Getroffene Hunde bellen – wie der SPIEGEL auf Kritik reagiert
Nicht nur die NachDenkSeiten haben die aktuelle Ausgabe des SPIEGEL scharf kritisiert. Nach gerade einmal drei Stunden sah sich SPIEGEL Online bereits genötigt, die Kommentarfunktion zum aktuellen Titelartikel der Printausgabe zu schließen – die Leserkritik, die den Blattmachern ins Gesicht schlug, war hart. Auch intern brodelt es gewaltig. Anstatt die Kritik erst einmal sacken zu lassen und zu reflektieren, zeigt sich der SPIEGEL jedoch dünnhäutig und versucht sich in einem Editorial für seine Titelgeschichte zu rechtfertigen. Damit macht er die angerichtete Blamage jedoch nur noch größer. Von Jens Berger.
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Gleich zu Beginn des Editorials stellt der SPIEGEL klar, dass er die auf ihn einprasselnde Kritik nicht ernst nimmt. Sie stamme – so der SPIEGEL – auch von „organisiert auftretenden, anonymen Usern, die schon seit Monaten jegliche Kritik an Russland […] kontern“. Kritiker werden also indirekt als fünfte Kolonne Moskaus bezeichnet – das kennt man ja schon aus der McCarthy-Ära. Mit dieser peinlichen Verschwörungstheorie desavouiert der SPIEGEL sich und seine Kritik an der Kritik jedoch nur selbst.
Das Editorial geht jedoch auch inhaltlich in die Vorwärtsverteidigung. Kritik, nach der das SPIEGEL-Titelbild „kriegstreiberisch“ sei, erklären die Autoren zu einer „absurden Behauptung“. Man fordere schließlich lediglich, dass „Putin […] in der Ukraine Einhalt zu gebieten sei“ – und zwar „ausdrücklich nur mit nichtmilitärischen Mitteln“. Da fragt man sich als Leser wiederum, für wie dämlich der SPIEGEL seine Leser hält. Es gibt wohl keinen historischen Präzedenzfall, in dem eine militärische Auseinandersetzung ohne eine Eskalationsstrategie ausgekommen wäre. „Nichtmilitärische“ Schritte waren dabei stets die ersten Eskalationsstufen. Und wer sich einmal den Leitartikel „Ende der Feigheit“, der als Anhang zum Editorial noch einmal veröffentlicht wurde, genau durchliest, kann ganz einfach nicht zu dem Schluss kommen, das hier keine „Kriegshetze“ vorgenommen wird. Warum?
- Der martialische Ton: Putin „muss […] zur Rechenschaft gezogen werden“, er hat „sein wahres Gesicht gezeigt“, ist ein „Paria der Wertegemeinschaft“; der Abschuss von MH 17 ist ein „Symbol für [seine] Ruchlosigkeit“. Ja geht´s denn bitteschön nicht ein kleines bisschen leiser? Mit seriösem Journalismus hat diese Rhetorik jedenfalls nichts zu tun.
- Die Festlegung auf einen Schuldigen: Wer jemanden zur Rechenschaft ziehen will, ist von dessen Schuld überzeugt. Im gesamten Leitartikel gibt es demzufolge auch keinen einzigen Zweifel an der Schuld Putins. Hat der SPIEGEL Informationen, die den Regierungen in Washington und Berlin nicht vorliegen? Liegt dem SPIEGEL ein Beweis vor, dass Putin als Person und Präsident etwas mit dem Abschuss von MH 17 zu tun hatte? Offenbar ja, ansonsten würde man schließlich zurückhaltender formulieren – die hochbezahlten Schreiber des SPIEGEL sind ja nun keine Amateure und wissen ganz genau, was derartige Formulierungen im Kopf der Leser anrichten. Der SPIEGEL bleibt jedoch jegliche Untermauerung seiner Schuldfestlegung schuldig. Und solange der SPIEGEL keine Beweise vorlegen kann, muss er sich auch den Vorwurf gefallen lassen, „kriegstreiberisch“ zu sein.
- Die Personifizierung: Mit keinem Wort geht der SPIEGEL darauf ein, dass Russland – wie jedes andere Land auf der Welt auch – kein monolithischer Block ist, sondern verschiedene Interessengruppen auf die Politik einwirken und auch Politik machen. Für den SPIEGEL ist Putin allmächtig. Das kennt man ansonsten nur von Hitler oder vielleicht noch Stalin. Diese Personifizierung dient natürlich ausschließlich der Meinungsmache.
- Das Weglassen von Informationen, die nicht ins eigene Bild passen: Selbst Experten müssen bei der Frage passen, wer für den Abschuss von MH 17 verantwortlich ist. Der SPIEGEL „weiß“ es jedoch ganz genau. Die Frage, wer für den Bürgerkrieg im Donbass die Verantwortung trägt, ist ebenfalls nicht so leicht zu beantworten. Auch hier „kennt“ der SPIEGEL den Verantwortlichen ganz genau und nennt ihn auch beim Namen: Putin. Auf kritische Töne gegenüber Kiew, Berlin und Washington wartet man als SPIEGEL-Leser vergebens. Man kann das für „Meinungsjournalismus“ halten. Man kann es allerdings auch „Meinungsmache“ nennen.
Leider erinnert der SPIEGEL in seiner Vorwärtsverteidigung nicht an ein verantwortungsvolles Nachrichtenmagazin, das sich über die Folgen seines Tuns im Klaren ist. Das ganze Editorial erinnert mehr an den Beitrag eines Trolls in einem Internetforum. Man bedient sich munter stilistisch bei Schopenhauers eristischer Dialektik um Recht zu bekommen, ohne Recht zu haben. Das mag bei einer „Diskussion“ auf Facebook ja ganz nett sein – für das Editorial des wohl immer noch angesehensten deutschen Wochenblatts ist dies einfach nur peinlich. Ja, hier liegt ein eklatanter Fall von Versagen der Eliten vor. Der SPIEGEL trollt fröhlich und munter vor sich hin und ist sich nicht im geringsten darüber klar, was er damit anrichtet.
„Die meisten Konflikte, welche die Welt im Laufe der letzten Jahrzehnten gesehen hat, sind nicht hervorgerufen worden durch fürstliche Ambitionen oder ministerielle Umtriebe, sondern durch leidenschaftliche Erregung der öffentlichen Meinung, die durch Presse und Parlament die Exekutive mit sich fortriss“.
Reichskanzler Bernhard von Bülow im März 1909 vor dem deutschen Parlament[*]
[«*] zitiert in: Christopher Clark – Die Schlafwandler