Neues Versammlungsgesetz der Bayerischen Staatsregierung – Abbau der Versammlungsfreiheit und Ausdruck obrigkeitsstaatlichen Denkens
Bislang gab es ein einheitliches bundesdeutsches Versammlungsgesetz. Mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 wurde die gesetzliche Ausgestaltung des Versammlungsrechts auf die Länder übertragen. Die Bayerische Staatsregierung hat im März einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der noch vor der Sommerpause vom Landtag verabschiedet werden soll. Mit der Begründung, „den Schutz gegen rechtsextremistische Versammlungen zu verstärken“, will die Bayerische Staatsregierung die derzeit gültige bundesgesetzliche Regelung in verfassungsrechtlich höchst problematischer Weise einschränken. Von Christine Wicht
Der Bayerische Innenminister Herrmann sagte zur Begründung des Gesetzesentwurfs:
Wir wollen in das neue Bayerische Versammlungsgesetz eine Befugnis aufnehmen, um Versammlungen zu beschränken oder ganz zu verbieten, die an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft anknüpfen und insbesondere die Würde der Opfer des Nationalsozialismus verletzen
Gewerkschaften, die mit einer Delegation von Betriebsräten, Gewerkschaften und Sozialinitiativen an der Ersten Lesung des Versammlungsgesetzes am 3. April im Bayerischen Landtag als Gäste teilnahmen und die Landtagsopposition wollen das Gesetz verhindern, weil es in unzumutbarer Weise in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eingreife. Die bestehenden Rechtsvorschriften reichten aus, um gegen rechtsextremistische Gruppen vorzugehen und deshalb sei die Begründung für den Gesetzentwurf nicht nachvollziehbar.
Bei Betrachtung der einzelnen Artikel des Entwurfs ist die Befürchtung der Kritiker durchaus nachvollziehbar. Aus diesem Grund formiert sich zunehmend Widerstand in Bayern. Die Gewerkschaft ver.di hat eine Kampagne “Rettet die Grundrechte” ins Leben gerufen.
Die Bayerische Staatsregierung will die Verbotsmöglichkeiten einer Versammlung künftig drastisch erweitern. So sollen beispielsweise Demonstrationen schon untersagt werden können, wenn „Rechte Dritter unzumutbar beeinträchtigt werden“ (Artikel 15). Wann ist aber die „Beeinträchtigung Dritter“ unzumutbar? Ist es unzumutbar, dass ein Geschäft für die Zeit einer Demonstration einen Umsatzverlust erleidet oder dass Autofahrer einen Umweg in Kauf nehmen müssen? Mit derart unbestimmten und dehnbaren Formulierungen können unzumutbare Beeinträchtigungen leicht gerechtfertigt und Demonstrationen verboten werden.
Das Gesetz sieht vor, dass schon eine Zusammenkunft von zwei Personen meldepflichtig ist, wenn sie sich “zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung” treffen:
Art. 2 Begriffsbestimmungen, Anwendungsbereich
(1) Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.
(2) Eine Versammlung ist öffentlich, wenn die Teilnahme nicht auf einen individuell feststehenden Personenkreis beschränkt ist.
(3) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt dieses Gesetz nur für öffentliche Versammlungen
Sollte das Gesetz in dieser Form in Kraft treten, wird die Frist zur Anmeldung für „Versammlungen unter freiem Himmel“ von bislang 48 auf 72 bzw. bei überörtlichen Demonstrationen auf 96 Stunden verlängert werden
Art. 3 Versammlungsleitung und Einladung
(3) In der Bekanntgabe oder der Einladung zu einer Versammlung sind zur Information der Öffentlichkeit Ort, Zeit, Thema und der Name des Veranstalters der Versammlung anzugeben
Neu im Gesetzesentwurf ist, dass bei Fehlen dieser Angaben eine Geldbuße bis zu 3.000 Euro fällig werden kann.
Art. 13 Anzeige- und Mitteilungspflicht
(1) 1. Wer eine Versammlung unter freiem Himmel veranstalten will, hat dies der zuständigen Behörde spätestens 72 Stunden, bei überörtlichen Versammlungen im Sinn des Art. 24 Abs. 3 Satz 1 spätestens 96 Stunden vor ihrer Bekanntgabe anzuzeigen.
2. Eine wirksame Anzeige kann nur schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift erfolgen; sie ist frühestens zwei Jahre vor dem beabsichtigten Versammlungsbeginn möglich.
3. Entspricht die Anzeige nicht den Anforderungen nach Abs. 2, weist die zuständige Behörde den Veranstalter darauf hin und fordert ihn auf, die Anzeige unverzüglich zu ergänzen oder zu berichtigen.
4. Bekanntgabe einer Versammlung ist die Mitteilung des Veranstalters von Ort, Zeit und Thema der Versammlung an einen bestimmten oder unbestimmten Personenkreis.
Neu im Gesetzesentwurf ist weiter, dass ein Verstoß gegen Artikel 13 mit einem Jahr Haftstrafe geahndet werden kann (Artikel 20 Straf- und Bußgeldvorschriften).
Auch Eilversammlungen müssen künftig angemeldet werden:
Art. 13
(3) Entsteht der Anlass für eine geplante Versammlung kurzfristig (Eilversammlung), ist die Versammlung spätestens mit der Bekanntgabe schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde und bei der Polizei anzuzeigen.
(4) Die Anzeigepflicht entfällt, wenn sich die Versammlung aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickelt (Spontanversammlung).
Allerdings kann nach Punkt (5)
die zuständige Behörde den Leiter ablehnen, wenn er unzuverlässig ist oder ungeeignet ist, während der Versammlung für Ordnung zu sorgen, oder tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch seinen Einsatz Störungen der Versammlung oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen können
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass auch die Daten der Ordner bei der genehmigenden Behörde abgegeben werden müssen (Art. 10). Des Weiteren ist vorgesehen, dass auf der Ankündigung zur Veranstaltung der Name der anmeldenden Person vermerkt sein muss. Wenn die Behörde Leiter und Ordner als “unzuverlässig” oder “ungeeignet” einstuft, hat sie das Recht die Versammlung abzulehnen.
Auch diese Formulierungen werfen wiederum Fragen auf: Wann wird eine Person als „unzuverlässig“ oder „ungeeignet“ eingestuft und wie wird das überprüft? Sind dafür im Vorfeld beispielsweise Anfragen beim Verfassungsschutz, Bundes- bzw. Landeskriminalamt oder beim Bundesnachrichtendienst erforderlich?
Der Entwurf enthält viele neue Pflichten für die Veranstalter und erweitert auf der anderen Seite die Spielräume von Polizei und Behörden:
Artikel 10
(4) Veranstalterrechte- und pflichten
1. Der Veranstalter hat der zuständigen Behörde auf Anforderung die Anzahl der Ordner sowie deren persönliche Daten im Sinn des Abs. 3 Satz 1 mitzuteilen.
2. Die zuständige Behörde kann Ordner als ungeeignet ablehnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die Friedlichkeit der Versammlung gefährden. Die zuständige Behörde kann die Anzahl der Ordner beschränken oder dem Veranstalter aufgeben, die Anzahl der Ordner zu erhöhen.
Dem Veranstaltungsleiter werden in dem Gesetzesentwurf Pflichten in Art. 4 (3 + 4) aufgebürdet, die ihn in die Position des Erfüllungsgehilfen der Polizei versetzen, bei nicht Erfüllung der Aufgaben kann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden:
Artikel 4 Veranstalterpflichten- und Leistungsrechte und -pflichten
Der Leiter hat geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass aus der Versammlung heraus Gewalttätigkeiten begangen werden.
2. Geeignete Maßnahmen können insbesondere Aufrufe zur Gewaltfreiheit und Distanzierungen gegenüber gewaltbereiten Anhängern sein.
3. Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, ist er verpflichtet, die Versammlung für beendet zu erklären.
(4) 1. Der Leiter kann sich zur Erfüllung seiner Aufgaben der Hilfe einer angemessenen Anzahl volljähriger Ordner bedienen.
2. Die Ordner müssen weiße Armbinden mit der Aufschrift „Ordner“ oder „Ordnerin“ tragen; zusätzliche Kennzeichnungen sind nicht zulässig.
3. Der Leiter darf keine Ordner einsetzen, die Waffen oder sonstige Gegenstände mit sich führen, die ihrer Art nach geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Personen zu verletzen oder Sachen zu beschädigen
Der Aufwand für die Anmeldung einer Versammlung ist bereits heute schon beträchtlich. Wer eine Versammlung anmeldet, bekommt ein Paket von mehreren Seiten über Verhaltensregeln, die an den Versammlungsleiter gerichtet sind, dazu gehört beispielsweise auch die Kooperation mit der Polizei. Wenn dem Leiter einer Veranstaltung die Verantwortung übertragen wird, dafür zu sorgen, dass es zu keinerlei Gewaltanwendungen kommt und für dennoch ausbrechende Ausschreitungen gar Gefängnisstrafen angedroht werden, besteht für einen Veranstalter bei Übernahme einer Veranstaltungsleitung ein unkalkulierbares Risiko. Die abschreckende Wirkung ist unverkennbar. Nach dem bisherigen Recht und nach der Verfassungsrechtsprechung ist es vor allem Aufgabe der Polizei, gewalttätige Demonstranten aus einer Versammlung zu entfernen und umgekehrt das Demonstrationsrecht für die friedlichen Teilnehmer zu garantieren (Brokdorf-Urteil).
Auch nichtöffentliche Versammlungen (beispielsweise auch Streikversammlungen), die bislang ungestört von polizeilichen Eingriffen stattfinden konnten, sollen mit dem Gesetz „Demonstrationen unter freiem Himmel“ gleichgestellt werden.
Dazu sollen neue Gründe in das Versammlungsgesetz aufgenommen werden, um Versammlungen in geschlossenen Räumen im Vorfeld verbieten zu können:
Art. 12 (1) Beschränkungen, Verbote, Auflösung
Die zuständige Behörde kann die Durchführung einer Versammlung in geschlossenen Räumen beschränken oder verbieten, wenn
1. der Veranstalter eine der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 erfüllt,
2. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder der Leiter Personen Zutritt gewähren wird, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinn des Art. 6 mit sich führen,
3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen Verlauf der Versammlung anstrebt, oder
4. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden wird, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.
Bisher stand in § 5 des bundesdeutschen Versammlungsgesetzes, dass die Abhaltung einer Versammlung „nur im Einzelfall“ und nur dann verboten werden kann, wenn….
1. der Veranstalter eine der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 erfüllt,
2. die Versammlung einen gewalttätigen Verlauf nimmt oder eine unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit der teilnehmenden Personen besteht,
3. der Leiter Personen, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinn des Art. 6 mit sich führen, nicht sofort ausschließt und nicht für die Durchführung des Ausschlusses sorgt, oder
4. durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet.
Dies ändert sich mit dem geplanten Bayerischen Gesetz: Die Formulierung “nur im Einzelfall” wird ersetzt durch die Formulierung „kann nach Versammlungsbeginn die zuständige Behörde die Versammlung unter Angabe des Grundes beschränken oder auflösen“, wenn….
Der Polizei muss künftig Zutritt gewährt und ein „angemessener Platz“ bei Veranstaltungen eingeräumt werden – sonst kann ein Bußgeld bis zu 3000 Euro erhoben werden. Nur die Einsatzleitung muss sich den Veranstaltern zu erkennen geben, nach dem bundesweit gültigen Versammlungsgesetz mussten sich alle Polizeikräfte zu erkennen geben:
Art. 21 Bußgeldvorschriften
Mit Geldbuße bis zu dreitausend Euro kann belegt werden, wer
1. entgegen Art. 3 Abs. 3 nicht Ort, Zeit, Thema und den Namen des Veranstalters einer Versammlung angibt,
2. als Leiter Ordner einsetzt, die anders gekennzeichnet sind, als es nach Art. 4 Abs. 4 Satz 2 zulässig ist,
3. als Leiter entgegen Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Polizeibeamten keinen oder keinen angemessenen Platz einräumt, (Bis zu 3000 Euro Geldbuße für den Versammlungsleiter, der den Polizeibeamten „keinen oder keinen angemessenen Platz einräumt“ )
Bislang bestand im bundesdeutschen Versammlungsgesetz ein Uniformverbot, künftig wird dies erweitert durch ein Militanzverbot. Mit dem im Gesetzentwurf verankerten “Militanzverbot” darf die Polizei gegen eine Demonstration vorgehen wenn diese eine einschüchternde Wirkung entfaltet. Bereits Fahnen, Anstecker und Schilder könnten nach Entscheidung der Polizei gegen das neu geschaffene „Militanzverbot“ in Artikel 7 verstoßen und mit einer Geldbuße bis zu 3000 Euro bestraft werden:
Art. 7 Uniformierungsverbot, Militanzverbot
Es ist verboten, in einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen, sofern damit eine einschüchternde Wirkung verbunden ist
Es ist verboten, an einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild
1. paramilitärisch geprägt wird oder
2. sonst den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt und damit eine einschüchternde Wirkung verbunden ist.
Neu ist die Ergänzung des Artikels durch die Einbeziehung von “nicht öffentlichen Versammlungen”, die im Entwurf nicht genauer definiert sind und die Formulierung “einschüchternde Wirkung”.
Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Versammlungen nach eigenen Ermessen von der Polizei gefilmt und diese Übersichtsaufnahmen gespeichert werden. Wenn der einzelne Teilnehmer einer Versammlung befürchten muss, dass seine Teilnahme behördlich registriert und die Bekundung seiner Meinung im Bild gespeichert werden darf, so tangiert das sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Der Bayerische Innenminister Herrmann hat das folgendermaßen ausgedrückt:
Klargestellt werden soll im neuen Landesrecht, dass die Polizei bei Versammlungen Übersichtsaufnahmen machen darf, die zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei einer Versammlung unabdingbar sind. Diese Befugnis dient vor allem dem Schutz der Versammlung selbst. Für die Bewertung der polizeilichen Einsatztaktik sind Übersichtsaufzeichnungen erforderlich, um Schwächen herauszuarbeiten und die Einsatzkonzeption fortentwickeln zu können.
Gerade Großveranstaltungen aus den extremistischen Spektren versuchen, polizeiliche Einsatzstrategien möglichst zu unterlaufen und entwickeln dazu ihre Strategien fort. Hier muss die Polizei reagieren können, um die Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausschließen zu können.
Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind in einer Demokratie unveräußerliche Bürgerrechte und Teilhaberechte. Die Versammlungsfreiheit dient der Ausübung der kollektiven Meinungsfreiheit und wird zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Das Grundrecht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit hat in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht (BVerfGE 69, 343).
Es ist deshalb höchst fraglich, ob das geplante Bayerische Versammlungsgesetz mit Artikel 8 des Grundgesetzes vereinbar ist, demzufolge alle Deutschen das Recht haben, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Die grundsätzliche Bedeutung der Versammlungsfreiheit wird insbesondere erkennbar, wenn die Eigenart des Willensbildungsprozesses im demokratischen Gemeinwesen berücksichtigt wird. An diesem Prozess sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem einzelne neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im allgemeinen nur eine kollektive Einflussnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen. Die ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts wirkt nicht nur dem Bewusstsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen. Sie liegt letztlich auch deshalb im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse, weil sich im Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im Allgemeinen erst dann eine relativ richtige Resultante herausbilden kann, wenn alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt sind (BVerfGE 69, 343 ff. – »Brokdorf«).
Das geplante Versammlungsgesetz in Bayern ist ein Beleg für obrigkeitsstaatliches Misstrauen gegenüber mündigen und kritischen Bürgern. Das Gesetz ist ein neues Element im Mosaik eines ausufernden Überwachungsstaates, mit dem die bürgerlichen Freiheitsrechte mehr und mehr bedroht werden.
Unter dem Vorwand des „Schutzes gegen rechtsextremistische Versammlungen“ soll nun auch die Versammlungsfreiheit als Mittel zur aktiven Teilnahme am politischen Prozess der staatlichen Überwachung und präventiver Einschränkungen unterworfen werden.
Darin spiegelt sich die Angst der Regierenden vor der zunehmenden Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit den politischen Entscheidungen wider, die zunehmend oft gegen die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung getroffen werden, man denke nur an die Privatisierung der Bahn oder an die Rente mit 67. Durch das in dem neuen Versammlungsgesetz zum Ausdruck kommende Misstrauen des Staates gegenüber seinen Bürgern, wird das Vertrauen der Bürger in die Demokratie weiter erschüttert und der Politikverdrossenheit noch mehr Vorschub geleistet.
ver.di Kampagne “Rettet die Grundrechte”
Zusammenfassung von ver.di [PDF – 572 KB]