Rürup als Werbeträger des Finanzdienstleisters MLP
Eine Hand wäscht die andere: Der Finanzdienstleister MLP engagiert den Vorsitzenden des Sachverständigenrats Bert Rürup als Gastredner für eine Werbetournee. Man hilft sich eben gegenseitig zum beiderseitigen Vorteil.
„Nach mehr als 40 Veranstaltungen mit Professor Bernd Raffelhüschen im Jahr 2004 hat der Heidelberger Finanzdienstleister jetzt den Wirtschaftsweisen Professor Bert Rürup als Referenten gewonnen.“ „Rürup, der als ein geistiger Vater der privaten Basisrente entscheidend am Alterseinkünftegesetz mitgewirkt hat, geht im Rahmen seiner Vorträge zum einen auf die gesetzliche und private Altersvorsorge ein. Zum anderen widmet er sich den Reformen im Gesundheitswesen.“ So preist der „Finanzdienstleister für anspruchsvolle Kunden“ MLP auf seiner Website seinen neuen Werbeträger an.
MLP (Marschollek, Lautenschläger und Partner) bezeichnet sich selbst als den führenden Finanzdienstleister „für Akademiker und andere anspruchsvolle Kunden“ in Europa. Das Unternehmen bietet Bank- und Versicherungsdienstleistungen an. MLP hat seinen Stammsitz in Heidelberg und ist in Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien und Spanien vertreten und beschäftigt über 2.500 Berater, die derzeit 640.000 Kunden betreuen.
Das Geschäftsinteresse von MLP bei diesem Engagement der beiden Professoren ist klar und wird ziemlich unumwunden zugegeben: Der Finanzdienstleister möchte möglichst viele Kunden für private Kranken- und kapitalgedeckte Altersvorsorgeversicherungen werben. “Da viele Menschen von den Veränderungen unmittelbar betroffen sind, erwarten wir einen großen Zuspruch für unsere Seminare”, sagt MLP-Kommunikationschef Michael Pfister.
Über die Einbindung von Professor Raffelhüschen in versicherungswirtschaftliche Interessen haben wir schon mehrfach berichtet. Zuletzt in einem Eintrag im kritischen Tagebuch vom 29.12.05 mit weiteren Hinweisen.
Im Jahr 2004 folgten mehr als 16.000 Menschen den Einladungen der MLP zu den Vorträgen des „Finanz-„Wissenschaftlers über die “Die demographische Zeitbombe”. In diesem Jahr, so MLP, setzt der Freiburger Wissenschaftler sein Engagement fort und spricht an rund einem Dutzend Standorten zum Wandel in den sozialen Sicherungssystemen.
Der von MLP jetzt zusätzlich engagierte Professor Bert Rürup ist SPD-Mitglied und Professor für Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Darmstadt. Er ist seit 2000 Mitglied und seit 2005 sogar Vorsitzender des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Er hatte den Vorsitz in der „Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkommen“ inne und war auch Vorsitzender der „Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“, der sog. Rürup Kommission.
Vielfach wird Rürup als „Rentenpapst“ tituliert. Nach ihm wird inzwischen sogar eine seit Januar 2005 eingeführte private Altersvorsorge, die sog. „Rürup-Rente“, benannt. Danach können die privaten Versicherungsbeiträge zu den gleichen Bedingungen wie die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung steuerlich geltend gemacht werden. Ein wichtiger Durchbruch für die privaten Altersversicherer.
Rürup hat also maßgeblich am Systemwechsel von einer umlagefinanzierten gesetzlichen Rente zu einem „dualen“ System der Altersvorsorge mit einer knappen „Grundversorgung“ mittels der solidarisch finanzierten Rente und einer privaten Zusatzversorgung für ein auskömmliches Alterseinkommen beigetragen. Er hat damit einen riesigen Markt für die Versicherungswirtschaft geöffnet.
Mit seinen Einlassungen, dass er weitere Rentenkürzungen für „unausweichlich“ hält und dass eine Absenkung des Rentenniveaus „unumgänglich“ sei, wenn man an der geplanten Deckelung der Rentenversicherungsbeiträge bei maximal 22% festhalten wolle, hat er als „Regierungsberater“ wesentlich zu der inzwischen allgemeinen Verunsicherung über die gesetzliche Rente beigetragen und damit dieses System zum Auslaufmodell gemacht.
Bei der Krankenversicherung vertritt er das gleichfalls von der Versicherungswirtschaft propagierte Modell einer „Kopfpauschale“ bzw. einer „Gesundheitsprämie“ gegen die Pläne einer „Bürgerversicherung“.
Der Multifunktions-Politikberater Bert Rürup hat aber auch sonst zur Finanz-, Sozial-, Arbeitsmarkt-, Familien-, Industrie-, Infrastruktur- und Währungspolitik immer etwas zu sagen – oft nicht zur Freude von anderen Experten . Aber immer ist er gern gesehener und natürlich gut bezahlter Gastredner bei Industrie- und Handelskammern, bei Bankern oder Aufsichtsratsgremien – und jetzt eben auch als Vortragsreisender von MLP. Auf der Website der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ wird er oft und gerne zitiert. Darüber hinaus war oder ist Rürup noch in Aufsichtsräten und in sonstigen Vorstandsfunktionen tätig. Professor Rürup ist u.a. 2003 zum Aufsichtsratsvorsitzenden der AXA-Pensionskasse bestimmt worden. (Da können die Pensionisten des mit Einnahmen von 6,4 Milliarden Euro marktführenden Erstversicherers aber wirklich froh sein, dass sie einen so ausgewiesenen Altersversorgungsexperten als Aufsichtsrat haben.)
Bei so vielen Nebentätigkeiten ist es kein Wunder, dass er für seine eigentliche Profession, nämlich der eines Hochschullehrers, nicht mehr sehr viel Zeit hat. Unter „!!!Achtung keine regelmäßigen Vorlesungstermine!!!“ kündigt er auf seiner Homepage für das Wintersemester gerade mal 6 dreistündige Blockveranstaltungen an. Aber will man ihm das anlasten bei den geradezu unmenschlichen Belastungen im Dienste der „Reform des Sozialstaates“? Mit dem normalen Professorengehalt springt ja, gemessen an den sonstigen Aufwandsentschädigungen oder Gastrednerhonoraren, auch nicht so arg viel heraus. Das Beamtengehalt ist da vielleicht gerade noch das Nadelgeld für die Ehefrau.
Da ja die demographische Entwicklung (obwohl in Wahrheit noch gar nicht relevant) derzeit schon an allen Problemen der Renten- und Krankenversicherung schuld sein soll, bot es sich an, dass Rürup den Vorstandsvorsitz des Mannheimer Forschungsinstituts „Ökonomie und Demographischer Wandel“ (MEA) übernahm. In dieser Funktion konnte er den Direktor dieses Instituts, Professor Axel Börsch-Supan, fördern.
So fügt sich das eine in das andere.
Denn Börsch-Supan gehört zu den „wissenschaftlichen“ Hauptgegnern der umlagefinanzierten Rente und Rürup zu den Hauptbefürwortern der (zumindest ergänzenden) privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge.
Beide ergänzen sich also hervorragend und kommen der Versicherungswirtschaft und den Finanzdienstleistern gerade recht; und so ist es auch kein Zufall, dass das gemeinsam geleitete Forschungsinstitut MEA im Jahre 2001 vom Land Baden-Württemberg zusammen mit – man höre, aber staune nach dem Beschriebenen nicht mehr – dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gegründet wurde.
Warum sind solche Zusammenhänge der Erwähnung wert?
Dass die Versicherungswirtschaft sich ihr genehmer Wissenschaftler zur Akquisition bedient, liegt in ihrem Geschäftsinteresse. Dass sie ein politisches Interesse an der Privatisierung der solidarisch finanzierten sozialen Sicherungssysteme hat, ist auch legitim. Kritisierenswert und bedenklich wird eine solche Interessenwahrnehmung, wenn das Geschäftsinteresse zur „objektiv notwendigen“ Politik erklärt und versucht wird, mit Geldzuwendungen oder sonstigen Vergünstigungen Experten und die Politik für sich einzuspannen.
Dass die Damen und Herren Wissenschaftler vor allem deshalb etwa in Aufsichtsräte, Expertenkommissionen oder, wie Bert Rürup, gar in den erlauchten Kreis der „Wirtschaftsweisen“ aufgenommen werden, weil sie überall ihre Finger im Spiel haben und ihre Netzwerke als Trampolin für ihre Karrieren nutzen, ist zwar höchst bedenklich, aber so ist wohl der Lauf der Welt.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Es ist nicht zu beanstanden, dass Wissenschaftler öffentlich und in Vorträgen ihre Meinung vertreten und dafür Honorare nehmen. Wenn jedoch Wissenschaftler dabei den Anschein erwecken, als gerieten sie in finanzielle Abhängigkeiten zu bestimmten wirtschaftlichen Interessen, dann setzen sie das Vertrauen in die von ihnen vertretene, wissenschaftliche Meinung aufs Spiel. Jedenfalls können sie nicht damit rechnen, dass sie noch als neutrale wissenschaftliche Sachwalter gelten.
Wer sollte noch auf die Neutralität und Objektivität der Ergebnisse wissenschaftlicher Institute bauen, deren Fragestellungen in der Forschung – wie etwa beim MEA – von der Versicherungswirtschaft in Auftrag gegeben und bezahlt werden?
Meint Professor Rürup wirklich, dass es sich gehört oder dass es zusammengehört, dass er sich einerseits als Werbeträger eines Finanzdienstleisters einsetzen lässt und andererseits Vorsitzender des „unabhängigen“ Sachverständigenrats ist? Können wir alle, kann die Politik bei solchen finanziellen Abhängigkeiten und geschäftlichen Einbindungen noch auf den „objektiven“ Rat solcher Experten bauen?
Oder anders: Sollten wir und sollte die Politik das künftig noch tun?