Das Elend mit der Meinungsvielfalt
Referat von Wolfgang Lieb beim Gesprächskreis „Denkzeit“ in Düsseldorf am 25. September 2014.
Viele der hier Anwesenden kommen aus dem inneren politischen Zirkel, sie kennen also einigermaßen die Hintergründe und sachlichen Zwänge für politische Entscheidungen und sie erleben es täglich bei der Lektüre der Presseschauen, wie groß die Lücke zwischen der Binnensicht und der Außensicht vermittelt durch die Medien ist oder wie sehr die Wirklichkeit von der veröffentlichten Meinung abweicht.
Die größte Bedeutung für die öffentliche Meinung hat im Ergebnis die veröffentlichte Meinung.
Es gab ja mal einen veritablen Bundeskanzler, der gesagt haben soll, dass er zum Regieren nur „BILD, BamS und Glotze“ brauche. Es hatte es dann aber am eigenen Leib verspürt, dass diese drei Medien auch ausreichten, um die Macht zu verlieren.
Kein Zweifel, Politik ist auf Meinungsmache angewiesen und von Meinungsmache abhängig.
Die spannende Frage ist also: Wie wird Meinung gemacht?
Ich will kein habermas`sches Referat halten über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, ich will hier auch nicht philosophisch über die Meinungsvielfalt als wesentliche Bedingung für das Funktionieren von Demokratie reden.
Ich will an Hand einiger weniger Beispiele zeigen, wie Meinungsmache bei uns entsteht und funktioniert.
Oder andersherum, ich will spiegelbildlich aufzeigen, wie und wo die Medien versagen, wo sie ihre Wächterrolle in der Demokratie nicht mehr erfüllen. Und wie statt Vielfalt als Garant vernünftiger politischer Entscheidungsprozesse, die Einfalt zur Durchsetzung einseitiger wirtschaftlicher Interessen zur herrschenden Meinung geworden ist.
Das jüngste Beispiel für Meinungsmache, genauer für die Einseitigkeit der Berichterstattung ist die Krise in der Ukraine. Für nahezu sämtliche Leitmedien war Putin die Inkarnation des Bösen, er ist an allem Schuld. „Stoppt Putin“ titelten die Bild-Zeitung wie der Spiegel, sogar noch mit dem gleichen Motiv, nämlich mit den Bildern der Opfer des Flugzeugabsturzes und kassierten damit sogar eine Rüge des Presserates.
Was wir da in den letzten Monaten erlebt haben, wurde am letzten Dienstagabend in der ZDF-Satire-Sendung „Die Anstalt“ trefflich karikiert. Es lohnt sich diese Sendung auch nachträglich in der Mediathek anzuschauen.
Ich brauche mich bei der Behauptung, hier sei einseitig Stimmung gemacht worden nicht auf eine eigene Analyse zu stützen, sondern kann einfach nur den in seiner Kritik gewiss zurückhaltenden „Programmbeirat der ARD“ zitieren:
„Der Programmbeirat kam aufgrund seiner Beobachtungen zu dem Schluss, dass die Berichterstattung im Ersten über die Krise in der Ukraine teilweise den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt hat und tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen gerichtet war…
Berichtet werden müssen hätte über die Faktoren, die ursächlich am Entstehen der Krise beteiligt waren, darunter die Politik von EU, USA und NATO und deren Interessen gegenüber der Ukraine und Russland. Stattdessen wurde die Verantwortung für die Krise fast ausschließlich der Regierung Janukowitsch und Russland, genauer: Putin persönlich, zugeschrieben. Differenzierte Berichterstattung war das nicht. Eine gewisse Einseitigkeit ließ sich manchmal auch in der Wortwahl erkennen, im mehr oder weniger unterschwelligen Transport von Meinung durch Moderatoren und Reporter und in der Auswahl von Berichtsgegenständen, die selbst in der Zusammenschau aller zehn Ukraine-»Brennpunkte« kein einigermaßen umfassendes Bild der Krise ergaben…“
Nebenbei, das ZDF, allen voran Klaus Kleber, war noch viel einseitiger als die ARD.
Total versagt hat der Journalismus im Hinblick auch bei einem anderen fundamentalen Ereignis der letzten Jahre, nämlich auf die Finanzkrise.
Auch das ist nicht meine Meinung, sondern das Ergebnis einer empirischen Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Der ehemalige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Wolfgang Storz und der Kommunikationswissenschaftlers Hans-Jürgen Arlt haben die Berichterstattung von fünf überregionalen Tageszeitungen, von ARD-Aktuell und der Basis-Nachrichtenagentur dpa über 10 Jahre bis zur Finanzkrise aufgearbeitet.
Fazit dieser Studie:
- Die untersuchten sog. „Qualitätsmedien“ hätten bis 2005 die Mindesterwartungen an journalistische Arbeit nicht erfüllt.
- Erst die globale Krise habe den Wirtschaftsjournalismus zur Beschäftigung mit der Finanzentwicklung gezwungen.
- Die wichtigste Nachrichtenagentur, also die Deutsche Pressagentur, habe sich in der Finanzpolitik nur als offizielles Sprachrohr verstanden.
- Der Wirtschafts- und Finanzmarktjournalismus habe die Distanz zu den Subjekten und Objekten seiner Berichterstattung verloren.
- Das journalistische Verhalten von ARD-Aktuell gegenüber der regierenden Politik könne nur als devot bezeichnet werden. Es gäbe dort viel Börse, aber so gut wie keine Volkswirtschaft.
Ohne Zweifel gibt es in den deutschen Medien, in Zeitungen, Zeitschriften und in den öffentlich-rechtlichen Medien des Öfteren sehr informative und aufschlussreiche Beiträge. Aber diese Beiträge bestimmen nicht das Gesamtbild der deutschen Medienlandschaft. Solche Einzelbeiträge können insbesondere nicht korrigieren, was wir seit Jahren beobachten müssen und was wir bei unserem eigenen Versuch zur Herstellung einer demokratischen Gegenöffentlichkeit, also in unserem Blog NachDenkSeiten vielfältig belegen:
- Die prägende Kraft von einigen wenigen Medien, an vorderster Front die Bild-Zeitung und nur etwas verdeckter die „Bild-Zeitung der sog. Intellektuellen“, nämlich der Spiegel, die in vielerlei Hinsicht Kampagnenjournalismus, ja sogar teilweise üble Agitation betreiben.
- Den Ausfall von früher einmal einigermaßen kritischen Medien wie etwa der Frankfurter Rundschau oder der Financial Times Deutschland – die einfach eingestellt wurde – aber auch der Verlust der Wächterrolle, die etwa der Stern zu Henri Nannens oder der Spiegel zu Rudolf Augsteins Zeiten einnahmen.
- Die Einbindung nahezu aller maßgeblichen Medien einschließlich der öffentlich-rechtlichen Sender in die neoliberal geprägte Meinungsmache. Die allermeisten Medien hielten z.B. die so genannten Reformen von Schröder durchgehend für richtig. Dass die Löhne möglichst niedrig sein sollen, ist in den Kreisen der führenden Medienschaffenden gängige Münze (solange es nicht um das eigene Einkommen geht).
- Feststellbar ist eine mehrheitliche Orientierung der Medien an den Interessen der Wirtschaft und der Arbeitgeber. Es gibt kaum mehr ein auflagenstarkes Organ, das für Interessen der Arbeitnehmerschaft und gar der Arbeitslosen eintritt.
- In den letzten Jahrzehnten haben sich die Verlage und die von ihnen eingesetzte Chefredakteure mit den wirtschaftlich und politisch Mächtigen geradezu verbündet. Ich nenne hier nur das „Kaffeekränzchen“ Liz Mohn, Friede Springer und Angela Merkel, das sog. „Triofeminat“. Ja, noch mehr, einzelne Verlagshäuser versuchen erkennbar oder verdeckt die Politik aktiv vor sich her zu treiben.
- Wie eng deutsche Spitzenjournallisten mit den Eliten unserer Gesellschaft verbunden sind und wie sehr sich diese Verbundenheit auch in Berichterstattung wiederspiegelt, hat der Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger in einer beeindruckenden empirischen Studie belegt.
- Gerade was die Außenpolitik anbetrifft und das heißt in diesem Fall was die Unterstützung der amerikanischen Außenpolitik und der NATO anbetrifft, kann man von „eingebetteten“ Journalisten sprechen.
Krüger nennt etwa den Mitherausgeber der ZEIT Josef Joffe, den Ressortleiter Außenpolitik von der Süddeutschen, Stefan Kornelius, Klaus-Dieter Frankenberger, verantwortlicher Redakteur Außenpolitik bei der FAZ oder den Chefkorrespondenten von Springers Welt Michael Stürmer, sie alle sind Mitglieder oder haben Funktionen bei Think-Tanks wie der Atlantik-Brücke, dem Aspen Institute, der Münchner Sicherheitskonferenz, der Trilateralen Kommission, der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und wie diese Plattformen zur Verbreitung sog. Westlicher Werte und transatlantischer Interessen auch alle heißen mögen.
- Der Einfluss der sog. „Transatlantiker“ reicht unmittelbar bis zum Bundespräsidenten. Die Rede von Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz in der dieser die militärische Option sozusagen zum Attribut der Normalität Deutschlands erklärte oder auch die Rede auf der Westerplatte zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges entstammt der Feder von Thomas Kleine-Brockhoff, dem früheren „Senior Director for Strategy“ des German Marshall Fund und ehemaligen ZEIT-Redakteur, der an dem Papier „Neue Macht. Neue Verantwortung“ mitgearbeitet haben, das auch Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen bei ihren analogen Reden inspiriert hat.
- Als weiteres Ergebnis seiner Untersuchung stellt Uwe Krüger fest:
Es gebe eine „kognitive Vereinnahmung“ von Journalisten durch die Eliten. Journalisten mit Eliten-kompatiblen Werten und Meinungen haben höhere Chancen, Zugang zu den höchsten Kreisen zu bekommen, und die Einbindung in das Elitenmilieu verstärkt dann über die Zeit hinweg die Konformität. Das heißt auch: Journalisten mit Eliten-kompatiblen Meinungen haben bessere Chancen, Karriere zu machen, denn sie können im eigenen Haus und in der Branche mit exklusiven Informationen und hochrangigen Interviewpartnern punkten. - Seit Jahren lässt sich eine Konzentration im Medienbereich vor allem in den Konzernen Springer, Bertelsmann, Holtzbrinck, Burda, Bauer und einiger anderer meist regionaler Medienunternehmen wie dem Haus DuMont, der WAZ-Gruppe oder die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) beobachten. In den meisten Regionen Deutschlands gibt es nur noch monopolartige Strukturen, oft auch im Verbund Printmedium und Hörfunk sowie Fernsehen. (Siehe z.B. in Köln: Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express, Radio Köln, Center TV, sie alle gehören der Mediengruppe DuMont oder sind von diesem Verlag beeinflusst) Hinzu kommt die informelle Zusammenarbeit der großen Medienunternehmen.
- Der Verlust an Vielfalt ist am wenigsten den Journalisten anzulasten. Zahllose Stellen sind weggespart worden. Im April waren knapp 5.000 Journalistinnen und Journalisten bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet. Die Zahl der Arbeitssuchenden wuchs auf 9.100.
- Immer ärmere und gestresstere Journalisten stehen unter dem Druck von immer besser ausgestatteten Kommunikationsabteilungen und Lobbyisten.
30.000 bis 50.000 PR-Mitarbeitern stehen hierzulande rund 48.000 hauptberufliche Journalisten gegenüber. Während die Zahl derjenigen, die vom Journalismus überhaupt noch leben können, zurückgeht, steigt die Zahl der PR-Beschäftigten.
In Brüssel gibt es etwa 15.000 Lobbyisten.
Fachleute schätzen die Zahl professioneller Lobbyisten allein in Berlin auf 5000, Tendenz steigend. In den 70er-Jahren waren es in Bonn gerade mal 600. - Bei sinkendem Einkommen seine Unabhängigkeit zu behalten, ist nicht leicht. Zumal in der PR-Wirtschaft wesentlich höhere Honorare gezahlt werden. Nicht wenige freie Journalisten stocken deswegen ihr Einkommen mit Aufträgen aus der PR auf.
- Leipziger Journalismus-Forscher haben 235 Journalisten in Tageszeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Online-Redaktionen beobachtet https://www.nachdenkseiten.de/?p=4353 und festgestellt, dass diese pro Tag im Schnitt noch 108 Minuten für sogenannte Überprüfungs- und Erweiterungsrecherchen aufwenden. Für die Kontrolle der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit von Quellen bleiben gerade elf Minuten. Raus in die weite, wahre Welt kommen sie gar nicht mehr. Der Anteil der Ortstermine und leibhaftigen Begegnungen an der knappen Recherchezeit beläuft sich auf sagenhafte 1,4 Prozent. Der deutsche Journalist, könnte man folgern, ist der Letzte, der mitkriegt, was in Deutschland los ist.
- Die Sorge um den Arbeitsplatzverlust zwingt zur Anpassung an die Tendenz der Verlage und die Vorgaben der Redaktionsleitungen.
- Je kleiner die Redaktionen desto weniger tiefschürfend ist die Berichterstattung. Es wird – auch aufgrund von Arbeitsverdichtung – nur noch nachgeschrieben, was die anderen schreiben. So greift der Papageienjournalismus immer mehr um sich.
- Die vom Fernsehen ausgehende Personalisierung von Politik und das dort gepflegte „Kurz und Klein“ der Berichterstattung setzt sich immer mehr durch. Das Aktuelle gewinnt immer mehr Überhand vor dem Wichtigen. Die Betrachtungsweisen werden damit immer oberflächlicher. Es gibt immer mehr Einheitsbrei und damit für die Leser/innen immer weniger Grund sich überhaupt eine Zeitung zu kaufen.
- In kaum einer Talkshow fehlt ein „Botschafter“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Sie werden höchst selten als wirtschaftsliberale Lobbyisten, sondern meist als neutrale „Experten“ eingeführt.
- Wenn man nur auf die Mainstream-Medien schaute, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es in Deutschland nur ein paar Dutzend Ökonomen mit Reputation gäbe. Es werden immer dieselben gefragt und zitiert.
Noch schlimmer: sie gehören alle der weitgehend gleichen ökonomischen Glaubenslehre an, die man unter dem Begriff „neoliberal“ zusammenfassen könnte. - Hinzu kommt das “Agenda-Setting“ durch die zahlreichen Think-Tanks, angefangen von der Bertelsmann Stiftung, über die Stiftung Marktwirtschaft oder dem Kronberger Kreis, aber auch durch eine Vielzahl interessen- oder ideologiegeleiteter sog. wissenschaftlicher Institute, vom Institut der Deutschen Wirtschaft, dessen Direktor, Michael Hüther auf allen Hochzeiten tanzt, über das Hamburgische Welt-Wirtschaftsarchiv, dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, dem ifo von (laut BILD) Deutschlands „klügstem Professor“, Hans-Werner Sinn, und wie die sog. Forschungsinstitute sonst noch alle heißen mögen. Wir sind umzingelt von solchen Think-Tanks, die reflexartig ihre Geschütze in Stellung bringen, wenn die Interessen ihrer Auftraggeber oder ihre neoliberalen Glaubenssätze in Frage gestellt werden.
- Vernetzung: Z.B. auf dem Feld der Bildung.
Da hat die Bertelsmann Stiftung und deren Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ein dichtes Netzwerk finanzstarker Unterstützer: Da ist der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der Aktionsrat Bildung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V., das Institut der deutschen Wirtschaft oder die McKinsey&Company um nur einige zu nennen. - Wirtschaftsjournalistinnen und –journalisten haben offenbar vergessen oder haben nie darüber nachgedacht, dass die Wirtschaftswissenschaft keine „harte“ Wissenschaft sondern eine Gesellschaftswissenschaft ist, mit zahllosen Schulen und kontroversen Lehrmeinungen.
Dass ökonomische Studien einem Erkenntnis leitenden Interesse, ja sogar einem unmittelbaren Interessensbezug auf einen Auftraggeber unterliegen können, scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Ideologiekritik oder Ideologieverdacht wird als Verschwörungstheorie beiseitegeschoben. - „Konform, uniform, chloroform“ so lautet die Überschrift eines Kapitels in Heribert Prantls Büchlein „Kein schöner Land“ in dem er die „Verbetriebswirtschaftlichung des Gemeinwesens“ nachzeichnet und beschreibt wie die neoklassische Ökonomie in Deutschland nicht nur zur vorherrschenden sondern zur allein herrschenden Lehre geworden ist. Und das schlägt sich natürlich auch bei den Journalisten nieder.
Ein paar Beispiele:
Da hat die Finanzkrise ein eklatantes Versagen der Märkte mit katastrophalen Folgen erwiesen, aber der Politik ging es bei der Krisenbewältigung nur um ein Ziel, nämlich das „Vertrauen der Märkte“ zurückzugewinnen. Dabei haben wir doch mit der Finanzkrise doch gerade erst ein eklatantes Versagen der Märkte erlebt.
Dennoch sind die anonymen, angeblich objektiven, effizienten oder alternativlosen „Märkte“ wieder zur höchsten Instanz erhoben worden: Was kein Parlament schafft, die „Märkte“ schaffen es: Sie treiben Regierungschefs aus ihren Ämtern, sie zwingen Parlamenten drastische Sparbeschlüsse auf, die nicht nur die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung verarmen, sondern – noch viel schlimmer – ganze Volkswirtschaften gegen die Wand fahren lässt. Angela Merkel spricht ganz offen von „marktkonformer Demokratie“ und meint damit nichts anderes, als dass die Politik das zu exekutieren hat, was die „Finanzmärkte“ angeblich verlangen.
Ein weiteres schlagendes Beispiel für eine gelungene Gehirnwäsche ist, wie es auf nahezu ganzer Linie gelungen ist, die Finanzkrise in eine „Staatsschuldenkrise“ umzudeuten. Das ist geradezu absurd.
Der Kapitalismus wäre doch vor die Wand gefahren – wenn ihn die Staaten nicht gerettet hätten.
Selbst Finanzminister Schäuble hat sozusagen regierungsoffiziell eingestanden, dass die derzeitige Schuldenkrise eine unmittelbare Folge der Finanzkrise ist.
Als wäre ein kompletter Gedächtnisverlust eingetreten, sind heute nicht mehr die Banker oder das Finanzkasino in der Kritik, sondern die Staaten und die Regierungen sind die Bösen, weil „wir“ angeblich über unsere Verhältnisse gelebt hätten. Nicht die Politik straft die Spekulanten ab, sondern die Finanzmärkte strafen Regierungen ab, weil sie „schlecht gewirtschaftet“ hätten.
Aus einer Bankenkrise wurde eine Staatsschuldenkrise. Weil die Staaten den Banken ihre Schulden abgenommen haben. Weil der konjunkturelle Einbruch Milliarden an Steuerausfällen nach sich zog. Und weil die Rezession mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen bekämpft werden musste.
Zum Schluss will ich noch beispielhaft ein paar konkrete Beispiele aus den letzten Monaten eingehen, wie Meinung gemacht wird:
- Stimmungsmache gegen Sozialmissbrauch durch Osteuropäer:
„Erstmals mehr als 300 000 Hartz-Empfänger aus EU-Ost- und -Schuldenländern“.
Schlagzeile der Bild-Zeitung am 12. August, aber auch andere Zeitungen plapperten nach bis hin zur FAZ.
Dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus diesen Ländern fast in gleicher Höhe auf einen Rekordwert angestiegen ist, und dass Rumänen und Bulgaren gerade einmal 0,96 % der Leistungsberechtigten im SGB II ausmacht, wird unterschlagen. - Kampagne gegen die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren:
Umfrage Bankenverband Schlagzeile in BamS 29.06.14„41 Prozent wollen länger als 65 arbeiten
Umfrage ergibt klare Mehrheit für flexibles Renteneintrittsalter“Es hätte umgekehrt heißen müssen: 59% wollen nicht bis 65 arbeiten und schon gar nicht länger als 65.
Von der Mehrheit die für ein flexibles Renteneintrittsalter ist die Hälfte für einen flexiblen Renteneintritt bis 64 und nur 32 Prozent sind für einen späteren Renteneintritt.
- Weiteres Kampagnebeispiel gegen die Rentenbeschlüsse:
Durch die rentenpolitischen Maßnahmen des Koalitionsvertrags sollen nach Berechnungen der Prognos AG im Auftrag der INSM bis 2030 die Arbeitskosten um 777 Milliarden Euro ansteigen.
Deutschland stürze bei der Wettbewerbsfähigkeit bei heutigen Rahmenbedingungen von Rang 9 auf Rang 23 nach der Umsetzung des Koalitionsvertrages ab.Man setzt dabei auf den billigen Trick der Manipulation mit hohen Zahlen, indem man Beträge über mehr als 15 Jahre bis zum Jahr 2030 addiert und damit rechnet, dass ein zahlenunkundiges Publikum allein schon angesichts der Höhe des Betrages, den Rentenreformen und Mindestlohn angeblich kosten sollen, geschockt ist.
Die zweite Irreführung ist, man rechnet bei allen Kosten mit Nominalwerten, das heißt, man vernachlässigt die Inflationsraten über diesen langen Zeithorizont. Dadurch fallen die Zahlen höher aus.
Der größte Bluff besteht jedoch darin, dass man die Zahlen sozusagen nackt in den Raum stellt, ohne sie etwa mit dem Wachstum der Volkswirtschaft oder mit dem Anteil der Kosten der sozialen Sicherung am gestiegenen BIP zu vergleichen.Beispiel: Angebliche Explosion der Gesundheitsausgaben
– Reuters meldet (7.4.14): „Gesundheitsausgaben übersteigen erstmals 300 Milliarden Euro. Die öffentlichen und privaten Ausgaben für den Gesundheitssektor haben einen neuen Rekord erreicht.“Tatsächlich sind die Gesundheitsausgaben im Jahresvergleich um 2,3% gestiegen im Vergleichszeitraum (2012) lag die Inflationsrate bei 2,0%, real sind die Gesundheitsausgaben also um 0,3% Prozentpunkte gestiegen. Ist das eine Meldung über einen neuen Rekord wert?
Die Nominallöhne stiegen um 2,6%. D.h. der Anstieg der Gesundheitsausgaben hat auch nicht zu weiterer Verarmung geführt.Seit 20 Jahren ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP von 10,1 auf 11,3 %, also um 1,2 Prozentpunkte angestiegen. Kostenexplosion sieht anders aus.
- Beispiel Verharmlosung prekärer Beschäftigung
Mit der jubilierenden Schlagzeile „Atypische Beschäftigung drängt normale Arbeitsverhältnisse nicht zurück“ stellte die Bertelsmann Stiftung im Januar eine Studie des von der Deutschen Post AG gesponserten Institut für die Zukunft der Arbeit IZA vor.
Unsere „Qualitätsmedien“ griffen diese Botschaft begeistert auf:
„Ein echtes Wunder“ titelt „Die Welt“. „Mehr Arbeit“ frohlockt die Süddeutsche Zeitung. „Flexible Arbeitsverhältnisse führen zu Beschäftigungsrekord“ jubelt wallstreet:online. „Mehr ‘normale’ Stellen trotz Minijobs und Leiharbeit“ wählte die FAZ als Überschrift und ließ die Gelegenheit nicht aus, geleichzeitig vor neuen Regulierungen des Arbeitsmarktes durch den Mindestlohn zu warnen.Den erhobenen Fakten in der Studie gemäß hätte die Überschrift korrekter lauten müssen:
Atypische Beschäftigung steigt erheblich schneller als normale Arbeitsverhältnisse.
Oder: Jede/r Vierte ist inzwischen atypisch beschäftigtWährend vor gut 10 Jahren nicht einmal jede/r fünfte Erwerbstätige atypisch, also in Teilzeitarbeit und unsicheren, niedrigentlohnten Jobs beschäftigt war, war es 2013 nahezu jede/r Vierte. Zwar hat angesichts einer mäßig ansteigenden Konjunktur auch der Anteil der Erwerbstätigen auf unbefristeten Vollzeitstellen statistisch um 2 Prozent zugenommen, aber die atypische Beschäftigung eben um 5 Prozent.
Ich könnte nun an beliebig vielen Beispielen zeigen, wie die PR-Agenturen und die vom Großen Geld finanzierten Think-Tanks nahezu tagtäglich versuchen die Wirklichkeit schön reden, die Erfolge der neoliberalen Politik hochzuloben und jede Kritik am herrschenden Kurs mundtot zu machen:
Beispiele wie die Auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich verharmlost wird, über die Panikmache gegen Steuererhöhungen (die vor allem die Grünen im letzten Wahlkampf getroffen hat) über das Vertuschen des Scheiterns der Riesterrente usw. usf. finden Sie auf den NachDenkSeiten unter den Rubriken „Strategien der Meinungsmache“ oder „Manipulation des Monats“ verteilt über die letzten 10 Jahre in beliebig großer Zahl.
Abschließend noch eine politische Einschätzung:
Ein immer wiederkehrendes Aktionsfeld der Meinungsmache ist der Versuch, jede politische Alternative links von der Union unmöglich zu machen.
Die politische Meinungsmache tut mit viel Geld und hohem Propagandaaufwand alles dafür, dass in Deutschland nicht noch einmal zu einer Mehrheit links von CDU/CSU, oder links von Frau Merkel zustande kommt.
Leider hat die SPD bis heute nicht begriffen, dass sie sich damit auf absehbare Zeit im Bund jede Regierungsoption nimmt, sondern dass die Kampagne gegen die LINKE auch ihr selbst schadet. Man kann es auch so sagen, auch die Rechte in der SPD stärkt ihre Macht, indem sie die LINKE stigmatisiert und ausgrenzt.
Diese Kampagnen gegen alles, was links gilt, trafen aber auch die Grünen. Ständig wurden in der veröffentlichten Meinung die sog. „Fundis“ bekämpft und die sog. „Realos“ hofiert.
Genauso ging es den Sozialdemokraten, angefangen mit der Hetze gegen Willy Brandt und dem Lob für Helmut Schmidt, der Begeisterung für Clement bis zum Medienhype für Steinbrück als Kanzlerkandidat. Das Motto war immer dasselbe: „gute Leute, aber in der falschen Partei“.
Die fortschrittlichen politischen Kräfte, die Demonstranten und alle, die sich wehren, werden von den Medien geradezu systematisch verteufelt. Die Fremdbestimmung von der Parteien durch die veröffentlichte Meinung hat eher zu- als abgenommen.
Wie Meinungsmache die Regierungsbildung prägen kann, erleben wir aktuell in Thüringen:
Da wird im Zusammenhang mit einer Koalition von CDU und SPD stets von Stabilität gegenüber einem Bündnis von Rot-Rot-Grün geredet. Es ist daran zu erinnern, dass CDU (34 Sitze) und SPD (12 Sitze) mit zusammen 46 Sitzen im Landtag nur die kleinstmögliche Mehrheit von einem Parlamentssitz haben. Weder in der SPD noch in der CDU ist man sich einig, ob man mit Christine Lieberknecht als Ministerpräsidentin zusammengehen will. Der CDU-Fraktion gehört z.B. Marion Walsmann an, die von 2010 bis vor einem Jahr Chefin der Staatskanzlei war und von Lieberknecht ziemlich brüsk entlassen worden ist. Walsmann ist auch auf Druck von Lieberknecht auf einem wenig aussichtsreichen Listenplatz der CDU bei der Landtagswahl gelandet, hat sich aber in Erfurt überraschend gegen Bodo Ramelow durchgesetzt. Wer also da wie in geheimer Abstimmung stimmen würde ist ein völlig offene Frage.
Ich könnte die Beispiele für Meinungsmache beliebig fortsetzen und vermutlich könnten Sie weitere Beispiele anführen.
Mein Referat sollte einen Anstoß zu einer Diskussion darüber geben, was man unternehmen könnte, um die Strategien der Meinungsmache zu durchbrechen. Vor allem darüber würde ich gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen.