Irland kann helfen, die Debatte über Terrorismus in Europa zu definieren.

Jens Berger
Ein Artikel von:
Fintan O'Toole

Nach jeder Gewalttat sind Bildschirme und Radios voll mit Terrorexperten, die versuchen die Leere, die der letzte entsetzliche Anschlag hinterlassen hat mit rationaler Sprache zu füllen. Aber hier in Irland sind die meisten von uns Terrorexperten. Ein Artikel von Fintan O’Toole aus der Irish Times – ins Deutsche übersetzt von unserem Leser Willi Gräfrath.


Das ist keine Errungenschaft auf die wir stolz sind, nicht einmal etwas, das wir gern eingestehen. Dennoch weiß jeder, der in seinem Erwachsenenleben die “Unruhen” erlebt hat, das ist jeder Bewohner dieser Insel über 40, viel mehr über den Terrorismus als die meisten akademischen Experten. Und vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns unserer Vergangenheit stellen und versuchen etwas Positives mit diesem Wissen zu tun.

Es gibt drei große und wertvolle Dinge, die wir in Irland über den Terrorismus gelernt haben. Die erste Erkenntnis ist, dass Menschen die monströse Dinge tun nicht unbedingt Monster sind. Wer von uns kennt nicht jemanden, der in irgendeiner Terrororganisation war, oder ein Mitglied einer Partei, die zu einer solchen Organisation Beziehungen hatte, oder der Geld gespendet hat für “die Sache”, in vollem Wissen, dass dieses Geld mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Terroranschlag beigetragen hat, oder der zumindest, auf der niedrigsten Stufe der Mittäterschaft, eine fürchterliche Gräueltat entschuldigt hat, meist beginnend mit den doppelsinnigen Worten: “Und was ist mit…?”

Aus dieser persönlichen Bekanntschaft heraus verstehen wir auch eine zutiefst verunsichernde Wahrheit: Dass diese Menschen im Großen und Ganzen normal sind, gut angepasst und in anderen Belangen anständige Menschen. Das soll nicht heißen, dass Terrororganisationen nicht auch Psychopathen und Sadisten anziehen – es ist offensichtlich, und auf groteske Weise geradezu beruhigend, dass sie dies tun. Es ist viel leichter zu verarbeiten, wenn Menschen, die z.B. eine Bombe in einem vollgepackten Lokal hochgehen lassen, klar anders sind als wir anderen. Aber in Irland leben wir mit der Wahrheit, dass die meisten Leute die solche Gedanken hegen Nachbarn sind und Freunde, Arbeits- und Schulkollegen, Brüder und Schwestern, Väter und Mütter.

Beunruhigend

In Irland wissen wir dass die Grenze zwischen Denen und Uns, zwischen den Zivilisierten und den Barbaren, längst nicht so klar definiert ist wie wir das gern hätten, wenn wir das Blutbad auf der Promenade des Anglais sehen. Und dieses Wissen, wie übel es sich auch anfühlen mag, ist wertvoll für den Rest der Welt.

Es zeigt uns, dass die Worte die über unsere Lippen kommen, wenn die Unschuldigen abgeschlachtet werden – sinnlos, böse, monströs – Trauer und Not ausdrücken aber keine hilfreichen Erklärungen darstellen. Terrorismus ist nicht sinnlos – er hat einen sehr ernsten Sinn: Einen apokalyptischen Bürgerkrieg oder globalen Konflikt anzufachen. Daher ist Abscheu nicht genug. Um auf Terroristen eine Antwort zu finden, müssen wir verstehen was sie bewegt, was ihre Ziele sind und wie wir diese Ziele vereiteln können – und das können wir eben nicht indem wir ständig in den Ruf nach “Krieg” einstimmen.

Die zweite wertvolle Erkenntnis in Irland ist, dass Terrorismus kein Virus ist, der nur Menschen außerhalb der weißen europäischen und amerikanischen Mainstream Bevölkerung befällt. Ganz speziell wissen wir, dass der gegenwärtige Versuch den Terrorismus als eine islamische Krankheit zu zeichnen Unsinn ist. Wir Iren wissen von verdammt viel Terrorismus, der sich auf biblische und protestantische Rhetorik und Identität beruft. Speziell “begreifen” wir den Märtyrerkult – sollten Sie vergessen haben, schauen Sie sich die fesselnden neue Doku von Brendan Byrne über Bobby Sands und den Hungerstreik von 1981 an, 66 Days.

Warum kann diese Erfahrung der Welt helfen? Weil sie zeigt wie dumm es ist eine Religion zu verdammen, weil einige Wenige, die sich zu dieser Religion bekennen, Terroristen sind. Donald Trump und Newt Gingrich, z. B., könnten sehr von einem Schnellkurs über die “Unruhen” profitieren, um sie zu erinnern, dass Isis genauso wenig gleich Islam ist wie UDA gleich Protestantismus und IRA gleich Katholizismus sind.

Verdacht

Drittens verstehen wir in Irland den Wahnwitz eine verdächtige Gemeinde zu erschaffen. Wenige weiße Westeuropäer wissen so wie wir, wie es ist wenn du unter Verdacht stehst, einfach nur weil du du bist, weil du z.B. auf eine bestimmte Art redest. Wir wissen, dass es nicht nur extrem unangenehm ist, sondern zusätzlich auch noch völlig kontraproduktiv. Wir wissen wie sich Menschen fühlen die sich am falschen Ende befinden.

Leute, die mit Terroristen eigentlich gar nichts zu tun haben wollen, bekommen das Gefühl, da sie behandelt werden als seien sie irgendwie für Handlungen von Terroristen verantwortlich, dass sie auf die falsche Seite einer Trennungslinie zwischen sich und dem Staat gedrängt werden. Das verärgert sie und in ihrem Ärger haben sie kein Vertrauen in die Autoritäten. Sie glauben unfair behandelt zu werden, auch wenn sie Information preisgäben; diese kleinen Dinge, die eine Gemeinschaft von innen heraus beobachtet und die gesammelt immens zur Aufklärung beitragen könnten.

Wenn wir uns wirklich solidarisch mit den Opfern der momentanen Terror Kampagne in Europa fühlen, müssen wir beginnen gemeinsam über diese Dinge zu sprechen, die wir kennen. Wir haben unseren Freunden Wertvolles zu sagen und wir können mit besonderer Autorität sprechen, da aus unseren eigenen Gemeinden und Kulturen einige der standhaftesten und wirkungsvollsten Terrororganisationen der Welt hervorgegangen sind. Aber um das zu tun müssen wir natürlich zuerst unsere eigene jüngere Vergangenheit anerkennen, etwas das Vielen von uns noch sehr unangenehm ist.

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Länderberichte Terrorismus

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