Nach der ersten Runde der Athener Präsidentenwahl – Die Chancen und Möglichkeiten für die Syriza nach Neuwahlen

Ein Artikel von Niels Kadritzke

Wie in meinem Beitrag „Vor der Präsidentschaftswahl in Griechenland“ angenommen ist der Kandidat der griechischen Regierung für das Präsidentenamt, Stavros Dimas, im ernsten Wahlgang gescheitert. Nur 160 der anwesenden 295 Abgeordneten stimmten für den ehemaligen Finanzminister und EU-Kommissar. Notwendig wären 200 Ja-Stimmen gewesen. 135 Parlamentarier stimmten mit Nein, fünf mit Enthaltung. Niels Kadritzke liefert eine knappe Einschätzung der Präsidentschaftswahl aus Sicht der griechischen Medien und versucht Antworten auf Fragen zu geben, wie es in Griechenland weitergehen kann und welche Chancen für die linke Partei Syriza für eine Regierungsübernahme und eine alternative Politik bestehen.

Wie wird das Ergebnis des ersten Wahlgangs in den griechischen Medien eingeschätzt?

  1. Die 160 Stimmen, die der Kandidat Stavros Dimas im ersten Wahlgang errungen hat, blieben deutlich unter den Erwartungen des Regierungslagers. Damit fehlen Dimas noch 20 Stimmen für die 3/5 Mehrheit von 180 Stimmen, die er im dritten Wahlgang (am 29. Dezember) erreichen müsste.
  2. Die fünf Enthaltungen sind ein schwacher Trost, denn selbst wenn diese Abgeordneten im zweiten Wahlgang (am 23. Dezember) für Dimas stimmen, ist die Regierung Samaras von der erforderlichen Mehrheit noch weit entfernt.
  3. Von Stimmen in der Regierung wird zugegeben, dass dieses Resultat “unter den Erwartungen” liegt. Dennoch hält man das Erreichen der 180 Stimmen nicht für “ausgeschlossen”. Neutrale Beobachter schätzen diese Chance allerdings als äußerst gering ein. Sie halten es allerdings für möglich, dass zwischen dem zweiten und dritten Wahlgang ernsthaft über ein Alternativ-Szenario diskutiert wird, das schon seit Tagen von einer “Gruppe der 8” vorgeschlagen wird. Diese Abgeordneten (fünf Unabhängige und drei der linkssozialdemokratischen Dimar) schlagen vor, dass sich alle Partei auf einen Präsidenten einigen. Der Syriza soll dieses Projekt der “großen Koalition für einen Präsidenten” durch die Festlegung auf vorgezogenen Neuwahlen schmackhaft gemacht werden. Diese würden allerdings erst im Herbst 2015 stattfinden, also etwa 9 Monate vor den regulären Neuwahlen im Sommer 2016. Die Syriza hat diesen Vorschlag aber bereits abgelehnt.

In dieser spannungsgeladenen Situation nimmt das Propagandagetöse zu

In meinem Bericht vor der Präsidentschaftswahl habe ich am Schluss jenes Panik-Orchester geschildert, das gegen die „Gefahr“ einer Athener Linksregierung an dröhnt. Diesem Orchester hat sich noch eine schmetternde Solo-Posaune zugesellt. Yiannis Stournaras, Präsident der griechischen Zentralbank und bis Mai 2014 Finanzminister in der Regierung Samaras, warnte ex cathedra seines Amtes vor einer „irreparablen Schädigung der griechischen Wirtschaft“, die aufgrund der entstandenen „politischen Instabilität“ drohe. Das zeige sich bereits jetzt in der „rasch abnehmenden Liquidität“ im griechischen Finanzsystem – eine dezente Umschreibung für Kapitalflucht.

Ähnliche Töne schlug die Regierungssprecherin an, die am Montag in den meist gesehenen Abendnachrichten (MEGA TV) verkündete, die internationalen Rating-Agenturen hätten eine „Vorwarnung“ abgegeben, wonach sie die Abhaltung griechischer Parlamentswahlen als „Kreditereignis“, das heißt als Insolvenzfall bewerten würden.

Das Propagandagetöse hat eine Schärfe und Lautstärke erreicht, die inzwischen auch regierungsnahe Zeitungen beunruhigen. So ermahnte ein Leitartikel der Kathimerini (vom 16. Dezember) „einige Mitglieder der Regierung“ zu mehr Ernsthaftigkeit: „Jetzt ist die Stunde gekommen, mit Argumenten und belegbaren Fakten an die Vernunft zu appellieren, statt mit unartikuliertem Gebrüll zu der allgemeinen Hysterie beizutragen.“ Und die traditionell der Pasok nahestehende Zeitung „To Vima“ attackierte die Regierungssprecherin direkt: Ihre Spekulationen über vorzeitige Neuwahlen als „Insolvenz“-Fall seien pures „Katastrophengerede“.

Beide bürgerlichen Zeitungen kritisieren aber erwartungsgemäß auch die linke Opposition, die das „populistische“ Spiel mitmache, das im Ausland die Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Landes verstärke. Der zitierte Leitartikel der Kathimerini wirft der Syriza vor, sie lasse ihre Wähler in dem Glauben, dass sie nichts zu verlieren hätten, wenn die „harten“ Verhandlungen mit der Troika, die sie für den Fall der Regierungsübernahme angekündigt hat, am Ende scheitern sollten. Ganz ähnlich wird Tsipras und seinen Beratern in der Vima vorgehalten, sie würden die Gefahren verharmlosen und einige „selbstverständliche Gegebenheiten“ übersehen oder unterschätzen, die ihre Anhänger verstören könnten. Und dann heißt es wörtlich: „Ob es uns gefällt oder nicht, die Märkte sind eine Realität, die wir nicht einfach abschreiben können.“

Alexis Tsipras unkontrolliertes Schwadronieren schadet ihm

Der letzte Satz bezieht sich auf einen Spruch, den der Syriza-Vorsitzende tags zuvor in Iraklion vor der Regionalkonferenz der Syriza von Kreta losgelassen hat: „Da glauben einige, die Märkte schlagen die Trommel und wir müssen nach ihrem Willen tanzen. Aber in Zukunft werden wir die Trommel schlagen – und die (Märkte) werden danach tanzen.“

Dieser Satz verrät zum einen jenen jugendlich Größenwahn, dem Alexis Tsipras in seiner Rhetorik immer wieder verfällt und den er offenbar nicht immer unter Kontrolle hat. Zum anderen ist es schlicht ein kokettierender und realitätsblinder Spruch. Die ökonomischen Experten der Syriza, die sich rastlos bemühen, im Kontakt mit wichtigen Protagonisten „der Märkte“ die feindlichen Gefühle und Vorurteile gegenüber ihrer Partei aufzulösen, muss solch unkontrolliertes Schwadronieren ihres Vorsitzenden an den Rand der Verzweiflung bringen. Zurecht kritisiert Yiannis Boutaris, Bürgermeister von Thessaloniki – ein überzeugter Europäer und unabhängiger, klarer Kopf – den Syriza-Vorsitzenden mit den Worten: „Das ist keine Art und Weise, die Politik eines Landes zu gestalten… So wird uns niemand ernst nehmen. Ausländer, die das hören werden, werden sich fragen: Wovon redet dieser Junge?“

Die Frage stellen sich freilich nicht nur Ausländer, sondern auch eine große Mehrheit der Griechen. Sprüche wie diese sind nämlich der Grund dafür, dass Tsipras in den Umfragen bei seinen Landsleuten trotz der unglaubwürdigen „success stories“ von Samaras, bei der Frage nach dem „geeigneteren Regierungschef“ stets deutlich zurück liegt (bei der letzten Umfrage vom 12./13. Dezember setzten 35 % auf Samaras und 28 % auf Tsipras – aber 35 % antworteten: „keiner von beiden“). Angesichts dessen drängt sich eine weitere Frage auf:

Inwieweit trägt die Syriza selbst zu der Panikmache bei, mit der die Regierung Samaras die Abgeordneten und die griechische Öffentlichkeit beeinflussen will? Und was müsste die Opposition tun, um das Katastrophen-Szenario des Regierungslagers zu durchkreuzen?

Die Linkspartei befindet sich vor dieser Präsidentenwahl in einer widersprüchlichen Lage. Da sie diesen Wahlakt nur als Vehikel zur Herbeiführung von Parlamentswahlen betrachtet, führt sie die Präsidenten-Debatte bereits wie in einen Wahlkampf um die Regierungsmacht. Das verleitet sie dazu, auf die Polarisierungsstrategie einzusteigen, die Samaras und seine Berater vorgegeben haben und die darauf angelegt ist, panische Reaktionen „auf den Märkten“ auszulösen oder zu verstärken. Obwohl die Syriza-Führung diese „Falle“ erkannt hat und explizit kritisiert, lässt sie (noch) keine konsistente Strategie erkennen, die das Kalkül der Regierung durchkreuzen könnte.

Die Tsipras-Sprüche von Iraklion sind populistische, wortradikale Muskelspiele vor der eigenen Parteigefolgschaft, wie sie für den Wahlkampf aller griechischen Parteien typisch sind. In dieser Hinsicht ist die Syriza immer noch Teil des „kranken politischen Systems“, das der von mir zitierte Kostas Kallitsis als Wurzelgrund der griechischen Krise bezeichnet. Allerdings ist ein solcher realitätsverweigernder Populismus wahltaktisch alles andere als hilfreich. Denn die Linkspartei müsste im Hinblick auf die Präsidentenwahl – und in Erwartung baldiger Parlamentswahlen – vor allem breite Wählerschichten in der linken Mitte der Gesellschaft ansprechen. Diese Gesellschaft ist jedoch insgesamt viel zu realistisch und beurteilt die „Macht der Märkte“ viel zu nüchtern, als dass sie die Illusion teilen würde, ausgerechnet das überschuldete Griechenland könne „die Märkte“ zwingen, nach seiner Melodie zu tanzen.

Der mit dem „Markt“ tanzt

Diese „Aufforderung zum Tanz“ wird nicht nur schwankende Wähler abschrecken, sondern bestätigt auch – was schlimmer ist – die Vorurteile vieler Syriza-Gegner, wie sie in den eingangs zitierten Pressekommentaren zum Ausdruck kommen: Ein griechischer Regierungschef Tsipras werde die EU-Partner mit einseitigen Entscheidungen provozieren, anschließend in harten Verhandlungen unrealistische Ultimaten stellen, und letzten Endes ein Scheitern in Kauf nehmen, selbst wenn dies das Ausscheiden aus der Eurozone bedeuten würde. Denn letzten Endes und im tiefsten Herzen seien die Syriza-Leute immer noch Euro-Skeptiker, für die Griechenlands Zugehörigkeit zur Eurozone und zur EU allenfalls das „kleinere Übel“ ist.

Dies ist genau das Bild, das Samaras, Venizelos und die innenpolitischen Gegner von der Syriza zeichnen und das in vielen ausländischen Medien kritik- und distanzlos übernommen wird. Dass sich diese Darstellung als international „herrschende Meinung“ über Tsipras und die Syriza durchgesetzt hat, ist ebenso paradox wie tragisch. Denn am Abbau genau dieses Bildes haben die Partei und ihre Führung und zumal ihre ökonomischen Experten seit zwei Jahren gearbeitet. Dieser Prozess war mühsam und für viele Parteimitglieder schwierig zu vollziehen, und er ist noch keineswegs abgeschlossen. Aber es ist ein ehrlicher und offener Prozess, der für eine Partei, die noch vor fünf Jahren eine linksradikale Gruppierung mit einem Wähleranhang von 4,5 Prozent darstellte, erstaunlich zügig und bruchlos verlaufen ist, also ohne dass die „Koalition der Radikalen Linken“ (so der volle Name der Syriza) auseinandergebrochen wäre. In diesem Prozess hat sich auch das Konzept für die Verhandlungen mit den Gläubigern Griechenlands, also den EU-Partnern und der Troika deutlich gewandelt.

Welches Konzept hat die Syriza heute für den Umgang mit den EU-Partnern und der Troika?

Die wichtigsten Punkte, in denen sich das „Krisenprogramm“ der Syriza von den vor zwei Jahren gemachten Proklamationen unterscheidet, sind folgende.

  1. Das Bekenntnis zur EU-Mitgliedschaft ist ebenso klar und eindeutig wie die Überzeugung, dass ein Ausscheiden aus der Eurozone für Griechenland verhängnisvoll wäre. Dieses Bekenntnis hat Alexis Tsipras symbolisch unterstrichen, indem er sich von der europäischen Linken als (natürlich aussichtsloser) Kandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten aufstellen ließ. Die Zugehörigkeit zur EU und zur Eurozone wird auch vom linken Syriza-Flügel (der „linken Plattform“) nicht mehr (offen) in Frage gestellt.
  2. Gegenüber der Troika der Gläubiger fordert man „Neuverhandlungen“ über die Bedingungen der weiteren Kreditfinanzierung, in denen man eine grundlegende Veränderung des Sparprogramms und substantielle Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft fordern will. Die Syriza stellt zwar „harte“ Verhandlungen in Aussicht, spricht aber schon lange nicht mehr von einer „Aufkündigung“ oder dem „Zerreißen“ der bestehenden Vereinbarung mit EU, EZB und IWF.
  3. Das Wort „Zahlungsstopp“ existiert nicht mehr. Die frühere Ankündigung, eine Syriza-Regierung würde am ersten Tag alle Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern einstellen, wurde explizit zurück genommen. Wie Stathakis und andere Syriza-Ökonomen erklärt haben, wird eine Syyriza-Regierung die griechischen Staatsanleihen regulär bedienen, also Zinsen zahlen und die Rückzahlungsverpflichtungen einhalten.
  4. Die heutige Syriza fordert keinen weiteren „haircut“ für griechische Bonds in Besitz des privaten Sektors (PSI). Sie will allerdings einen drastischen Schuldenschnitt für die Bonds erreichen, die im „öffentlichen Sektor“, also v.a. bei der EZB und nationalen Notenbanken liegen (OSI oder: offical sector involvement). Auch diese Forderung wird nur noch als angestrebtes Endziel formuliert. Stathakis spricht von einer „Ideallösung“ und räumt damit ein, dass sie derzeit unrealistisch ist. Deshalb schlägt er als „ersten Schritt“ eine Verlängerung der Abzahlungsfristen vor. Damit nähert sich die Syriza der „Kompromisslösung“ eines „weichen Schuldenschnitts“, der realpolitisch eher durchsetzbar ist.
  5. Was die Privatisierungen betrifft, so verspricht die Syriza nicht mehr, dass sie die vollzogenen Privatisierungen sofort rückgängig machen würde. Heute sagen die Wirtschaftssprecher nur noch, dass es keine weiteren Privatisierungen geben wird. Diese Aussage lässt erkennen, dass man sich näher mit der juristischen Problematik befasst hat. Aus demselben Grund hat man auch die Aussage relativiert, dass eine Syriza-Regierung auf der Stelle alle Beschlüsse über soziale Einschnitte und Rentenkürzungen aufheben wird. Man nimmt inzwischen zur Kenntnis, dass Gesetze nicht einfach aufgehoben, sondern nur durch Novellierungen ersetzt werden können, weil es ein rechtliches Vakuum eben nicht gibt. Und Gesetzesnovellierungen brauchen Zeit und sind auch auf ihre Finanzierbarkeit zu überprüfen.
  6. Auch zu Investitionen ausländischer Anleger hat sich die Haltung der Syriza deutlich geändert. Tsipras erklärte schon vor Monaten, man wolle Investoren anziehen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Das sei ein weiterer Grund, warum Griechenland in der Eurozone bleiben müsse. Auch der Syriza-Ökonom Milios stellte klar, dass man sowohl öffentliche als auch private Investitionen begrüße, so lange die Ausschreibungen transparent seien und die Rechtsvorschriften respektiert würden. Zur Förderung von Investitionen sieht die Syriza eine staatliche Förderbank nach dem Vorbild der deutschen KfW vor.
  7. Von einer „Nationalisierung“ der Banken ist keine Rede mehr. Stattdessen wird betont, dass die Vertreter des Staates, die aufgrund der staatlichen Beteiligungen in den Gremien der „systemischen“ Banken sitzen, ihren Einfluss nutzen müssen, um die Banken mehr auf die „Realwirtschaft“ zu orientieren.

Von gewissenhaften Beobachtern, auch in der internationalen Wirtschaftspresse, wird der an die Realitäten orientierte programmatische Wandel innerhalb der Oppositionspartei durchaus zur Kenntnis genommen. Die Athener Korrespondentin der Financial Times (10. Dezember) konstatiert eine „Mäßigung“ der Memorandum-Rhetorik und berichtet, Tsipras sei bemüht, die Investoren zu überzeugen, dass ihr Geld auch unter eine Syriza-Regierung „sicher“ sei. Und das Wall Street Journal (12. Dezember) zitiert Stimmen, die nüchtern analysieren; „Die Syriza bemüht sich, mehr in die Mitte zu rücken.“ Die Begründung: Tsipras müsse sich beeilen, die Erwartungen zu senken, bevor er die Verantwortung zu übernehmen habe. Gegenüber derselben Zeitung hat Nikos Pappas, der engste Mitarbeiter und Berater von Tsipras, den beginnenden Wandel der Wahrnehmung von Syriza so erklärt: „Unsere Gläubiger haben sich eben an die Idee gewöhnt, dass wir an die Macht kommen.“ Das führt uns zu der nächsten Frage.

Wie erklärt sich die Entwicklung der Syriza zu einer potentiellen Regierungspartei?

Der „Lernprozess“, den die Syriza seit ihren Wahlerfolgen vom Sommer 2012 durchlaufen hat, verdankt sich vor allem dem großen Lehrmeister namens Realität. In dem Maße, in dem sich die Möglichkeit abzeichnete, dass die Linkspartei die nächste griechische Regierung stellen könnte, mussten sich ihre Mitglieder und ihre Führung mit den wirklichen Verhältnissen – und künftigen machbaren Möglichkeiten – des Landes auseinandersetzen. In meinem Beitrag vom 30. Oktober, der diese Entwicklung skizzierte, habe ich den erklärten Tsipras-Fan Slavoj Zizek mit dem Befund zitiert, dass die Realität der Syriza „eine Politik der Mäßigung“ aufzwinge.

Dieser Prozess der Mäßigung durch Realitätsannäherung vollzieht sich über Einsichten und Lernprozesse auf drei Ebenen:

  • Einsichten über Vorstellungen und Erwartungen der griechischen Wähler;
  • Lernen über Kontakte und Erfahrungen auf internationaler Ebene;
  • Reagieren auf Veränderungen der griechischen und internationalen Umwelt.

Die Folgen erfolgreicher Wahlen

Jeder Wahlerfolg, der einer Partei neue Schichten von Anhängern beschert, zwingt automatisch zu einem anderen Blick auf die Realität. Das gilt um so mehr, wenn man erklärtermaßen eine gesellschaftliche Mehrheit überzeugen und repräsentieren will. Eine überwältigende Mehrheit der griechischen Gesellschaft will nach wie vor zur EU gehören und mehr als zwei Drittel wollen auf keinen Fall aus der Eurozone ausscheiden. Diese großen Mehrheiten nageln die Partei auf ihre „europäische Bestimmung“ fest. Die führenden Köpfe der Syriza sind heute aber nicht nur taktische oder vorübergehende, sondern überzeugte Europäer. Einen euro- und europaskeptischen Flügel gibt es zwar noch (er wird auf 25 bis 30 Prozent geschätzt), hat aber aufgehört, eine euroskeptische Stimmung offensiv zu artikulieren.

Kontakte und Erfahrungen auf „den Märkten“

Nicht nur der Parteivorsitzende Tsipras, sondern vor allem auch die „Chefökonomen“ der Syriza haben in den letzten beiden Jahren ihre Beziehungen auf internationaler Ebene und insbesondere zu wichtigen Entscheidungsträgern weit über die traditionellen linken Partner hinaus intensiviert und ausgebaut. Das gilt nicht nur für den Bereich der Politik; vielmehr wurden auch systematische Kontakte zu „den Märkten“ etabliert. Seit Tsipras im Januar 2013 einen Termin mit der IWF-Spitze in Washington gesucht hat, folgten zahlreiche weitere Treffen und Diskussionen mit Politikern und Fachleuten im Ausland. Diese Kontakte wurden geknüpft und betreut von renommierten akademischen Ökonomen wie James Galbraith (Universität Austin/Texas) und dem Australo-Griechen Yanis Varoufakis (Austin und Universität Athen), der besonders gute Beziehungen mit IWF-Experten unterhält. Varoufakis ist für Tsipras ein so wichtiger Ratgeber, dass er in Parteikreisen als erster Kandidat für den Posten des Finanzministers in einer Syriza-Regierung gilt.

Der Syriza-Chef trifft sich seit einem Jahr regelmäßig mit EU-Kommissaren, EZB-Direktoren, den Spitzen internationaler Bankenverbände, Finanzministern wichtiger EU-Länder, und er tritt auf Wirtschaftsforen wie der Konferenz des britischen Wirtschaftsmagazins „Economist“ auf. Die Wirtschaftssprecher der Parlamentsfraktion der Syriza sind vor allem in Europa ausgezeichnet vernetzt und zeigen keinerlei Berührungsangst gegenüber Repräsentanten „des Kapitals“ bzw. potentieller Investoren. Die wichtigste Rolle spielen dabei die Ökonomen Yiannis Dragasakis und Giorgos Stathakis, die eng mit dem ehemaligen EZB-Vize Jörg Asmussen (heute Staatssekretär im Berliner Arbeitsministerium) kommunizieren. Stathakis war im Oktober auf der Jahreskonferenz von IWF und Weltbank in Washington präsent, um wichtige Gesprächspartner zu treffen. Die Syriza-Ökonomen disktutieren auch regelmäßig mit Vertretern wichtiger Finanzinstitute, inklusive internationaler Hedgefonds, die sich für Anlagemöglichkeiten in Griechenland interessieren.

In der Kathimerini vom 21. September wurde ein Syriza-Funktionär mit der Auskunft zitiert, diese Treffen seien fast schon „systematischer“ Art: „Jedes Mal, wenn deren Leute zu Kontakten mit Regierungsvertretern nach Athen kommen, wollen sie sich auch Termine mit uns haben.“ Dabei verabrede man sich sowohl mit einzelnen Fonds, als auch zu Konferenzen mit mehreren Finanzruppen; zu den Teilnehmern zählten auch die „großen Namen“ wie Fairfax Financial Holdings, York Capital und Third Point. Bei solchen Treffen wollen die „Kapitalvertreter“ aber nicht nur die Absichten der künftigen Regierung zu sondieren. Sie versuchen natürlich auch, den Syriza-Vertretern „die Grenzen des Machbaren aus der Perspektive der Märkte zu erklären“ (wie es in dem Kathimerini-Bericht formuliert wird).

Dazu noch eine kleine Anmerkung: Mehrere der oben aufgezählten Punkte über die realpolitischen Korrekturen am „Krisenprogramm“ der Syriza beziehen sich auf Erläuterungen, die zwei Partei-Ökonomen, nämlich Stathakis und Milios, Ende September vor einer Versammlung von Finanz- und Hedgefonds-Managern in London gegeben haben. Die Informationen aus dieser „geschlossenen Veranstaltung“ stammen aus einem Bericht, die von der Bank of America/Merrill Lynch nur für ihre Großkunden erstellt wurde. Bei dieser Quelle ist ein doppeltem Vorbehalt zu machen: Erstens werden die Redner nicht im Wortlaut zitiert und zweitens bin ich auf die griechische Übersetzung dieses Berichts in der Wirtschaftszeitung Imerisia vom 27. September angewiesen. Ungenauigkeiten oder Verzerrungen sind also nicht ausgeschlossen. Am Tenor des Berichte gibt es jedoch kaum Zweifel, denn weder Stathakis noch Milios haben den Inhalt des Protokolls dementiert.

Veränderte Realitäten

Eine potentielle Regierungspartei muss die Veränderungen der realen Verhältnisse anders analysieren als eine Partei, die als Systemopposition gar nicht vorhat, sich auf diese Realität einzulassen (klassisches Beispiel für eine solche Partei ist die KKE, die orthodoxen griechischen Kommunisten). Die Syriza-Führung hat längst begriffen, dass die Situation Ende 2014 für Griechenland nicht mehr dieselbe ist wie noch vor zwei Jahren. Damals konnte Tsipras mit der glatten Aufkündigung des „Moratoriums“ und der Einstellung aller griechischen Zahlungsverpflichtungen drohen, weil erstens klar war, dass die Syriza nicht in die Lage kommen würde, diese Drohung wahr zu machen. Aber es gab auch einen zweiten Grund: Die Drohung enthielt eine echte Drohsubstanz. In der EU war damals tatsächlich die Befürchtung verbreitet, ein „Grexit“ könnte den berühmten Dominoeffekt auslösen, von dem niemand wissen konnte – und die meisten nicht herausfinden wollten – , wo er enden würde.

Noch wichtiger ist, dass die Syriza-Ökonomen heute – aus der Perspektive einer potentiellen Regierung – die Realität in einem entscheidenden Punkt anders sehen. Es gilt nicht mehr, wie noch vor zwei Jahren behauptet, dass Griechenland bei einem Bruch mit der Troika – also einem nicht ausgehandelten Ausstieg aus dem Sparprogramm – nichts zu verlieren hätte. Das beinhaltet die Anerkennung, dass das Land von dem bail-out-Programm und den ESM-Krediten sehr wohl profitiert – bei aller Kritik an der brutalen Fassung und den kontraproduktiven Wirkungen des Sparprogramms. Diese Einsicht bezeugten die Syriza-Ökonomen fast unbemerkt im Frühjahr 2014, als sie die Entscheidung der Regierung Samaras kritisierten, die sich mittels einer 5-Jahres-Staatsanleihe wieder 3 Mrd. Euro auf dem „freien Markt“ beschafft hatte. Die Kritik der Opposition basierte auf dem ebenso korrekten wie realistischen Argument, die 5-prozentige Zinsbelastung sei viel teurer als der Rückgriff auf die ESM-Gelder; deshalb gehe die Rückkehr auf die Märkte zu Lasten sozialer Ausgaben und produktiver Investitionen. Damit hat die Syriza erstmals – implizit – anerkannt, dass das bail-out-Programm nicht nur des Teufels ist.

Wie wird der „Realismus“ der Syriza von „den Märkten“ wahrgenommen?

Die beschriebenen Entwicklungen garantieren natürlich nicht, dass die Syriza ihre traditionellen Gegner auf politischer wie ökonomischer Ebene von ihrem neuen „Realismus“ überzeugen könnte. Und die oben zitierte Ankündigung von Tsipras, eine Syriza-Regierung werde den Märkten das Tanzen beibringen, ist Wasser auf die Mühlen seiner Widersacher. Aber auch die Skeptiker verweisen nach wie vor auf einen unübersehbaren Schwachpunkt in dem realpolitisch angepassten Programm, nämlich die Frage nach der finanziellen Deckung von Maßnahmen, die man den Wählern in Aussicht stellt. Wie zum Beispiel die Anhebung der Mindestrenten und die Stützung der ärmsten Schichten durch eine minimale Sozialhilfe (die es in Griechenland immer noch nicht gibt).

Die Syriza-Experten beantworten die Finanzierungsfrage stets mit zwei Hinweisen. Erstens wolle man ja einen Schuldenschnitt gegenüber den „öffentlichen“ Bond-Haltern erreichen (OSI), der neue Spielräume für soziale und produktive Staatsausgaben schaffe. Und zweitens gehöre es zu den obersten Prioritäten einer neuen Regierung, die Steuerhinterziehung und Steuerflucht zu bekämpfen und damit die Einnahmen des Staates zu verbessern. Die zweite Maßnahme kann aber die Finanzlage nur mittel- bis langfristig verbessern, die erste Bedingung klingt insgesamt unrealistisch. Das gilt zumindest auf absehbare Zeit. Und um das Klima zugunsten einer substantiellen Umschuldung (vom Typ OSI oder in Form einer „weichen“ Schuldenschnitts) zu verändern, muss man erstens mit den europäischen Partner und den anderen Gläubiger glaubwürdig und kompromissbereit verhandeln, und zweitens eine Gegenleistung bieten, nämlich ernsthafte Reformen, zu denen das „alte System“ nicht bereit und in der Lage war (siehe die Überlegungen am Ende meines Berichts vom 30. Oktober).

Selbst im günstigsten Fall, der großes Entgegenkommen und ganz neue Einsichten auf Seiten der EU-Partner voraussetzen würde, wollte eine Syriza-Regierung eine seriöse Vereinbarung mit den Gläubigern erzielen, ein überaus knappes Gut brauchen: Zeit!

Könnte die Troika mit ihrer Entscheidung einen anderen Zweck verfolgen?

Vor diesem Hintergrund kann man die Entscheidung über den zweimonatigen Aufschub des Troika-Abschlussberichts in einem ganz neuen Licht sehen. Gewiss ist es den EU-Granden nicht egal, wer in Athen an der Macht ist. Aber vielleicht haben die europäischen Partner Griechenlands inzwischen kapiert, dass die Regierung Samaras keine Zukunft hat und Neuwahlen unvermeidlich sind. Wäre dann nicht eine rasche Klärung der Lage besser ist als ein endloses Lavieren mit einer stets gefährdeten Regierung, die mit Rücksicht auf ihre Klientel vor entscheidenden Reformen zurück schreckt?

Dann aber stellt sich die Frage anders: Wollen die EU-Partner einen Regierungswechsel beschleunigen, um den zeitlichen Spielraum für die neue Regierung zu verknappen? Denn sollte es Ende Januar/Anfang Februar zu einem Machtwechsel kommen, hätte eine Tsipras-Regierung nur noch bis zum 28. Februar Zeit, um sich mit der Troika zu einigen und die notwendige Kreditabsicherung bis Mitte des Jahres zu gewährleisten.

Das wäre ein irrsinniger Druck, der die neue Regierung vor ein großes Dilemma stellen würde. Vorne der Abgrund und hinten die Schlucht, wie ein griechisches Sprichwort es plastisch beschreibt. Womöglich war genau dies das eigentliche Motiv der Troika: massiven Druck auf die Syriza zu erzeugen – und nicht etwa der Regierung Samaras zu einer letzten Chance verhelfen. Oder in den Worten eines Kathimerinie-Kommentators, „die Zeitbombe der Syriza in die Hände zu drücken“.

Zu dem angedeuteten Dilemma gibt es eine Illustration, die ich kommentarlos wiedergebe (schon weil sie aus dem Bank of America-Bericht stammt, der von Syriza-Seite weder bestätigt noch dementiert wurde). Demnach soll Stathakis vor seinem Investoren-Publikum in London gesagt haben: Es wäre gut, wenn die Samaras-Regierung sich noch mit der Troika über das „alte Programm“ einigen könnte, weil dann die Syriza-Regierung mehr Zeit habe, um über einen OSI-Schuldenschnitt und über Erleichterungen durch die EZB zu diskutieren. Im Übrigen sei eine größere Unterstützung Griechenlands von gegenseitigem Nutzen: Da das laufende Programm offensichtlich nicht funktioniert, müssten die Verhandlungen mit der neuen Regierung „zu einer realitätsgerechteren Lösung führen, von der letztlich alle profitieren.“ Auf die Frage, was geschehe, wenn die alte Regierung sich mit der Troika nicht einigen könne, soll Stathakis geantwortet haben: Dann werde die neue Regierung gezwungen sein, unter Druck zu verhandeln. Das aber werde dann nicht „ihr Fehler“ sein. Wie gesagt: kein Kommentar.

Stattdessen zum Schluss die zynische Schlussfolgerung in einer Analyse der Nachrichtenagentur Reuters: „Tsipras wird nicht in der Lage sein, die Eurozone zu erpressen, weil ein griechischer Bankrott keinen Dominoeffekt provozieren wird. Und weil Athen ohne eine Übereinkunft mit der Troika keinen Zugang mehr zum Anleihenmarkt haben wird.“

Wie vernünftig und realistisch ist der von Syriza geforderte Schuldenschnitt?

Erstaunlich viele Ökonomen halten die Idee eines haircut für die öffentlichen Institutionen gehaltenen griechischen Staatsanleihen nicht nur für gerechtfertigt, sondern für die einzige Strategie, die Griechenland einen echten Neuanfang ermöglichen würde.

Auch in den letzten Tagen haben prominente und wichtige Autoren diese Meinung bekräftigt. So schrieb der Financial Times-Chefkommentator Martin Wolf am 10. Dezember: „Der Schuldenschnitt muss jetzt auf den Tisch, beginnend mit Griechenland“. Das bedeute aber, dass „Deutschland endlich seinen Teil der Verantwortung für den makroökonomischen Anpassungsprozess im Gefolge der Krise übernehmen“ müsse. Und er schreibt zudem den deutschen Politikern ins Stammbuch: „Ein weiser Hegemon hat sich die Frage zu stellen: Wie bestimmt mein Verhalten die Stabilität und den Erfolg des Systems, von dem auch ich profitiere und für das ich großenteils verantwortlich bin.“

Ein Kommentar der Agentur Bloomberg vom 18. Dezember entwickelt diese Argumentation noch präziser: „Ein Schuldenschnitt wäre nicht nur für die ganze Eurozone gut, er würde auch den größten Teil der schmerzhaften Belastungen gerecht verteilen.” Die Gläubiger Griechenlands müssten ihre Strategie ändern. Die Formel „mehr Kredite im Tausch gegen noch mehr Sparen“ müsse abgelöst werden durch die Formel: „Abschreibung von Schulden und als Gegenleistung tiefgreifende ökonomische Reformen, die ohnehin nötig sind, um die griechische Wirtschaft überlebensfähig zu machen.“

Und schließlich sei darauf hingewiesen, dass der IWF nach wie vor innerhalb der Troika eine eigene Meinung zum Thema haircut vertritt. Er muss nämlich eine teilweise Abschreibung der griechischen Staatsschuld schon deshalb fordern, weil seine Statuten verlangen, dass er sich an Kreditprogramme nur dann beteiligen darf, wenn die Verschuldung des betreffenden Landes „beherrschbar“ ist. Das aber ist nach allen Analysen des IWF im Fall Griechenland eben nicht gegeben.

IWF und Syriza sind der gleichen Meinung

Wir haben in dieser Frage also die seltene Konstellation, dass die linke Syriza und der IWF in einer wichtigen Sache einer Meinung sind. Ich habe weder den Überblick noch die Kompetenz, um dieses eigenartige Bündnis zu analysieren. Ich kann hier nur auf eine Interpretation verweisen, die auf den ersten Blick einleuchtend klingt.

Diese möchte ich hier abschließend zur Diskussion stellen. Es handelt sich um eine Hintergrundanalyse der Differenzen innerhalb der Troika, die von dem griechischen blog sofocleus10.gr stammt, und wenige Tage vor der Troika-Entscheidung über den Aufschub von zwei Monaten verfasst wurde. Auf deutsch erschien der Text am 7. Dezember auf dem Griechenland-blog. Ich gebe hier nur die wichtigsten Passagen (in nicht überprüfter Übersetzung) wieder:

„Selbst für den Fall, dass die Europäer sich bereit erklären würden, die Vereinbarung (mit Athen) abzuschließen, warnt der IWF, dass er sie blockieren wird, wenn die griechische Regierung keine Maßnahmen zur Schließung der auf 0,75% des BIP veranschlagten volkswirtschaftlichen Lücke des Jahres 2016, aber auch für das Jahr 2017 präsentiert, für das der Fonds mit einem entsprechenden “Loch” rechnet und damit die “Rechnung” der zusätzlichen Maßnahmen auf 1,5% des BIP (2,8 Mrd. Euro) hochtreibt.“

Diese Haltung des Währungsfonds darf nicht mit Verschwörungstheorien erklärt werden, da er mit seinen Forderungen für das griechische Programm völlig konsequent ist: Der IWF will das Risiko vermeiden, dass Griechenland mit einem Wirtschaftsprogramm verbleibt, das unmöglich umzusetzen sein und mit mathematischer Sicherheit in die Notwendigkeit einer neuen Rettung in der Zukunft führen wird, die Erschütterungen in dem internationalen System verursachen und den Fonds als in seiner Mission ineffizient in Verruf bringen würde.

Im übrigen ist es kein Geheimnis, dass der IWF nicht mit dem Beschluss der Europäer einverstanden ist, nicht zu einer essentiellen Umschuldung zu schreiten, die gestatten würde, dass auch die irrealen Ziele des Programms bezüglich primärer Überschüsse in Höhe von 4,5% des BIP ab 2016 und nachfolgend gelockert werden. Außerdem charakterisierte der IWF in dem Text die Ziele bezüglich der Überschüsse als “ehrgeizig” (überoptimistisch) und unterstrich dabei, dass für die beiden Jahre 2015 – 2016 Maßnahmen für Einsparungen von 1,8% des BIP erforderlich sind.

Mit der Feststellung, dass die Europäer – allen voran Deutschland – sich jeder Ermunterung bezüglich einer ernsthaften Lösung für die griechische Verschuldung heftig widersetzen, verlagert der Währungsfonds seinen Druck auf die griechische Regierung: Indem er Maßnahmen verlangt, die von Griechenland unmöglich ergriffen werden können, zeigt er auf, dass das (aktuelle) Programm nicht “aufgeht”, und lenkt damit die Diskussion notwendig auf das Thema Verschuldung.

In einem Hintergrundbericht vom 2. Dezember über die Pariser Verhandlungen zwischen der Troika und der Athener Regierung hatte derselbe Blog berichtet, dass die „harte Linie“ des IWF gegenüber Griechenland von IWF-Chefin Lagarde abgesegnet sei, also nicht von der Person des IWF-Vertreters (des Inders Goyal) für Griechenland abhänge. Weiter heißt es:

„Zusätzlich urteilt der Fonds, Griechenland könne nicht ohne eine ernsthafte Umschuldung in die Epoche nach dem Memorandum voranschreiten, welche Umschuldung die Deutschen jedoch beharrlich verweigern. Indem der Fonds unerträglichen Druck auf die Ergreifung von Maßnahmen ausübt, welche die Regierung Samaras sehr schwer – wenn überhaupt – durchsetzen kann, will er beweisen, dass das Programm in seiner heutigen Form nicht tragbar und eine Umstrukturierung der Verschuldung nebst der Neubestimmung der absurden Ziele bezüglich der Überschüsse nötig ist.”

Wenn diese Interpretation stimmt, könnte man drei Punkte festhalten:

  1. Die Sparmaßnahmen, die die Troika fordert, um den von der Regierung Samaras angekündigten Primärüberschuss zu erzielen, sind gegenüber der Gesellschaft nicht durchzusetzen – weder von der aktuellen noch von einer Syriza-Regierung.
  2. Der IWF hält den angezielten Primärüberschuss von drei Prozent des BIP für eine falsche Zielsetzung, die eine wirtschaftliche Erholung eher behindert als fördert. Dieser Meinung ist auch die Syriza.
  3. Nur ein Schuldenschnitt eröffnet die Perspektive einer nachhaltigen Überwindung der griechischen Krise. Auch darin sind sich IWF und Syriza einig.

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