Das Hin und Her um nötige Fachkräfte
Sind die alten Fachkräfte allmählich gefragt? Oder braucht sie der Arbeitsmarkt weiter sehr eingeschränkt? Kommen bald viele Fachkräfte aus den neuen EU-Ländern? Ist der von Arbeitgeberseite behauptete Fachkräftemangel tatsächlich ein Wachstumshemmnis?
Mit diesem Hin und Her beschäftigt sich Kurt Pittelkau vom Arbeitskreis Alterssicherung ver.di-Berlin.
Unionsfraktionschef V. Kauder verkündet: „Wir kümmern uns um den Fachkräftemangel.“ Und Unionsminister wie ihre SPD-Kollegen in der Bundesregierung zeigten sich vor der Kabinettsklausur im brandenburgischen „Zauberschloss“ Meseberg besorgt über einen Mangel an Ingenieuren, Informatikern und Naturwissenschaftlern – eine „Nationale Qualifizierungsoffensive“ wurde angedacht. J. Schlarmann vom CDU-Wirtschaftsflügel, Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung, hatte zuvor gefordert, den „aktuellen Engpass an Fachkräften“ sofort durch Zulassung ausländischer Spezialisten zu beseitigen. Deshalb seien die Freizügigkeitsregeln innerhalb der EU für Fachkräfte aus Osteuropa „unverzüglich“ in Kraft zu setzen.
Ganz anders lautet das Ergebnis einer neuen Studie des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie (INIFES), Stadtbergen, im Rahmen eines von der Europäischen Union und der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekts (Siehe dazu den heutigen Bericht in den NachDenkSeiten). Es besagt:
Ein demografisch bedingter Fachkräftemangel ist in Deutschland in den nächsten 20 Jahren nicht (!) zu erwarten.
Das ist für viele sicher eine sensationelle Mitteilung. Die Autoren der Studie meinen sogar, durch die deutlich steigende Zahl älterer Menschen drohten sich die Probleme der Älteren auf dem Arbeitsmarkt weiter zu verschärfen. Sie warnen angesichts der Untersuchungsergebnisse, dass das EU-Beschäftigungsziel – jeder zweite 55- bis 64-jährige in Arbeit – verfehlt werden könnte. Genau darauf zielt die Initiative 50plus des Bundesarbeitsministeriums.
Der letzte Bericht aus der Bundesagentur für Arbeit bestätigt, was das INIFES ermittelt hat:
„Flächendeckend – das muss man klar sagen – gibt es keinen Mangel an Fachkräften.“
Das gab eben erst, am 30. Juli der BA-Vorsitzende, F. J. Weise, zu Protokoll. Und fügte Erfreuliches hinzu: „Die Zahl der älteren Arbeitslosen sinkt. Im Jahresvergleich immerhin um 15 %. Die Beschäftigung der Älteren steigt. Und zugleich werden weniger Ältere in die Arbeitslosigkeit entlassen.“ Das geht einher mit der Feststellung: „Die großen Unternehmen entlassen … mehr als sie einstellen.“
Dieser Einschätzung entsprechend, forderte der DGB-Vorsitzende, M. Sommer, eine Verschiebung des Termins für die Freizügigkeit der Fachkräfte aus Osteuropa innerhalb der EU und unterstützte damit entsprechende oppositionelle Interventionen.
Folgende Fragen stellen sich dem mitdenkenden Bürger:
- Hat sich die Arbeitsmarktsituation soviel besser entwickelt, als bisher allgemein wahrgenommen wurde?
- Ist auf diese Weise das Reservoir an erwerbsfähigen alten Fachkräften absehbar erschöpft?
- Muss deshalb der Ruf nach Fachkräften aus dem Osten als begründet erscheinen?
- Wie erklärt sich der irritierende Unterschied in der Einschätzung der Bundesregierung und mit ihr der Arbeitgeberverbänden mit der Beurteilung der Bundesagentur für Arbeit?
- Folgt die Bundesregierung einfach den Interessen der Wirtschaft, wie sie vom Wirtschaftsflügel der Union vertreten werden? – Der Zustrom von EU-Fachkräften erhöht den Druck auf die hiesigen Beschäftigten und auf deren Löhne!
Unterstützt wir die Forderung der Arbeitgeberverbände auch durch die Volkswirte deutscher Banken, die sogar gewarnt haben, ein Fachkräftemangel könne eine Abkühlung der Konjunktur bewirken.
A. Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand fordert hingegen Vorsicht bei der Öffnung des Arbeitsmarktes (21.8.). Im Vorfeld der Arbeitnehmerfreizügigkeit seien soziale Mindeststandards festzulegen und Qualifizierungsmöglichkeiten bei uns im Lande weiterzuentwickeln.
„Von einem generellen Fachkräftemangel, wie ihn Wirtschaft und Teile der Politik beklagen, kann keine Rede sein.“
Anmerkung Wolfgang Lieb:
Der Streit um das Vorziehen der Freizügigkeit ist aber in jedem Falle auch ein Ablenkungsmanöver von den Fehlern in der Vergangenheit.
Wobei die Unternehmen sich durch Entlassungen personell, so ausgedünnt haben, dass bei einem Anspringen der Konjunktur notwendigerweise Engpässe bei Neueinstellungen entstehen mussten. Es wird auch in den Hintergrund gedrängt, dass die Unternehmen seit Jahren zu wenige Ausbildungsplätze anbieten. Wer heute über den Mangel an Ingenieuren jammert, sollte die miserable Einstellungssituation für junge ausgebildete Ingenieure noch vor wenigen Jahren nicht vergessen. Damals hatte selbst die Landesregierung Baden-Württemberg vorgeschlagen, die Kapazitäten für die Ingenieurstudiengänge einzuschränken.
Der Ruf nach der Einwerbung von ausländischen Fachkräften erschallt bei jedem Engpass nur allzu schnell. Man erinnere sich an das Millenniumfieber bei den Informatikern. Damals wurden rasch die „Green Cards“ ausgegeben, mit zweifelhaftem Erfolg.
Die Just-in-Time-Produktion von Fachkräften funktioniert eben nicht so einfach, wie in der Güterproduktion, dazu bedarf es einen längeren Planungshorizont als die Vierteljahresbillanz.