Die konsistent inkonsistente Politik von Draghi und Schäuble – oder wie ein Rennwagen auf der Stelle Vollgas fährt
In den Tagen und Wochen vor Ostern sind einige bemerkenswerte wirtschaftspolitische Entscheidungen gefallen. So hat der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, den Leitzins auf historische 0,0 Prozent gesenkt. Und kurz vor den Feiertagen hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Eckpunkte für den Haushalt 2017 vorgelegt und dabei bekräftigt, dass er auch in den kommenden Jahren an der „schwarzen Null“ festhalten will. Von Thomas Trares [*]
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Beide Entscheidungen sind in der Presse zwar intensiv diskutiert worden, doch kaum einem der Kommentatoren ist ein grundlegender Widerspruch aufgefallen. Der Leser musste also schon genauer hinschauen. So hieß es in der „Börsen-Zeitung“ einmal: „Regierung hält bis 2020 an ´schwarzer Null´ fest.“ Und einen Tag zuvor war an gleicher Stelle zu lesen: „EZB wirbt für öffentliche Investitionen – Notenbank rechnet Ausgabensteigerung für Deutschland durch“. Haben Sie es bemerkt? Ja, richtig! Draghi, und Schäuble verfolgen im Grunde jeder für sich einen Politikansatz, der dem des anderen komplett widerspricht.
So hat Draghi den Leitzins auf 0,0 Prozent gesenkt, um die Inflation in Richtung zwei Prozent zu hieven. Mit dem billigen Geld sollen die Bürger endlich mehr konsumieren, die Banken mehr Kredite vergeben und die Unternehmen mehr investieren. Um solch eine Politik zu unterstützen, müsste die Bundesregierung ebenfalls in die Vollen gehen und die öffentlichen Investitionen massiv hochfahren. Die Spielräume dafür sind vorhanden. Geld kann sich der Staat zum Nulltarif leihen. Und an rentablen Investitionsprojekten sollte es derzeit nicht mangeln. Man denke an den Ausbau der Infrastruktur oder den sozialen Wohnungsbau. Schäuble indes tut genau das Gegenteil und will in den kommenden Jahren ohne neue Schulden auskommen. Die „schwarze Null“ muss stehen. Unterm Strich heißt dies: Draghi fährt eine expansive Geldpolitik à la Keynes und Schäuble eine restriktive Fiskalpolitik à la Milton Friedman. Keynesianismus und Monetarismus nebeneinander, beides gleichzeitig. Irre.
Man könnte das Dilemma aber auch so beschreiben: Draghi und Schäuble sitzen zusammen in einem Rennwagen. Während Draghi auf dem Fahrersitz mit durchgedrücktem Fuß Vollgas gibt, hält Schäuble auf dem Beifahrersitz die Handbremse fest in der Hand. Ergebnis ist ein Fahrzeug, das mit heulendem Motor und quietschenden Reifen viel Staub aufwirbelt, aber dennoch auf der Stelle fährt. Ähnlich sieht dies auch in der Eurozone aus. Zu beobachten sind Minizinsen, Miniwachstum, Miniinflation und Massenarbeitslosigkeit in der Peripherie. Eine konsistente Wirtschaftspolitik sieht anders aus.
Für die hiesigen Kommentatoren ist Draghi klarerweise der Bruchpilot in dem Fahrzeug. So war nach der Zinsentscheidung von einem „Tabubruch“, „EZB-Boykott“, „weltfremder Logik“ oder dem „offensichtlichen Ende der Geldpolitik“ die Rede. Einmal hieß es aber auch „Draghi macht den Markt kaputt“. Sicher; die niedrigen Zinsen sind nicht schön. Wer sein Geld verzinst haben will, muss ins Risiko gehen. Das ist vor allem für den Kleinsparer ein Problem. Zudem steigt die Gefahr, dass sich infolge der niedrigen Zinsen wieder eine Aktien- oder Immobilienblase aufbläht.
Die Kritik an Draghi ist dennoch wohlfeil. Denn auch eine Notenbank kann nicht bei ihrer Zinsentscheidung einfach das wirtschaftliche Umfeld ignorieren. Und derzeit wollen und sollen (nach den Vorstellungen der Bundesregierung) ja alle sparen, während kaum einer noch investiert. Selbst der deutsche Staat ist nicht mehr bereit, neue Gelder am Kapitalmarkt nachzufragen. Die „schwarze Null“ muss stehen. Das Ergebnis ist ein enormer Sparüberhang. Wo also sollen die höheren Zinsen herkommen?
Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass es gerade die Deutschen sind, die Draghi am lautesten für seine Niedrigzinspolitik kritisieren, selbst aber den größten Beitrag zu dieser Niedrigzinspolitik leisten. Letzteres behauptet zumindest das frühere EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“. Dort schrieb der italienische Ökonom vergangene Woche: Deutschland weist „den höchsten Überschuss von Spareinlagen im Vergleich zu Investitionen auf (mehr als 250 Milliarden Euro) und trägt damit am meisten zu den globalen Ersparnissen bei und somit zu den niedrigen Zinssätzen“.
[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.