„Wir müssen Verantwortung für unsere eigenen Handlungen übernehmen.“

Albrecht Müller
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Mit dieser Feststellung, die für seine eigene Entscheidung, sich aus dem mörderischen „Beruf“ des Drohnenpiloten zu verabschieden, wichtig war, endet das Interview mit Brandon Bryant, das wir am 16. Oktober mit ihm geführt haben. Zum Gespräch trafen wir uns vor der Verleihung des Whistleblower-Preises in Karlsruhe. Infos dazu siehe hier. Brandon ist während seines Aufenthalts in Deutschland und am Rande seines Gesprächs im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages mehrmals interviewt worden, so zum Beispiel von Panorama. Eine Information des Deutschen Bundestages finden Sie hier. Auf der Veranstaltung zur Verleihung der Preise wurde gut drei Stunden lang über die Preisträger und den Gegenstand ihrer „Handlungen“ berichtet. Darauf wird noch einmal einzugehen sein, wenn die jeweilige Laudatio vorliegt und wenn im anderen Zusammenhang über die Kampagnen gegen unliebsame Zeitgenossen berichtet wird. Albrecht Müller.

Außer dem Drohnen-Piloten wurde auch der Molekularbiologe Séralini geehrt, der über die Auswirkungen des Einsatzes von Herbiziden, darunter des „Unkrautvernichtungsmittels“ Glyyphosat forscht. Gegen die Ehrung dieses Wissenschaftlers wurde im Vorfeld von einflussreichen Medien unseres Landes massiv mobil gemacht. Davon an anderer Stelle. Hier folgt jetzt das …

Interview mit Brandon Bryant – ehemaliger Drohnenpilot der USA

Albrecht Müller, NachDenkSeiten: Ich würde gerne mit einem Foto beginnen. Dort ist ein kleiner Junge zusehen, der mit seiner Playstation spielt. Darüber und darunter steht: 230 Millionen Kinder leben im Krieg, anderen bleibt, auf ihrer Playstation Krieg zu spielen. Das ist interessant. Erinnert das an die Arbeit eines Drohnen-Piloten?

Brandon Bryant: Psychologisch ist es das nicht. Es gibt tatsächlich eine psychologische Studie, in der Kinder, die regelmäßig Kriegsspiele spielen, 15 Minuten, nachdem sie das Spiel beendet haben, impulsiver oder hastiger werden. Weniger wahrscheinlich ist, dass Kinder, die die Entscheidungsfähigkeit fördernde Spiele spielen, danach etwas Schlechtes oder Irrationales anstellen. Also, die These, dass Videospiele generell verbotene Handlungen verursachen, ist nicht unbedingt wahr. Es ist eine Methode, um das Gehirn und die Reaktionsfähigkeit zu trainieren.

Müller: Also gibt es keinen direkten Zusammenhang?

Bryant: Genau. Viele Menschen sehen einen Zusammenhang zwischen Drohnen und Videospielen. Aber man sollte sich nicht auf Ego-Shooter-Spiele konzentrieren. Spiele wie die SIMS beispielsweise, wo man kleine Menschen beobachtet. Man muss es sich so vorstellen: Man beobachtet echte Personen, die ganze Zeit. Und dann trifft man die Entscheidung, sie zu töten. Und man kann es nicht rückgängig machen, sie sind tot, für immer. Hier gibt es keinen Reset-Knopf.

Müller: Also, ist es nicht ähnlich?!

Bryant: Nein, es ist sehr unterschiedlich.

Müller: Es ist interessant, dass wir heute in einem Zeitalter leben, in dem solche Dinge so normal geworden sind.

Bryant: Der Begriff wurde von Peter Singer “militainment” genannt. Im Grunde haben wir unsere Militärindustrie in eine Entertainment-Industrie umgewandelt. Dieses Problem hat unsere Gesellschaft kreiert.

Müller: Als der Zweite Weltkrieg 1945 endete, gab es in Deutschland den Slogan „Nie wieder Krieg“. Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg ausgehen. Aber in letzter Zeit scheint dieser Widerstand mehr und mehr zu verblassen.

Bryant: Das muss ich mir notieren: „Nie wieder Krieg“.

Müller: Heute ist der Krieg nicht mehr so präsent für die Leute; ich kann mich an den Krieg und die Bomben noch gut erinnern. Zurück zu meinen Fragen: Mit 19 Jahren sind Sie der US-Army beigetreten. Stand Ihre Familie bei dieser Entscheidung hinter Ihnen?

Bryant: Es war ein komisches Szenario: Sie waren für den Afghanistan-Krieg. Doch als ich mich entschied, in die Army einzutreten, waren sie dagegen. Weil sie wussten, dass ich getötet werden könnte.

Müller: Was hat Ihre Familie gesagt, als Sie die Army verlassen haben?

Bryant: Ich denke, dass die meisten enttäuscht von mir waren. Meine Mutter und meine Geschwister stehen hinter mir, aber der Rest meiner Familie nicht.

Müller: Das ist sehr hart.

Bryant: Ja.

Müller: Und Ihre Kameraden aus der gemeinsamen Dienstzeit als Drohnenpilot? Sind sie immer noch in Nevada?

Bryant: Die meisten ja.

Müller: Haben Sie keinen Kontakt mehr zu ihnen?

Bryant: Nein, ich wurde verbannt.

Müller: Welche amerikanische Gemeinschaft unterstützt Sie?

Bryant: Keine. Ich habe alles alleine gemacht. Mich unterstützt keiner.

Müller: Gibt es irgendeinen Teil der Gesellschaft, der Ihren Austritt aus der Army unterstützt?

Bryant: Manchmal gibt es vereinzelte Personen, die mir eine nette Nachricht schicken, aber im Großen und Ganzen denkt der Rest Amerikas, dass ich ein Verräter bin. Ich bekomme viele Hassnachrichten von den Leuten. Viele denken, Edward Snowden sei ein Held und ich ein Verräter. Der Grund dafür wurde mir mitgeteilt: Edward Snowden hat aufgedeckt, dass unsere Regierung die Bevölkerung ausspioniert und ich habe aufgedeckt, dass Amerika das Vertrauen einer unserer nächsten Verbündeten ausnutzt, wir willkürlich Menschen töten und ich mit unserem Feind sympathisiere. Und das macht mich zu einem Verräter.

Müller: Ich hätte gedacht, dass Sie und Snowden so etwas wie Freunde seien.

Bryant: Ich habe viele Menschen aus meinem Leben deswegen verloren. Im Grunde habe ich mein Leben dafür geopfert. Wie Snowden ja auch. Mir macht es nichts aus, alleine zu sein. So schlimm ist es nicht.

Müller: Zur Rolle Deutschlands: Können wir Deutschen nicht mehr tun, um dem zu widerstehen, was in unserem Land für den Drohneneinsatz geschieht? Wie haben Sie Deutschland gesehen? Haben Sie Deutschland als souveränen Staat angesehen oder als eine Art Kolonie?

Bryant: Ich weiß es nicht. Ich dachte Deutschland würde mit uns zusammen arbeiten. Ich verstehe die Frage nicht so ganz…

Müller: Die Operationen wurden via Deutschland ausgeführt. Wussten Sie nicht, dass es für uns verboten ist, an einem offensiven Krieg teilzunehmen? So steht es in unserem Grundgesetz.

Bryant: Ich dachte Deutschland ist eine souveräne Nation, die uns freiwillig hilft. Diese Frage ist mir nie in den Sinn gekommen. Es wurde immer davon ausgegangen, dass – auch wenn Sie keine aggressive Armee haben, um Angriffe auszuführen – diese Hilfe kein Verstoß gegen etwas war, weil Sie sind ja ein Verbündeter. Aktiv sind Sie ja nicht nach draußen, aufs Feld gezogen. Aber wie verhält es sich damit, einen Stützpunkt für den Truppeneinsatz zur Verfügung zu stellen? Ich meine, für meinen Einsatz im Irak bin ich auch via Ramstein gegangen. Ist das nicht das gleiche, wie das Drehkreuz für den Drohneneinsatz in Ramstein zu haben?

Müller: Es ist das gleiche. Was können wir tun um Ramstein zu stoppen? Und wie können wir die Einstellung der US-Amerikanern ändern?

Bryant: Ein erster Schritt wäre, uns für unsere Taten verantwortlich machen. Das Problem sollte direkt zu den amerikanischen Bürgern getragen werden, an den politischen Führern vorbei. Das wäre ein bedeutender Punkt. Wenn Sie sich heute die demokratische Debatte anschauen, werden Drohnen nicht erwähnt. Weder in der demokratischen noch in der republikanischen Debatte sind oder waren Drohnen bis jetzt ein Thema. Somit kann man sich auf die Politiker nicht verlassen, dass sie aktiv werden. Also müssen wir die Menschen erreichen. Wir müssen sie dazu bringen, sich dafür zu interessieren, was die Politik in ihrem Namen macht.

Ich finde, wir sollten uns mehr für unser Ansehen in der Welt interessieren. Vor ca. 100 Jahren waren die USA und Deutschland keine Freunde. Heute ist Deutschland an einem entscheidenden Punkt. Können wir als Amerikaner weiter diesen Weg gehen und kann Deutschland mit seiner Geschichte uns das erlauben? Deutschland hat eine sehr dunkle Vergangenheit, hat diese aber überwunden als ein ganzes Land. Nun haben Sie die Möglichkeit, einen Schritt voran zu gehen und das eigentliche Wesen dieser Veränderung zu zeigen – das Gute zu repräsentieren.

Müller: Heutzutage gibt es keine Kriegserklärungen mehr, aber Menschen werden trotzdem getötet.

Bryant: Ja, meine Theorie ist, dass wenn Japan beispielsweise – wie ich es in den Nachrichten gelesen habe – nun seine eigenen Drohnen bekommt, um gegen China zu kämpfen und wenn sie so einen Krieg wirklich korrekt durchführen wollen, dann sollten sie nicht den gleichen Fehler machen wie Amerika. Deutschland hat ein besonderes Ansehen. Dieses kann Deutschland aufrechterhalten, wenn es dagegen angeht und sagt: „Wir haben in der Vergangenheit Fehler begangen und wir werden versuchen, dass diese Fehler nicht wieder passieren.“ Alles was dafür nötig ist, ist die Wahrheit zu sagen, um Menschen für ihre Taten verantwortlich zu machen. Macht uns verantwortlich. Wir sind verantwortlich. Dann zieht uns auch zur Verantwortung. Wir können uns nicht darauf berufen, das beste und mächtigste Land der Welt zu sein, wir können nicht für Freiheit stehen, wenn wir sie nicht wirklich praktizieren. Der Schlüsselpunkt von Humanität ist unsere Vielfalt. Wie sind alle unterschiedliche Völker. Aber jedes Volk hat Probleme, selbst Verantwortung zu übernehmen. Wir denken, dass wir anderen gegenüber überlegen sind. Wenn die Völker nicht durch dritte Parteien zur Verantwortung gezogen werden, werden sie ihre eigenen Aktionen immer wieder rechtfertigen. Das Drohnenprogramm selbst kann nicht zur Verantwortung gezogen werden. Transparenz ist notwendig, damit andere sagen können: „Du machst den falschen ‚SHIT’! Begradige deinen Fehler!“ Und wenn das nicht passiert, dann findet man einen anderen Weg, um sie entweder ganz aufzuhalten oder zumindest zu bremsen. Das ist auch ein Grund, warum ich so lange im Bundestag gesprochen habe. Der Krieg eskaliert wegen unserer Handlungen, obwohl mein Land weiterhin sagt, „wir kommen zurück“. Wenn Deutschland etwas wegen Ramstein bewegen kann, dann würde es wirklich einige Dinge für die Amerikaner verlangsamen.

Müller: Wie können wir sie bremsen?

Bryant: Das kann nicht eine Person allein, oder gar ich herausfinden. Und es sollte auf jeden Fall in einer nicht aggressiven Weise geschehen.

Müller: Aber die Hauptmedien in Deutschland werden durch die internationalen Beziehungen zu den USA beeinflusst…

Bryant: Oh ja, Medien, Politik, sogar der Religion kann man nicht trauen.

Müller: Ich bin Sozialdemokrat. Doch sogar in meiner Partei stehe ich mit meiner Meinung oft alleine da. Mein Nachfolger wollte in Syrien militärisch intervenieren. … Sie haben Recht, wenn Sie dazu raten, dass wir die öffentliche Debatte nutzen sollen, um die Dinge zu verlangsamen. In wieweit ist denn der US-Präsident involviert?

Bryant: Das einzige Mal, dass ich mitbekommen habe, dass der Präsident direkt involviert war, war, als er uns den Befehl gab, Anwar al-Awlaki zu erschießen. Der Präsident hat auch einen Fernseher im Büro stehen, mit dem er sich in unsere Programme einschalten kann.

Müller: Wer genau fällt die Entscheidungen zu schießen? Politiker? Die US Army?

Bryant: Ich weiß es nicht. Ich wünschte ich könnte es Ihnen sagen. Ich weiß nur, dass es unser „Kunde“ ist. Wer auch immer der „Kunde“ ist.

Müller: Nun eine technische Frage zu Japan und China: Gibt es da die Möglichkeit, Drohnen zu verwenden?

Bryant: Oh ja, sie bekämpfen sich mit Drohnen. Dabei geht es um eine Insel.

Müller: Mit Drohnen?

Bryant: Ich denke ja. Es sind keine Menschen involviert. Es kämpfen nur Roboter gegen Roboter.

Müller: Wäre es möglich, mit Drohnen einen Angriff gegen Moskau zu fliegen?

Bryant: Nein. Russland würde die Drohnen abschießen, bevor sie Russland erreichten. Das erste Mal, dass eine Drohne von einem Kampfflugzeug abgeschossen wurde, war die „Predator“-Drohne durch ein iranisches Flugzeug.

Müller: Sogar Iran könnte man nicht angreifen?

Bryant: Nein. Sie würden sie alle abschießen. Ihre Wärmecharakteristik ist so klein, dass normale Wärme suchende Raketen sie verfehlen würden. Aber ein Kampfflugzeug kann sie erwischen.

Müller: Kann man Drohnen noch weiter entwickeln?

Bryant: Ja. Ich glaube, sie entwickeln gerade eine Selbst-Bomber-Drohne. Aber hier gibt es noch einige Probleme was die Geschwindigkeit angeht. Wenn sie zu schnell wird, fällt sie auseinander.

Müller: Leben Sie in den USA, heute?

Bryant: Ich lebe in Montana.

Müller: Sind Sie dort sicher?

Bryant: Dort bin ich so sicher, wie ich es jetzt gerade hier bin… glaube ich. Ich denke nicht, dass meine Regierung hinter mir her ist, weil ich denke, dass ich recht habe. Wenn sie mich vors Gericht bringen oder mich ins Gefängnis stecken, um mich zu verklagen und zu bestrafen, dann wird sich die Unfähigkeit ihres Systems offenbaren. Also, bin ich eigentlich geschützt. Ich habe keine geheimen Informationen veröffentlicht. Ich habe nur eine Vielzahl von Informationen klargestellt, die andere Menschen sowieso schon hatten, ich habe ihr Bild nur verständlicher gemacht. Wenn sie mich verhaften, weil ich geheime Informationen weitergegeben habe, dann werden sie selbst zur Verantwortung gezogen, wegen ihres Verstoßes gegen Deutschland sowie diverser Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen. Also wegen was auch immer sie mich verklagen wollen, würde ich den Punkt anbringen, dass Gerechtigkeit mehr Wert ist, als geheime Informationen weiterzugeben. Es würde sie sogar zu mehr Verantwortung zwingen – um Gerechtigkeit zu erlangen und ihr internationales Ansehen zu stärken.

Müller: Möchten Sie noch etwas ergänzen?

Bryant: Ich denke, dass individuelle Verantwortung der Schlüssel ist. Wir können nicht länger mit den Fingern aufeinander zeigen. Wir müssen Verantwortung für unsere eigenen Handlungen übernehmen. Das wäre der erste Schritt. Was immer danach kommt, kommt danach.

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