Verfassungsfeindliche Umtriebe auf deutschen Volkswirtschaftslehrstühlen
Anhänger des Marktradikalismus bekämpfen die in Artikel 38 Grundgesetz verankerte allgemeine, unmittelbare, freie und vor allem die gleiche Wahl: Die „Leistungselite“ müsse vor der Mehrheit geschützt werden.
In einem „ordnungspolitischen Blog ´Wirtschaftliche Freiheit`“ stellt der Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim, Roland Vaubel, das schon 1787 in der amerikanischen und mit der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts seit 1918 in den deutschen Verfassungen verankerte gleiche Wahlrecht zugunsten eines Schutzes der „Leistungselite“ in Frage. Noch mehr Schutz als eine Änderung des Wahlrechts im Grundgesetz biete allerdings der „Standortwettbewerb“ zwischen den Staaten. Deshalb liege in der Globalisierung eine große Chance: sie zwinge die Politiker jenseits aller Wahlergebnisse um die Gunst der „Leistungseliten“ zu konkurrieren.
Nach Art. 38 GG werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Art. 3 GG sagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Und Art. 20 Abs. 2 GG gibt vor: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Das kümmert unseren „Verfassungsökonomen“ Vaubel ziemlich wenig. Er greift auf die Angst vor der Tyrannei der Massen des vordemokratischen schwedischen Ökonomen Knut Wicksell zurück, der befürchtete, dass wenn die unteren Klassen in den Besitz der gesetzgebenden und steuerbewilligenden Gewalt gelangten, sie die Hauptmasse der Steuern den besitzenden Klassen auferlegten und bei der Bewilligung von Ausgaben verschwenderisch verführen, da sie ja zu deren Bestreitung nur wenig beitrügen.
Diese aus der Angst des Bürgertums vor den proletarischen Massen Mitte des 19. Jahrhunderts entsprungene Begründung für ein Mehrklassenwahlrecht spinnt Vaubel ins heutige Deutschland und ins moderne Europa weiter:
Aus ökonomischer Sicht könnte es effizient sein, das Quorum bei Ausgabenentscheidungen an der Steuerbelastung festzumachen, denn die Staatsausgaben sind – wie Wicksell darlegt – zu hoch, wenn die Entscheidungen nicht von denen getroffen werden, die dafür bezahlen müssen.
Der Schutz der „Leistungselite“ verlange sogar ein hohes Quorum. Aber selbst eine hohe Abstimmungshürde ist Vaubel noch nicht sicher genug:
Anstatt ein hohes Quorum festzulegen, kann man die Leistungseliten aber auch dadurch schützen, dass man ein Zwei-Kammer-System einführt und diejenigen, die die Hauptlast der (direkten) Besteuerung tragen, eine der beiden Kammern wählen lässt. Bei allen Finanzierungs- und Ausgabenentscheidungen müssen dann beide Kammern zustimmen, wird ein Konsens von Arm und Reich erforderlich.
Aber auch ein Zwei-Kammer-System mit einem „Oberhaus“ der Besitzenden ist ihm noch nicht sicher genug:
Aber die Geschichte zeigt auch, dass jedes dieser Oberhäuser früher oder später sein Zustimmungsrecht verlor und nur noch beratende Funktion hatte.
Deshalb schlägt er sicherheitshalber ein Mehrklassenwahlrecht vor:
Eleganter ist daher ein System, in dem beide Kammern von allen Bürgern gewählt werden, aber mit unterschiedlichen Gewichten.
Um aber den Schutz der Leistungseliten vollends zu gewährleisten, müsste den Mitgliedern der unteren Klasse aber noch zusätzlich das passive Wahlrecht genommen werden:
Abgesehen von Zwei-Kammer-Systemen und qualifizierten Mehrheitserfordernissen finden wir in der Verfassungsgeschichte noch eine dritte Lösungsmöglichkeit, wie die Leistungseliten vor der Tyrannei der Mehrheit geschützt werden können.
Mitglieder der untersten Klasse durften nicht für politische Ämter kandidieren.
Vaubel hält es für „unsinnig“, für eine solche Verfassungsänderung eine zwei Drittel Mehrheit zu verlangen.
Solange aber die von ihm vorgeschlagene Verfassungsänderung nicht erreicht ist, tröstet ihn allenfalls noch der Föderalismus. Denn der durch die Föderalismusreform durchgesetzte Paradigmenwechsel vom kooperativen zum Wettbewerbsföderalismus
zwingt die Politiker, um die Gunst der Leistungseliten zu konkurrieren.
(Wir nehmen zur Kenntnis, dass er damit unserer Kritik am Wettbewerbsföderalismus Recht gibt.)
Den größten Schutz für die „Leistungseliten“ sieht Vaubel aber in der Globalisierung, denn mit diesem Hebel, so muss man seinen Gedanken zu Ende führen, können sich die „Leistungseliten“ am besten schützen und sich gegen die niederen Klassen auf ganzer Linie durchsetzen. Denn – so wohl seine Hoffnung – in einer kapitalistisch globalisierten Welt sind Wahlen ohnehin bedeutungslos und die Demokratie allenfalls schmückendes Beiwerk.
In Artikel 18 Grundgesetze heißt es:
„Wer die Lehrfreiheit zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte.“
Wann schreitet der baden-württembergische Wissenschaftsminister ein und kürzt nicht wenigstens die Bezüge solcher „Hochschullehrer“? Das Land war doch früher einmal bei der Verfolgung von sog. Verfassungsfeinden immer vorne dran.
Ergänzung zum „ordnungspolitischen Blog ´Wirtschaftliche Freiheit`“:
Ihm gehören an:
Professor Norbert Berthold, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Professor Wim Kösters, Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Volkswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum
Professor Wolf Schäfer, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für theoretische Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg (Universität der Bundeswehr)
Und der den Lesern der NachDenkSeiten schon bekannte Professor Peter Oberender, soeben in den Ruhestand verabschiedeter Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Universität Bayreuth, Propagandist einer völligen Privatisierung der Krankenversicherung mit alters- und risikoabhängigen Beiträgen, der sich darüber hinaus für einen freien Markt für Körperorganspenden einsetzt.
Man könnte das damit abtun, dass dieser Club „Wirtschaftliche Freiheit“ ein Haufen marktradikaler Spinner ist. Das ist er wohl auch, aber die Denkstruktur aller Anhänger der neoliberalen Ökonomie ist ziemlich gleich:
Sie (miss-)brauchen die Globalisierung als Hebel, um ihre Dogmen gegen die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler durchzusetzen. „Leistungseliten“ sind für sie alle diejenigen, die ihren Glaubenssätzen blind folgen. Das ist eben auch die Arroganz der „Eliten“, dass sie sich auserwählt (élité) sehen, um über die Massen zu herrschen.
Egal, ob mit deren Rezepten weltweit und national Millionen von Menschen in ein ökonomisches Desaster geführt wurden.