Erhard Eppler Interview in der FAS: „Die Willy Brandts wachsen nicht auf jeder Wiese“
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 29.6. erschien ein Interview mit E. Eppler An manchen Stellen merkt man, dass er sich etwas zu bewegen versucht. Aber das fällt ihm sichtbar schwer, weil er über seine früheren Äußerungen zum Beispiel zur Agenda 2010 und zu den Militäreinsätzen schwer hinwegkommt. Das ist wieder einmal ein typisches Beispiel für die Theorie von der Überwindung der kognitiven Dissonanz. Mein Kommentar zu den daraus folgenden Verrenkungen folgt.
Kommentar zu Epplers FAS-Interview:
- Eppler formuliert immer noch sehr frisch. Mit der Aussage der Überschrift hat er sogar recht: die Willy Brandts wachsen nicht auf jeder Wiese. Weil das so ist, muss man sich vielleicht daran gewöhnen, hier und heute mit dem vorhandenen Personal auszukommen. Hinzuzufügen wäre allerdings, dass eine große Partei auch darauf zu achten hätte, dass sie gutes Personal anzieht. Das gelingt immer weniger, wenn man eine Partei inhaltlich so entleert, wie das mit Epplers Partei gemacht worden ist.
- Die Gruppierung links von der SPD ist nicht „entstanden“ – sie ist in ihrer jetzigen und für viele SPD-Wähler attraktiven Gestalt von der SPD gezeugt und ausgetragen worden.
- „Gerhard Schröder wollte die Arbeitslosigkeit deutlich reduzieren, aber sie stieg immer weiter. Er musste etwas tun. Nach der Meinung von Sachkundigen hat das positive Wirkung gehabt.” Diese Aussagen sind in mehrerer Hinsicht höchst fragwürdig: Eppler unterschlägt, dass sich die Konjunktur und damit auch die Arbeitsmarktlage in den ersten 2 Jahren der Rot-Grünen-Koalition erholte und dass Schröder zunächst mit dem Austausch Lafontaines gegen den Sparkommissar Eichel und dann mit der Agenda 2010 diesen Erholungsprozess abbrach. Dies „musste“ Schröder nicht tun. Eppler betreibt eine beachtliche Geschichtsklitterei. Typisch, dass er sich dann auf sogenannte „Sachkundige“ beruft. Wer war das denn? Tony Blair? Oder die Niedriglohnsektor-Vertreter Streeck und Heinze? Oder Bodo Hombach? Jedenfalls solche, die nichts von Makroökonomie verstanden und wie die Neoliberalen glaubten, durch Druck auf die Arbeitnehmer und die Löhne Arbeitsplätze zu schaffen. Ob Gerhard Schröder die Arbeitslosigkeit reduzieren wollte, weiß ich anders als Eppler nicht. Jedenfalls hat er nichts davon verstanden, andernfalls hätte er nicht geglaubt, mit Hartz I bis IV die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das waren zuallererst Maßnahmen zur Verwaltung der Arbeitslosigkeit, nicht zu ihrer Bekämpfung. Durch Ausweitung prekärer Arbeitsverhältnisse und des Niedriglohnsektors sind solche Arbeitsplätze entstanden und normale Arbeitsplätze abgebaut worden. Siehe auch den Hinweis Nummer eins von heute: Einzelhandel: Niedriglöhne werden immer häufiger.
- Eppler erzählt uns dann in diesem Zusammenhang auch noch das inzwischen gängige Märchen, die Zumutungen Schröders und die von ihm verlangten Opfer des „kleinen Mannes“ seien nur deshalb als ungerecht empfunden worden, weil die Großen gleichzeitig beim Kassieren jedes Maß verloren hätten. Eppler und auch die anderen, die ständig das Wort Gier im Munde führen, haben offenbar nicht verstanden, was sie der Mehrheit der Arbeitnehmer angetan haben: die totale Verunsicherung durch tatsächliche Verschiebung in prekäre Arbeitsverhältnisse und Arbeitslosigkeit oder durch die Drohung damit. Siehe dazu auch g.
Eppler sieht wie viele andere auch nicht, dass der Unmut über die Regierung Schröder und Merkel nicht nur aus den Ungerechtigkeiten folgt, sondern auch aus der mangelnden Wirksamkeit der Zumutungen. Sie haben nicht gebracht, was versprochen worden ist.
- Ein „zusammengewürfelter Haufen“ ist auch die CDU/CSU und die SPD, die FDP und die Grünen ebenso. Das ist kein besonderes Merkmal der Linkspartei.
- Die Argumente, mit der Linken könne man nicht regieren, weil sie Flausen im Kopf habe, sind dünner als dünn: die Linke habe sich im Pazifismus des 20. Jahrhunderts fest gebissen und wolle aus der NATO austreten. – Seien wir doch froh, dass es bei uns überhaupt noch eine politische Bewegung gibt, die infrage stellt, dass die Tätigkeit der Nato außerhalb ihres ursprünglichen Verteidigungsbereichs einen Sinn hat. Angesichts der Tatsache, dass offensichtlich vom wichtigsten Mitglied der NATO militärische Einsätze und Kriege auch geführt werden, um innenpolitisch Punkte zu sammeln, ist die Rückbesinnung auf den Pazifismus des 20. Jahrhunderts sogar lebensnotwendig. Jedenfalls ist es ein wichtiger Beitrag zum Denkprozess einer potentiellen Regierung.
Aber das kann Eppler nicht sehen, weil er einer der Hauptzeugen für die angebliche Richtigkeit des Kosovo-Krieges war. Er hat die damalige Aktion im friedenspolitischen Teil der SPD-Wählerschaft abgesichert und ist immer noch nicht fähig, diesen Teufelskreis zu verlassen. Das Ergebnis sind die zitierten, dünnen Einlassungen. - In einem täuscht sich Erhard Eppler total. Wenn er in seiner letzten Antwort behauptet, heute gebe es keine Polarisierung um wichtige Fragen mehr. Heute gehe es um „Lappalien“ verglichen mit den Zeiten der großen Auseinandersetzungen um Nachrüstung und Atomkraftwerke. Eppler hat nicht verstanden, welch massiver Bruch die Agendapolitik Schröders bedeutete. Hier wandelte sich die Partei der sozialen Sicherheit zu einer Partei, die die soziale Verunsicherung zum politischen Instrument erhob und sich damit den Reihen der neoliberal gefärbten, konservativen Parteien anschloss. Eppler hat offenbar nicht begriffen, dass zum Beispiel Hartz IV der Angriff auf die Einrichtung einer einigermaßen verlässlichen Arbeitslosenversicherung war. Und dass die Minderung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente und die gleichzeitige Förderung der Privatvorsorge mit Riester-Rente, Rürup-Rente und Entgeltumwandlung ein zentraler Angriff auf eine solidarische Altersversorgung ist. Das ist ein wirklicher Umsturz, ein Akt der Zerstörung. Genauso wie das, was sich in Bezug auf die Universitäten tut. Und dass die Privatisierung der Bahn, der Autobahnen und anderer öffentlicher Einrichtungen, die Förderung von PPP, die Zulassung von Hedgefonds und die systematische Ausplünderung von öffentlichen und privaten Unternehmen viel gravierendere Veränderungen sind als die Nachrüstung und der Atomstreit.
Eppler hat in den früheren Auseinandersetzungen mittendrin gestanden. Das ehrt ihn. Wenn er jetzt jedoch behauptet, diese damaligen Konflikte seien gravierender als das Zerstörungswerk der neoliberalen Bewegung mit den erwähnten Maßnahmen, dann zeigt das nur, dass für Erhard Eppler gilt, was er Lafontaine zuschreibt. Eppler über Oskar Lafontaine:
„Ich halte ihn für den typischen Narziss, für den es nur einen Grundwert gibt: Oskar.“
Kenner von Erhard Eppler würden genau diesen Satz auf Eppler selbst anwenden:
Für Erhard Eppler gibt es nur einen Grundwert: Erhard.
Besser als er selbst kann man dies nicht formulieren.
- Weil Eppler übrigens die Dimension des von Schröder und seinem Mitarbeiter Steinmeier betriebenen neoliberalen Umsturzes nicht versteht, lobt er Steinmeier über den grünen Klee. Steinmeier – wie auch Steinbrück – wäre noch mehr als Kurt Beck der Garant für die Fortsetzung dieses so genannten Modernisierungsprozesses.