Neoliberalismus und Rassismus – das Beispiel Ayn Rand
Die 1982 verstorbene US-Schriftstellerin und neoliberale Sozialphilosophin Ayn Rand ist in Europa weitgehend unbekannt, in den USA aber umso einflussreicher. Mit Werken wie „The Fountainhead“ und insbesondere „Atlas Shrugged“ gilt sie bis heute als eine der zentralsten und wichtigsten Figuren des Neoliberalismus. Umso interessanter, welchen Rassismus sie gegenüber den Indianern Amerikas an den Tag gelegt hat.
Von Patrick Schreiner.
Ayn Rand verbrachte ihre Kindheit und Jugend zunächst in Russland, bevor sie 1926 in die USA übersiedelte. Dort wurde sie zu einer radikalen Befürworterin individualistischer Ideologien und zu einer Vordenkerin des Neoliberalismus. In ihren Schriften betont sie unter anderem die moralische Richtigkeit eines radikalen Egoismus; Altruismus und Solidarität lehnt sie ab. (Dies hielt sie allerdings nicht davon ab, Gelder aus der Sozialversicherung in Anspruch zu nehmen und ein langjähriges Lungenleiden mit Hilfe des staatlichen Medicare-Programms behandeln zu lassen.) Ayn Rands Bücher erreichen eine Gesamtauflage von 25 Millionen. Der langjährige Chef der US-Notenbank Fed, Alan Greenspan, zählt sie zu seinen wichtigsten intellektuellen Impulsgeber(inne)n. Bis heute beeinflusst ihr Denken die US-amerikanischen Neoliberalen und Konservativen, insbesondere die Republikanische Partei. Bei einer Umfrage der US-Kongressbibliothek, welches Buch den größten Einfluss auf das Leben der Befragten hatte, lag Ayn Rands “Atlas Shrugged” auf Platz 2 – nach der Bibel.
Der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Lars Syll hat schon vor einiger Zeit im RWER-Blog auf eine Rede aufmerksam gemacht, in der sich Ayn Rand 1974 vor Studenten der West-Point-Militärakademie unter anderem zur Situation und Geschichte der amerikanischen Indianer äußerte. Diese Rede zeigt, dass und wie Neoliberalismus und Ausgrenzung füreinander unmittelbar anschlussfähig sind. Einige Passagen in deutscher Übersetzung:
Mit guten Gründen glaube ich selbst den mitleidlosesten Hollywood-Darstellungen von Indianern und von dem, was sie dem weißen Mann angetan haben. Sie hatten kein Recht auf ein Land nur deshalb, weil sie hier geboren waren und sich wie Wilde verhielten. Der weiße Mann hat dieses Land nicht erobert…
Da die Indianer keinen Begriff von Eigentum oder Eigentumsrechten hatten (sie hatten keine sesshaften Gesellschaften, sondern vorwiegend nomadische Stammes-„Kulturen“), hatten sie auch kein Recht auf das Land; und es hab keinen Grund für irgendjemanden, ihnen Rechte zu geben, die sie nicht erdacht hatten und die sie nicht gebrauchten…
Wofür kämpften sie denn gegen den weißen Mann auf diesem Kontinent? Für ihren Wunsch, mit einer primitiven Existenz fortzufahren, für ihr „Recht“, Teil der unberührten Erde zu bleiben – jedermann fernzuhalten, sodass sie wie Tiere oder Höhlenmenschen leben konnten. Jeder Europäer, der ein Element der Zivilisation mit sich brachte, hatte das Recht, diesen Kontinent einzunehmen; und es ist großartig, dass es manche von ihnen taten. Die rassistischen Indianer von heute – jene, die Amerika verdammen – respektieren keine individuellen Rechte.
Überraschen kann die hierin zum Ausdruck kommende Nähe zwischen Neoliberalismus und Rassismus aber nicht. Der Neoliberalismus hat viele Einfallstore für ausgrenzendes Denken. Spätestens wenn es darum geht, soziale Ungleichheit zu erklären und zu begründen, greift er gerne und schnell auf rassistische Argumentationsmuster zurück. Denn der Kapitalismus produziert soziale Ungleichheiten, die zu seiner Selbsterhaltung Rechtfertigung brauchen. Dies gilt umso mehr für den neoliberalen Kapitalismus, der von sozialstaatlicher Sicherung und Umverteilung nichts wissen möchte.
Zur Rechtfertigung sozialer Ungleichheit alleine auf die unterschiedliche “Leistung” der Menschen zurückzugreifen, genügt oft genug nicht. Denn schon der neoliberale Klassiker Friedrich August von Hayek wusste, dass Erfolg am kapitalistischen Markt keineswegs notwendig mit individuellen Leistungsbeiträgen einhergeht – und Misserfolg keineswegs notwendig die Schuld der Betroffenen ist. Gerade vor diesem Hintergrund müssen die Neoliberalen eine Illusion von Leistungsgerechtigkeit aufrechterhalten.
Angesichts dieses Dilemmas liegt es nahe, (auch) nach rassistischen “Gründen” für soziale Ungleichheit zu suchen. Nicht der Markt und nicht neoliberale Politik, sondern die “kulturelle Andersartigkeit” oder schlicht die “Faulheit” bestimmter ethnischer Gruppen gelten dann als Ursache für Armut, Verelendung und Ausgrenzung. Gesellschaft und Wirtschaft werden so von ihrer Verantwortung entlastet; Kritik an Kapitalismus und Neoliberalismus finden nicht mehr statt. Darin unterscheiden sich AfD und Pegida nicht von Thilo Sarrazin und auch nicht von manchen Politiker(inne)n der politischen “Mitte”.
Auch Ayn Rand denkt und argumentiert in eine ähnliche Richtung: Mit obigem Zitat weist sie die Verantwortung für Unterdrückung und Ausgerottet-Werden den Indianern selbst zu. Darüber hinaus spricht sie ihnen jedes Recht ab, Rechte zu haben – schlicht mit dem kulturalistischen und rassistischen Argument, kulturell rückständig (gewesen?) zu sein.
Das zeigt: Der Neoliberalismus ist alles andere als “farbenblind”.
Es empfiehlt sich übrigens, einen Blick auf einen liberalen Klassiker zu werfen; auf jemanden, den vermutlich auch Ayn Rand als einen ihrer intellektuellen Ahnen angesehen haben dürfte: Adam Smith. In seinem Hauptwerk “Der Wohlstand der Nationen” von 1776, auf das sich Liberale und Neoliberale bis heute positiv beziehen, widmet er viele Seiten dem Thema “Kolonialismus”. Nicht alles an dieser Passage ist unproblematisch. Doch ist Smith vom platten Rassismus einer Ayn Rand weit entfernt. Er schreibt unter anderem:
Torheit und Ungerechtigkeit waren anscheinend die vorherrschenden Motive und bestimmten die ersten Pläne zur Gründung der Kolonien: Die Torheit, Gold und Silber nachzujagen, und die Ungerechtigkeit, den Besitz eines Landes zu begehren, dessen harmlose Eingeborene weit davon entfernt waren, jemals einen Europäer zu beleidigen.
Man würde sich wünschen, Neoliberale wie Ayn Rand und ihre heutigen Nachfolger(innen) läsen öfter mal in den Werken solcher liberaler Klassiker. Sie könnten offenbar noch einiges lernen. Und das, obwohl auch Smith die große Bedeutung wohl nicht erkannte, die der Kolonialismus und der Rassismus für die Entstehung und globale Durchsetzung des Kapitalismus hatten.