zu setzen, die die Suppe eingebrockt haben, wäre es unumgänglich, dass der Staat wenigstens bei den Unternehmen, die er vor der Insolvenz rettet, selbst einsteigt und für Ordnung sorgt, ansonsten kann er nur wie bei der Hypo Real Estate ein bisschen öffentlichen Druck auf eine Ablösung von Vorstand oder Aufsichtsrat machen, aber eben nicht durchgreifen.
So wie jetzt vorgegangen wird, besteht die Gefahr, dass, sollte es gelingen, die Krise zu bewältigen, das Bankensystem weitermacht, als wäre nichts gewesen, und dieselben Personen, die durch geradezu kriminelles Verhalten den Steuerzahler zur Kasse gebeten haben, unbeschadet ihr Spekulantentum weiter betreiben können.
Der Verdacht liegt leider ziemlich nahe, dass es sich hierbei vor allem um ein Hilfsprogramm zur Rettung des Bankenwesens handelt und es allenfalls als Nebenwirkung um die Stabilisierung der Wirtschaft und eine Absicherung der Sparer geht. Laut Medienberichten sollen an dem jetzt vorliegenden Stabilisierungskonzept neben Kanzleramt und Finanzministerium vor allem auch Bundesbankpräsident Axel Weber, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Commerzbank-Chef Martin Blessing und Bankenpräsident Klaus-Peter Müller mitgearbeitet haben. Also gerade Herr Ackermann, der mit seinen Dividendenvorgaben von 25% das Spekulantentum in Deutschland erst richtig angestachelt hat. Da bestimmen also diejenigen, die zur Finanzmarktkrise wesentlich beigetragen haben, wie ihnen der Staat aus der Patsche helfen soll und mit wie viel Geld der Steuerzahler dafür geradestehen soll. Kein Wunder, dass die Spekulanten an den Börsen jubeln.
Dafür, dass es bei dem Stabilisierungsgesetz eher um einen Bankenrettungsplan als um die Rettung der Gesamtwirtschaft und der Spareinlagen geht, spricht auch, dass der deutsche Staat – anders als in England und den USA – nicht durch Anteilsübernahmen oder Verstaatlichung in die Unternehmen einsteigt und Verantwortung durch Stimmrecht übernimmt, sondern das Geschäft den Bankern und – nach einer möglichen Überwindung der Vertrauenskrise – schließlich wieder den
“Selbstheilungskräften” der Finanzwirtschaft überlässt.
Wo bleibt eigentlich die Risikobeteiligung der Banken selbst?
Für einen bloßen Bankenrettungsplan spricht aber noch mehr, dass sich die Bundesregierung bisher keinerlei Gedanken darüber gemacht hat, wie sie die Gesetze, mit denen in den letzten Jahren dem Spekulantentum in Deutschland Tür und Tor geöffnet worden ist, wieder rückgängig macht. Auch über zusätzliche Maßnahmen etwa zur Änderung der Vergütungssysteme von Managern, zur Eigenkapitalausstattung von Banken oder zum Eigenanteil risikobehafteter Derivate ist nicht viel zu hören. Wie will eine Politik Vertrauen schaffen, die bislang voll auf die Finanzmärkte vertraute?
Vor allem spricht aber dafür, dass angesichts einer drohenden Rezession die Bundesregierung nicht genauso rasche Maßnahmen zur Stabilisierung der Realwirtschaft ergreift. Was nützt die Stabilisierung des Kreditwesens, wenn Investoren und Konsumenten gar nicht mehr nach Krediten nachfragen, weil die Wirtschaft wegbricht und die Menschen aus Sorge um Lohn und Brot Kaufzurückhaltung üben. Die Finanzwirtschaft lebt von der Realwirtschaft und eben nicht umgekehrt.
Deswegen ist es auch widersinnig, wenn jetzt die Finanzmarktkrise dazu genutzt wird, Lohnsenkungen zu fordern. Wie soll denn das Risiko von Ausfallbürgschaften des Staates verringert werden oder wie sollen die Anteile, die der Staat erworben hat, wieder gewinnbringend verkauft werden können, wenn die Finanzmärkte nicht durch eine prosperierende (real-)wirtschaftliche Entwicklung fundiert werden? Die Finanzwirtschaft unter sich wird ihre Liquiditätsengpässe nicht überwinden, es sei denn mit einer neuen Spekulationswelle.
Und warum wirkt der Bundesbankpräsident, der ja überall mit am Tisch saß, nicht endlich darauf hin, dass die EZB sofort die Zinsen drastisch senkt und Liquidität auch für die kleinen (gesunden) Banken und Sparkassen schafft. Wo bleibt eine klare Absage gegenüber den Plänen einer Privatisierung der Sparkassen?
Angesichts der Summen, die jetzt zur Kreditaufnahme und zur Haushaltsabsicherung für die Bankenstabilisierung zur Verfügung gestellt werden, und eines prognostizierten Nullwachstums auch auf Grund der Finanzmarktkrise ist es geradezu ignorant, wenn die Bundesregierung nicht gleichzeitig ein Wachstumsprogramm von etlichen Milliarden auflegt.
Es scheint, dass wir das gleiche Trauerspiel wie bei den Hartz-Reformen erleben werden: Man kuriert an den Symptomen herum, statt die Ursachen zu bekämpfen.
Siehe dazu auch: Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte und zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Realwirtschaft