Den Schalter einfach umgelegt: Von Volksverhetzung auf Willkommenskultur. – Eine gelungene Machtdemonstration der Meinungsführer.
Anfang der 1990er Jahre tobte in D. eine Asyldebatte. Als MdB mit Sympathien für die Bewahrung des Asylrechts wurde ich eines Tages von einer Anruferin aus heiterem Himmel übel beschimpft. Das war offensichtlich die Reaktion auf eine Sendung des Bayerischen Rundfunks gegen Asylbewerber – mit Filmaufnahmen von einer gegen einen bayerischen Schlagbaum anstürmenden Menge von Ausländern. Der Bayerische Ministerpräsident Streibl hatte sich zur gleichen Zeit so aggressiv geäußert, dass ich mich zu einer Anzeige wegen Volksverhetzung genötigt sah. Jetzt ist alles anders. Jetzt haben die Meinungsführer umgeschaltet, noch nicht alle Bayerischen, aber insgesamt schon. Jetzt sind wir bewundernswert gastfreundlich. Der NachDenkSeiten-Leser Joachim Schappert findet das bemerkenswert. Albrecht Müller
Seine Mail von heute Nacht ist lesenswert:
„mit großem Interesse lese ich seit langem Ihre erhellenden Beiträge zum Thema “Meinungsmache” – vielen Dank dafür. Ich möchte Sie gerne auf ein Thema hinweisen, das (zumindest nach meiner Wahrnehmung) bisher etwas stiefmütterlich behandelt wird: die Meinungsmache in Richtung “refugees welcome”.
Für deutsche Politiker und Meinungsmacher ist es ein alter Hut, über die Ausländer-/Islamisten-/”Asylanten”-Schiene dem geneigten Publikum alles mögliche aufzuschwätzen – von der eher harmlosen Autobahnmaut bis zum “Krieg gegen den Terror” mit all seinen Freiheits-einschränkenden und auch grausamen Konsequenzen. Spätestens in den letzten Wochen scheint jedoch irgendwie angekommen zu sein, dass man das Aufrühren von brauner National-Soße aktuell besser unterlassen sollte. Denn wenn diese Soße überkocht, wird es für alle gefährlich – auch für die Köche.
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um es als konzertierte Aktion wahrzunehmen, wenn plötzlich und gleichzeitig aus nahezu allen medialen Rohren das Ausländer-/Islamisten-/”Asylanten”-Feuer weitgehend eingestellt wird und man auf breiter Medienfront unisono eine deutsche Willkommenskultur lanciert. Wer hätte vor zwei Monaten auch nur im Traum daran gedacht, dass die BILD-Zeitung “refugeeswelcome”-Sticker an ihre Leser verteilen würde?
Und diese Medienkampagne ist erfolgreich. Sie ist unglaublich erfolgreich: Menschen aus meinem Bekanntenkreis, mit denen ich kürzlich noch über die Gefahr kultureller Unterwanderung in Deutschland streiten musste, unterstützen neuerdings mit Geld und Tat unsere lokale Flüchtlingshilfe! Natürlich freue ich mich darüber und hoffe, dass diese Welle des Verständnisses und der Hilfsbereitschaft nicht genauso schnell wieder abebbt wie 1989, als nach dem Fall der Berliner Mauer die positive Stimmung gegenüber den nach Westen strömenden DDR-Bürgern zumindest tendenziell sehr schnell umgekippt ist.
Was wir heute jedoch auf der Metaebene erleben, ist eine Machtdemonstration der Meinungsführer in unserem Land, wie sie in ihrer Offensichtlichkeit und Effektivität nur selten zu beobachten ist. Rassismus ist keine Meinung sondern eine menschenverachtende Ideologie, die im Kern davon ausgeht, dass ein vermeintlich anders-rassiges Menschenleben weniger bis gar nichts wert ist. Und wie aktuell bewiesen wird, kann man Rassismus mit vereinten medialen Kräften sehr wirksam bekämpfen – gerade indem man dessen menschenverachtenden Charakter brandmarkt und ein menschenfreundliches Leitbild dagegen setzt: Für die allermeisten deutschen Bürgerinnen und Bürger ist “Menschenverachtung” ein Etikett, das sie gerne weit von sich weisen möchten.
Aber könnten etwa die militärische “Logik”, die fast immer zu Eskalation von Gewalt führt oder die neoliberale “Logik”, die Reiche immer reicher und Arme immer ärmer macht, nicht ebenso effektiv als zutiefst menschenverachtend bloßgestellt werden, wie die “Logik” des Rassismus? Ich denke ja – wenn denn der Wille dazu da wäre. Die vergangenen Wochen haben uns das Ausmaß der manipulativen Kraft unserer Massenmedien eindrucksvoll vor Augen geführt. Und damit ist vielleicht klarer denn je: für die politische Meinungsbildung einer Gesellschaft ist es ganz entscheidend, was die Vierte Gewalt sendet und schreibt. Umso bedenklicher erscheint es, dass die Öffentlichkeit fast nichts darüber weiß, ob und in wie weit diejenigen, die unsere Medienlandschaft ökonomisch besitzen und beherrschen, Einfluss auf Themensetzung und die politische Ausrichtung “ihrer” Redaktionen nehmen.
Beste Grüße,
Joachim Schappert“