Eine Rede von Sahra Wagenknecht, Konstantin Weckers „Denkt mit dem Herzen“ und Gedanken zu einem notwendigen Pakt zur Flüchtlingsfrage
„Was wir zur Zeit erleben, ist eklatantes Staatsversagen“, so Sahra Wagenknecht in ihrer Antwort auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am 15.10.2015 zur Flüchtlingsfrage. Wir verlinken diese Rede nachträglich, weil es lohnt, diese anzuhören. Dauer: 11 Minuten 41 Sekunden. Sahra Wagenknecht setzt ein bisschen andere Akzente als sonst auf der linken Seite üblich. Offenheit für Flüchtlinge und zugleich ein konsequenter Kampf gegen die Fluchtursachen gehört bei ihr zusammen. – Weil Konstantin Weckers Text gut dazu passt und er diesen Text gestern Abend bei einem Konzert in Karlsruhe vortrug, ist dieser unten eingefügt. – Mit ihm habe ich anschließend über den Sinn eines zu überlegenden „Paktes der sozialen und wirtschaftlichen Vernunft“ gesprochen. Albrecht Müller.
Ein paar Gedanken zur Notwendigkeit und zum Gegenstand eines Paktes der sozialen und wirtschaftlichen Vernunft
Zum Hintergrund:
Wenn man mehr Menschen für eine menschenfreundliche und offene Flüchtlingspolitik gewinnen will, dann muss man Ängste abbauen. Das ist nichts Neues. Aber notwendig.
Man muss die Angst davor mindern, dass die finanziellen Lasten einer offenen Flüchtlingspolitik die ohnehin Benachteiligten weiter belasten werden. Und dass soziale Gerechtigkeit noch kleiner geschrieben wird als heute schon.
Man muss die Angst davor abbauen, dass gerade die einheimischen Schwächeren auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Wohnungsmarkt massiv unter Druck geraten.
Der Pakt:
Die Bundesregierung sollte versprechen, dass sie das Geld zur Finanzierung der Versorgung der Flüchtlinge zu aller erst bei den Besserverdienenden und Großvermögen holt. Konkret heißt das: Anhebung der Einkommensteuersätze im oberen Bereich. Konsequenter Kampf gegen die Verschiebung hoher Einkommen in Steueroasen. Änderung der Erbschaftssteuer, sodass Erbschaften endlich wieder steuerlich erfasst werden. Wiedereinführung der Vermögensteuer u.a.m.
Elemente eines solchen Paktes wären weiter die Rückkehr zur im Grundgesetz versprochenen Sozialstaatlichkeit. D.h. soziale Sicherheit, öffentlich organisierte Daseinsvorsorge, konkret auch sozialer Wohnungsbau.
Ein wichtiges Element wäre weiter die Einsicht, dass es eine staatliche Verantwortung für Beschäftigung und Arbeitsplätze gibt und dass deshalb der Staat zur aktiven Beschäftigungspolitik zurückkehren muss.
Zum Pakt müsste weiter gehören: die Rückkehr zu demokratischen Entscheidungen. Die politischen Entscheidungen sollten nicht weiter jenen überlassen werden, die über große wirtschaftliche und publizistische Macht verfügen.
Wenn ein solcher Pakt zustande käme, dann ließen sich noch viel mehr Menschen auf Gastfreundschaft und Hilfen für Flüchtlinge ein, und vor allem würde diese nicht unter dem Druck der Schwierigkeiten zu zerbrechen drohen.
Ein solcher Pakt wäre der Abschied von der nackten neoliberalen Ideologie. Dass den Regierenden dieser Abschied möglich sein könnte – das zu erwarten, klingt illusionär. Das mag so sein. Aber die kommende Entwicklung wird noch ganz andere große Entscheidungen von uns verlangen und Illusionen zerstören.
Konstantin Wecker: Denkt mit dem Herzen
Und wenn sie euch sagen
das Boot ist voll
wir können keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen
dann antwortet ihnen:
denkt mit dem Herzen.
Über zwölf Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene
sowie fast zwölf Millionen ehemalige Zwangsarbeiter
und ausländische KZ-Insassen
mussten nach dem Ende des Krieges eine neue Heimat finden
Die Integration der Vertriebenen in das massiv zerstörte
und verkleinerte Nachkriegsdeutschland
schien zunächst kaum lösbar.
Und wenn sie euch sagen
viele von denen haben doch sogar eigenes Geld
dann:
denkt mit dem Herzen
denn wenn ihr fliehen müsstet und alles verlassen
was euch lieb ist und teuer
dann würdet ihr doch auch versuchen
alles was ihr besitzt und je besessen habt
zu verkaufen
um Geld mitzunehmen
auf diese ungewisse
schier ausweglose Reise.
Und wenn sie euch sagen
da kommen ja fast nur junge Männer an
und kaum Frauen mit Kindern
dann:
denkt mit dem Herzen.
Würdet ihr nicht auch versuchen
im äussersten Elend
die kräftigsten eurer Familie auf die Reise zu schicken
damit sie euch vielleicht sogar eines Tages
nachholen können?
Und wenn sie euch sagen
die prügeln sich doch in ihren Unterkünften:
denkt mit dem Herzen.
Wie lange würdet ihr es wohl aushalten
eingepfercht zu sein,
oft ohne Strom und Wasser
und bei schlechter Ernährung,
ohne nicht einmal aggressiv zu werden
ohne durchzudrehen?
Und wenn sie euch sagen
was haben wir mit denen zu tun
die glauben doch an einen anderen Gott
die sind von einer fremden Kultur
dann:
benützt euren Verstand:
Kulturelle Reinheit ist eine Illusion.
Und die führte bei uns zu der schrecklichsten Diktatur
der Menschheitsgeschichte.
Menschen sind wichtiger als Kulturen
sagt das all jenen
die sich so gerne mit Fakten schützen
deren Herkunft viel unsicherer ist
als das eigene Mitgefühl
sagt es ihnen
nicht hasserfüllt
doch bestimmt.
Erinnert sie an ihre eigenen Kinder
versucht ihnen zu vermitteln
wie es sich anfühlen würde
wäre man selbst an der Stelle dieser Ärmsten.
Wer anderen die Herberge verwehrt
verdient es
sein Heim zu verlieren.
Denken wir mit dem Herzen.
Besiegen wir den Hass durch Zärtlichkeit.