Europa braucht ein soziales Fundament.

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Das Fehlen sozialer Standards, wie Mindestlöhne, Arbeits- und Mitentscheidungsrechte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Ebene der EU verleitet viele Medien dazu, etwa in der öffentlichen Debatte über die Finanzkrise in Griechenland die sehr unterschiedlichen Sozialleistungen in den einzelnen Staaten der EU gegeneinander auszuspielen. Ein Beispiel war die ARD-Sendung “Hart aber fair” am 11. Mai. Das gegeneinander Aufhetzen schadet dem Zusammenhalt und der Solidarität innnerhalb der Europäischen Union fördert nationalistische Parteien auf der politischen Rechten. Von Walter Edenhofer[*]

Es sind doch gerade die sozialstaatlichen Errungenschaften, die den Demokratien in Europa über lange Zeit ihre Stabilität verliehen haben: Humanisierung der Arbeit, Verkürzung der täglichen Arbeitszeit und der Lebensarbeitszeit, Sicherung der Renten oder die allgemeine Gesundsheitsversorgung. All diese und viele andere sozialstaatliche Absicherungen haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Demokratien in Europa als Staats-und Lebensform stabil blieben.

Damit es nicht zu einem weiteren Abwärts-Wettlauf bei den Sozialstandards kommt, wird es höchste Zeit, Verabredungen auf der europäischen Ebene für eine in der EU verankerte Sozialpolitik zu treffen. Es geht nicht darum, für die gesamte EU die gleichen Sozialstandards einzuführen, das führte nur zu einer weiteren Senkung sozialer Leistungen in den starken Volkswirtschaften Europas. Es müssten Lösungen gefunden werden, die an die Lebensbedingungen, die wirtschaftliche Kraft und die sozialstaatlichen Traditionen der jeweiligen Länder und Regionen anknüpfen.

Von einem „Sozialen Europa“ sind wir meilenweit entfernt. Die Finanz- und die damit einhergehende Wirtschaftskrise wurde zum Abbau von Sozialleistungen und von Arbeitnehmerrechten genutzt. Massenarbeitslosigkeit hat die Gewerkschaften geschwächt, die Tariflandschaften wurden umgepflügt, die Tarifautonomie ausgehebelt, der Sozialstaat abgebaut und öffentliches Eigentum verschleudert.

Europa droht sein soziales Fundament zu verlieren und ohne dieses Fundament wird das „europäische Haus“ zusammenzufallen.

Paradoxerweise hat gerade die Austeritätspolitik die Debatte um ein Europäisches Sozialmodell wieder auf die Agenda gesetzt. „Die soziale Fairness kam zu kurz“, stellte Jean-Claude Juncker in seinen “Politischen Leitlinien für die nächste Europäische Kommission fest [PDF – 920 KB], der „soziale Dialog“ müsse wieder belebt werden.

Voraussetzung dafür wäre ein Kurswechsel in Europa, nämlich die Abkehr von der sozial verheerenden Austeritätspolitik. Europa braucht vielmehr Investitionen gegen die Arbeitslosigkeit, „gute Arbeit“ und Löhne, die ein gutes Leben und die wirtschaftliche Nachfrage sichern, Arbeitsmarktreformen, die nicht Arbeitnehmerrechte abbauen sondern prekäre Beschäftigung bekämpfen.

Wer den europäischen Gedanken wieder stärken will, muss Europa nicht nur als liberalisierten Binnenmarkt, sondern vor allem als soziales Projekt begreifen.
Das wäre die ureigene Aufgabe der Sozialdemokratie und nur daraus würde sie wieder Vertrauen und Stärke in Europa gewinnen.


[«*] Walter Edenhofer ist Koordinator des Gesprächskreises Bonn der kritischen Website NachDenkSeiten

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