Heiner Flassbeck zum Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst: Der Wert der Arbeit
Wenn die Tarifrunde der öffentlichen Dienstes in den nächsten Wochen in die heiße Phase gerät und eine durch die letzten Landtagswahlen gestärkte SPD lauter nach einem Mindestlohn ruft, wird sich wieder die alte Frage stellen, was Arbeit eigentlich wert ist. Auf diese für unsere Wirtschaft fundamentale Frage hat die herrschende Lehre von der Ökonomie leider nur eine sehr unbefriedigende Antwort gegeben. Man sagt, Arbeit sei genau so viel wert, wie der letzte eingesetzte Arbeiter produziert. Der Lohn pro Stunde müsse in einem funktionierenden Markt immer der Produktivität pro Stunde entsprechen. Sei er höher, sei Arbeitslosigkeit unvermeidlich. Für den öffentlichen Dienst und viele andere Menschen, die in Dienstleistungsberufen arbeiten, ist das eine frustrierende Vorstellung.
Diesen am 31.01.08 im Rheinischen Merkur erschienen Artikel hat uns Heiner Flassbeck zur Verfügung gestellt.
Erstens nämlich kann man die Produktivität von Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst und in Dienstleistungsberufen nicht wie die eines Arbeiters am Fließband messen und zweitens erhöht sich ihre individuelle Produktivität oft überhaupt nicht, weil sie einer Tätigkeit nachgehen, die sich nicht so einfach rationalisieren lässt. Nehmen wir einen Lehrer in der Schule. Wenn der 40 Jahre lang einen ordentlichen elementaren aber kaum veränderten Unterricht hinlegt, auf dem die Schüler erfolgreich aufbauen können, hat sich die Produktivität des Lehrenden scheinbar überhaupt nicht verändert: Jedes Jahr „produziert“ er 30 oder 40 erfolgreiche Schulabgänger, mehr nicht. Sollte der Lehrer immer das Gleiche verdienen, also niemals eine Gehaltserhöhung erhalten?
Wohl kaum. In einer wachsenden Gesellschaft, in der die Produktivität insgesamt steigt, weil die Schüler unseres Pädagogen neue Techniken erfinden und neue Produkte auf den Markt bringen, die es der Wirtschaft erlauben, mit der gleichen Menge Arbeit mehr Produkte zu erzeugen, muss es einen Weg geben, auch die individuell wenig produktiveren Hilfskräfte an dem gesamten Produktivitätszuwachs teilhaben lassen. Wäre das nicht der Fall, gäbe es in diesem für den Gesamterfolg so wichtigen elementaren Bildungsbereich keine Arbeitskräfte mehr, weil man dort relativ verarmen und früher oder später abwandern würde.
Folglich müssen diejenigen, die mit ihrer Produktivität an der Spitze der Lohnskala stehen, denjenigen, die weniger produktiv aber unabdingbar für den Gesamterfolg sind, am Erfolg beteiligen. Das geschieht bei erfolgreicher Arbeitsteilung dadurch, dass auch der öffentliche Dienst und die Friseure einen Ausgleich für die von der Gesellschaft akzeptierte Inflationsrate erhalten und sich zusätzlich auch den insgesamt erzielten Produktivitätsfortschritt zu gute halten können. Die individuelle Produktivität ist eine Fiktion, die in einer auf Arbeitsteilung beruhenden Wirtschaftsweise keinen Platz hat. Übrigens, nur dann, wenn diese Regel systematisch durchgesetzt wird, finden auch die Produkte, die die hochproduktiven Bereiche erzeugen, genügend zahlungskräftige Abnehmer.