Professor Sinn für Riester-Pflicht. Wie ist es möglich, dass ein solcher Blödsinn Eingang und Verbreitung in unseren Medien findet?
Am 8.5. erschien in den „Ruhr Nachrichten“ die Forderung von Professur Sinn nach Verpflichtung zur Riester-Rente. Die sie nicht nutzen seien Trittbrettfahrer. Diese Meldung wurde in mehreren Medien verbreitet, u. a. in ZDF heute, bei ntv, im Focus und in der Welt. Links siehe unten. – Sinns Forderung ist in mehrerer Hinsicht bodenlos. Die Riester-Rente ist eine Privatvorsorge. Diese wurde uns mit dem hehren Anspruch, die Eigenverantwortung wahrzunehmen, verkauft. Jetzt soll Eigenverantwortung zur Pflicht gemacht werden. Absurd. – Auch die Beschimpfung jener, die keinen Riester-Vertrag abgeschlossen haben, als Trittbrettfahrer ist wirklich, verzeihen Sie, bescheuert. Albrecht Müller.
Jene, die meist aus Geldmangel oder aus rationaler Überlegung – zum Beispiel, weil sie nicht einsehen, dass sie der Versicherungswirtschaft das Geld in den Rachen werfen sollen – keine Riester-Verträge abgeschlossen haben, subventionieren zur Zeit mit ihrer Lohnsteuer, Mehrwertsteuer und Mineralölsteuer die Subventionen des Staates/der Steuerzahler für die Privatvorsorge über Riester-Rente und Rürup-Rente. Trittbrettfahrer sind also nicht diese Steuer- und Subventionszahler, Trittbrettfahrer sind jene, die riestern. Sie werden von jenen subventioniert, die sich die Riester-Rente oder die Rürup-Rente nicht leisten (können).
Obwohl bei beiden unseligen Äußerungen des Herrn Sinn die Sinnlosigkeit klar ist, transportieren viele Medien diese wirkliche Zumutung. Darüber mache ich mir Sorgen, weil die Gedankenlosigkeit und Kritiklosigkeit der Medien in der Frage der Altersvorsorge langsam bedrohliche Formen und Dimensionen annimmt. Dazu fallen mir zwei Erklärungen ein, vielleicht Ihnen als Leser noch andere:
Erstens: Daran, dass ein solcher Wahnsinn wie der neue von Herrn Sinn weiterverbreitet wird – genauso wie mit den vielen Auftritten von Raffelhüschen, Miegel, Rürup, Börsch-Supan und anderen Professoren -, wird die Publicrelations-Kraft der interessierten Finanzwirtschaft sichtbar. Es ist deutlich zu erkennen, dass sich die Versicherungen, Banken und anderen Finanzdienstleister die genannten Professoren wie auch einige Politiker dienstbar gemacht haben. Ein Vorstoß wie die Forderung des Herrn Sinn nach der Verpflichtung zur Riester-Rente ist von der Finanzwirtschaft geplant. Ihre Publicrelations-Agenturen sorgen in einem solchen Fall dafür, dass zum einen eine Veröffentlichung wie jene in den RuhrNachrichten stattfindet und dass zum andern dann auf einen Schlag die Verbreitung in anderen Medien Platz greift.
In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass die Publicrelations-Branche boomt. Dort sind viele Journalisten untergeschlüpft, die bisher bei verschiedenen Medien tätig waren. Diese werden in einem solchen konkreten Fall los geschickt, um bei ihren früheren Kolleginnen und Kollegen mit dem Vorschlag vorstellig zu werden, die „interessante“ Meldung der RuhrNachrichten über die Äußerungen des Professors aus München doch aufzugreifen. In manchen Fällen ist die Weitergabe auf Stichwort sicher auch schon durch die Chefredakteure organisiert.
Wie weit die Chefredakteure in das neoliberale Netzwerk eingebaut sind, konnte man dieser Tage beobachten. Es erschien nämlich ein Buch des neoliberalen „Konvents für Deutschland“ mit den Autoren Roman Herzog, Wolfgang Clement, Hans Olaf Henkel und anderen. Dieses Buch besteht aus Interviews von Chefredakteuren mit Vertretern des „Konvents für Deutschland“. Soweit sind wir schon, dass die Chefredakteure unserer führenden Medien ihren guten Namen für eine solche Lobbyorganisation hergeben. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Chefredakteure mit dem erkennbaren grundsätzlichen Wohlwollen dafür sorgen, dass Meldungen wie jene über die Äußerungen von Professor Sinn ins Blatt oder in den Sender gehoben werden.
Zweitens: Die Bereitschaft viele Journalisten, mit jedem Unsinn Reklame für Privatvorsorge zu machen und sich auch sonst immer pro Privatvorsorge/Kapitaldeckungsverfahren und gegen die gesetzliche Rente/das Umlageverfahren in Stellung bringen zu lassen, hat vermutlich auch etwas mit der persönlichen Altersvorsorgesituation vieler Journalisten zu tun. Ich muss zum Hintergrund dieser Entdeckung, wie ich meine, noch ausholen: In den letzten Wochen hatte ich vermehrt Gespräche, Interviews oder auch nur Meinungsaustausch mit Journalisten über die Altersvorsorge. Dabei bin ich „verlässlich“ auf eine wirklich totale Festlegung dieser Gesprächspartner getroffen. Sie halten nichts von der gesetzlichen Rente, sie spotten über Norbert Blüms „Aber eines ist sicher – die Rente“ in einer schon kindischen Manier; sie sind nicht bereit, wenigstens darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll wäre, die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente wieder herzustellen, um auf diese Weise Altersarmut zu vermeiden. Ich habe mir über die Hintergründe dieser seltsamen Gleichrichtung des Fühlens und Denkens meiner Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen Gedanken gemacht.
Der Hinweis einer Journalistin darauf, dass sie monatlich 7,5% (wie sie meint) ihres Bruttogehaltes an das Presseversorgungswerk zahlt, bringt mich auf die Erklärung dieses seltsamen Phänomens. Nahezu alle Journalisten, jedenfalls die Festangestellten, aber auch viele freie, machen persönlich bei kapitalgedeckten Altersvorsorgesystemen mit. Bei den Tageszeitungen gehen sie mit der Einstellung die Verpflichtung dazu ein. Die Gewerkschaften haben mit den Verlegern auch recht gute Konditionen ausgehandelt. Den größeren Teil des Beitrags zahlen jedenfalls bei den Tageszeitungen die Verleger. Obwohl private Versicherungsgesellschaften, nach meiner Information federführend die Allianz, daran beteiligt sind, sind die Kosten des Betriebs dieser privaten Vorsorgesysteme niedrig gehalten – um die 2% beim Presseversorgungswerk.
Das heißt: Jene Journalisten – und das ist ein beträchtlicher Anteil -, die in diesem Altersvorsorgesystem oder bei jenem der Rundfunk-Journalisten, der Baden-Badener Pensionskasse, mitmachen, machen insgesamt einigermaßen gute Erfahrungen mit einem kapitalgedeckten Vorsorgesystem. Diesen Eindruck übertragen sie offensichtlich auf die allgemeine Debatte. Sie müssten außerdem mit der kognitiven Dissonanz fertig werden, wenn sie sich für die Wiederbelebung der gesetzlichen Rente und des Umlageverfahrens stark machen sollten.
Es bleiben dann heute noch eine Reihe von Journalistinnen und Journalisten, die sich die Privatvorsorge nicht leisten (können), deren gesetzliche Rente – die Künstlersozialversicherung – wie die gesetzliche Rente der anderen Arbeitnehmer unter der von der Politik bewusst gemachten Minderung der Leistungsfähigkeit leidet. Auch bei diesen Kolleginnen und Kollegen bleibt der Eindruck hängen, dass es die gesetzliche Rente nicht mehr bringt und die Privatvorsorge in jedem Fall mehr bringt. Auch sie übertragen vermutlich diese persönliche Erfahrung auf die Debatte des Themas insgesamt.
Die Autoren und Macher des Fernsehfilms „Rentenangst“ des Saarländischen Rundfunks gehören mit einigen wenigen anderen Kolleginnen und Kollegen zu jenen Ausnahmen, die ihr Urteil über gesellschaftspolitische Probleme und Lösungen nicht nur an der eigenen persönlichen Erfahrung und Interessenlage aufhängen.
Das ist nun sicher nicht die vollständige Erklärung, aber vielleicht ein Anstoß für weitere Analysen dieses wichtigen Phänomens, dass unsere Medienmacher sooo sehr pro Privatvorsorge engagiert sind und kein offenes Ohr für die großartigen Möglichkeiten des Umlageverfahrens haben.
Und hier noch die Links zu Meldungen über Professor Sinns Äußerungen:
A.
Ein “sehr großer Teil der Renten” werde in den nächsten dreißig Jahren nicht mehr über dem Sozialhilfeniveau liegen, sagte Wirtschaftsexperte Sinn den “Ruhr Nachrichten”. Dass nur 30 Prozent der Berechtigten für eine Riester-Rente sparen, sei “ein Skandal”. Man müsse dafür sorgen, dass alle mitmachen. “Es gibt zu viele Trittbrettfahrer, die sagen: Der Staat wird mich schon nicht hängen lassen, wenn ich nicht spare. Dieses Verhalten kann nicht toleriert werden”, sagte er dem Blatt.
Quelle: Heute
B. Meldung eines NachDenkSeiten Lesers:
Heute morgen 7.30 Uhr im Teletex bei n-tv: Prof. Sinn fordert zynisch Riestersparen für alle.
Es gäbe zu viele „Trittbrettfahrer“ die wüssten, dass sie zu wenig Rente erhalten werden und sich wissentlich auf den Staat verlassen. Die Meldung wurde inzwischen abgeschwächt. Das Wort Trittbrettfahrer wurde gestrichen. Aber wie sollen denn gerade diejenigen Menschen, die auf Grund ihres niedrigen Erwerbseinkommens später einmal eine niedrige Rente erhalten, von diesem Einkommen noch Riester ansparen?
Quelle: N-TV
C. Ifo-Chef fordert „Riester-Pflicht“
Angesichts der zunehmenden Altersarmut hat sich der Präsident des Ifo-Instituts für eine verpflichtende Riester-Rente ausgesprochen. Damit will er gegen Trittbrettfahrer vorgehen, die allein auf staatliche Leistung setzen.Ein „sehr großer Teil der Renten“ werde in den nächsten 30 Jahren nicht mehr über dem Sozialhilfeniveau liegen, sagte Hans-Werner Sinn den „Ruhr Nachrichten“ vom Donnerstag. Dass nur 30 Prozent der Berechtigten für eine Riester-Rente sparen, sei „ein Skandal“. Man müsse dafür sorgen, dass alle mitmachen. „Es gibt zu viele Trittbrettfahrer, die sagen: Der Staat wird mich schon nicht hängen lassen, wenn ich nicht spare. Dieses Verhalten kann nicht toleriert werden“, sagte er dem Blatt.
Quelle: Focus-online