Erwerbstätigenquote der über 55-Jährigen gestiegen – Ein Erfolg der Reformpolitik?
Durch die positive Entwicklung auf dem Arbeitmarkt sind in der Vergangenheit benachteiligte Gruppen verstärkt wieder in die Erwerbstätigkeit zurückgekehrt. Wie aus dem “Nationalen Strategiebericht – Sozialschutz und soziale Eingliederung 2008 bis 2010” der Bundesregierung (16/10138) hervorgeht , lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im März 2008 wieder bei 27,22 Millionen und entsprach damit dem Stand des Jahres 1998. Die Zahl der Arbeitslosen sank im Jahr 2007 auf jahresdurchschnittlich 3,77 Millionen und entsprach damit dem Stand des Jahres 1994. Erfreut zeigt sich die Bundesregierung in der Unterrichtung, dass die Erwerbstätigenquote der über 55-Jährigen wieder über 50 Prozent liegt. Mit einem Wert von 51,5 Prozent sei im Jahr 2007 bereits das für 2010 angestrebte Lissabon-Ziel übertroffen worden. Vermutlich wird der Anstieg der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und die höhere Erwerbstätigenquote der über 55-jährigen von der Bundesregierung wieder als Erfolg der „Reform“-Politik dargestellt werden. Dazu ein paar vorsorgliche Anmerkungen von Wolfgang Lieb
- Der Vergleich der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit dem Stand des Jahres 1998 ist ziemlich willkürlich: In den Jahren 1999 bis 2002 lag diese Zahl höher, 2001 sogar um eine halbe Million, nämlich bei über 27,7 Millionen [PDF – 60 KB].
- Zum Anstieg der Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen:
- Dass die Beschäftigungsquote bei den über 55-Jährigen angestiegen ist, könnte z.B. mit der trivialen Tatsache korrelieren, dass der Altersdurchschnitt der Bevölkerung zunimmt und eben in den zurückliegenden Jahren mehr jüngere Erwerbstätige einfach die 55er-Altersgrenze überschritten haben. (Der Anteil der 55-Jährigen und Älteren an der Bevölkerung beträgt rund 31 Prozent, an den Erwerbstätigen hingegen lediglich etwa 12 Prozent). Wenn also etwa gesagt wird, die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen habe sich auf 51,5 Prozent erhöht, so könnte dass schlicht auch daran liegen, dass die Endvierziger, die zu den geburtenstarken Jahrgängen gehören – soweit sie nach wie vor einer Erwerbstätigkeit nachgehen -, inzwischen älter geworden sind und sich dies eben in der Altersstatistik der Erwerbstätigen niederschlägt.
- Die höhere Beschäftigungsquote Älterer könnte auch damit verknüpft werden, dass etwa die finanziellen Anreize der früheren, großzügigen Vorruhestandsregelungen nahezu völlig abgeschafft wurden. Dieser „Umbau“ wurde schon vor gut 10 Jahren noch durch Arbeitsminister Blüm mit der Einführung der finanziell ungünstigeren Altersteilzeit begonnen, es wurden beim Vorruhestand deutlich höhere Versorgungsabschläge eingeführt (z.B. bei den Postbediensteten 10,8 Prozent lebenslang) oder es wurde das das Renteneintrittsalter für Frauen angehoben.
- Dass Menschen heute länger arbeiten wollen oder müssen, könnte genauso auch damit zusammenhängen, dass durch die zahlreichen Rentenreformen die Rentenanwartschaften erheblich gesunken und unsicherer geworden sind und die Abschlagsraten für ein vorzeitiges Ausscheiden (3,6 % pro Jahr) erheblich anstiegen. Auch die ständigen Warnungen vor Altersarmut bei der gesetzlichen Rente in Werbekampagnen für die Riester-Rente könnten ihren Teil dazu beigetragen haben. Nicht zuletzt dürften die seit langem stagnierenden Löhne die Arbeitnehmer zu längerer Lebensarbeitszeit zwingen, wenn sie durch die zusätzlich anrechenbarer Arbeitsjahre in der Rentenformal ein auskömmlicheres Renteneinkommen erzielen wollen.
- Der prozentuale Anstieg älterer Beschäftigter könnte aber genauso auch darin seine Erklärung finden, dass den Unternehmen seit einiger Zeit nichts anderes übrig bleibt, als Ältere (weiter oder wieder) zu beschäftigen, weil sie nicht mehr genügend qualifizierte junge (billigere) Arbeitnehmer finden können. Man könnte also mindestens genauso plausibel wie Hartz IV auch den inzwischen oft genannten „Fachkräftemangel“ als Erklärung heranziehen.
- Der stärkere Zugang älterer Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt könnte sogar auch daran liegen, dass es mit der Verschärfung des Ausländerrechts weniger Einwanderer oder seit einigen Jahren weniger Aussiedler gibt, die ihre Arbeitskraft anbieten. Der Anstieg ließe sich aber auch mit der dramatischen Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen, also von Mini- oder Midijobs oder von Leiharbeitsverhältnissen, korrelieren. Die Angaben über die Erwerbstätigenquote von Älteren wird auch dadurch beschönigt, dass die Altersteilzeit insbesondere in der Altersgruppe der 60 bis 65-Jährigen in der Statistik nicht ausgewiesen wird.
- Von dem gegenüber 2006 verzeichneten Zuwachs von 694.000 Beschäftigten entfielen im September 2007 (dem von der Bundesregierung in diesem Bericht herangezogenen Stichjahr) nach Angaben der Bundesagentur rund 240.000 auf den Anstieg von Leiharbeit, 125.000 auf den Zuwachs an Billigjobs und ca. 174.000 auf den Anstieg von versicherungspflichtig Beschäftigten mit einem Nebenjob. Hinzu kommen noch demografisch bedingte Abgänge.
Siehe dazu: