Was soll der Mindestlohn? Grundsätzliche Gedanken zur ökonomischen Mindestlohndebatte

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Seit Jahren wird die Einführung eines „flächendeckenden“ Mindestlohnes in Deutschland rege diskutiert. Während konservative Wirtschaftskreise den Untergang der deutschen Wirtschaft aufziehen sahen, wurde von anderer Seite her kritisiert, dass der gesetzliche Mindestlohn tatsächlich nicht ganz so viel abdecken wird, wie es ursprünglich im Wahlkampf 2013 angekündigt war. Vom Mindestlohn ausgenommen sind z. B.:

  • Jugendliche ohne Berufsausbildung
  • Verpflichtende Praktika während des Studiums, der Ausbildung oder der Schule
  • bis zu sechs Wochen dauernde Praktika zur Orientierung für Beruf oder Studium
  • Personen, die an einer Eingliederungsmaßnahme (in den Arbeitsmarkt) teilnehmen
  • Auszubildende und
  • ehrenamtliche Tätigkeiten.

Wer direkt aus der Langzeitarbeitslosigkeit eine Anstellung findet, ist für die ersten sechs Monate dieser Beschäftigung (gleichbedeutend mit der Probezeit) ebenfalls vom Mindestlohn ausgenommen (zu diesen Ausnahmen siehe Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014; Thomas Lakies via Gegenblende 2014). Jetzt hat sich die große Koalition auch noch dazu „durchgerungen“, in der Zeitungsbranche und der Saisonarbeit Ausnahmen zu machen (siehe auch die NachDenkSeiten).

Nun könnte die Kritik an diesen Ausnahmen die Diskussion um den Mindestlohn zumindest ein Stück weit davon lösen, allein die Mindestlohnwirkung auf Arbeitsplätze zu debattieren. Tatsächlich wird auch in gewerkschaftlichen Kreisen der Mindestlohn damit verbunden, „verbesserte Arbeits- und Einkommens- und Lebensbedingungen“ (Bettina Csoka) zu fordern. Ähnlich auch die Mindestlohnkampagne des Deutschen Gewerkschaftsbunds, in der es ausdrücklich hieß, dass (Menschen-) Würde keine Ausnahme kennt (siehe Flyer DGB).

Allerdings dringen Aspekte wie Arbeits- und Lebensbedingungen oder Menschenwürde nur sehr zögerlich in die breitere öffentliche Diskussion vor. Von Sebastian Thieme.

Bislang wird sie weiter von der Frage beherrscht, ob Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten. Dazu existieren viele Studien, die zumindest keine negativen Effekte von Mindestlöhnen feststellen (siehe z. B. die Auflistung auf den NachDenkSeiten). Für gewöhnlich zieht dies von der Gegenseite her gegensätzliche Studien nach sich. Die Folge: Studien über Studien werden zitiert. Für Dritte mag dieser Schlagabtausch sicher nicht immer verständlich sein und stattdessen sogar eher ermüden. Darüber hinaus beinhaltet die Konzentration auf die reine Masse an Arbeitsplätzen ein schwer wiegendes Problem.

Denn was ist damit gewonnen, die Wirkung von Mindestlöhnen auf die allgemeine Zahl an Arbeitsplätzen zu diskutieren, wenn es doch um „gute Arbeit“ (Qualität) geht? Selbst in dem Falle, in dem Studien belegen, dass der Mindestlohn tatsächlich Arbeitsplätze vernichtet: Wäre es dann etwa ethisch legitim, Löhne zu zahlen, die jeder Menschenwürde spotten? Sind menschenwürdige Löhne nur dann menschenwürdig, wenn sie keine Arbeitsplätze vernichten? Haben wir stattdessen menschenunwürdige Arbeitsplätze um der möglichst hohen Quantität an Arbeitsplätzen willen zu akzeptieren? Was ist dann aber von der Menschenwürde übrig, die als absoluter Wert eigentlich das Fundament einer Gesellschaft stiftet?

Alle diese Fragen tauchen in der Mindestlohndebatte allenfalls als Randnotizen auf und werden nicht weiter vertieft. Vor allem die vorherrschende ökonomische Lehrmeinung hält unbeirrt daran fest, den Mindestlohn nach dessen Wirkung auf das gesamte Arbeitsplatzangebot zu bewerten. Wie verkürzt dieser ökonomische Blick ist, das lässt sich daran demonstrieren, dass selbst die ökonomische Perspektive auch ohne empirische Studien vernünftige Gründe für einen Mindestlohn liefert. Damit soll ausdrücklich nicht dem Primat der Ökonomik über Politik das Wort geredet werden. Es lohnt sich aber, in diese ökonomische Perspektive abzutauchen, um zu zeigen, mit welchen Widersprüchen und Mängeln die übliche ökonomisch-ökonomistische Argumentation gegen Mindestlöhne behaftet ist.

Ökonomische Gründe

Menschenwürdige Arbeit soll – so die altbekannte Gewerkschaftsforderung – dazu befähigen, von der eigenen Hände Arbeit leben zu können. In der Diskussion um Mindestlöhne wird dieser fundamentale Aspekt der Selbsterhaltung (Subsistenz) häufig zugunsten vermeintlich ökonomisch vernünftiger (marktwirtschaftlicher) Argumente ausgeblendet. Exemplarisch dafür steht die Behauptung, Mindestlöhne würden zum Abbau von Arbeitsplätzen führen, frei nach dem Motto „Jede Arbeit ist gute Arbeit!“. Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies, das Wirtschaften zum reinen Selbstzweck zu erklären: Arbeiten um „der Wirtschaft“ willen. Und das heißt, den Menschen mit seinen existenziellen Bedürfnissen hinter die Bedürfnisse der Wirtschaft zu stellen!

Doch diese Argumentation ist nur scheinbar „ökonomisch vernünftig“. Warum? Weil ganz allgemein nur jene Wirtschaftsform „wirtschaftlich“ oder „effizient“ sein kann, die sich selbst trägt (erhält). Das ist keine neue Einsicht, sondern unter dem Begriff der Kostendeckung auch in ökonomischen Kreisen bekannt. Folglich ist ein Wirtschaften, das nicht einmal die aufgewendeten Produktionsfaktoren erneuern kann, ganz sicher alles andere als „wirtschaftlich“ zu nennen. Das gilt für die „Markt“-Wirtschaft ebenso wie für landwirtschaftliche Selbstversorger, Genossenschaften oder gar eine Zentralverwaltungswirtschaft. Bezogen auf den Produktionsfaktor Arbeit bedeutet dies, dass eine „wirtschaftliche“ Produktion mindestens die Selbsterhaltung der beteiligten Arbeitskräfte gewährleisten muss.

Können sich die Träger der Arbeit in einer „Markt“-Wirtschaft nicht ernähren, fällt der Produktionsfaktor Arbeit aus und damit das Angebot. Denn wer kann dann noch produzieren? Arbeit führt auch zu Einkommen und somit zur Nachfrage. Wenn die Selbsterhaltung der Arbeitskräfte nicht möglich ist, fällt deshalb ebenso die Nachfrage aus: Denn wer kann dann noch konsumieren? Und überhaupt stellt sich dann die Frage, für wen noch produziert wird. Auf wen zielte eine Produktion, deren Träger (Arbeitskräfte) sich nicht ernähren können?

Hinzu tritt ein Anreizproblem: Ein ökonomisch rationales Individuum hätte doch gar kein Motiv, an einem Produktionsprozess teilzunehmen, wenn es sich damit nicht am Leben halten kann. Wer Mindestlöhne ablehnt, weil damit Arbeitsplätze vernichtet würden, sollte deshalb zunächst erst einmal prüfen, ob ein ökonomisch rationales Individuum unter idealen „Markt“-Bedingungen (d. h. freiwillig und ohne Zwang) überhaupt jene (schlecht entlohnten) Arbeitsplätze angenommen hätte, die unter einem Mindestlohn angeblich verloren gehen.

Streng ökonomisch betrachtet wäre sogar davon zu sprechen, dass der Mindestlohn auf diese Weise eine für „den Markt“ notwendige „Marktbereinigung“ bewirkt. Schließlich nimmt er nicht „wirtschaftliche“ Tätigkeiten/ Produktionen „vom Markt“.

In diesem Zusammenhang sind die Ökonominnen und Ökonomen, die eine gesamtwirtschaftlich positive Wirkung einer Lohnflexibilität nach unten preisen, vor ein außerordentliches Problem gestellt: Sie müssen nämlich erklären, warum das Kostendeckungsprinzip, das für die gesamte Produktion eines Unternehmens (oder einer Volkswirtschaft) gilt, nicht für die Individuen (Arbeitskräfte) gelten soll. Dabei ist zu bedenken, dass die Individuen selbst als ökonomisch-rational angenommen werden und somit faktisch wie kleine Unternehmen agieren. Den ansonsten so rationalen Individuen wird dann üblicherweise eine Irrationalität mit existenziellen Folgen abverlangt, denn die Individuen sollen auf die Selbsterhaltung zu Gunsten „der Wirtschaft“ verzichten. Und an dieser Stelle wird es echt famos: Denn für diese quasi altruistische Aufopferung ist in der Standard-Lehrbuchökonomik gar kein Platz.

Damit gelangen wir wieder zur erwähnten Anreizproblematik und haben bereits angedeutet, dass diese sich nicht nur auf einen abstrakten Produktionsprozess bezieht. In einer Gesellschaft, in der alle Menschen absolut abhängig vom marktwirtschaftlichen Arbeitseinkommen sein sollen (Arbeits- und Marktgesellschaft), muss „der Markt“ gewährleisten, dass jede Tätigkeit zu einer Entlohnung führt, die mindestens den Selbsterhalt ermöglicht. Wenn nicht, dann steht nicht nur der Produktionsprozess in Zweifel, sondern die gesamte Gesellschaft und somit das, was in der Ökonomik als „sozialer Frieden“ bezeichnet wird.

Dabei gilt es als ökonomische Binsenweisheit, dass ohne „sozialen Frieden“ die sogenannten Transaktionskosten hoch sind: Investitionen sind dann unsicher, weil

  • Parallelstrukturen existieren (informelle Strukturen, Korruption usw.), die wiederum Investitionsvorhaben verteuert
  • sich Personen nicht genötigt sehen, Gesetze/ Verträge einzuhalten
  • damit die Kosten für die betriebliche und persönliche Sicherheit steigen
  • ständig Arbeitsverweigerung und Streik drohen, so dass nachverhandelt werden muss und damit droht betrieblicher Verlust etc.

Nun lässt sich einwenden, dass „dem Markt“ etwas Spontanes anhaftet und er nicht vom Ergebnis her geplant werden kann, was sich auch auf die Selbsterhaltung der Arbeitskräfte erstreckt. Es wäre demnach nicht gewiss, ob „der Markt“ die Selbsterhaltung und damit eine menschenwürdige Entlohnung dann tatsächlich auch zu gewährleisten vermag.

Aber auch in diesem Fall gilt wieder: Warum sollte sich ein ökonomisch rationales Individuum überhaupt auf solch ein unsicheres Spiel einlassen? Ökonomisch rational wäre es, dann doch lieber auf Nummer Sicher zu gehen und selbst für sich zu sorgen oder mit anderen gemeinsam zu wirtschaften (Genossenschaft, Familie usw.), statt auf die Versorgung durch „den Markt“ zu hoffen!

Wer dennoch für „den Markt“ und „Marktlöhne“ plädieren will, muss deshalb durch irgendeine Institution (z. B. Staat) glaubhaft versichern, dass sich die Menschen – wenn sie sich auf dieses „Marktspiel“ einlassen – von ihrer angebotenen Arbeitskraft ernähren können. Natürlich lassen sich damit keine Situationen ausschließen, in denen diese Garantie tatsächlich schlecht umzusetzen ist, denken wir z. B. an Naturkatastrophen oder Kriege. Aber auf solche Situationen zielt der Mindestlohn ohnehin nicht ab. Es geht viel mehr um ein Versprechen (Anspruch auf Einkommen), das in den meisten Fällen des erfahrbaren Alltags eine Einkommenssicherheit gewähren soll: Gemeint sind die Situationen, in denen das Wirtschaftssystem prinzipiell in der Lage wäre, die Versorgung aller zu gewährleisten, diese Versorgung aber aus Gründen von ungleich verteilter Marktmacht, von Intransparenz u. ä. nicht zustande kommt.

So gesehen ist der Mindestlohn auch der Preis dafür, dass der „soziale Frieden“ gewahrt wird, damit die Transaktionskosten niedrig bleiben und die Individuen überhaupt einen Anreiz besitzen, immer wieder aufs Neue am „Marktspiel“ teilzunehmen.

Für eine Marktgesellschaft stellt der Mindestlohn deshalb sogar eine Notwendigkeit dar. Erst eine Einkommensgarantie in Form eines Mindestlohnes bewerkstelligt, dass die marktwirtschaftliche Produktion den spontanen und nicht planbaren Entscheidungen der Wirtschaftsakteure entspringen kann. Andernfalls hätte kaum jemand ein Interesse, an der zufälligen und nicht planbaren marktwirtschaftlichen Produktion teilzunehmen. Denn ein „Marktaustritt“ würde die davon Betroffenen vor existenzielle Probleme stellen. Erst mit einer Einkommensgarantie wäre eine Marktwirtschaft und Marktgesellschaft funktionsfähig. Und nur dann wäre sie ethisch auch legitimierbar. Zu verlangen, dass Menschen zu Marktlöhnen arbeiten, die sie nicht am Leben halten, ist aus der Perspektive der einzelnen Individuen heraus so ökonomisch unsinnig wie es aus ethischer Sicht schlicht eine Zumutung wäre.

Mindestlohn: Selbsterhaltung im Arbeitsverhältnis

Diese genannten ökonomischen Argumente lassen sich auch für einen allgemeinen Anspruch auf Selbsterhaltung (Subsistenzrecht) anführen, der allen Gesellschaftsmitgliedern zusteht – und zwar unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Üblicherweise kommt dieser allgemeine Anspruch in Sozialtransfers zum Ausdruck, wie z. B. im Arbeitslosgeld II (Hartz IV). Auf die Details einer entsprechenden Argumentation muss an dieser Stelle verzichtet werden (siehe ausführlich Thieme 2012). Stattdessen ist auf ein Problem hinzuweisen, das damit im Zusammenhang steht. Bisweilen lässt sich nämlich beobachten, dass die Sozialtransfers mit dem Mindestlohn vermengt werden.

Sozialtransfers, so heißt es häufig, stellen bereits eine Untergrenze in der Lohnfindung dar – sie sind „implizite Mindestlöhne“ (z. B. CesIfo München, FAZ 2013). Mit dieser Gleichsetzung wird jedoch ein wichtiger Unterschied zwischen Sozialtransfers und Mindestlöhnen ignoriert.

Sozialtransfers dienen – wie eben erwähnt – dem allgemeinen Anspruch eines jeden Gesellschaftsmitgliedes, sich in einer Gesellschaft erhalten zu können. Sie beziehen sich auf das allgemeine Leben in einer Gesellschaft, auf ein Recht auf (sozio-kulturelle) Existenz.

Mindestlöhne zielen dagegen ganz konkret auf Arbeitsbeziehungen ab. Sie müssen natürlich – ebenso wie die Sozialtransfers – die Selbsterhaltung in einer Gesellschaft ermöglichen, haben aber zusätzlich Einschränkungen zu kompensieren, die mit dem ganz konkreten Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen. Denken wir z. B. an Wegzeiten, zeitliche und räumliche Flexibilität oder generell an die Überlassung der Arbeitskraft, die sich ökonomisch in Opportunitätskosten ausdrückt (d. h. die zur Verfügung gestellte Arbeitszeit lässt sich nicht zwei Mal verwenden!). Hinzu mögen verteilungspolitische Aspekte treten: Der Mindestlohn als ein Mindestanspruch am erwirtschafteten Mehrwehrt (das, was über die Selbsterhaltung hinausgeht). Wichtig sind daran folgende Dinge:

Erstens sind bereits die Sozialtransfers an allgemeine Sozialstandards und ethische Ansprüche gebunden, die sich auch nicht senken lassen, ohne den sozialen Frieden und die Akzeptanz der Gesellschaftsform in Gefahr zu bringen (Grundrechte, Sozialcharta der EU, Sozialpakt der Vereinten Nationen usw.). Insofern ist es nicht nur ethisch und zum Teil auch rechtlich fragwürdig Lohnflexibilität nach unten durch Senkung von Ansprüchen an den Sozialstaat zu bewirken – solche Vorhaben können auch ökonomisch widersprüchlich und sogar unvernünftig sein (weil sie höhere Transaktionskosten bedeuten können).

Zweitens ist es zwar richtig, dass die Sozialtransfers das Fundament für Mindestlöhne bilden, denn alles das, was die Sozialtransfers bewerkstelligen sollen, müssen Mindestlöhne natürlich auch mindestens garantieren: nämlich die menschenwürdige Existenz in einer Gesellschaft. Aber darüber hinaus zielen Mindestlöhne ganz konkret auf Arbeitsbeziehungen ab, so dass sie deutlich mehr zu leisten haben als Sozialtransfers. In Geldbeträgen gedacht müssen sie betragsmäßig oberhalb der Sozialtransfers angesiedelt sein.

Als Konsequenz daraus verbietet es sich, Mindestlöhne als reine „Sozialhilfelöhne“ zu berechnen. Damit ist gemeint, dass aus einem Sozialhilfesatz (o. ä.) nicht einfach ein Lohnsatz berechnet und direkt zum Mindestlohn deklariert werden kann: Solche „Sozialhilfelöhne“ müssten noch um Elemente ergänzt werden, die üblicherweise in Arbeitsbeziehungen eine Rolle spielen (s. o.) und die aus verteilungspolitischen Gründen eine Mindestteilhabe am Arbeitsprodukt gewährleisten.

Für die Gewerkschaften bedeutet dies, ihren alten Slogan, gemäß dem die arbeitenden Menschen von ihrer Hände Arbeit auch leben können sollen, neu zu überdenken. Denn es geht nicht nur darum, menschenwürdig existieren zu können, sondern darüber hinaus die Einschränkungen im Arbeitsprozess zu einem Mindestmaß kompensiert zu bekommen und zu einem Mindestmaß auch an den Früchten der angebotenen Erwerbsarbeit beteiligt zu werden. Sich im arbeitsteiligen Prozess einer „Markt“-Wirtschaft mit der reinen Existenzsicherung zu begnügen, das reicht schlicht nicht aus und ist ökonomisch rational auch nicht zu rechtfertigen.

Fazit

Der vorliegende Beitrag sollte keineswegs den Eindruck erwecken, dass neben den ökonomischen Gründen für einen Mindestlohn keine anderen Gründe existieren. Tatsächlich bieten sich auch in ethischer Hinsicht verschiedene Bezugspunkte, aus denen heraus sich ein Mindestlohn rechtfertigen lässt (christliche Nächstenliebe, Menschenwürde, Kategorischer Imperativ usw.). Ebenso existieren genügend rechtliche Gründe, die für Mindestlöhne sprechen (z. B. der Sozialpakt der Vereinten Nationen, EU Sozialcharta usw.).

Der Beitrag konzentrierte sich nur deshalb auf die ökonomischen Argumente, weil die Diskussion üblicherweise als „ökonomisch“ geführt wird, sich dabei aber hauptsächlich um die Quantität von Arbeitsplätzen dreht und andere Gründe dann zwar als „softe“ Faktoren genannt, aber nicht gerne weiter berücksichtigt werden. Von einzelnen ökonomischen Gegenpositionen abgesehen entsteht so der Eindruck, dass Mindestlöhne ökonomisch eher negativ zu bewerten sind (Hauptargument: Vernichtung von Arbeitsplätzen). Argumentativ verfängt sich die Diskussion dann all zu häufig in dem eingangs erwähnten Schlagabtausch, in dem die Gründe für oder gegen Mindestlöhne in Studien auslagert werden, anstatt z. B. die Bedeutung der Selbsterhaltung zu diskutieren, die ja eigentlich Zweck des Mindestlohnes ist. Dabei spricht auch aus ökonomischer Sicht viel dafür, den Menschen die Selbsterhaltung via Mindestlohn zu gewährleisten. Aber nicht nur das: Es lassen sich auch ökonomisch vernünftige Gründe dafür anführen, warum der Mindestlohn eine angemessene Entlohnung bedeutet, die nicht allein auf die Erhaltung des Existenzminimums beschränkt ist. Dieser Beitrag sollte Anregung geben, sich einmal auf diese Perspektive einzulassen, um dann in zukünftigen Diskussionen die entsprechende Gegnerinnen und Gegner eines Mindestlohnes auf die Brüche und Mängel in ihrer Argumentation sowie auf die (rein) ökonomischen Gründe für Mindestlöhne hinzuweisen.


Literatur zur Vertiefung


Dr. rer. pol. Sebastian Thieme, Jahrgang 1978, ist Volkswirt und derzeit Mitarbeiter am Zentrum für Ökonomische und Soziologische Studien an der Universität Hamburg. Er forscht zu Heterodoxie und Orthodoxie, Ökonomischer Misanthropie, Subsistenz(-ethik), Wirtschaftsethik, Wirtschaftsstilforschung und Ökonomischer Ideengeschichte.