Strategische Überlegungen zum Umgang mit der herrschenden Lehre. Sie ist nicht nur ungerecht, sie versagt, sie verschleudert Ressourcen, sie ist zerstörerisch und öffnet der Korruption das Scheunentor.
In der wegen des angeblichen Linksrucks besonders aufgeregten Diskussion unter den neoliberal eingefärbten Reformern und Konservativen taucht immer wieder das Gespenst auf, jetzt bestehe die Gefahr des Rückfalls in den Verteilungsstaat. Zwei Musterbeispiele dafür aus SpiegelOnline sind im Anhang 1 und 2 dokumentiert. Diese Warnung vor den Verteilungsstaat hat für die herrschenden Ideologen den Vorteile, dass sie sozusagen spiegelbildlich ihre eigene Ideologie als produktiv und effizient erscheinen lassen können. Dieser Trick wird ihnen dadurch erleichtert, dass auf der andern Seite meist auch so getan wird, als unterscheide man sich vor allem beim Thema soziale Gerechtigkeit. So tönt es bei der SPD, so bei dem Rest an sozial Orientierten in der Union, bei den Grünen und auch bei der Linken.
Nach meiner Einschätzung verspielen die Gegner der Neoliberalen damit eine große Chance zum Aufrollen der herrschenden Lehre. Die Beschränkung auf das Thema soziale Gerechtigkeit macht unnötig defensiv. Vor allem erreicht man damit nicht die Mittelschichten. Der Angriff muss doppelt geführt werden – mit dem Argument einer maßlos ungerechten Verteilung der Reichtümer und mit dem Argument des Scheiterns, des Zerstörens und des der neoliberalen Ideologie immanenten Hangs ist zur Korruption. Albrecht Müller.
Ich will das an ein paar Beispielen stichwortartig erklären:
Erstens: Die Unfähigkeit zur Steuerung der Konjunktur.
Bei makroökonomischen Krisen versagen die neoliberalen Rezepte offensichtlich. Kein Land hat bisher mit Strukturreformen eine Rezession überwunden. Auch wir nicht. Wenn anderes behauptet wird wie im Anhang 1, dann ist das nichts als Propaganda. Wie unfähig die Angebotsökonomen der neoliberalen Schule in solchen Situationen sind, sehen wir jetzt wieder in den USA. Dort werden Keynesianische Rezepte wieder entdeckt und mobilisiert. Das musste selbst ein eingefleischter neoliberaler Wirtschaftsjournalist wie Nikolaus Piper in der Süddeutschen Zeitung zu geben. (Siehe: Die Rückkehr des John Maynard Keynes)
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Zweitens: Die Privatisierungsmanie
Die herrschende Lehre empfiehlt Privatisierung, ohne im einzelnen zu prüfen, ob ein Gut und eine Dienstleistung sinnvoller Weise und ökonomischer Weise besser privat organisiert oder öffentlich getragen werden sollte. Die Folgen dieser im wahrsten Sinne des Wortes primitiven Theorie können wir überall beobachten. Die Energieversorgung wurde in private Hände gegeben. Jetzt haben wir private Monopole statt der öffentlichen. Selbst in Hamburg, wo die Konservativen regieren, kehrt jetzt späte Einsicht ein. – Wasserwerke wurden privatisiert und teilprivatisiert ohne Rücksicht darauf, was das für die Gebühren bedeutet. In Berlin zum Beispiel kann man die Folgen studieren: extrem gestiegene Gebühren für Wasser.
Die Privatisierung wie auch die Teilprivatisierung sind zugleich häufig das Einfallstor für politische Korruption vielfältiger Art. Hier wird öffentliches Vermögen zu niedrigen Preisen an Private verscherbelt. Zusätzlich verdienen private Personen, Gruppen und Firmen am Privatisierungsvorgang, an der Transaktion.
Was viele nicht erkennen: schon damit werden Ressourcen verschleudert. All die Berater, die Steuerberater, die Broker und Investmentbanker und wer sonst noch an Privatisierungsvorgängen und Börsengängen verdienen mag, sind Ressourcen an Arbeitskräften, die in einer Volkswirtschaft sinnvoller eingesetzt werden könnten.
Drittens: Deregulierung auf den Kapitalmärkten, die vielfältigen Steuerbefreiungen für die Spekulanten und die damit verbundene Expansion des Finanzsektors.
Die Finanzkrise hat sichtbar gemacht, dass in diesem Sektor vieles nicht stimmt. Vieles war für nüchtern denkende Menschen vorher schon suspekt: die extrem hohen Einkommen für Investmentbanker und die Akteure der Hedgefonds zum Beispiel. Das roch, das stank nach Skandalen, nach Betrug und extremer Spekulation zulasten anderer. Aber es sollte ja dereguliert werden und nach dem Glaubensbekenntnis der neoliberalen Ideologen soll das wohl auch so bleiben. Die Gemäßigten unter ihnen geben ja immerhin zu, dass es zusätzlicher Regulierung bedarf.
Aus meiner Sicht sollte man sehr viel härter mit dem Treiben auf den Finanzmärkten umgehen. Hier werden Ressourcen verschleudert. Heute arbeiten viel zu viele in einem Sektor, der eine rein dienende Funktion für die Volkswirtschaft hat. Die Hauptfunktion der Kapitalmärkte ist der Transfer und die Transformation von Sparkapital in Investitionen. Was heute dort mit neuen so genannten innovativen Finanzprodukten getrieben wird, dient über weite Strecken der Spekulation und einer Art von Casinobetrieb. Ist das eine gesellschaftliche Aufgabe? Meines Erachtens nicht.
Außerdem, selbst wenn es einen Rest von Gründen dafür gäbe, Spekulation als Element des Ausgleiches von Unsicherheiten für sinnvoll zu halten, dafür braucht man jedenfalls den großen Aufwand, der heute getrieben wird, nicht.
Fazit: Die neoliberale Ideologie hat uns mit ihrem Deregulierungswahn einen weit überdimensionierten Kapitalmarkt beschert. Hier werden Ressourcen verschwendet und außerdem werden, wie man in der Praxis sieht, Risiken und Kosten auf die Allgemeinheit abgeschoben, wenn die Kapitalmärkte, wie gerade jetzt geschehen, zusammenbrechen und die Gefahr besteht, dass die realen wirtschaftlichen Vorgänge darunter leiden.
Viertens: Die jetzt mit aller Macht und propagandistischen Ausstattung durchgepeitschte Privatisierung der Altersvorsorge ist ein Musterbeispiel für die Zerstörung einer wichtigen gesellschaftlichen Einrichtung und zugleich für die Verschwendung von Ressourcen.
Man kann sich das am besten klarmachen, wenn man sich vorstellt, man hätte für eine Gesellschaft ein Altersvorsorgesystem neu zu planen. Man wüsste, die Menschen denken in jungen Jahren noch nicht unbedingt an die Vorsorge fürs Alter. Und man hätte die Vorgabe, dass sich die spätere Rente einigermaßen an dem orientieren soll, was die späteren Rentner in ihrer Erwerbsphase eingezahlt haben. Das sind auch ungefähr die Rahmenbedingungen, die für beide Systeme, für das Umlageverfahren wie für das Kapitaldeckungsverfahren gelten.
Vernünftig denkende Planer würden unter diesen Umständen nur auf die Idee kommen können, ein Umlageverfahren vorzuschlagen. Das ist ein System, bei dem die Beiträge der arbeitsfähigen Generation eingezahlt werden, elektronisch erfasst werden, und an die nicht mehr arbeitende Generation entsprechend der Berechnungen auf der Basis der früheren Einzahlungen von Beiträgen ausgezahlt werden. Dazu braucht man keine großen Ressourcen. Man bräuchte nicht einmal die großen Häuser der Deutschen Rentenversicherung. Aber das sei geschenkt. Das System wäre immer noch um vieles Ressourcen sparender als das Kapitaldeckungssystem der Privatvorsorge. Hier werden nicht nur eingehende Prämien verwaltet und an Pensionäre ausbezahlt. Hier wird ein ganzes Heer von Angestellten und Vorständen von Versicherungskonzernen, Finanzdienstleister und Versicherungsagenten, Publicrelations Manager und Werbeagenturen beschäftigt, um an die Prämien der späteren Rentner heran zu kommen, die Prämien zu verwalten und auf dem Kapitalmarkt anzulegen.
Das ist eine Riesenvergeudung volkswirtschaftlicher Ressourcen. Das sind Klötze am Bein unsere Volkswirtschaft. Diese haben wir uns gerade ans Bein gebunden. Und unser Volk wird ziemlich viel dafür zu bezahlen haben. Unter anderem mit Altersarmut.
Fünftens: Die neoliberale Bewegung zerstört den Zusammenhalt einer Gesellschaft, sie spaltet eine Gesellschaft in die Spitzenverdiener und in jene, deren Lohn zu drücken der Ehrgeiz der führenden Gruppe sein muss. Nach der Logik dieser gesellschaftspolitisch absoluten Ideologie jedenfalls.
Hierzulande werden auf diese Weise gerade wichtige Pfunde der Nachkriegszeit verschleudert. Unwiederbringlich vermutlich.
Sechstens: Nach der herrschenden Ideologie solle alles dem Markt überlassen bleiben. Entstaatlichung ist angesagt
Konsequent betrieben heißt das: die Infrastruktur verlottert, es gibt keine Hilfen zur Förderung des technischen Fortschritts und neuer Technologien, eigentlich sollte sich der Staat auch aus der Bildung raushalten.
An der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft auch in Zeiten dieser Ideologie munter Subventionen für neue Technologien fordert und auch auf eine gute Infrastruktur pocht, sehen Sie schon, wie brüchig und unzureichend die Ideologie ist.
Siebtens: Im Zeichen der herrschenden Lehre ist eine wichtige Erkenntnis früherer Vorstellungen von sozialer Marktwirtschaft offensichtlich verloren gegangen: die Erkenntnis, dass der Markt und der Wettbewerb der Pflege und des Schutzes bedarf.
Heute tummeln sich auf vielen Feldern Oligopole und Monopole, jedenfalls fast Monopole: beim Internet, in der Energiewirtschaft zum Beispiel. Wo bleibt da die Umsetzung der hehren Bekenntnisse zum Markt?
Auf allen diesen genannten Feldern könnte und müsste offensiv mit der herrschenden Ideologie umgegangen werden. Sie ist primitiv. Sie ist nicht geeignet, als Richtschnur zur Gestaltung einer Gesellschaft zu dienen. Wir wollen sie nicht nur deshalb schnellstmöglich loswerden, weil sie unsere europäischen Völker in unten und oben noch mehr spaltet als bisher. Wir wollen sie loswerden,
- weil sie versagt hat,
- weil sie politische Korruption begünstigt,
- weil eine Volkswirtschaft, die nach ihren Regeln aufgebaut ist, Ressourcen verschleudert, die für anderes dringlich gebraucht werden, und
- weil ihr die Dimension der Zukunft fehlt.
Anhang 1:
SPD sucht neues Rezept gegen die Linke
(…) Noch eine weitere Frage wird die Genossen bis 2009 häufiger beschäftigen: Ob die SPD weiter nach links rücken muss, um die Linkspartei klein zu halten, oder besser nicht. Nach dem erfolgreichen, als links empfundenen Wahlkampf von Andrea Ypsilanti in Hessen dürften sich einige angespornt fühlen, weitere Wohltaten zu verteilen. SPD-Fraktionschef Peter Struck warnte heute bereits in der “Berliner Zeitung”, die SPD dürfe “nicht weiter nach links rutschen”. Mit den unrealistischen Versprechen der Linkspartei könne man nicht konkurrieren.
Quelle: Spiegel.de
Anhang 2:
STANDORT D
Deutschland in der Sozial-Falle
Von Wolfgang Kaden
(…) Merkel und Co. werden von den Sozialdemokraten getrieben, und die von Oskar Lafontaine. Dem ist es tatsächlich gelungen, das gesamte politische Spektrum zurück zum Wohlfahrts- und Verteilungsstaat zu verschieben. Chapeau.
Quelle: Spiegel.de