PEGIDA ist das Symptom eines größeren Problems
PEGIDA ist in aller Munde und wird dabei in aller Regel entweder vermeintlich „verstanden“ und in Teilen „respektiert“ oder aber als Problem der radikalen Rechten in Deutschland klassifiziert und bekämpft. Umfragen und Studien ergeben jedoch, dass die „Angst vor dem Islam“ seit Langem ein deutsches wie internationales Problem darstellt – und sich nicht nur in einzelnen politischen Lagern verorten und an diese „wegdelegieren“ lässt. Manch einer spricht daher auf der Suche nach Verständnis für die aktuelle gesellschaftliche Situation inzwischen von PEGIDA als dem „Produkt einer (langfristigen) politischen und medialen Inszenierung” und betont vor allem die Funktion von Rassismus in einer immer ungleicheren Welt. Die seit Jahren geschürte Islamfeindlichkeit diene dabei vor allem dazu, eigene Privilegien zu verteidigen sowie die nationale deutsche Identität zu revitalisieren, wie beispielsweise die Professorin für Diversity Studies, Rassismus und Migration Iman Attia betont. Jens Wernicke geht im Gespräch mit der Medienkritikerin sowie Sprach- und Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer[*] diesen Fragen und Hintergründen weiter nach.
Frau Schiffer, Sie beschäftigen sich bereits seit vielen Jahren mit der Darstellung des Islams in den Medien [PDF – 193 KB] und konstatieren hier massive Verzerrungen sowie eine Art „Feindbildkonstruktion“. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung und woran machen Sie diese fest?
Das ist nicht nur mein Forschungsergebnis. Wissenschaftler wie Kai Hafez, Irmgard Pinn, Reinhard Schulze, Farid Hafez, Wolfgang Frindte, Iman Attia, Werner Ruf und viele andere mehr kommen zum gleichen Ergebnis: „Unser“ Islambild stammt vor allem aus der Auslandsberichterstattung der letzten 30 Jahre.
Die stereotyp ausgewählten Fakten aus der so genannten islamischen Welt haben dabei zunächst starke Frames, also stereotypisierte Wahrnehmungen, und hierauf aufbauend schließlich ein handfestes Feindbild geformt. Die daraus resultierenden Ängste wurden dann spätestens ab dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh 2004 auch auf die in Deutschland lebenden Muslime projiziert.
Etwa zur gleichen Zeit sind zudem islamophobe Hetzportale im Internet entstanden, die seither unbeanstandet jede mögliche Untat eines Muslimen oder auch Nichtmuslimen in den Kontext „Islam“, „Südländer“ oder „Kulturbereicherer“ verschieben – bei letzterem handelt es sich um die Ironisierung des Versuchs Gutmeinender, vor allem die Nützlichkeit und Bereicherung durch jene Menschen zu betonen, die tatsächlich oder vermeintlich „anders“ sind. Die Auflistung unterschiedlicher Taten verschiedener Menschen auf derlei Portalen unterstellen dabei ständig „religiöse“ statt etwa soziale oder politische Motive.
Was die Macher solcher Internetseiten dabei in aller Regel nicht wissen: Ihre vermeintliche Argumentation entstammt dabei vor allem evangelikalen und fundamentalistisch-katholischen Vordenkern wie beispielsweise Adelgunde Mertensacker, die mit dem Kurier der fundamentalistischen Christlichen Mitte in den 1990er Jahren das Setting und die Perspektive für diesen kulturellen Rassismus vorgab. Und diese wiederum entstammt geopolitisch interessierten Denkfabriken, wie etwa dem Middle East Forum eines Daniel Pipes, wie inzwischen das Center for Amercian Progress nachgewiesen [PDF – 437 KB] hat.
Das heißt?
Vor allem, dass die vermeintlichen Beschützer und Bewahrer des Abendlandes das tun, was andere zuvor als Spin und Denkmodell – der „Kampf der Kulturen“ ist da nur ein Schlagwort aus diesem Bereich – bereits vor Jahren und Jahrzehnten vor- und angedacht haben.
Können Sie das bitte belegen und ein wenig ausführen? Sie wissen ja, „Verschwörungstheorien“ sind zurzeit sehr schlecht im Kurs …
Als ich in den 1990er Jahren begann, dieses Thema zu bearbeiten, habe ich noch jede Behauptung von Intentionen hinter dem stereotypen und verzerrten Bild des Islams in unseren Medien und unserer Gesellschaft zurückgewiesen. Ich hielt das alles lange für ein großes Missverständnis, was nicht verharmlosend klingen soll. Inzwischen ist aber gut recherchiert und belegt, dass es Intentionen für ein Feindbild Islam gab und gibt.
Eine Art offiziellen Auftakt zur Nutzung der weltweiten Islamphobie waren dabei 1990 die Rede und der Aufsatz von Berhard Lewis „The Muslim Rage“, deren Thesen sein Freund und Kollege Samuel Huntington später noch in Buchform goss. Dies ist kein zufälliger Zeitpunkt, denn während es immer Ressentiments gegen Islam und Muslime gab – Stichwort „Iranische Revolution“ und historische Ereignisse wie „die Türken vor Wien“ -, ersetzte nach dem Wegfall des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren das Feindbild Islam zunehmend den alten Antagonismus. Und zwar mit geopolitischem Impetus, wie beispielsweise Daniele Ganser es mit Blick auf Ressourcen und Ressourcenwege beschreibt.
Das Center for American Progress hat Geldströme untersucht und am Beispiel des bereits erwähnten Middle East Forums nachgewiesen: Das Interesse am Nahen Osten ob seiner geostrategischen Bedeutung auf der einen und Islamismus sowie das Feindbild Islam auf der anderen Seite müssen zusammengehörig verstanden und analysiert werden. Der Vater von Daniel Pipes, Richard, war einst als Direktor des Zentrums für Russische Studien noch für den US-amerikanischen Antikommunismus sowie das Feindbild Russland zuständig, der Sohn ist dies nun offenbar für das Feindbild Islam. Die Bilder wechseln also, die Strategien hingegen bleiben gleich.
Und hat all das Ihrer Einschätzung nach auch etwas mit der Dresdner „PEGIDA-Bewegung“ und artverwandten Entwicklungen im Lande zu tun? Wie erklären Sie dieses „Phänomen“, das ja von einigen als rechtsextremistische Zusammenrottung interpretiert wird?
Ja, auch wenn der Weg bis hin zu PEGIDA auf den ersten Blick womöglich gewunden erscheint, so gibt es dennoch eine logische Abfolge der Ereignisse: Nach den Pogromen Anfang der 1990er Jahre bekamen die Rassisten durch das neue Zuwanderungsgesetz recht, denn Einwanderung wurde erschwert. Und muslimfeindliche Straftaten werden nach wie vor gar nicht erst systematisch erfasst und dokumentiert. Auf den islamfeindlichen Mord in Dresden 2009 [PDF – 239 KB] hin reagierte man beispielsweise mit Abwiegelung, so als gäbe es nicht längst ein allgemeines Problem.
Und leider findet nun genau das statt, was ich immer befürchtet habe – und was in meiner Doktorarbeit im vergleichenden Exkurs zum antisemitischen Diskurs des ausgehenden 19. Jahrhunderts bereits steht: In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und politischer Ohnmacht gegenüber globalen Wirtschaftsstrukturen werden die Ängste der Menschen auf die bereits seit Langem hierfür offen dargebotene Minderheit projiziert. Das waren zuzeiten der Wirtschaftskrise um 1873 die Juden, und das sind heute vor allem die Muslime. Das schafft den Antisemitismus zwar nicht ab, als Projektionsfläche für alles Üble sowie die diffusen Ängste der Menschen dienen nun jedoch beide Gruppen zugleich: Juden als die vermeintlichen Drahtzieher der Welt – und Muslime als die angeblich Verantwortlichen für deren Niedergang. Was leider nicht einmal ausschließt, dass die eine diskriminierte Minderheit, befördert durch eine unsolidarische, die Gruppen gegeneinander ausspielende Politik, der jeweils anderen auch noch die Schuld für diese Entwicklung zuschreibt.
Aber die Demonstranten behaupten doch, nicht gegen Muslime, sondern nur Islamisten zu sein…
Ob sie das selber glauben, weiß ich nicht. Die publizierten Äußerungen verraten jedenfalls eine große Verallgemeinerungstendenz. Aber in der Tat dienen Islam und Muslime vor allem zur Projektion. Um sie geht es faktisch überhaupt nicht. Und da das viele Muslime noch nicht begriffen haben, lenken sie mit der gut gemeinten Aufklärung über ihre Sicht auf den Islam nur noch mehr Aufmerksamkeit auf ihre Religion und sich, die dann für Ressentiments jedweder Couleur „verantwortlich“ gemacht wird.
Allerdings glauben auch viele Politiker und Journalisten, die die Diskursentwicklung nicht genau verfolgt haben, dass es sich bei diesen Demonstrationen um Reaktionen auf eine Radikalisierung von Muslimen handele, was jedoch nicht der Fall ist – denn die Muslimfeindlichkeit hier ist deutlich älter als beispielsweise der so genannte „Islamische Staat“.
Sehr wohl machen aber machen neue Phänomene wie dieses – gerade in Verbindung mit der Behauptung, hier handele es sich um einzig „religiöse“ und nicht etwa soziale oder politische Kämpfe – die Menschen aktuell noch anfälliger für die einfachen Parolen zur vermeintlichen Lösung all ihrer Probleme…Der hierbei praktizierte Chauvinismus trägt dabei faschistische Kernelemente in sich und könnte sich noch weiter auswachsen, wenn unsere Medien und die Politik derlei Stimmungen weiterhin Raum und damit Recht geben – anstatt beispielweise eben all die auf Muslime projizierten und wohl vor allem sozioökonomischen Ängste und Nöte der Menschen endlich einmal ernst zu nehmen und anzugehen sowie zugleich der Dämonisierung einer ganzen Menschengruppe entschieden entgegenzutreten. Da in aller Regel jedoch beides nicht geschieht, stärkt das Handeln unserer Eliten und Meinungsmacher aktuell ganz massiv den rechten Rand, wie dies beispielsweise der Extremismusforscher Cas Mudde immer wieder dargestellt hat.
Das bedeutet aber auch, dass der antimuslimische Rassismus immer schon Teil der so genannten „Mitte der Gesellschaft“ war und nicht erst in diese eindringen musste. Hier ist es vor allem die Mittelschicht, die über einen elitären Diskurs der angeblich eigenen kulturellen Überlegenheit – Stichwort: Aufklärung – in einer chauvinistischen und eurozentristischen Haltung weiter erstarkt, wie unsere Medienanalysen dies auch deutlich machen: Spätestens seit den 1990er Jahren haben die so genannten seriösen Medien – allen voran Peter Scholl-Latour – das antiislamische Ressentiment bedient und dieses überhaupt erst groß und salonfähig gemacht.
Das antiislamische Ressentiment ist also bereits seit Langem sowie vor allem in der Mittelschicht verankert?
Genau. Und paradoxerweise hat gerade die Sarrazindebatte das Thema Islamophobie dann noch weiter aufgewertet – zugleich allerdings auch erstmalig zu einer kritischen Auseinandersetzung mit derselben geführt. Dass seine inzwischen zwei Bücher mit massiver finanzieller und medialer Unterstützung überhaupt erst bekannt und „zum Thema“ gemacht wurden, spricht dabei Bände.
Leider helfen uns die Heitmeyer Studien „Deutsche Zustände“ nicht viel weiter, herauszubekommen, wann und wie antiislamische Vorurteile gestärkt wurden und Verbreitung fanden, weil sie erst 2002 mit der systematischen Erfassung von Ressentiments begannen. Eine Studie der Uni Jena zeigt allerdings exemplarisch auf, dass ein Zusammenhang zwischen öffentlichen Diskursen und dem Anstieg von Ängsten und Ressentiments festzustellen ist. Wolfgang Frindte und Nicole Haußecker weisen in der sehr aufwändigen Untersuchung „Inszenierter Terrorismus“ genau nach, wie die Veröffentlichungen von Terrorwarnungen nicht etwa die Angst vor Terror, sondern jene vor Muslimen geschürt haben.
Und über derlei „Medieneinseitigkeit“ gibt es innerhalb der Medien keine Debatte und kritische Reflexion?
Nein, die Antwort-Reflexe der Medien, sich auf berechtigte Kritik dieser Art hin – etwa von Noam Chomsky oder Reinhard Schulz – schlicht von jeder eigenen Verantwortung freizusprechen und so zu tun, als wären sie nur Beobachter, halten leider ungebrochen an.
So hat man sich beispielsweise im Schock über das Breivik-Massaker auch auf die Auswüchse des Hasses gegenüber Muslimen und den Islam im Internet gestürzt, anstatt etwa die eigene Rolle im Fernseh- und Printmedienbereich einmal kritisch zu reflektieren. Und diese Nichtreflexion der eigenen Rolle als Medien lässt sich auch ganz aktuell wieder beobachten, wenn man überrascht auf die PEGIDA starrt und so tut, als hätte diese Entwicklung nichts mit eigenen Fehlleistungen zu tun.
Dass die entsprechend verblendeten Menschen nun auf die Straße gehen, ist für mich darum keine Überraschung. Und dass sie sich zurecht als anschlussfähig einschätzen, so dass ihre Demonstrationen eine breite Berichterstattung erhalten, dürfte sie eher ermutigen, weiter zu machen.
Vergleicht man den Umgang mit den aktuellen Demonstrationen für den Frieden, so sieht man sehr deutlich, wie es aussieht, wenn Medien die eine Bewegung eher mittels „Verständnis“ ermutigen, die andere hingegen im Keim zu ersticken versuchen.
Das klingt jetzt alles nicht sehr ermutigend. Was ist Ihrer Meinung nach zu tun?
Wir brauchen vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit der Funktion von Rassismus in unserer Gesellschaft. Und wir brauchen mehr Berichterstattung über die ökonomischen und geopolitischen Zusammenhänge hinter Entwicklungen wie Terrorismus, so genannten Auslandseinsätzen etc. Und auch eine kritischere Begleitung von NATO, WTO oder IWF wäre vonnöten, um komplexere Zusammenhänge so zu erfassen, dass sie alsdann nicht mehr auf „die Juden…“ oder „die Muslime…“ abgelenkt werden könnten.
Eine ungerechte Weltwirtschaftsstruktur und Kriege bilden aktuell ein unglückliches Zwillingspärchen. Aber an dieser Stelle bin ich nicht sicher, ob eine zunehmend ohnmächtige Politik ihre eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten zuzugeben bereit ist, oder ob die Politik der regelrechten Einladung zur Projektion von Missständen auf Minderheiten nicht vielmehr erliegen wird. Hier ist die Zivilgesellschaft gefordert – auch und entgegen medialer Verstärker bzw. Niedermacher.
Und vielleicht wollen wir kein säkularer Staat mehr sein, der Religion umschließt, unterordnet und schützt. Vielleicht ist es stattdessen an der Zeit, über ein laizistisches Modell zu diskutieren, für alle Religionen gleich. Gleiche Rechte und Pflichten also für alle oder keinen.
Noch zentraler scheint mir aber der Bildungsbereich zu sein, der zunehmend ausgehöhlt statt gestärkt wird. Wir müssen uns in Bildungsfragen breiter aufstellen statt Bildung zu reduzieren. Zum Geschichtsunterricht gehört dabei eben auch das Wissen unserer arabo-islamischen Wurzeln neben den griechischen, römischen usw. usf. Das mag vielleicht unrealistisch klingen, ist es aber nicht. Ich denke vielmehr: Wenn wir es nur wollen, ist alles möglich. Die jetzigen Entwicklungen sind schließlich ja auch keine Naturgewalt, sondern wurden von Menschen gemacht.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Weiterlesen:
- Sabine Schiffer: Der Islam in deutschen Medien
- Sabine Schiffer: “Unsere Medien” in Zeiten innerukrainischer und antirussischer Kriegshetze: Wer Hass säht, wird PEGIDA ernten
- Wilhelm Heitmeyer: “Menschen islamischen Glaubens werden homogenisiert”
- Wilhelm Heitmeyer: Mehr Islamfeindlichkeit bei Reichen
- Noam Chomsky: It’s Not Radical Islam That Worries The US – It’s Independence
- Noam Chomsky: On Religion and Politics
- Noam Chomsky: U.S. more “fundamentalist” than Saudi Arabia or the Taliban
- Iman Attia: Privilegien sichern, nationale Identität revitalisieren: Gesellschafts- und handlungstheoretische Dimensionen der Theorie des antimuslimischen Rassismus im Unterschied zu Modellen von Islamophobie und Islamfeindlichkeit
- Etienne Balibar und Immanuel Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation: Ambivalente Identitäten [PDF – 4.7 MB]
- Christoph Dreier: Pegida und der Rechtsruck der Politik
[«*] Sabine Schiffer (Dr.) hat zum Islambild in den Medien promoviert. 2005 gründete sie das unabhängige Institut für Medienverantwortung und leitet es seither. Medienanalysen und Medienbildung stellen den Schwerpunkt der Arbeit des Institutes zu Themenschwerpunkten dar.